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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Tags darauf war der Rittmeister anders geworden und ich auch.

Als ich beim Erwachen dran dachte, wen ich zu pflegen habe, meinte ich wieder, ich könne es nicht und dürfe es nicht; ich könnte auch keine treue Pflegerin eines Menschen sein, den ich in Grund und Boden hinein verfluche. Ich habe bisher meine Pflicht gethan, jetzt müßte ich ungetreu an meiner Pflicht werden. Das muß ich dem Professor sagen. Und wieder dachte ich, was geht's dich an, wer der Kranke ist? Und er ist ja gestraft; er kann nicht mehr nach seinen Gelüsten leben, er muß sich fügen und hat keinen Willen mehr; man muß doch Erbarmen mit ihm haben, und er ist ja doppelt elend, blind mit einem bösen Gewissen.

Der Rittmeister rief mich und fragte, ob schon Tag sei, und dann sagte er, er sei gestern gewiß bös und heftig gewesen; man solle ihm das nicht verübeln, er leide bittere Schmerzen und dazu solche, die man mit keinen noch so feinen Instrumenten heilen könne.

»Ich war mit sehenden Augen blind,« schloß er.

Eben als er das gesagt hatte, begann die Klavierspielerin über ihm, und mit heftiger Stimme rief er:

»Das dulde ich nicht, das darf nicht sein.«

Ich mußte den Professor rufen. Dieser erklärte dem Rittmeister, er solle es versuchen, sich an dem schönen Klavierspiel zu erfreuen, statt sich zu ärgern; wenn das in zwei Tagen nicht der Fall sei, werde man ihm andere Zimmer anweisen.

»Warum mir? Warum nicht dem Klavierklimpernden?«

»Ich muß bitten, etwas ruhiger mit mir zu reden,« sagte der Professor. »Sie müssen Selbstbeherrschung und Fügsamkeit lernen; durch Ihre Heftigkeiten verschlimmern Sie Ihren Zustand und stören die Pflege und Heilung.«

Ganz gebändigt und zahm fragte nun der Rittmeister, wer es denn sei, der da oben Klavier spiele. Unser Professor erzählte von der Frau, die in Gram um ihren verlorenen Mann erblindet sei und bald ihre letzte Lebenskraft aufgezehrt haben werde.

»Ist das auch wahr, was Sie mir da erzählen?«

Scharf entgegnete der Professor:

»Herr Baron, ich verlange, daß Sie keine derartige Redensart mehr gegen mich gebrauchen. Sie sind kein Kind, und ich bin kein Märchenerzähler.«

Der Rittmeister hat's gespürt, mit dem darf man nicht spaßen. Ich muß sagen, ich hatte den Professor noch nie gegen einen Kranken so scharf gesehen; unser Professor mußte mehr von ihm wissen, als ich meinte, jedenfalls wollte er ihn bändigen.

Wieder ganz sanft brachte der Rittmeister vor: »Verzeihen Sie einem Schwergekränkten, will sagen einem Schwerkranken. Also solche Liebe gibt es wirklich in der Welt? Ich will's glauben, ich muß Ihnen ja glauben.«

Als der Professor weggegangen war und die Frau weiter spielte, pfiff der Rittmeister zu der Musik über ihm.

Plötzlich rief er mich und sagte, ich solle hinaufgehen zu der Frau und anfragen, ob er nicht zu ihr kommen und in ihrem Zimmer zuhören dürfe; er könne auch vierhändig mit ihr spielen.

Ich sagte, daß man nicht von einem zum andern ohne Wissen des Herrn Professors Botschaft bringen dürfe. Da schrie er wieder:

»Verdammt! Sind denn die Kranken hier Strafgefangene?«

Ich dachte: Du verdienst, Strafgefangener zu sein, in Ketten und Banden. Mein ganzer Haß war wieder da. Ich pflegte ihn aber doch wie jeden andern. Etwas in mir sagte mir freilich, daß ich heuchle. Gehe ich nicht selber dabei zu Grunde, wenn ich das so weiter treibe? Ich schämte mich vor jedem guten Wort, das ich sagen mußte, ich kam mir beständig wie unsauber vor, wie ungewaschen. Ich hatte keinen rechten Schlaf mehr, ich war unzufrieden mit allem und mir selber zur Last.

Eines Tages kam der Hausmeister und brachte einen Brief, der Rittmeister fragte, wer hier den Kranken vorlese; der Hausmeister sagte, er sei Vertrauensperson.

»Gut, lesen Sie mir zuerst die Unterschrift.«

»Bergschinder. Ein eigentümlicher Name!«

»Es gibt auch solch einen Kerl nicht zum zweitenmal auf der Welt. Lesen Sie den Brief und bleib du nur, Gitta, ich habe kein Geheimnis mehr.«

In dem Briefe stand vieles, was wir nicht verstanden. Der Schaller schrieb, daß sich noch nicht bestimmen lasse, wann er komme, und zuletzt hieß es ungefähr:

»Sei froh, daß du den Drachen los bist. Dir sind die Augen verbunden, aber du wirst nicht hingerichtet, sondern hergerichtet zu neuem lustigen Leben.«

Der Rittmeister lachte gezwungen, dann fragte er mich, ob ich gut lesen könne; ich bejahte, und nun bestimmte er, daß ich ihm fernerhin die Briefe vorlesen solle, er habe Vertrauen zu mir.

Ich habe ihm auch Bücher vorlesen müssen, und bei Schurkenstreichen, wo ich voll Abscheu war, hat er oft drein gerufen:

»Das ist prächtig! Das sind findige Kameraden!«

Ich habe ihm auch eine Geschichte von der Blutrache vorgelesen, und er fand es ganz in Ordnung, was da geschieht.

Nur einmal sprach er sich über die Frau aus, die ihn verlassen hatte.

Das kam so.

Die Fürstin gab zu ihrem Abschied in unserer Anstalt ein Konzert oder einen Festschmaus, ich weiß nicht, wie ich es heißen soll; es war eben wunderschön.

Die Fürstin hat gar herrlich auf der Harfe gespielt, und in Dankbarkeit, weil sie doch so weit geheilt war, wollte sie allen Kranken, die aus dem Zimmer durften, im großen Saal vorspielen. Unser Professor ließ mich zur Fürstin rufen. Die ganze Sache war nicht ohne Gefahr, denn die feine Musik konnte die Menschen so angreifen, daß sie weinten und sich damit Schaden anthaten. Es wurde daher strenge Auswahl getroffen.

Glückseliger sind noch selten Menschen durch die Musik gewesen. Da saßen Männer und Frauen, alte und junge, sie sahen einander nicht, aber sie hörten alle die Klänge, die so sanft zu Herzen dringen. Ein Wildheuer, der sein Lebtag so was nicht geahnt, rief plötzlich bei einer leisen Weise:

»Ich bin im Himmel! So müssen's die Engel im Himmel machen!«

Außer dieser kleinen Störung war alles gut abgelaufen.

Der Rittmeister war auch eingeladen, aber er lehnte heftig ab und sagte:

»Ich will keinen Harfenton mehr hören, sie« – er meinte damit seine Frau – »hat ja auch Harfe gespielt.«


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