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Sechstes Kapitel.

Die Verbindung zwischen dem eine halbe Tagereise entfernten Bahnhäuschen und dem Hause des Justizrats Heister war in ununterbrochener Stetigkeit verblieben.

Bei all ihrer Emsigkeit für Haus und Kinder empfand es Magdalena noch als besonderes Glück, für höhere geliebte Menschen draußen etwas thun und bereiten zu können.

Den ersten Honig ihrer Bienen, die ersten Früchte von den selbstgepflanzten Bäumen und die frischen Morcheln, welche die Kinder im Wald gesammelt hatten, schickte sie an Frau Heister. Diese Beziehung zu dem Hause Heisters war für die Kinder noch ein besonderes Glück, nicht nur, weil Frau Heister in klugem Bedacht allerlei Nützliches und Erfreuliches für sie schickte; die Kinder, die so verwandtenlos aufwuchsen, hatten höhere edle Menschen zu verehren, und das gab ihnen in der Einsamkeit da draußen einen beglückenden Zusammenhang mit der Welt. In der Dachkammer, wo sie schliefen, und in den Wäldern, wo sie Beeren und Pilze sammelten, überboten sie einander in Phantasien über die Größe und Herrlichkeit der Gönner, ja diese wären ihnen zu Märchengestalten geworden, wenn nicht ein Kind um das andere die Mutter hätte alljährlich nach der Stadt begleiten dürfen.

Frau Heister war seit Jahren an das Krankenlager gebannt, sie hatte immer den Vorsatz, eines der Mädchen an Kindesstatt anzunehmen; das sollte aber erst dann ausgeführt werden, wenn sie sich wieder frei bewegen konnte, denn sie wollte das Kind in Heiterkeit leiten und ihm nicht das Bild fortdauernder Krankheit geben.

Von der feinen blassen Frau mit den langen schmalen Händen, die eine weiße Haube mit blauen Knüpfbändern trug und in der dämmrigen teppichbelegten Stube lag, erzählten die Kinder einander mit Andacht und Schauer.

Frau Heister war jetzt endlich so weit hergestellt, daß sie wieder gehen konnte, und sie wurde im Bahnhäuschen Numero 374 erwartet; schon Tage vorher, bevor sie kam, trat jegliches leise auf und sprach mit gedämpfter Stimme.

Magdalena wollte den Ankommenden entgegengehen, sie gab aber Jakob recht, daß es sich besser für ihn passe, zumal da er einen Läufer, einen sogenannten Lowrie, bestellt habe, um auf der für zwei Stunden freien Bahn die Ankömmlinge bis vor das Haus zu rudern.

Magdalena hatte im Hause nirgends besonders besser zu säubern und zu ordnen, nur die Blumen begoß sie seit Tagen im Morgen- und im Abendtau, damit sie recht blühen, wenn die Freunde kommen.

Der Läuferwagen mit einem festgebundenen gepolsterten Stuhl stand nicht weit vom Bahnhaus 373, Jakob und Emil gingen landein den Ankömmlingen entgegen. Die Frau saß am Wegrain auf einem roten Shawl. Emil küßte ihr die Hände, Heister wehrte ab, da er auch ihm die Hand küssen wollte.

Auf Emil gestützt ging die Frau weiter, Heister und Jakob hinter ihnen.

Nicht weit vom Hause der Frau Essig sagte Jakob:

»Herr Justizrat, ich hab' eine Bitt'! Ich möchte was fragen.«

»Nur zu. Was hast du?«

»Sind die Akten über mich noch vorhanden und könnte man die nicht endlich herausverlangen, daß man sie aus der Welt schafft?«

»Also damit plagst du dich noch? Du bist ein wunderlicher Mensch! Andere werden immer verstockter, weil sie einmal auf einen Abweg gekommen waren, und du wirst immer weichmütiger und verzagter.«

»O Herr! Sie hat bei Ihnen studiert. Just dieselben Worte hat sie mir gesagt. Nehmen Sie's nicht für ungut. Sie hat einen Advokatenkopf.«

»Ich wiederhole dir: kümmere dich nicht mehr um das Vergangene, du hast deine Ehrenrechte wieder, dich gehen keine Akten mehr was an.«

»Akten! Er hat Akten,« sagte Frau Essig, die an ihrem Dachfensterchen lauerte, still vor sich hin. »Jetzt hab' ich's, das muß ich herauskriegen,« triumphierte sie.

Frau Heister war zaghaft, sich auf den Läufer zu setzen, aber als Jakob sagte: »Lieber möcht' ich mich stückweise zerreißen lassen, als Sie einer Gefahr aussetzen,« ließ sie sich hinaufheben und lustig fuhren sie, von Jakob gerudert, die freie Bahn dahin.

Magdalena kam und half beim Absteigen, sie hätte, wenn es ihr erlaubt worden wäre, Frau Heister gerne getragen, und sie hätte es gekonnt, denn sie war stark und die feine Frau schwach und abgemagert.


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