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Viertes Kapitel.

Es war ein heller Herbsttag, drunten im Thale hatten die Bäume schon gelbe Blätter, bei uns droben wurden jetzt erst die Kirschen reif. Ich ging von der Schule heim, hatte meinen Schulsack umhängen und sang so vor mich hin. Ich weiß das Lied nicht mehr ganz, aber am Ende heißt es:

Die Kirschen, die sind schwarz und rot,
Ich lieb' mein' Schatz bis in den Tod.

Das singt so ein Kind und weiß nicht, was es ist.

Am Weg hatten wir einen Acker, den pflügte jetzt der Ronymus um mit unsern Schimmeln; der Pflug ging leicht, der Ronymus pfiff dabei, und wie er beim Umkehren mich sah, rief er mir zu, wenn ich noch eine Stunde warte, könne ich auf dem Wagen heimfahren; denn man kann den Pflug nicht so weit führen, man muß ihn auf den Wagen laden. Ich mochte nicht fahren und ging weiter und war so lustig, wie eben ein Kind ist. Da hörte ich hinter mir etwas, ich sah um, und da kam ein wunderschönes einspänniges Fuhrwerk daher, da war alles so fein, daß man nicht wußte, aus was das gemacht ist und doch zusammenhält.

Es war ein zweirädriger Wagen, fast wie ein Karren, aber hoch und fein, ein falbes Roß mit schwarzer Mähne und schwarzem Schwanz – die Haare fliegen nur so im Wind – war davor gespannt, und droben saß ein Mann und hatte eine Soldatenmütze auf, oder eigentlich man meinte, er stehe.

Ich stand still, der Wagen kam näher, der Mann hatte einen langen nebenausgezogenen Schnurrbart wie ein Katzenbart, und seine Augen waren grün, aber nein, das war nur eine grüne Brille.

Das Leitseil, womit er den Falben lenkte, war schneeweiß, und er hatte weiße Handschuhe an.

Ich stand still, wie wenn ich gar nicht mehr vom Fleck könnte. Wohin will der? Der Weg führt ja nur zu uns.

Das Roß, der Karren und der Mann darauf kam immer näher. Der Mann fragte mich:

»Kind! Wohin?«

Ich erschrak ins Herz hinein – wir waren auf dem einsamen Hof gar menschenscheu aufgewachsen. Er fragte mich noch einmal, und ich sagte:

»Auf den Schlehenhof.«

»Bist du da daheim?«

»Ja.«

»Wem gehörst du?«

»Dem Hofbauer.«

»Wie heißt man ihn?«

»Den Xander.«

Mit einem Sprung war der Mann vom Kütschle herunter, er hatte hohe glänzende Stiefel an.

»Komm, Kind,« sagte er, »ich fahre dich nach dem Hof deines Vaters.«

Ich konnte kein Wort herausbringen. Er nahm mich um den Leib und hob mich wie einen Ball auf das schöne Kütschle, sprang wieder hinauf, und hui! fort ging's wie geflogen. Mir war, wie wenn ich ins Märchenland gebracht wäre vom Prinzen, der die Gänsemagd holt und in sein Schloß bringt von lauter Gimgold, Diamanten und Perlen.

Der Mann fragte mich, wie alt ich sei, ich sagte: ich geh' ins dreizehnte: »Du bist noch klein,« sagte er, er faßte meine Hand und sagte: »Deinen Fingern nach wirst du aber noch groß, kannst so groß werden, wie dein Vater.«

Diese Prophezeiung – und sie ist wahr geworden – hat mich sehr gefreut, denn ich bin gar nicht gern so klein gewesen.

Ich fragte den Mann, warum er eine grüne Brille auf habe, und als er mir erklärte, daß er schlimme Augen habe, erzählte ich ihm, ich hätte auch schlimme Augen gehabt, aber die Bötin Cordula, die man auch das Wochenblättle heißt, habe sie mir dadurch geheilt, daß ich ein frisch gelegtes Ei, solang es noch warm ist, auf die Augen legen mußte. »Das werde ich auch thun. Ich danke dir,« sagte der Mann.

Ich hatte alle Angst verloren und mich von Herzen gefreut, daß ich auch schon einen Menschen heilen konnte und einen so vornehmen. Ich sagte auch noch, daß ich mir die Augen mit Wasser von gekochter Eichenrinde wasche.

Ja, meine Augenheilung hat schon früh angefangen.

Ich wurde nun ganz vertraut mit dem Mann und fragte ihn, woher er den Schnitt im Backen habe, der fast vom Ohr bis zum Mundwinkel ging; er lachte – aber der Backen that nicht mit beim Lachen – und er sagte: da sei einmal eine Pistolenkugel durchgefahren. Ich sah mir den Mann noch einmal an, der schon einmal fast erschossen gewesen ist.

Als wir den Berg hinauf fuhren gegen unsern Hof, mußte ich dem Mann meine Schulhefte zeigen; er lobte mich, daß ich so schön schreiben könne, ich sagte, kopfrechnen könne ich noch besser. Er stellte mir nun Aufgaben, ich brachte sie alle heraus, und er sagte:

»Du bist ja ganz geschickt, und hübsch bist du auch.«

Ja, ich war doch noch ein Kind, aber es gibt nichts Schlimmeres, als einem Kinde so etwas zu sagen. Die Schlange im Paradies hat gewiß auch zu der Eva gesagt: O wie schön, wie wunderschön bist du! Sie hat freilich damals noch nicht sagen können: Du bist schöner als die und die – und das macht die Schmeichelei erst recht süß.


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