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Siebzehntes Kapitel.

»Ich hätte dir hundertmal begegnen können, ich hätte dich nie erkannt, du bist so ganz anders, so groß und so . . . Neue Augen hast aber doch nicht bekommen, und ich meine, du hättest nie solche Augen gehabt.«

So sagte der Schwager und konnte sich von seinem Erstaunen gar nicht erholen. Er wollte mir Zeugen aus dem Kaufhaus holen, daß er durch Hofbauern aus der Nachbarschaft mir habe Bescheid sagen lassen, ich solle zu ihm kommen, wenn ich nichts anders wohin wüßte. Ich brauchte keine Zeugen, ich glaubte ihm aufs Wort, er war immer ein guter rechter Mensch gewesen; für das, was nachher geschehen ist, kann er nichts, er hat's gut gemeint.

Ich fragte nun natürlich zuerst nach meiner Schwester Kind, der Agnes. Der Schwager mußte mir's angesehen haben, wie wohl mir's that, daß ich noch ein Eigenes habe. Er sagte:

»Erzähl' mir gar nichts weiter, ich weiß alles. Schlag ein, geh mit mir. Meine Frau – du wirst schon selber sehen, sie ist herzgut – die hat gleich gesagt, wie wir das Unglück gehört haben: Du solltest deine Schwägerin jetzt zu uns ins Haus nehmen. – Du gehst also mit?«

»Ja!«

O, wie herrlich war das! Schon jetzt hatte ich die Frau lieb, und ich muß sagen, sie hat's verdient.

Im Wirtshaus, wo ich mit meinem Schwager aß, sagte er:

»Brigitta, ich habe auch ein Stück Geld an deinem Vater verloren, dich geht's nichts an; er ist bei alledem ein rechtschaffener Mann gewesen und hat für sein Zutrauen zu dem Schurken büßen müssen. Wo ist der jetzt? Du weißt es nicht? Ist auch gut, wir brauchen ihn nicht. Jetzt sei lustig! Es wird dir bei uns gefallen, und der Agnes ist eine Mutter gestorben, jetzt hat sie zwei.«

Ich bin mit dem Schwager gereist, und unterwegs hat's viel Spaß gegeben, denn die Leute haben mich für seine Frau gehalten, darum hat er mich immer gleich Schwägerin! angerufen. Ich sagte ihm aber, daß er in seinem Hause mich nicht so nennen dürfe; ich wollte bei ihm dienen wie ein ehrlicher Dienstbote, und mein Trinkgeld sollte sein, daß ich bei meiner Schwester Kind sein dürfte.

Schon unterwegs habe ich gesehen, daß der Schwager in der Schweiz ein ganz anderer Mensch geworden, so aufgeweckt und geschickt, wie er mir früher nicht geschienen hat.

Wir sind über den Bodensee gefahren, die Schweizer Berge sind in der Nähe doch noch ganz anders, wie von daheim aus gesehen, aber damals hab' ich nicht besonders darauf geachtet. Wenn man solches in der Seele hat wie ich, ist's eins, wo man ist.

Damals hat's da noch keine Eisenbahn gegeben, am Landungsplatz bei Rorschach wartete das Fuhrwerk des Schwagers auf uns. Wir sind durch das schöne Gelände gefahren, und der Schwager war ein stolzer Schweizer geworden und stolz auf das schöne Land.

Wir kamen in Rheinfelden an, und die Frau sagte beim Willkomm:

»Du siehst deinem Vater gleich im Gesicht und in der Postur, nur hast du andere Augen« – immer haben's die Leute mit meinen Augen gehabt – »dein Vater war uns lieb und wert, er hat schwer dafür büßen müssen, daß er sich für einen Geschäftsmann gehalten hat und war doch keiner. Aber ein rechter braver Mann war er.«

O! Da bin ich daheim, da soll mir keine Arbeit zu viel sein, wo so von meinem Vater geredet wird. Ich hätte der Frau die Hände küssen mögen. Sonst hat sie nicht viel Worte gemacht, das ist so Schweizer Art, aber aufrichtig und gut ist sie geblieben, einen Tag wie den andern.

Als die Agnes aus der Schule heim kam, sagte die Frau zu ihr: »Gib eine Patschhand, das ist deine Muhme.«

Das Kind ist aber nicht zu mir gegangen, die Frau wollte böse darüber werden, ich sagte ihr aber leise:

»Nimm das dem Kinde ja nicht übel. Was hat so ein Kind davon, wenn man ihm sagt, das da ist deine Muhme, hab' sie lieb? Es wird schon werden, wenn ich ihm Liebe erweise.«

Wie ich das sagte, gab mir die Frau nochmals die Hand und sagte:

»Ja, ist so. Das Kind wird schon merken, daß du blutsverwandt bist; Blut wird nicht zu Wasser.«

Die Frau und ich, wir sind die besten Freundinnen geworden von der ersten Stunde an.

Der Schwager hatte wieder ein Wirtshaus. Es gibt nichts Besseres für einen Wirt, als eigene Leute im Hause, da wird nichts veruntreut; ich sah, daß ich hier von Nutzen war. Wie ich's vorgedacht hatte, ist's auch mit meiner Schwester Kind, der Agnes, geworden; sie hat mich lieb bekommen, und die anderen Kinder waren eifersüchtig, wenn sie manchmal sagte, ich sei ihre Muhme allein. Ich war ruhig und zufrieden, die Stiefmutter war ganz brav, aber ein Kind kann nicht Liebe genug haben.

Zwei Jahre bin ich bei meinem Schwager gewesen in Friede und Ehre. Besonders freundlich gegen mich war der Sträußlesoberst. Das war ein ehemaliger päpstlicher Soldat, der fast das ganze Jahr einen frischen Blumenstrauß im Knopfloch hatte und unten dran ein kleines Gläschen mit Wasser drin, um die Blumen frisch zu erhalten.

Der Sträußlesoberst hat mich immer besonders gelobt, und eines Tages sagte er mir heimlich, ich könne mein Glück machen; ein reicher Fruchthändler in Rorschach, mit dem der Schwager in Gemeinschaft Geschäfte macht, habe ein Auge auf mich. Ich hatte den Mann schon oft gesehen und gesprochen, er war ein ehrbarer Mann, noch gut bei Jahren, er war freundlich gegen mich, aber ich kümmerte mich nichts drum. Es sind gar viele freundlich gegen mich gewesen, aber es hat sich keiner was herausnehmen dürfen; ich mußte mir freilich – dafür diene ich im Wirtshaus – ins Gesicht hinein sagen lassen, ich sei hübsch; die Leute vergnügen sich eben damit, einem Mädchen Schmeicheleien zu sagen. Daß mir aber keiner zu nahe kommen durfte, das wußten alle.

Eines Tages war der Sträußlesoberst da und auch der Fruchthändler, sie waren sonntagsmäßig angezogen und sprachen heimlich mit meinem Schwager. Der Fruchthändler kam dann graden Weges zu mir und sagte: an der Art, wie ich gegen die Agnes sei, sehe er, daß ich eine gute Stiefmutter sein könne; er sei Witwer und habe zwei Kinder.

Es ist mir nicht leicht geworden, dem guten Mann Nein zu sagen; er hörte mich ruhig an und fragte nur – er hat seelengut dabei ausgesehen – ob ich mir's nicht noch überlegen wolle; ich mußte sagen, ich hätte mir's überlegt. Er gab mir die Hand, redete weiter kein Wort und ging davon.

Ich glaube nicht, daß es Stolz gewesen ist, ich habe nur eben gespürt, daß ich nicht einwilligen kann.

Von jenem Tage war der Schwager, ich kann nicht sagen ungut, aber auch eben nicht mehr gut gegen mich; er sagte mir, ich hätte mein Glück verscherzt, und ich hätte nach dem, was in meiner Familie vorgegangen, froh sein dürfen, in solch ein Ehrenhaus zu kommen. Das hat mir weh gethan.

Bald drauf wurde ein Tausch mit einem Waadtländer gemacht, die Agnes wurde zum Französischlernen nach dem Waadtlande gegeben, und wir bekamen ein Kind von dort. Ich bin gar nicht drum gefragt worden. Der Abschied von der Agnes brach mir ein Stück Herz ab, und von da an war meines Bleibens nicht mehr im Haus.

Zwei und ein halbes Jahr bin ich bei meinem Schwager gewesen, dann nahm ich einen Dienst an, droben in Heiden, im Wirtshaus zum Freihof; ich habe das Beihaus zur Bewirtschaftung überkommen und habe alles unter mir gehabt.

Beim Abschied war der Schwager wieder ganz gut und seine Frau noch besonders. Sie war sich immer gleich geblieben; ich glaube, sie hat nichts davon gewußt, daß mir aus Leben und Sterben meines Vaters ein Vorwurf gemacht worden ist.


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