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Sechzehntes Kapitel.

Meines Bleibens war nicht mehr beim Weger.

Draußen in der Welt wartet etwas auf mich, was es ist, ich weiß es nicht, aber fort muß ich. Ich gehöre niemand mehr an und habe nichts mehr als mich allein.

Das war mein Gedanke viele Tage, und manchmal habe ich's laut vor mich hin gesagt, so daß mich die Bonifacia fragte: »Mit wem redest du?« Ich wollte fort und kam doch nicht los, es war, wie wenn man morgens aufwacht und sagt, du mußt aufstehen, und doch wieder liegen bleibt. Es hat etwas kommen müssen, das mich herausreißt.

Der Wirt von dem einsamen Wirtshaus da oben, wo die Räuberbande immer zusammengekommen ist, stellte sich eines Tages ein und fragte, ob ich nicht in Dienst bei ihm treten wolle; mit einem niederträchtigen halben Lächeln und halben Trauern sagte er, seine Frau könne bald sterben, und dann könne ich Wirtin werden.

Was ich darauf gesagt habe, weiß ich nicht mehr. Als aber der Wirt wieder fort war, sagte die Bonifacia: »Du kannst aber tapfer drauf losschlagen. Das habe ich gar nicht von dir gewußt.«

Jetzt ist mir's klar geworden, gegen Arme und Verlassene nehmen sich die Wohlhäbigen viel heraus und werden frech. Ich will ihnen schon zeigen, was sich drauf gehört.

Es hat mir keine Ruhe mehr gelassen, fort muß ich, und es muß sich erweisen, was mir die Welt aufzuraten gibt.

Der Abschied von dem Wegerhäuschen ist mir nicht leicht geworden. Die Bonifacia gab mir ein Stück Wegs das Geleit, und draußen auf der Straße reichte mir der Weger die Hand und sagte: »Frag' du nur ganz ohne Scheu in der Kaserne nach dem Ronymus, er kann dir in manchem beistehen.« Weiter brachte er nicht heraus, wir gingen fürbaß und hörten ihn bald wieder Steine klopfen. Wir stiegen den Berg hinan, und die Bonifacia sagte: »Geh' jetzt nicht auf den Kirchhof, du mußt dich nicht unnötig abrackern, du hilfst den Toten nichts damit, und du brauchst jetzt deine Kraft. Bete still für sie, ich thu's auch.«

Wir gingen eine Strecke still weiter, und oben am Wald nahm die Bonifacia meine Hand in ihre beiden Hände und brachte unter Schluchzen hervor:

»Das Unwetter von Unglück hat ausgerast, dir wird es noch gut gehen. Verlaß dich drauf und denk immer, du hast, wenn alles fehlt, noch eine Heimat bei uns. Und so lang ich lebe und mein Mann, halten wir das Grab der Deinigen in Ehren, und die Bilder von deinen verstorbnen Geschwistern bewahre ich dir auf, bis du ein eigen Haus hast, und deinen Anteil an der Geiß und an den Gänsen und Hühnern kannst du haben, wenn du willst. Behüt dich Gott und halt dich in Ehren.«

Sie kehrte um, blieb stehen und rief noch einmal: »Grüß mir auch den Ronymus.«

Grüß mir den Ronymus! Das war das letzte, was ich damals von der Bonifacia gehört habe, und ohne daß ich's wollte, setzten sich die Worte auf allerlei Sangweisen, und ich wollte doch gar nicht singen; es war mir nicht danach.

Ich wanderte weiter, ich sah nichts von Wald und Feld, es schwamm mir vor den Augen. Auf einem Felsen setzte ich mich nieder, ich war so müde, als wenn ich schon stundenweit gegangen wäre. Ich aß das letzte Stück Brot, das mir die Bonifacia in die Tasche gesteckt hatte; ein Fink stellte sich nicht weit von mir und ließ sich von mir füttern. Wie ich nichts mehr hatte, flog er davon.

Drunten sickert der Bach, das fließt so fort, Tag und Nacht, heute wie gestern, ob einer drauf sieht oder nicht. Da liegen Felsentrümmer, aus denen kleine Tannen herauswachsen. Meine Hand rauft kleine Moose ab vom Stein, und wie ich so die Pflänzchen vor Augen habe, muß ich dran denken, wie der Schullehrer uns gesagt hat, hundert und hundert Jahre braucht es, bis etwas am Felsen sich ansetzt, und wieder hundert und hundert Jahre braucht's, bis da ein Samenkorn Wurzel fassen und ein Bäumchen wachsen kann. Und die Menschen können das so schnell niederschlagen.

Warum laufen wir auf der Welt herum, und unser Leben ist eitel Müh und Sorge? Ich wünsche mir nichts, als gleich zu sterben . . .

In jener Stunde, damals in der Einsamkeit und Verlassenheit, habe ich Gott gefunden.

Ich war bis daher immer in die Kirche und zur Kommunion gegangen, wie sich's gehört; aber damals in der Einsamkeit und Verlassenheit habe ich's zum erstenmal gespürt, ich bin doch nicht allein und verlassen auf der Welt, Gott ist bei mir, er hält mich an der Hand und läßt mich nicht fallen.

Die ganze Welt war mir leicht wie ein Kinderspiel, aber man muß mitspielen und nicht daneben stehen; ich lasse mich nicht in den Winkel stellen, ich bin auch dabei, ich gehöre dazu.

Ich habe hinunter gesehen auf unser Dorf, ich wäre gern hinab und hätte gern allen Menschen gesagt: wißt ihr' s denn auch, daß wir nicht verlorene Kinder sind? . . . Aber was soll das? Sie sagen ja, sie wissen's; ich hab' das früher auch gemeint, aber jetzt erst hab' ich's erfahren, so sicher, wie daß jetzt Tag ist, und das hat mich nicht verlassen und wird mich nicht verlassen.

Ich rede aber sonst nicht gern davon, das muß man still bei sich haben.

Die Müdigkeit war fort, es war mir, wie wenn ich ausgeschlafen hätte in der Ewigkeit und gar nicht mehr zu schlafen und zu ruhen brauchte.

Ich stand auf und meinte, ich könnte fliegen. Ich hörte die Gänse schnattern im Dorf und meinte, ich höre sie dort oben, wo die Lerche singt.

Aus dem Dachfenster beim Weger hörte ich Klarinett blasen. Der Aussichtler hatte seit dem Tode meines Vaters nicht mehr Musik gemacht. Jetzt bläst er und was? Die Weisung des Liedes:

Die Kirschen, die sind schwarz und rot,
Ich lieb' mein' Schatz bis in den Tod.

Wie lang ist es, seit ich das gesungen und der Rittmeister mir begegnete? Das muß ein anderer Mensch gewesen sein, der das erlebt hat.

Es ist aber gut und nötig, daß man sich wieder auf die Welt und auf sich selber besinnt.

Ich wanderte über den Berg und kam auf die Landstraße. Das Wetter hatte plötzlich umgeschlagen, ein kalter Regen spritzte mir ins Gesicht, ein scharfer Wind wehte, und der Boden war so glitschig, daß man bei jedem Tritt ausglitt; aber ich wanderte fest vorwärts, ich war gesund und nicht verweichlicht, und mir war so warm, wie wenn ich warmen Wein getrunken hätte.

Wie ich so vor mich hinwanderte, hörte ich eine Holzfuhre, ich meinte, ich höre das zum erstenmal, wie es auf der Straße kracht und knackst und Steine zermürbt und der Radschuh quickst.

Ich blieb stehen, der Wagen kam näher, der Fuhrmann war der Sepper mit seiner roten Weste und seinem roten Gesicht; die Gäule am Wagen waren die unseren gewesen, die aufgeladenen braunen Stämme waren von unserem Hause. Der Sepper sagte mir, daß er sie nach der Stadt fahre, die Drechsler und Holzschnitzer haben solches Holz besonders gern, es gibt keines mehr von solchem Alter. Der Sepper hieß mich mit meinem Bündel in der Hand aufsteigen. Auf den Balken von unserem Haus fuhr ich bis zur Stadt.

Der Sepper redete wenig, und das war mir recht, nur einmal sagte er: »Der Hof ist einmal Wald gewesen und wird wieder Wald.«

Drüben vor der Brücke hatte der Sepper abzuladen. Ich stieg ab und ging in die Stadt. Da gingen die Menschen hin und her, jeder wußte wohin, ich nicht. Männer und Frauen kamen aus den Fabriken. Manche lachten, sahen aber nicht lustig aus. Ich hatte meinen Vater abgehalten – ein alter Großbauer und ein Fabrikler, das geht nicht – aber ich werde mich doch, wenn alles fehlt, dazu verstehen müssen; es soll aber das Aeußerste sein.

Ich ging ins Münster, da war ich daheim wie jeder andere, das gehört niemand, und da konnte mich niemand hinausweisen.

Ich habe lange da still gekniet und gesessen, ich hatte kein Gebetbuch bei mir, ich brauchte es nicht, ich hatte alles aus mir.

Ich kam aus der Kirche, ich war so aus der Welt draußen, daß es mir wunderlich vorkam, wie da die Weiber auf dem Wochenmarkt sitzen und feilbieten, was eben zu verkaufen ist.

Ein schwerer Wagen mit Kornsäcken kam vom Kaufhaus herüber. Wer ist der Mann, der neben dem Fuhrwerk hergeht? Ja, er ist's, es ist mein Schwager, der Mann meiner verstorbenen Schwester. Ich rief ihn, er stand still und sah sich um, ich winkte ihm und sprang über Körbe weg, daß die Weiber hinter mir drein schalten, und jetzt stand ich bei ihm, und er gab mir die Hand.


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