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Einundvierzigstes Kapitel.

Der Staatsrat hatte diesmal doch nicht die ganze Wahrheit gesagt, wenn er behauptete, daß ihm kein Glück mehr blühe, denn sonst ward er nicht müde, zu erklären, welch eine eigenartige, nicht voraus zu ahnende Wonne der Verkehr mit einer wohlgebildeten Enkeltochter wie Theodora sei; und noch mehr als er aussprach, zeigte er's in seinem ganzen Behaben. Er war voll Ritterlichkeit und erwies, daß er stolz auf solch eine Enkelin war.

Nach dem Tode der Mutter Theodoras hatte doch eine Annäherung zwischen ihrem Vater und dem Großvater stattgefunden, und als erste Betätigung war die Zustimmung gegeben, daß Theodora den Großvater auf seiner Reise nach Paris begleite. Darum traf sie Albrecht nicht mehr, und sie schrieb ihm nur einmal, mit der Bitte, ihr nicht zu antworten. Sie wollte natürlich den Großvater auf ihre Verbindung mit Albrecht vorbereiten, damit nicht neuer Zerfall eintrete.

Auch aus der Sommerfrische schrieb Theodora, wieder mit der Bitte, nicht zu antworten, denn sie sei seiner so sicher wie ihres eigenen, ihm zugehörigen Lebens – sie fühle das Glück, in der Landschaft zu sein, wo er als Knabe gewandelt, und sie müsse tagtäglich das Verlangen niederkämpfen, seine Eltern aufzusuchen; sie wolle aber warten, bis sie des Großvaters ganz sicher sei, denn als Fremde vor die Eltern zu treten, erschiene ihr wie ein Frevel.

So hatte Theodora geschrieben; ihre sonstige Entschlossenheit schien einer unerklärbaren Zaghaftigkeit gewichen. Nun hatte heute ein Zufall sie gemahnt und ermutigt, sie hatte heute die Schwester Albrechts kennen gelernt.

Es war ein eigentümlicher Wonneblick, mit welchem der Großvater die nun wieder in den Garten tretende Enkelin betrachtete; die kräftige Gestalt mit den fast üppigen Formen erschien in dem hellgrauen Kleide wie eine sommerliche Blume von milder Farbe; ohne auffällig der Mode zu widersprechen, hatte sie sich doch nicht mit den bräuchlichen Abgeschmacktheiten überladen und besonders auf dem Kopfe war nichts von den greulichen Wulsten; sie hatte freilich natürliches Haar genug, um es in zwei dicken Flechten am Hinterhaupte herabhängen zu lassen, und der ungewöhnlich mächtige, hochgewölbte Oberkopf erschien in seiner schönen Rundung. Die vollen Wangen waren sonnengebräunt, die Stirne aber schneeweiß. Aus den hellen Augen lachte nach überwundener Trauer wieder die Freude an der schönen Welt, und wer in diese Augen sah, dem ward die Welt neu schön, wie jetzt dem Großvater, der mit einer zierlichen Aufmerksamkeit bald dies, bald jenes der Enkelin darreichte und sie ermahnte, zuvörderst ruhig zu frühstücken, dann erst zu erzählen.

»Ja, Großvater,« sagte sie endlich, »was kann man vom Sonnenaufgang erzählen? Ich konnte nicht bei den anderen bleiben, die in diesen heiligen Minuten noch sprechen und ihr Entzücken ausrufen konnten; ich setzte mich allein an den Bergesrand, und es war mir, als sehe ich, wie die Erde wieder neu wird, und als ich mich ausgeweint hatte, weil meine Mutter jetzt in dieser Erde ruht –«

Sie hielt inne, sie konnte vor Bewegung nicht weiter reden, aber sich fassend fuhr sie fort, indem ihr Auge flammte und die geschwellten roten Lippen zitterten: »ja, der Vorsatz stieg in mir auf: nie mehr, nie soll wieder eine Kleinlichkeit mich beherrschen, all das Nichtige, Tagdienerische soll mir nichts mehr anhaben; da ist die Erde mit ihren Städten und Dörfern, mit ihren Millionen pochenden Herzen, ich will leben und arbeiten, daß ich es wert bin, da zu sein und –« sie lachte, indem sie schloß, »ich will wert sein, daß mich die Sonne bescheint.«

»Du Sonnenkind!« sagte Heister leise vor sich hin, der Großvater rief aber in ungewöhnlich lärmendem Tone und mit schalkhafter Stimme:

»Schau, schau, greife in deinen Nacken, da hängt was.« Unwillkürlich griff Theodora in den Nacken und der Großvater konnte vor Lachen kaum hervorbringen: »Ja Kind, der Schulzopf, der Zopf der examinierten Lehrerin hängt dir nach. Kind! Was füllen sich deine Augen gleich mit Thränen? Kannst du keine Neckerei vertragen? Habe ich dich gekränkt?«

Theodora preßte die Lippen zusammen, in ihren Wimpern hingen Thränen. Plötzlich flog etwas wie ein rasches Licht über ihr Angesicht, sie faßte die Hand des Großvaters und sagte:

»Großvater! du mußt mit mir auf den Eichhof. Da haben wir eingekehrt und ein Bauernwesen getroffen, so voll, so in sich gesättigt, der Bauer und die Bäuerin kernfeste und treuherzige Menschen; die Leute werden dich von deinem Aberglauben gegen das Volk bekehren. Die Frau ist die Tochter eines Bahnwärters,« bei diesem Worte zuckte es in den Mienen Theodoras, sie fuhr aber rasch fort:

»Der Bauer hält mit seinem Schwiegervater unsere Zeitung und hat auch sonst gute Bücher und ist dabei doch ein echter Bauer. Die Volksbildung ist größer und weiter gediehen, als man meint.«

»So?« wehrte der wieder in seinen Stolz zurückgekehrte Staatsrat. »Ich will nichts von eurer Volksbildung, ich halte sie nicht für ein Glück, im Gegenteil, sie zerstört den festen Bestand. Das Volk muß wie die körnerfressenden Vögel Kieselsteine unter seiner Nahrung haben, feste Dogmen. Aber Kind! Das ist wieder kein Thema zwischen uns.«

Ueber das helle Antlitz Theodoras zog eine Verdüsterung, aber wieder rasch gefaßt sagte sie: »Ich lasse dir keine Ruhe, bis du mit auf den Eichhof gehst.«

»O ich bin nicht müde –«

»Gut, ich gehe noch heute mittag mit dir, wenn du nicht zu müde bist –«

Am Nachmittag, es war ein wolkenbedeckter Tag, der die Sonnenhitze dämpfte, ritten Großvater und Enkelin von der Sommerfrische ab. Alle Gäste schauten ihnen vergnügt nach und lobten, wie schön Theodora im dunkelblauen Kleide mit dem Männerhute und dem blauen Schleier zu Pferde saß. Die Präsidentin erzählte mit Behagen, wie sie vor Zeiten geradeso mit dem Staatsrat geritten sei.

Die offene Landstraße dahin ging's im Trab. Als man die bewaldete Bergesanhöhe hinanritt, wurde Schritt eingehalten.

Theodora hob sich im Sattel ein wenig empor und rief:

»O es ist doch herrlich! Da wanderten wir heute in der Frühe. Es ist doch ganz anders, so zu Pferde durch den schattigen Wald zu reiten.«

»Ich hoffe, du heiratest nur einen Mann, der dir ein Reitpferd hält.«

Theodora preßte den Knopf ihrer Reitpeitsche an die Lippen und schüttelte den Kopf.

»Wie? Hast du schon gewählt?« fragte der Großvater erstaunt.

Theodora nickte stumm und senkte die Augenlider.

Der Staatsrat wartete auf ein weiteres, da aber Theodora stumm blieb und ihren Schleier vor das Gesicht legte, fragte er:

»Doch nicht den geschwätzigen Zeitungskorrespondenten deines Vaters, den wir in Paris trafen? Ich muß doch bitten, daß du –«

»Großvater! Er ist hier im Lande.«

»Doch ein Mann von Familie?«

»Allerdings. Er hat Eltern und Geschwister und wahrscheinlich auch Tanten und Onkel. Was ihr Aristokraten euch doch herausnehmt, die vornehme Sippe allein Familie zu nennen –«

»Kind! Komme mir nicht mit euren Zeitungsphrasen. Sprich offen, wo, was ist er?«

»Wo? Das sage ich heute noch nicht, auch seinen Namen nicht. Nur so viel: Er ist Techniker.«

»Schau, schau! Also das neueste Ideal? Vordem waren die Ideale Maler, Musiker, Husarenrittmeister und Schauspieler. Jetzt ist die Liebe auch praktisch. Also ein Techniker? Das schwärmt nun heutigestags von Tunneln und Viadukten. Sag' nur, seit wann hast du entschieden? Wie konntest du so lange zurückhalten? Wie ist sein Name?«

»Großvater, ich bitte, frage nicht weiter. Es thut mir leid, dir nicht antworten zu dürfen. Du sollst bald alles erfahren. Ich stelle dir einen deiner besten Freunde, der ihn von Kindheit an kennt und liebt. Aber ich spreche schon zu viel. Jetzt genug! Wir sind auf der Hochebene. Laß uns traben!«

Ohne weiter ein Wort zu reden, trabten sie bis zum Eichhof.


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