Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel.

Es war also Frühling, und da ist es doch immer, wie wenn man was Besonderes geschenkt bekommen hätte. Im Grund genommen hatten wir's ja gut und durften vergnügt sein.

Die Bonifacia und ich, wir gärtnerten miteinander in dem kleinen Grundstück, das zum Wegershäuschen gehörte; es war freilich nur klein, aber wir haben den Sommer hindurch den Boden drei-, viermal umgewendet und immer Neues gepflanzt, alles, was man im Hause brauchte, und es ist uns alles gediehen. Jetzt hatte auch unsere Geiß ein Junges, und unsere Hühner legten schon wieder frisch, wir hatten Milch und Eier im Haus, und die Bonifacia bereitete dem Vater mehr und besser als ihrem Mann. Der sah aber gar nicht scheel dazu, er war mit allem zufrieden; die Bonifacia blieb ebenso, wie wenn sie noch Magd bei uns wäre.

Der Vater hatte aber immer ein finsteres Gesicht, und wenn man ihn drauf ansah, erschrak er, sagen durfte man schon gar nichts; er behauptete, er sei ja ganz ruhig und zufrieden, was man denn von ihm wolle. Er hat gegessen und getrunken und geschlafen wie sonst, aber geredet hat er fast gar nicht.

Ich hab's erst später erfahren, er ist einmal dem Ohm Donatus begegnet, und die Brüder sind aneinander vorübergegangen, ohne sich zu grüßen, wie wenn sie sich gar nicht kennten. Der Vater ist, wie er vorüber war, stehen geblieben, er hat noch einmal gewartet, daß sein Bruder ihn anrufe; der ging aber seines Weges fort.

Der Vater war nun draußen auf der Straße, eine gute Strecke vom Wege entfernt, er schlug Steine mit dem großen Hammer; da wurden alte braungeräucherte Stammhölzer vorbei geführt. Der Vater fragte, woher die seien. Er hörte, daß man gestern die Scheunen eingerissen habe und heute reiße man das Haus ein auf dem Schlehenhof.

Was über den Vater gekommen ist, wer kann das wissen? Er warf den großen Hammer mitten auf die Straße und rannte davon, nach dem Schlehenhof.

Der Aussichtler begegnete ihm im Walde und rief ihn an, aber der Vater schüttelte den Kopf und rannte davon und schrie; der Aussichtler hat nicht verstanden, was er ruft.

Der Vater kam eben an unserem Haus an, wie die Feuerhaken am Vordergiebel angelegt wurden; er sprang unter den Feuerhaken durch, faßte die Pfosten der Hausthür und schrie: »Mein Haus! Mein Hof! Mein Weib! Rittmeister . . .«

Die Männer warfen die Haken weg und wollten auf den Vater zu, aber es war zu spät, der Giebel stürzte ein, es krachte, dort der letzte Schrei, und die Männer schrien auch – dann war alles still, nur noch ein Balken rollte über den andern weg. Der Vater war tot . . .

Ich hab's überlebt. Was kann man nicht alles überleben? Aber erzählen kann ich nicht, wie mir war, als man den Vater auf einem Holzwagen daherbrachte. Auf seinem Kopf lag ein leerer Sack, drauf war der Name des Vaters. Ich wollte den Sack wegthun, die Leute hielten mich ab und sagten, ich dürfe das nicht sehen, das Gesicht sei gar grausam entstellt. –

Der Ohm Donatus war beim Begräbnis und kam nachher zu mir in die Stube. Als er die Bilder an der Wand mit den Kränzen und die Namen meiner verstorbenen Geschwister sah, sagte er, es sei gut, daß die früher gestorben wären; dann sagte er mir, ich könne zu ihm kommen, wenn ich wolle. Ich habe ihm keine Antwort gegeben.

Ich habe alles gehört und mit offenen Augen gesehen, aber es war mir doch, wie wenn ich halb schlafe, wie wenn ich mit dem schweren Hammer einen Schlag auf den Kopf bekommen hätte. Ich habe gehört, wie einige leise untereinander sagten: »Die Brigitt' kann verrückt werden, sie sieht schon drein wie eine Verrückte, sie hat noch keine Thräne geweint.

Ich hörte das und konnte nichts sagen, ich war wie lebendig eingemauert.

Die Bonifacia redete mir zu, wie eben nur so eine gute Seele kann. Auch der Pfarrer hat mir Herzliches gesagt, und wie ich mich trösten könne, daß ich ein braves Kind gewesen sei, und der Tod sei für den Vater eigentlich eine Erlösung. Ich habe auf alles nur sagen können: Ich muß warten. In mir war's, als käme etwas, ich weiß nicht was, das mir hilft, mir den Kopf kühlt und mich wieder aufweckt und mir sagt, warum ich das alles erleben muß.

Ich habe im Garten gearbeitet wie die Tage vorher, die Sonne hat hell geschienen, die Vögel haben gepfiffen, das ist für andere, mich geht das alles nichts an; mir selber war jetzt, wie wenn ich verrückt wäre, ich sehe, ich höre alles und kann's nicht glauben und will nichts davon.

Am zweiten Tag nach dem Begräbnis um Mittag war ich plötzlich so müde, daß ich mich kaum an mein Bett schleppen konnte.

Die Bonifacia zog mich aus, wie ein kleines Kind, und hob mich ins Bett, und da habe ich geschlafen, wie die Bonifacia erzählt, ohne mich zu wenden, von Mittag an bis den andern Morgen in einem Zug. Die Bonifacia war nicht von meinem Bett gewichen.

Ich bin aufgewacht, und als ich die Kleider von meinem Vater an der Wand hängen sah, da stürzten mir endlich die Thränen heraus, und die Bonifacia sagte: »Ja, weine nur. Gottlob, daß du weinen kannst, jetzt wird alles gut.« Die Bonifacia trocknete mir die Thränen ab, aber sie flossen immer, als ob sie gar nicht aufhören wollten. Wie ich endlich sagte, ich hätte so argen Hunger, da war sie voll Glückseligkeit.

Ich stand auf, ich zog mich frisch an, ich aß und trank, und von damals an ist es erst recht über mich gekommen: ich muß mich selber tapfer aufrecht erhalten, ich lasse mir mein Leben nicht abkränken, wer weiß, was mir noch beschieden ist.

Ja, von jener Stunde an habe ich neuen Lebensmut bekommen und ihn nie mehr verloren, als ein einzig Mal, und das ist auch vorübergegangen.


 << zurück weiter >>