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Vierzehntes Kapitel.

Magdalena hatte damals, als Emil das Haus verlassen hatte, doch richtig vorausgesagt. Schneller als man glaubte – die Zeit vergeht, man weiß nicht wie – wurde das Haus leer.

Die älteste Tochter blieb im Pfarrhause, Rikele, das wie Albrecht die schlanke Gestalt des Vaters hatte, im Gesichte jedoch mehr Aehnlichkeit mit der Mutter, war über die Jahre groß und stark und kam als Magd zu dem Eichhofbauer. Albrecht erklärte, daß er Maschinenbauer werden wolle, und er wurde zunächst zu einem Schlosser im nahen Städtchen in die Lehre gegeben.

Ein Kapital, von dem man lange nichts wissen wollte, wurde dafür flüssig gemacht. Jakob hatte noch sein Sparbuch von seinem Ueberverdienst während seiner Strafzeit, er sah es nicht an und ließ die Zinsen all die Jahre her auflaufen; jetzt mußte Magdalena den schweren Gang thun, das Geld zu erheben; es ging aber leicht, es wurde kein Wort von der Art gesprochen, wie das Geld erworben war.

Emil war bereits Unterlehrer im Weinlande; er schrieb selten und kam noch seltener, und wenn er kam, war's nicht gut. Magdalena hatte immer zu beschwichtigen und zu vertuschen; denn es zeigte sich in allem, wovon man redete, ein tiefer Widerspruch zwischen Vater und Sohn.

Emil war verschlossen und wenn er sprach, kam lauter Grimm über die Welt heraus, wie nichtsnutzig und verkehrt alles sei, so daß Jakob einmal sagte:

»Schade! Du hättest dabei sein sollen, wie unser Herrgott die Welt geschaffen hat; du hättest sie besser gemacht.«

»Das hätt' ich auch,« entgegnete Emil keck.

Magdalena war immer froh, wenn Emil in gutem wieder abgereist war. Um so glückseliger war das ganze Hans jeden Samstagabend, wenn Albrecht über den Sonntag heimkam; es war, wie wenn eine neue Sonne aufginge, sobald sich das helle Gesicht Albrechts im Elternhause zeigte, und er klagte nie über die Arbeit, die doch so schwer, oder über das Essen, das doch so schmal war; denn er war schon von früh an darauf bedacht, die Eltern, die so scharf zu arbeiten hatten und die ihr Erspartes für ihn anwendeten, nicht noch mit den Beschwernissen seiner Lehrzeit zu belasten.

Magdalena hatte ihre besondere Freude, wie gut es dem im raschen Wachstum begriffenen Jünglinge mundete, und alles, was er sprach, war so aus tiefem Herzensgrunde heraus.

Nur ein einzigmal betrübte Albrecht ohne Wissen und Willen seine Eltern und dabei that er ihnen doch zugleich wieder wohl.

Er erzählte eines Tages, daß der Vater seines Meisters gestorben sei, und fügte hinzu, das sei das beste für den Mann und die Seinen. Der Alte hatte als Geselle bei seinem Sohn gearbeitet, und was er verdiente, vertrank er. Der Sohn war hart und fremd gegen seinen Vater, denn dieser hatte die Mutter nicht gut behandelt, die man eines Morgens tot im Bette fand.

»Mich hat der Alte,« setzte Albrecht hinzu, »im Herzen gedauert. Wer weiß, ob er schuldig war, und wenn er schuldig war, ist es nicht eine Strafe, härter als sie ein Richter geben kann, vom Sohne so angesehen zu sein?«

Jakob und Magdalena schauten einander an, ohne ein Wort zu sagen, und Albrecht fuhr fort: »Ihr gebet mir gewiß recht. Wenn der Mann vielleicht schuldig war, wär's besser gewesen, er hätte seine Strafe abgebüßt, und dann ist's aus und vorbei. Und wer was Böses begangen hat, der ist doch vorher brav gewesen und kann's auch nachher wieder werden. Nicht wahr, Vater? habe ich recht oder nicht?«

»Ja, du hast recht.«

Jakob stand auf und ging hinaus; er kam nicht mehr, bis Albrecht sich zu Bette gelegt hatte.

In der stillen Nacht aber sagte er zu seiner Frau:

»So gibt's doch kein Kind mehr auf der Welt, wie unser Albrecht.«

Magdalena stimmte bei, aber sie konnte es nicht unterlassen, auch die anderen Kinder zu loben –

Im dritten Jahre seiner Lehrzeit kam Albrecht erst Sonntagmittags heim, denn er besuchte die neu errichtete Zeichenschule im Städtchen. Magdalena war voll Bewunderung über die Zeichnungen ihres Sohnes. »Der wird was Großes,« sagte sie oft zu Jakob, worauf dieser regelmäßig erwiderte: »Wenn er nur brav bleibt.«

Magdalena hatte Muttereitelkeit genug, der Nachbarin die schönen Zeichnungen Albrechts zu zeigen, und war Albrecht im Elternhause willkommen, so war er's nicht minder bei Nachbar Süß oder vielmehr dessen Frau. Der Gedanke, daß Albrecht und das Töchterchen ein Paar werden müßten, war doch nur im Scherze ausgesprochen, aber mit der Zeit festigte er sich zu einer ausgemachten Thatsache, und die Nachbarskinder waren ja so traulich miteinander. Frau Süß stachelte den Ehrgeiz des Jünglings mit verlockenden Beispielen; sie kannte die Welt und zeigte ihm, was da drin zu holen wäre. Da ist der Mann, dem jetzt die große Fabrik gehört, und der in einer schönen Kutsche fährt und seine Tochter an einen adeligen Offizier verheiratet hat; der Mann ist der Sohn eines Dorfschneiders und ist mit einem halben Gulden in der Tasche und zwei Hemden in einem roten Sacktuch an der Hand tragend, in die Stadt gekommen; er ist aber auch treu verblieben und hat seine Jugendgeliebte, die Tochter des Hirten im Dorfe heimgeholt und die Frau hat sich fein zu halten gewußt; Frau Süß hat sie in Gesellschaft beim Oberst gesehen, sie hat ein blausammetnes Kleid angehabt und Perlen um den Hals und Diamanten im Haar.

Nach solchen schimmernden Bildern fiel es Albrecht oft schwer, wieder in die rußige Werkstatt und in die enge Dachkammer beim Lehrherrn zurückzukehren, und der Lehrherr, ein stiller einfacher Mann, der nichts wußte, als vom Morgen bis zum Abend arbeiten, war zuweilen sehr unzufrieden mit der Vergeßlichkeit und Unordentlichkeit seines Lehrlings, der wie mit offenen Augen träumend umherging. Er klagte das sogar einmal Magdalena, die ins Städtchen gekommen war; es war ein böser Sonntag, als Magdalena dem heimgekehrten Sohne bittere Vorwürfe machen mußte.

Albrecht ging zur Nachbarin, der es nicht schwer ward, die Verdrossenheit Albrechts und deren Grund zu erforschen.

»Sei froh,« sagte sie, ihm die Wange streichelnd, »daß du mich hast, ich bin dir wie die nächste Blutsverwandte. Schau, deine Eltern sind gute, herzgute Menschen, gewiß, aber so einen wie du, der zu Höherem bestimmt ist, den verstehen sie doch nicht recht zu beurteilen. Ich weiß mehr von der Welt. Du bist vornehm, das verstehe ich, halte dich drum nur an mich und danke Gott, daß du mich hast.«

So und noch mehr redete sie in den Jüngling hinein, sie wollte ihn losreißen von den Seinen und ganz zu sich herüber ziehen; sie deutete sogar an, daß eine Zeit kommen werde, wo er sich lossagen müsse, um seiner Ehre willen.

Albrecht hörte sie geduldig an, aber auf dem Heimwege schwur er vor sich, daß er nie mehr auf die Worte dieser Frau hören wolle, ja es überfiel ihn ein Bangen, wenn er an einen Blick dachte, mit dem die Frau ihn angesehen hatte; so müssen Hexen dreinschauen.

Albrecht war nahe dran, der Mutter alles zu berichten, aber er lernte schon früh, den Kampf mit sich selber auszukämpfen, klug und bedacht sogar der Mutter gegenüber zu sein. Es kam keine Klage des Meisters mehr, bis Albrecht von der Lehre freigesprochen wurde.


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