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Siebenunddreißigstes Kapitel.

»So, Mutter, jetzt will ich Euch erzählen,« sagte Albrecht am Abend.

»Soll ich den Vater dazu rufen? In zehn Minuten ist der Pariser Zug vorbei, und er hat dann Zeit.«

»Nein, Mutter, ich kann Euch allein besser erzählen, und Ihr berichtet's dann dem Vater.«

»Strengt's dich aber nicht an? Ich kann noch warten. Du hast so heiße Backen und so kalte Hände.«

»Nein, Mutter, ich kann jetzt. So! Laßt mir Eure Hand, die wird jetzt bald eine gar feine halten, aber sie ist auch arbeitsam, es ist ihr nichts zu gering. Ja, liebe Mutter, ich bin glücklich in meinem Beruf, ich hab' freilich eine große Verantwortlichkeit, und mit manchen Kameraden auch meine Not, aber im ganzen genommen leben wir wie Brüder. Ich habe natürlich auch schon oft dran gedacht, daß ich so stehe, um eine Frau ernähren zu können, und habe Verlangen ein rechtes Wesen zu lieben und von ihm geliebt zu werden.«

Magdalena löste ihre Hand aus der des Sohnes, denn sie mußte sich die Thränen abtrocknen und Albrecht fuhr, sich zurücklehnend, fort:

»Ich bin Mitglied des Handwerkervereins, das ist eine schöne Anstalt, ich will ein andermal davon erzählen. Es war nicht lange nach meiner Rückkehr von der Wiener Weltausstellung, wo wir einen ersten Preis bekommen haben, es war am Samstag, da sagt mir unser Buchhalter – der auch im Verein ist und unentgeltlichen Unterricht im Buchhalten gibt – heut abend soll's Lärm und Untereinander im Verein gehen, den die Sozialisten machen wollen.«

»Jawohl, dein Vater schimpft auch oft auf sie, wenn er seine Zeitung liest, er nennt sie die Nichtsnutze, und ich sag' dir, gestern, die Stunde eh' du gekommen bist, hab' ich's gedacht. Ich seh' den Bienen zu und den Hummeln und da denk' ich, die Nichtsthuer die machen den meisten Lärm.«

»Nichtsthuer sind sie just nicht alle, sie haben in manchem auch schon recht, aber wenn man Unrecht darunter mischt, da geht das Recht auch verloren.«

Die Mutter nickte zustimmend.

»Ja, Mutter, der Buchhalter und ich haben viel gute Bücher gemeinsam gelesen, und ich hab' viel von ihm und von den freiwilligen Lehrern gelernt. Aber ich seh', ich muß mich zusammennehmen, sonst komme ich bis morgen früh nicht zur Hauptsach! Also wir sind im Vereinshaus. Ich spür's, es liegt etwas in der Luft wie ein Gewitter und es fängt auch schon zu donnern an, wie der Vorstand für heut abend gewählt wurde. Unser alter treuer Vorstand soll heute nicht oben sein. Endlich bringen wir ihn doch durch. Also der erste Redner schimpft auf alles, was Vermögen und Bildung und Ansehen hat, und Blut saugen und in fremdem Schweiß baden ist noch das Gelindeste, was er sagt. Ein Hallo geht los, daß man meint, die Welt wäre verrückt. Da nimmt der Herr Doktor das Wort, und seine Stimme, die sonst so fest, zittert, wie er sagt: ›Es ist noch nicht lange, da haben wir der Welt bewiesen, daß der geringste Mann alle Herrlichkeiten der Menschenseele haben kann, in Bravheit und in allem; jetzt ist fast nötig, daß wir euch beweisen, daß die Gebildeten auch brav sein können. Das könnte dazu bringen, daß die besten und umsichtigsten Männer, die nur auf das Wohl des Volkes sinnen, sich von euch wenden und euch den Verführern überlassen, die euch mit falschen Versprechungen ins Elend bringen. Die Lohnerhöhung kann wohl für eine Zeit helfen, bis bald alles auch teurer ist, dann ist's vorbei, nur die Steigerung der Produktion . : .‹

»Aber halt, das will ich Euch ja gar nicht erzählen, Mutter! Nur so viel. Der Mann spricht so, daß mir das Herz im Leibe zittert, und da schreien sie: ›Wir brauchen keine Gelehrten, wir sind Arbeiter! Arbeiter!‹ Da hat mir's keine Ruh' gelassen, ich bin auch hinauf auf die Rednerbühne, zum erstenmal in meinem Leben, aber ich war ruhig, und wißt Ihr, was ich erzählt habe? Eine Geschichte aus meiner Kindheit, wie ich dem Vater die Zeitung vorgelesen und gefragt hab', was Arbeiter ist und seine Antwort. Ich hab' noch viel gesagt und wie einfältig es ist, zu glauben, nur der arbeitet, der harte Hände hat. Sie haben mich ganz ruhig angehört, nur manchmal hat's geheißen: ›Er hat recht,‹ und wie das Wetter hat's umgeschlagen.

»Eine Stunde drauf sitze ich beim Doktor am Tisch, und wir trinken Bier, und jedes Wort, das der Mann sagt, ist mir gewesen, wie wenn ich ihn schon lange im Herzen gehabt hätte. Er bittet mich, ihn andern Tages so gegen zwölf zu besuchen, ich versprech's. Er fragt mich, ob ich verheiratet sei, und Mutter, wie er das sagt, ist mir's gewesen, wie wenn mir eine feurige Hand ins Gesicht griffe. Ich sag' wie der Vater: ›Wo Maschinen sind, gibt's keinen Aberglauben,‹ aber es gibt doch Dinge, die wir eben nicht wissen. Mutter! Jetzt kommt die Hauptsache.«

»Ich merk' schon. Aber es ist gut, daß du dich jetzt selber unterbrochen hast. Ich höre schon seit einer Weile deinen Vater in der Stube. Soll ich ihn herrufen?«

»Jawohl.«

Jakob kam und Magdalena erzählte ihm, was Albrecht berichtet, und dieser nahm wieder das Wort:

»Zu festgesetzter Zeit bin ich im Hause des Doktors Hornung.«

»So heißt ja mein Zeitungsmann auch,« unterbrach Jakob.

»Ja, Vater, das ist derselbe.«

»Dann ist alles gut; wo der ist, da ist alles rechtschaffen,« sagte Jakob. Magdalena aber preßte die Hände ineinander und preßte sie aufs Herz, während Albrecht fortfuhr:

»Wie ich also an der Thür klingle, sagt das Dienstmädchen, der Herr Doktor sei nicht zu Haus. Ich will schon wieder gehen, da sagt eine Stimme: ›Sind Sie der Herr Ketterer?‹ Ich sag' ja; ich sehe nichts in der dunklen Hausflur, als eine schwarze Gestalt, aber ein helles Gesicht, wie wenn's lauter Licht wäre, und sie sagt: ›Der Vater hat den Auftrag gegeben, daß Sie ihn erwarten sollen. Treten Sie hier ein.‹ Sie öffnet die Thüre und wie das Sonnenlicht eindringt, da war's . . . ja, wer kann das sagen? Sie sieht mich an, ich seh' sie an, und sie tastet an der Thür, als könnte sie die Klinke nicht finden, aber jetzt hat sie geöffnet und verschwindet hinter der Thür. Und wie ich sie nicht mehr seh', denk' ich, die hast du schon gesehen, oder hast du nur einmal von solch einem Wesen geträumt? Ja, Mutter, Ihr habt recht, daß Ihr lächelt, damals als die Justizrätin so krank war, damals unter der Thüre ist mir Theodora begegnet. Es dauert aber keine Minut', da kommt sie wieder und sagt: ›Ich habe heut schon Ihre Worte gelesen, da ist die Zeitung.‹ Sie gibt mir das Blatt und ist wieder fort. Ich will lesen, aber ich kann nicht. Da klingelt's wieder. Ein Major tritt ein, unverkennbar ein Bruder des Doktors. Schnell kommt aus der andern Thür das Mädchen und sagt: ›Das ist schön, Onkel Theodor, daß du kommst. Der Vater kann jede Minute da sein.‹

»Der Offizier fragt mich, ob ich Soldat gewesen sei und woher ich die Dekoration habe. Ich erzähle, wie's gekommen. Der Offizier entschuldigt sich, daß er nicht warten könne, und geht davon. Theodora gibt ihm das Geleite und kommt dann wieder zu mir. Sie erzählt, daß die gestrige Versammlung die erste gewesen sei, die der Vater seit dem Tode der Mutter besucht habe, und er sei zum erstenmal wieder lebensmutig heimgekommen. Sie fügt hinzu, daß der Vater wegen seiner Freisinnigkeit mit dem Großvater und den Geschwistern zerfallen sei, der Großvater sei nicht einmal beim Begräbnisse der Mutter gewesen. ›Haben Sie noch beide Eltern?‹ fragte sie mich . . .«

»Ich kenn' sie, ich kenn' sie ja,« unterbrach Magdalena.

»Wartet noch, Mutter,« sagte Albrecht und fuhr fort: »Sie fragt mich, ob ich die Narbe über dem linken Aug' im Krieg bekommen hätte. Ich erzähle die Geschichte mit dem Habicht. Sie nennt das heldenhaft, lacht aber aus Herzensgrund, wie ich ihr sage, daß ich gar nicht wie ein Held gejammert und geweint habe. Und während wir so reden, wie wenn wir von jeher als Nachbarskinder miteinander gelebt hätten, kommt der Vater, der in einer Sitzung aufgehalten worden war. Er ladet mich ein, zu Tisch zu bleiben, was ich natürlich gern annehme. Theodora hat mir herausgeschöpft und eingeschenkt . . .«

Albrecht wurde in seiner Erzählung unterbrochen, denn Lisbeth kam und sagte Jakob, es sei ein Extrazug signalisiert. Jakob eilte davon, aber noch im Fortgehen rief er: »Laßt es euch gut schmecken! Erzähl' du nur der Mutter weiter.«


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