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Sechzehntes Kapitel.

Vor dem Trauerhause war eine große Menschenmenge, unter ihr Doktor Hornung, er stand abseits und ging nicht in das Haus, denn er wollte seinem Vater nicht begegnen, der drin bei dem alten Freunde war.

Der Staatsrat war ein großer stattlicher Mann mit glattem Antlitze und schneeweißen Haaren. Jeder, den er grüßte, verbeugte sich tief; eine ehrerbietige Gruppe hatte sich um ihn gebildet, und als er jetzt nach dem Zimmer ging, wo die Leiche unter Blumenkränzen lag, wichen die Umstehenden zurück, ihm Platz zu machen. Er trat auf Magdalena zu, die in Trauer gekleidet an der Bahre stand, und sagte:

»Ist brav, daß du gekommen bist, sie war eine treue Gönnerin für dich.«

Magdalena nickte still mit Thränen in den Augen, sie sah den Mann verwundert an, sie kannte ihn nicht.

Er ging auf Theodora zu und reichte ihr die Hand, indem er sagte:

»Du fährst doch nicht mit auf den Kirchhof?«

»Ich wollte es.«

»Ich wünsche es nicht.«

Hinter den großen Blattpflanzen, mit denen der Sarg umstellt war, ertönte ein feierlicher Chorgesang von Männerstimmen.

»Wer ist der Mann?« konnte Magdalena die sich neben sie stellende Theodora fragen.

»Das ist mein Großvater,« erhielt sie leise zur Antwort.

Der Staatsrat stellte sich an die Seite Heisters und blieb da, solange der Geistliche die Trauerrede hielt. Magdalena erzitterte, da in der Rede die Worte vorkamen: »Sie konnte mit Recht beten: ›Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern.‹ Im Verein für entlassene Sträflinge hat sie Großes gewirkt. Sie glaubte an die Auferstehung der Tugend in der umnachteten Seele eines jeden Menschen, und dieser Glaube thut noch immer Wunder und spricht zu dem Gefallenen: ›Stehe auf und wandle in Tugend.‹«

Weiter hörte Magdalena nicht, sie lag auf den Knieen an der Bahre und reich flossen ihre Thränen.

Magdalena fuhr mit den Dienstboten nach dem Kirchhof.

Auf dem Kirchhof sprach Doktor Hornung ergreifende Worte; er pries die Verstorbene als Vorbild der deutschen Frau, die das Ideal ihres Mannes und seine Thätigkeit zum Ausbau eines freien großen Vaterlandes nicht durch Kleinlichkeiten störte, sondern täglich stärkte. Magdalena ging jedes Wort tief in die Seele und bei aller Ergriffenheit dachte sie: »Wenn nur mein Mann da wäre und das auch hätte hören können.«

Auf dem Heimwege stieg Magdalena an der Fabrik aus, wo eben Mittag gemacht wurde und ein Strom von Arbeitern aus dem Thore kam. Sie wartete, bis sie Albrecht gewahr wurde. Er bedauerte, daß er nicht habe zum Leichenbegängnis der Frau Justizrätin kommen können; es sei eilige Arbeit da für die Weltausstellung und es sei ihm der besonders ehrenvolle Auftrag geworden, in Gemeinschaft mit dem Werkführer die Maschine zu begleiten.

Als Magdalena heimkam, hörte sie, daß Theodora da gewesen sei, um Abschied zu nehmen, denn sie verreiste am selben Tage mit ihrer Mutter. Magdalena blieb noch Wochen in der Stadt. Heister hatte sie gebeten, ihm zu helfen, den Hausstand aufzulösen; auch seine eigene Gesundheit war tief angegriffen, und der Arzt schickte ihn in ein Seebad und von da sollte er für einige Zeit einen Aufenthalt im südlichen Frankreich nehmen.

Albrecht, der während der Krankheit der Frau Heister nur auf Augenblicke hatte kommen können, stellte sich jetzt am Feierabend auf Stunden ein und die Mutter und Heister hatten Freude an dem gediegenen, in Arbeit und gutem Denken sich fortentwickelnden Jüngling.

Heister suchte einen vertrauten Begleiter für die Reise. Er hätte gerne Albrecht mitgenommen, aber er wollte ihn nicht aus seinem Berufe reißen. Da kam Emil.

Emil hatte Albrecht einmal ein Wort gesagt, worauf ihn dieser an der Kehle faßte und ihm zuschrie: »Wärst du nicht mein Bruder, ich würde dich erwürgen.«

Seitdem mieden sie einander, und Albrecht kam nur selten und verweilte nur kurz, solange Emil da war.

Emil, der mit seinem Berufe als Dorflehrer zerfallen war, erbot sich, Heister als Sekretär und Diener zu begleiten; er hatte Verlangen, die Welt zu sehen und auch die französische Sprache so zu erlernen, daß er eine höhere Stelle in der Stadt gewinnen könne. Er zeigte sich sofort gewandt und dienstwillig. Magdalena wollte Einsprache thun, sie hatte ein unbestimmtes Gefühl, daß das nicht gut ausgehe; aber sie wagte nicht, ihrer Besorgnis Ausdruck zu geben, auch dann noch nicht, als sie wirklichen Grund dazu hatte. Denn Emil hatte gar kein Mitgefühl für ihre Trauer um den Tod der Justizrätin, ja er wälzte noch neues Herzeleid auf sie. Er klagte ständig, er sei zu gut, die Welt sei nichts nutz, die Frechen und Schlechten seien obenauf, und ein Narr sei, wer sich mit der Gutheit plage und mit dem, was man Gewissen nenne.

»Ich bin nicht gelehrt,« entgegnete Magdalena, »auf solche Sachen müssen dir andere Antwort geben. So viel aber weiß ich doch, ich hab' einmal so einen Spruch gelernt, da heißt es: ›Ich bin jung gewesen und bin alt geworden und habe noch nie gesehen, daß die Welt einem, der seine Schuldigkeit thut, etwas schuldig bleibt.‹ Bist du fleißig in deinem Amt? Siehst du? Du kannst nicht ja sagen. Gottlob, ganz schlecht bist du doch noch nicht. Du kannst nicht deiner Mutter ins Gesicht hinein lügen.«

Emil klagte die Eltern und klagte Heister an, daß sie ihn nicht höher und etwas anderes hätten studieren lassen.

Bis ins innerste Herz hinein erschrak Magdalena, da Emil sagte, die Mutter könne stolz darauf sein, daß der alte Herr Justizrat so freundlich mit ihr sei, er selber sei auch stolz darauf. Er sagte das mit einem so frechen Blicke, und lachte dabei so höhnisch, daß die Mutter die Faust ballte. Wär's möglich, daß der Sohn das Schlechteste denke und es ihr so zu sagen wage?

Der bittere Zorn um den ungeratenen Sohn und die Scheu, ihm zu bekennen, wie sie ihn verstehe, kämpften in ihr.

»Du bist ein Nichtsnutz,« sagte sie. »O! Dafür gibt's kein Wort. Du wirst schwer dafür büßen müssen und leider Gottes deine unschuldigen Eltern auch, wenn du nicht noch ganz anders wirst.«

»Ich glaub' nicht, daß ein Mensch anders wird,« entgegnete Emil, »wir Schulmeister wissen das am besten. Die ganze Welt betrügt einander mit Erziehungsprahlereien. Ich thue nicht mehr mit.«

Magdalena mußte ihn gewähren lassen, da er sich bei Heister einschmeichelte, so daß die Reise fest bestimmt ward. Sie verlangte, daß Emil zum Vater reise und bei ihm Abschied nehme. Der Sohn schien es ungern zu thun, aber auf einen scharfen Blick der Mutter willfahrte er.


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