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Fünfundvierzigstes Kapitel.

Der Morgen war hell und frisch, der Staatsrat verließ sein Zimmer nicht und Heister ließ sich bei ihm melden. Der Staatsrat schien kaum überrascht, wenigstens ließ er nichts davon merken, als er hörte, daß der Techniker Albrecht der Sohn Jakobs und Magdalenas sei. Er ließ seine Enkelin rufen, sie bekannte offen ihre Liebe und erging sich in innigen Worten über die herzgewinnende rechtschaffene Natur Albrechts.

»Und du glaubst in der That,« sagte der Staatsrat, »du glaubst, daß er nichts gewußt hat von dem Leben seiner edeln Eltern? Es sei. Mag der junge Mensch unschuldig sein. Wie kannst du aber nur noch einen Augenblick an solche Familiengemeinschaft denken?«

»Großvater, es schmerzt mich tief, daß ein so hoher Geist wie du so unfrei—«

»Danke für das Süße und das Saure. Ich bin und bleibe kein Anhänger eures Liberalismus, der alle Grenzsteine verrückt. Uebrigens störe ich euch nicht mit meinem altväterischen Wesen. Ich werde diesen Ort verlassen, bevor dein Vater und der Erwählte kommt. Ich überlasse dich der Obhut unseres Freundes hier.«

Der Staatsrat stand auf und mit blassen Lippen sagte er:

»Ich bitte die Braut des Herrn Ketterer, mich zu verlassen.«

Theodora wendete sich, und als sie die Thüre öffnete, trat Albrecht ein. Mit einem Aufschrei umarmte ihn Theodora.

Der Großvater hatte mit unsicher tastender Hand die Thürklinke erfaßt, er öffnete, da trat ihm sein Sohn, der Vater Theodoras, entgegen.

Theodora hatte sich von Albrecht losgerissen und wollte ihren Vater umarmen, aber dieser wehrte ab, indem er mit heiterer Stimme sagte:

»Hier bin ich zuerst Kind. Lieber Vater. Du siehst ja so schmerzlich, so erregt aus?«

»Sieh die dort,« erwiderte der Staatsrat, »kann man da freudig und ruhig sein? Weißt du, wer der Mann da ist und seine Eltern?«

Doktor Hornung nickte bejahend und der Vater fuhr fort: »Und nun laß hören, was entscheidest du?«

Der Sohn legte begütigend die Hand auf die Schulter des Vaters, aber dieser rief:

»Du zögerst? Du hast nicht den Mut, nicht die Geradheit zu sagen: es gibt keine Verbindung zwischen meinem Hause und dem Sohn der Sträflinge?«

Albrecht stöhnte auf und der Doktor rief: »Vater! Wie magst du einen Unschuldigen so ins Gesicht hinein kränken! Das ist deiner nicht würdig.«

»Würdig? Soll ich von euch lernen, was würdig ist? Von euch, die ihr alle Ehre, alle Scham mit Füßen tretet?«

»Lieber Vater! Es ist gewiß schmerzlich, von Eltern zu stammen, die eine Schuld gebüßt haben, aber es ist auch schmerzlich, dabei sein zu müssen, wie der Vater eine Sündenschuld auf sich ladet.«

»Wie? Wer? Mit wem sprichst du?«

»Mit meinem großdenkenden Vater, mit einem Manne, der zu edel ist, um eine Uebereilung nicht zu bereuen.«

»Bereuen? Also ich? Ach ja. Du bist ja ein Mann der Römertugend. Du hast die Tugend gehabt, in deiner Zeitung gegen deinen Vater zu schreiben. So schreib morgen: Mein Vater ist ein beschränkter Kopf, er findet es nicht schön, daß ich meine Tochter dem Abkömmling von Zuchthäuslern gebe. Starre mich nur an, du starker Römer! Euer ganzes Getriebe macht das Chaos! Ich weiß. Ich weiß, was du entgegnen willst. Ich werfe keinen Stein auf den Mann, aber weil ich keinen Stein auf ihn werfe, darum gehört er doch nicht an meinen Tisch, an mein Herz, in meine Familie.«

Er sank in den Stuhl. Als sich ihm Theodora nähern wollte, rief er: »Berühre mich nicht, fort von mir! Fort! Alle!«

»Nun ist's genug, verlaßt das Zimmer,« sagte der Doktor zu Albrecht und Theodora. »Geht. Geht zur Schwester auf den Eichhof. Ich bleibe hier und Sie auch, Herr Justizrat.«

Nach einer Weile kam Heister auf die Hausflur zu den beiden Liebenden und sagte, der Großvater sei wieder ruhig und wolle schlafen.

Still verließen Albrecht und Theodora die Sommerfrische.


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