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Neununddreißigstes Kapitel.

»Das große Los! Das große Los haben wir alle,« rief Frau Süß. »›Den Albrecht will ich und keinen andern,‹ hat meine Viktoria gesagt, wie die Nachricht gekommen ist, und jetzt bin ich da und sage Glück und Segen und Amen.«

Es war schwer, Frau Süß zum ordentlichen Erzählen zu bringen. Zuerst erfuhr man, daß sie Albrecht in der Stadt aufgesucht habe, und endlich kam's heraus: Es ist nicht wahr, daß das Glück immer dumm ist, es ist manchmal auch ganz gescheit. Das Prioritätslos hat den großen Preis gewonnen, und jetzt kann Albrecht eine eigene Fabrik anlegen und Viktoria läßt ihm sagen, daß sie ihn mit offenen Armen erwarte.

»Ihr seid starr vor Glück?« rief Frau Süß. »wir waren's auch.«

»Unser Albrecht ist krank,« konnte Magdalena endlich sagen.

»Aber ein Wort hervorbringen kann er doch?« rief Frau Süß. »Kannst du nicht reden, Albrecht?«

»Ich kann, und sag' von Herzen Dank, Euch und der Viktoria, aber es ist zu spät.«

»Du wirst schon wieder gesund.«

»Das wohl, aber ich werde nicht mehr ledig.«

»Was? Du weisest uns ab?«

»Das thue ich nicht. Ich bin nur nicht mehr mein eigen.«

»Darf man fragen, wem du gehörst?«

»Fragen darf man, aber ich kann's jetzt noch nicht sagen.«

»Aber wenn ich rede, was dann?«

»Ich kann's Euch nicht wehren.«

»Und ich lasse mir's nicht wehren. Ich weiß wohl, wer eine Strafe abgebüßt hat, dem darf man sie nicht mehr vorwerfen. Drum sag' ich: Die beiden haben nicht im Zuchthaus gesessen. Siehst du? Deine Mutter ringt die Hände, dein Vater ballt die Faust, das haben sie auch im Zuchthaus gethan. Es hat dort nichts genutzt und nutzt auch hier nichts.«

»Frau Süß,« rief Jakob zornglühend, »ich kann meine Hände auch aufmachen und . . .«

»Ja, erwürg' mich nur, dann hast du eben einen zweiten Mord auf deiner Seele.«

Jakob wollte auf sie los, aber Albrecht stand dazwischen und rief: »Vater! Ist das wahr? Seid Ihr . . .?«

»Ja. Aber wie es gekommen, das macht die Sache anders.«

Mit blassen Lippen sagte Albrecht: »Frau Süß, was Sie gethan und warum Sie es gethan, Sie werden es verantworten. Aber nun gehen Sie.«

Frau Süß ging davon und die Eltern saßen stumm. Das helle Mondlicht beleuchtete die Stube, Albrecht wehrte mit beiden Händen gegen das Licht, als wolle er's abthun, daß man nichts sehe; er stand auf und legte seine beiden Arme an die Wand, stützte den Kopf drauf und ein Thränenstrom brach hervor, wie ein tief verhaltener Quell; die hohe schlanke Gestalt des jungen Mannes erbebte und zuckte hin und her, wie wenn eine äußere Gewalt an ihm risse.

Jakob legte dem Sohne die Hand auf die Schulter und sagte:

»Liebes Kind! Ich habe Schweres, Bitteres, Hartes erlebt, aber das, das ist doch das Aergste, dich so über deinen Vater weinen zu sehen.«

Eine Sekunde war die Gestalt Albrechts ruhig, dann aber bebte sie wieder wie von Fieberfrost geschüttelt, und Jakob fuhr fort:

»Wenn ich dir dein Leid abnehmen könnte, ich ginge gerne in den Tod; wenn es zu deinem Glück ist, wir wandern aus nach Amerika, oder zur Lena nach Ostindien. Nicht wahr, Mutter?« Mit jammervollem Blicke stimmte Magdalena bei und Jakob fuhr fort: »Nur bitte ich dich, kränke dir dein Herz nicht ab, das . . . das könnte ich nicht auch noch tragen.«

Albrecht wendete sich um, der Mond schien voll in sein Antlitz und glänzte in der Thräne an seiner Wimper:

»Verzeihet mir, Vater. Ich will nicht mehr an mich denken und an nichts, was zu mir . . . ich will Euch helfen . . . Euch tragen helfen.«

Seit Albrecht nicht mehr auf dem Arm getragen wurde, hatte ihn der Vater nie mehr geküßt, jetzt schloß er ihn in die Arme und küßte ihm die Thränen von den Wangen.

»Ich habe deine Thränen getrunken, deine bittern Thränen, mein Kind! Ich hab' das Bitterste genossen, was es auf der Welt gibt, die Thränen, die mein Sohn um mich geweint hat,« rief Jakob. Er schwankte, Albrecht hielt ihn auf und sagte mit fester Stimme: »Nun ist's vorbei, alles vorbei. Vater! Es mag geschehen sein, was da will, solang auf der ganzen Welt ein Kind Vater sagt, soll keines sein, das seinen Vater mehr liebt und hochschätzt als ich.«

Jakob saß auf dem Stuhl. Magdalena sagte, Albrecht an der Hand fassend: »Komm, Kind! Laß den Vater hier ruhig sitzen. Komm mit mir. Ich will dir erzählen.«

»Ich will selber.«

»Nein. Ich thu's.«

»Ja, Vater! Lasset mich mit der Mutter.«

Sie gingen und als sie wiederkamen, sagte Albrecht:

»Mutter! Jetzt bringet Licht und hell und frei und froh ist alles.«

»Kind,« sagte Jakob, »du thust ja, wie wenn wir ein Freudenfest zu feiern hätten.«

»Das haben wir auch, Vater,« und mit flammendem Blick fuhr er fort: »Vater, ich weiß jetzt erst recht, was für ein Mann Ihr seid, ein Held. Ich bin stolz darauf, Euch Vater zu nennen.«

Man saß geraume Weile still. Albrecht bat den Vater, daß er seine Pfeife anzünde, Jakob willfahrte und er und Magdalena erzählten offen alles und als nach Mitternacht der Mond hinabging, war Ruhe und Stille im Hause, als wäre der Friede hier nie aufgescheucht worden.

Am Morgen, als Albrecht erwachte, stand der Vater vor ihm und Albrecht sagte: »Vater, gebt mir Eure Hand drauf, Ihr machet Euch keine Vorwürfe mehr, nicht wegen Eurer und nicht wegen meiner. Ich sag' Euch, unter denen, die in Ehren prangen, haben Tausend und Abertausend Aergeres verschuldet, wie Ihr, oder sind nur durch Glückszufall davon abgehalten. Und wenn auch. Ein langes rechtschaffnes arbeitsames Leben kann nicht durch ein Einziges zerstört werden.«

»Just dieselben Worte hat mir der Missionär auch gesagt,« entgegnete Jakob; »aber jetzt von meinem Kinde ist's doch noch ganz anders und mehr.«

Wie angerufen kam jetzt eben ein Brief von Lena aus Ostindien. Der Brief enthielt Trauriges und Erhebendes, denn es hieß darin:

»Ich bin Witwe und ich komme heim mit meinem Kinde. Mein Mann ist den Leiden des hiesigen Klimas erlegen. Seine Seele erhielt sich groß und erhaben bis zum Eingang in das höhere Leben. Es wäre hier noch ein Arbeitsfeld für mich, aber er stimmte auf seinem Totenbette mir bei, daß ich zu Euch gehe und Euch die Tage erhelle, auch durch mein Kind. Lieber Vater! Mein Mann hat noch in seiner Sterbestunde gesagt: ›Sag' deinem Vater, er ist rein und ich bete noch für ihn vor Gottes Thron . . .‹ Und so komme ich zu Euch und will mit Euch leben und beten und arbeiten . . .«

Es hat sich schon oft erwiesen, daß da, wo ein Erdbeben stattgefunden, eine verborgene Heilquelle hervorsprudelte. So war es auch hier. Die Eltern und der Sohn gewahrten aus der Erschütterung heraus erst frei und ganz, welch eine Fülle von Liebe und gutem Denken zwischen ihnen waltete, und sie staunten einander oft an, wie wenn sie jetzt erst zu einander kämen und wüßten, wer sie sind. Albrecht ging mit seinem Vater alle seine Wege, und wenn er sprach und wenn er schwieg, immer war's gut, und wie er jetzt nur an den Vater dachte und seiner selbst vergaß, genas und gedieh er in fast wunderbarer Schnelligkeit.

An der Einsiedelei sagte Jakob:

»Schau, da sind meine Rosen, aber wenn ich an mein Elend gedacht habe und an eures, da haben sie mir nicht mehr geduftet und waren nicht rot, sondern schwarz, schwarz. Deine Mutter hat mir immer geholfen, jetzt kann ich's bei dir ablegen. Es hat mir kein Mensch angesehen und ihr Kinder gewiß nicht, wie schwer ich getragen hab'.«

Albrecht legte die Hand auf die des Vaters, und das Auflegen dieser kräftigen guten Hand schien ihm wohlzuthun und er fuhr lächelnd fort:

»Schau, das hat mich am meisten geplagt: warum kann man in einer schlimmen Stunde so was auf sich laden und in einer guten Stunde es nicht wieder abthun? Ich habe nichts thun können, als mein Revier in Ordnung halten, die vielen Jahre lang, und wie der Krieg kommen ist, hab' ich gedacht, jetzt kommt's, jetzt kannst du was thun, das alles Vergangene abwischt und auslöscht, und was hab' ich thun können? weiter nichts, als im Elsaß die Bahn sauber und sicher halten Tag und Nacht. Aber ich mein', das muß doch auch gelten.«

»Gewiß, Vater!« mehr konnte Albrecht nicht hervorbringen, und es war genug.

Nachdem Albrecht einen langen Brief an die Schwester Lena geschrieben, der sie in London treffen sollte, den er aber den Eltern nicht zeigte, kehrte er in die Hauptstadt zurück. Er traf Theodora nicht, sie war mit ihrem Großvater, dem Staatsrat a. D. verreist.


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