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Blumenlese – Zweiter Band
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Nina Camenisch

Der Heinzenberger Grat und Versam

Wie schön von dieser Alpenhöh'
Malt sich das weite Land!
Doch steh' ich hier in stillem Weh,
Den Blick dorthin gewandt.

Denn jenes kleine Dörflein nur
Füllt meine Seele ganz;
Dort blüh'n so lieblich Baum und Flur
Im dunkeln Waldeskranz.

Dort sieht das Haus, wo rosig mir
Der Kindheit Traum entflog;
Zu dem es mich so oft von hier
Mit heißem Sehnen zog;

Wo treue Liebe mich gepflegt,
Die nun im Grabe ruht.
Auf jenem Friedhof, dicht umhegt
Von gold'ner Aehren Fluth.

Du Raum, wo ich als Kind gespielt,
Sei mir gegrüßt von fern!
Du, meiner ersten Heimat Bild,
Bist meines Lebens Stern,

Bist meine Welt, mein Paradies,
Willst du mein Grab auch sein?
Hier muß selbst Todesruhe süß
Wie sanfter Schlummer sein.

Die barmherzige Schwester

O Vaterhaus, seit Jahren schon verlassen,
O Mutter, Schwestern, noch bewein' ich euch.
Zu späte Reu' will oft mein Herz erfassen,
Dann dünkt mir meine Zelle Grabes gleich.

Dir, mein Erlöser, weihte ich mein Leben;
Komm, stärke mich! Ach, meine Pflicht ist schwer!
Ich soll ja Muth und Trost den Kranken geben,
Und Muth und Trost bedarf ich selbst so sehr.

Drum fleh' ich deine Güte an: »Erbarme
Du deines schwachen Kindes dich, o Herr!«
Ich schlinge weinend um dein Kreuz die Arme –
Um meine Mutter schling' ich sie nicht mehr! –

Ihr hüpft um sie, euch lächelt ihre Liebe,
Beneidenswerthe Schwestern, Gott mit euch!
O gebt doch Acht, daß keine sie betrübe,
Ach Mutterliebe macht so froh, so reich!

Sie flicht euch Rosen in die blonden Haare,
Hat euch und eure Freuden treu gepflegt;
Führt euch bekränzt zum bräutlichen Altare,
Indeß mein Haupt die Dornenkrone trägt.

Doch schöne Blumen sind auch ihr entsprossen,
Sie zu verläugnen wär' Undankbarkeit.
Wohl tausend Thränen hab' ich hier vergossen;
Allein wie innig mich auch hier gefreut!

Wie oft sah ich den Todesengel leise
Vom Lager fliehen, das ich treu bewacht;
Dem Kinde Mutter, pflegend Kind dem Greise,
Hab' ich so gern mich opfernd hingebracht.

Wie oft verscheuchte ich den armen Kranken
Als Gottes Magd in Demuth und Geduld
Mit frommem Lied die quälenden Gedanken,
Gab ihm Vertrauen auf des Himmels Huld.

Muß sich mir nicht der düst're Raum verklären,
Wo ich des Sünders hartes Herz gerührt,
Wenn er mit seinen heißen Reuezähren
Die Hand benetzt, die sanft zum Grab ihn führt?

Ihr Seelen, die beruhigt hingeschieden,
Von mir getröstet, und ihr Lebenden,
Die ich gepflegt, ihr gebt dem Herzen Frieden:
Denk' ich an euch, wird mir mein Dasein schön!

Ruhe und Liebe

Die Ruhe und die Liebe,
Die stritten sich einmal;
Sprach Ruhe zu der Liebe:
»Bist doch der Menschen Qual!

Ich bringe ihnen Frieden
Und du oft tiefen Schmerz;
Ich lächle sanft dem Müden,
Und du brichst ihm das Herz.

Kannst selten Freuden spenden,
Von Thränen nicht benetzt;
Wo du ein Herz beseligst,
Da hast du's auch verletzt.«

»Das eben ist mein Wesen«,
Sprach drauf die Liebe mild,
»Daß Wehmuth aus der Wonne
Und Wonn' aus Wehmuth quillt.

Als mich den Erdenkindern
Ihr großer Vater sandt',
Gab er ein strahlend Sternlein
Mir mit in's Prüfungsland.

Sprach: Das umhülle weise
Mit Wolken; thust du's nicht,
Ist schwachem Menschenkinde
Zu blendend hell sein Licht;

Es würde dann vergessen
In seiner Seligkeit,
Daß eine höh're Liebe
Sein harrt in Ewigkeit.

So kam ich auf die Erde,
Von Himmelshuld umschwebt,
Und brachte auch manch Leiden;
Doch Leiden, das erhebt.

Vom Himmel stamm' ich, führe
Zum Himmel wieder hin;
Es muß mich Alles lieben,
Weil ich die Liebe bin.« –

»Seh' wohl, ich muß dir weichen«,
Sprach Ruhe, freigesinnt,
»Dein Gruß, weit mehr als meiner,
Beglückt das Erdenkind.

Doch Eins mußt du mir lassen:
Daß ich mit milder Hand
Von dir geschlag'ne Wunden
So Manchem schon verband.

Hast du ein Herz gebrochen,
Nehm' ich's in meinen Arm,
Bett' es in kühle Erde;
Da schläft es sonder Harm.«

Des Mädchens Klage

Ein Mädchen saß im Grase, am grünen Waldessaum,
Dacht' an vergang'ne Zeiten; es ward ihr wie ein Traum,
Daß hier vor einem Jahre ein Jüngling, treu und gut,
Als seine Braut sie grüßte, der nun im Grabe ruht.

O du, der einst mein Leben, wie bist du jetzt mein Schmerz!
Und ob du auch gestorben, an dich nur denkt mein Herz.
Todt ist für mich die Erde, umwölkt der Sonne Licht,
Dich will ich still beweinen, bis mir das Auge bricht.

Komm um dein treues Mädchen! was soll mir diese Welt?
Mir ist sie eine Wüste, seit deine Liebe fehlt.
Nimm mich in deinen Himmel, o nimm mich auf zu dir!
Bei dir nur find' ich Ruhe, was soll ich länger hier?

Da weht es durch die Zweige wie Maienabendwind,
Und aus dem Wald tönt's leise: »So komm, geliebtes Kind!«
Da lächelt sie so selig, da wird sie todtenblaß:
Ein Engel pflückt die Lilie, sie sinkt verklärt in's Gras.

Vergißmeinnicht

Vergiß mein nicht! so spricht die kleine Blume,
Die hier sich in des Bächleins Fluthen senkt;
Vergiß mein nicht! so spricht's im Heiligthume
Des treuen Herzens, das an dich nur denkt.

Vergiß mein nicht! mein Alles auf der Erde,
Komm oft zum Bächlein, wenn ich ferne bin,
Daß dir die Blume zur Erinn'rung werde
An meinen ewig dir ergebnen Sinn.

Vergiß mein nicht! wenn Jahre uns nun scheiden,
Wenn Sturm das Heitre deiner Tage trübt.
Bleibt dir mein Bild, bleibt's dir in Lust und Leiden?
Dir bleibt mein Bild, hast du wie ich geliebt.

Die Tanne

Wenn die Erd' im Grabgewande,
Trage ich mein grünes Kleid,
Schmück' mich mit dem Perlenbande,
Das der Himmel abgeschneit;
Schmück' mich mit der goldnen Krone,
Die die Wintersonn' gewährt,
Rausche Trost dem Erdensohne,
Daß der Frühling wiederkehrt.

Kehrt er wieder, tritt bescheiden
All mein Schmuck in dunkles Grün,
Und ich sehe ohne Neiden
Baum und Blume herrlich blühn.
Rausche dann dem Erdensohne:
»Sei genügsam in der Lust!
Doch in Leidenstagen wohne
Himmelsglanz in deiner Brust!«

Das sterbende Mädchen

Ach Mutter, seh' dich wohl verstohlen weinen:
Der Doktor schreibt dir, daß ich sterben muß.
Ach, arme Mutter, möchtest ruhig scheinen
Und kannst es nicht! – wie brennt dein langer Kuß!

Und bleich bist du, und deine Lippen beben:
Willst Etwas sagen, Mutter – thu es nicht!
Willst fluchen dem, der deines Kindes Leben
Gebrochen hat, wie man ein Blümlein bricht.

Er hat's gebrochen – war von ihm wohl böse!
Doch zürnen kann ich nicht, kann lieben nur
Und weinend beten, daß ihn Gott erlöse
Vom Sündendienst, ihn führ' auf Hlmmelsspur.

Von dir zu scheiden, Mutter, ist mein Leiden:
Ach, weiß es wohl, daß ich Dein Alles bin!
Sonst aber gäbe ich mit tausend Freuden
Noch diese Nacht mein junges Leben hin.

Ich werde dann ja auch ein Enge! werden,
Und Engel wandeln, wie du mich gelehrt,
Zuweilen leisen Trittes auf der Erden,
Und haben da manch sündig Herz bekehrt.

Sein Engel werd' ich, schwebe ihm zur Seiten,
Unsichtbar schirmend, warnend immerdar;
Durch's lange Leben will ich ihn geleiten,
Bis gut er wird, so wie er's früher war.

Vor Gottes Thron will ich demüthig beten.
Der ja auch Franz in's Buch des Lebens schrieb:
So läßt er mich wohl eine Seele retten –
Ach eine, die mir unaussprechlich lieb!

Der Wald

Liebe, schöne Waldesstille,
Nimm mich auf in deine Ruh!
Send' aus deines Friedens Fülle
Mir nur Einen Tropfen zu!
Lebensfrost und Lebensgluthen,
Die vergess' ich mehr und mehr,
Fühl' ich deinen Geist, den guten,
Um mich säuseln mild und hehr.

Hör' ich deine Bäume lauschen,
Rauschen sie mir Frieden zu;
Kann ich deinen Sängern lauschen,
Singen sie mir Herzensruh;
Breitet sich dein grüner Schleier
Ueber meinem Haupte hin,
Ist es mir wie Sonntagsfeier,
Wo ich fromm und stille bin.

Mild, wie eine heil'ge Ampel,
Blickt gedämpft der Sonne Licht
Ein in diesen Friedenstempel,
Stört die grüne Dämm'rung nicht.
Moosesdecke, Säulenhallen,
Schönes, blaues Himmelsdach!
Hier, wenn sie auf Erden wallen,
Wär' der Engel Schlafgemach.

Der Sonnenuntergang

Wie herrlich dort die Abendsonne sinkt!
Ihr letzter Strahl noch scheidend lächelnd winkt;
Sie grüßt ihr Kind, die trauernde Natur,
Und Thauesperlen weint sie um die Flur.

So stirbt der Held mit lächelndem Gesicht
Den schönsten Tod – für Vaterland und Pflicht;
Sein letzter Blick noch auf den Brüdern ruht,
Er weiß es: Heldenblut weckt Männermuth.

So stirbt die Mutter in der Kinder Arm,
Für die sie hier gewirkt so treu und warm;
Sie hat gelebt, gelitten für ihr Glück,
Und scheidend segnet noch ihr letzter Blick.

So stirbt der Menschenfreund, der unverwandt
Sein eignes Glück in dem des Nächsten fand,
Der sich voll Liebe seinen Brüdern weiht',
Und, gleich der Sonne, Segen um sich streut'.

So starb der Märtyrer, voll Glaubensmuth,
Zum Saatkorn wurde sein vergoss'nes Blut,
Und tausend Herzen hob sein Opfertod
Zum Mensch gewordnen unsichtbaren Gott.

So schön wird jedes Edlen Ende sein.
Sei jedes Wirkens Kreis auch noch so klein:
Nicht bloß dem Tag voll lauten Ruhmesklang
Folgt ein verklärter Sonnenuntergang.

Die Arme

»Vater, Mutter hab' ich nicht,
Schwester, Bruder hab' ich nicht,
Niemand, Niemand auf der Welt,
Der so recht mich lieb behält.

Schönes Antlitz hab' ich nicht,
Kluge Rede hab' ich nicht;
Nichts, gar Nichts bringt Lieb' mir ein;
Liebe ist mein Glück allein!

Geld und Güter hab' ich nicht,
Reiche Kleider hab ich nicht;
Armuth wär' für mich kein Schmerz,
Gäb's für mich ein liebend Herz.«

Und sie weint, die arme Magd –
Und sie hat sich müd geklagt –
Und sie hört ein Wort, das spricht:
Liebe, Liebe fehlt dir nicht.

Liebe hat die Welt befreit,
Liebe sich dem Tod geweiht!
Jene Liebe – kennst du sie? –
Liebt dich und verläßt dich nie.


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