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Gegenüber von dem Richter stehen Zwei sich, Weib und Mann;
        Bittre Klage, bittre Rede, manche bittre Thräne rann.
        Viel von Streit und Eigensinne, kargem Glauben, falscher Treu',
        Viel von eitler Hoffnung tönte, Vieles auch von später Reu'.
        Zum Vergessen, zum Vergeben und zum Opfern schreitet Keins:
        »Unsre Herzen sind geschieden, werden ewig nimmer Eins!«
        Doch geduldig mahnt der Richter: »Waget nochmals den Versuch!
        Warten bringet oft den Frieden, thöricht Eilen bringt den Fluch.
        Eure Herzen zu erweichen, sollt Ihr warten noch ein Jahr:
        Dann, das Urteil, zu empfangen, stellt euch wieder vor mir dar!«
Mann und Weib in gleichem Schiffe, er am Steuer, sie am Bug,
        Fuhren heimwärts auf der Aare, welche trüb die Wellen schlug.
        Will der Strom, der hochgeschwollne, tragen kein entzweites Paar?
        Soll die Schuld vergeßner Liebe Strafe trinken in der Aar?
        Umgeschlagen hat das Schifflein, in den Wellen kämpfen sie,
        Männer, Weiber, laut verzweifelnd, wer der kalten Noth entflieh'.
        Aber sieh, den Fels am Ufer faßt mit krampf'ger Hand ein Mann,
        Scheint es nicht für Heil zu achten, daß er einsam hier entrann;
        Stürzt sich wieder in die Fluthen, trägt im Arm heraus ein Weib,
        Und beseelet wohl mit Pflege kümmernd den erstarrten Leib.
        Sie mit Staunen, sie mit Thränen händefaltend grüßt das Licht;
        »Gott im Himmel konnte scheiden, Gott im Himmel schied uns nicht!
        Ob du liebest, ob du hassest, diese Stunde hat's gelehrt:
        Gottes Huld in deiner Liebe hat den Fluch von uns gewehrt.«
Mann und Weib die Herzen schließen an einander eng und warm.
        Gehen heimwärts Eines Sinnes, Aug' in Aug' und Arm in Arm.
        Mag nun warten auch der Richter, der das Wort des Friedens gab.
        Schaut ein Richter ob den Wolken selig auf sein Werk herab.
Im alten Schloß zu Raprechtsweil
        Erhob sich festlich Leben;
        Mit neuem Glanz und Duft in Eil
        Ward alte Pracht umgeben.
        Um Eisenwehr und Goldgeschirr
        Der Blüthen zart Geschlinge,
        Und um der Zofen Lenzgeschwirr
        Der Knappen Schaar im Ringe:
        Graf Rudolf galt's, dem edeln Herrn,
        Der von der Reise lang und fern
        Zur Burg der Väter kehrte.
Durch's blaue Heldenauge bricht
        Von tief ein Strom der Thränen:
        »Gegrüßt mein Leben du, mein Licht,
        Du meiner Stunden Sehnen!
 Manch Schlachtgestürm hat mich umweht,
        Mich hoher Glanz umflossen;
        Doch auch im Schirm der Majestät
        Hat sich mein Schmerz ergossen,
        Weil stets zu dir, o Preis der Frauen,
        Wie Gottes Frühling anzuschauen,
        Die Sehnsucht stets begehrte!«
Und in der schwarzen Locken Fluth
        Wallt seine blonde Locke,
        Indeß ihr dunkles Auge ruht
        Am eis'gen Alpenstocke.
        Er bebt vor Lust und fühlt es nicht,
        Wie Hand in Hand erzittert;
        Er schlürft sein Glück und ahnt es nicht,
        Was ihres still verbittert.
        Denn weh! entweiht ist Herz und Mund,
        Sie hat der Treu beschwornen Bund
        In schnöder Lust gebrochen.
Doch an der Thüre steht der Mann,
        Der tief im Innern blutet,
        Und nicht die Sorge zwingen kann,
        Die herzempörend fluthet.
        Dem treuen Dienerauge war
        Verborgen Nichts geblieben;
        Und zittert auch das graue Haar,
        Es hat ihn fort getrieben;
        Es folgt ihm Tag und Nächte nach,
        Er kann nicht ruhen, bis die Schmach
        Entlarvt sei und gerochen.
 Vor seinen Herren stellt er sich
        Und bricht das bange Schweigen:
        »Ein Ding gar ernst und treffenlich
        Hab' ich euch anzuzeigen.
        Es ist der Treue schwerste Pflicht,
        Und gar nicht süß zu wählen;
        Doch wenn mir auch das Herz zerbricht,
        Ich darf's Euch nicht verhehlen!«
        Erschrocken war das Wort gethan –
        Erschrocken hört der Graf es an,
        Und spricht mit blassen Zügen.
»Sag' an, mein lieber Vogt, sag' an,
        Was dich zu sagen dränget;
        Nur nicht, daß Böses die gethan,
        An der mein Leben hänget;
        Denn wo in aller Welt ich bin
        Und ihrer Huld gedenke,
        So wird erquicket mir der Sinn,
        Je mehr ich drein mich senke.
        In aller Sorg und Widerwart
        Ist das zum Trost mir aufgespart,
        Und einzig mein Vergnügen!«
Das war dem Vogt ein Schreckenswort,
        Und lähmt ihm fast die Zunge.
        Doch kam ihm guter Rath sofort
        Und Kraft zu neuem Schwunge:
        »Mein Herr, Ihr seid so stark und reich,
        Als all die Herrn und Grafen,
        Die je zu Rath und Schwerterstreich
        Im Reich zusammentrafen.
 Euch grünt ein wunderlieblich Land,
        Und Unterthan ist Eurer Hand
        Unzählig Heer von Leuten.
Die Höfe stehn in Eurer Macht,
        Die March ist Euer eigen,
        Euch muß Einsiedels heil'ge Pracht
        Und Kastvogtei sich neigen;
        In Uznach und durch's Weggithal
        Gebieten Eure Hände;
        Euch huldigt Uster's Au zumal
        Und Greifensee's Gelände.
        Was soll – zu sagen wagt's der Knecht
        Für so erhabenes Geschlecht
        Dieß morsche Schloß bedeuten?
Des Landes scharfe Zunge hier,
        Weist sie nicht laut nach drüben?
        Und deutet, daß in höhrer Zier
        Sich dort die Zinnen hüben,
        Wo auf des rechten Ufers Horn
        Ein Hügel sanft sich ründet,
        Und sich mit Schamgefühl und Zorn
        Als nackten Herrscher kündet?
        Seit Christo tausend neunzig Jahr
        Steht dort der Fürst der Hügel baar
        Und seufzt ob armen Hütten!«
In Freuden leuchtet auf der Graf,
        Und schüttelt ihm die Rechte:
        »Fürwahr, dein kluger Sinn betraf
        Mit Nichten, Vogt, das Schlechte.
 Ja, Freund, es soll im jungen Jahr,
        Wo jetzt die Büschlein wehen,
        Dort auf dem Hügel ob der Fahr
        Ein schimmernd Schloß erstehen,
        Und soll, wo Ending ärmlich ruht,
        Ein Städtlein, reich an Volk und Gut,
        Mit Freuden überschütten!
Und du, der ernst und treffenlich
        Mir solchen Rath erfunden,
        Sollst meiner Hulden Dank für dich
        Zu aller Zeit erkunden.
        Du sollst mich fürder nimmermehr
        Den Sinn zu künden scheuen,
        Und höher soll des Amtes Ehr
        Sich drüben dir erneuen.
        Gerochen sei, was je du klagst,
        Erwogen, was du rächst und fragst,
        Und du mein Freund auf immer!«
Und also ward's. Neu-Rappersweil
        Stand da in hellem Strahle;
        Und Rudolf saß in süßer Weil
        Im Schloß mit dem Gemahle.
        Denn still vom alten Vogt ein Wort
        Und treffenlich erklungen
        War durch des Weibes Ohr sofort
        In Nerv und Mark gedrungen.
        Von Scham und Reu ist's tief entbrannt,
        Das Herz hat ganz sich umgewandt:
        Des Vogts vergaß sie nimmer.