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XV.

(Aus dem »Engadin-Expreß«)

Tödlicher Absturz vom Piz Palü.

Kaum hat sich über dem jungen Engländer, der vom Julier abfiel, das Grab geschlossen, als unser großer Friedhof der Abgestürzten schon wieder zwei Opfer der Berge empfangen soll.

Es sind der Graf Harro Wilding-Wild aus Oberbayern und eine Dame Edda Dafis, bei uns wohlbekannt und hochgeehrt unter dem Namen der »guten Frau von Santa Maria zum mitleidigen Herzen«.

Graf Wilding-Wild bewohnte mit seiner jungen Gemahlin bereits seit der Mitte des Juni das Haus Piedermann-Barblan in Pontresina und war eine der glänzendsten Erscheinungen in der deutschen großen Welt. Seine Gemahlin, eine geborene Freiin v. Arnim, war Hofdame bei Ihrer Königlichen Hoheit, der Frau Erbgroßherzogin Marie Luise von …, die mit ihrem Gefolge die Villa Beausite in St. Moritz Bad bewohnt. Daselbst befindet sich auch die trostlose Witwe.

Es geht das Gerücht: die beiden Abgestürzten hätten auf dem Piz Palü Selbstmord verübt.

Dieses ist aus dem Grunde ausgeschlossen, weil die tödlich Verunglückten sich überhaupt nicht kannten und der Graf sich als junger, glücklicher Ehemann auf der Hochzeitsreise befand.

— — — — —

Aus der Bovalhütte wird uns des Näheren gemeldet, daß der Herr und die Dame sich daselbst zufällig trafen. Unbegreiflicherweise waren beide ohne Führer. Sie beabsichtigten, in der Nacht, die sehr hell war, gemeinsam den Rückweg anzutreten. Was sie veranlassen konnte, statt diesen den Palü zu besteigen, bleibt rätselhaft. Der Graf hatte, um das unsinnige Unternehmen mit der ihm vollkommen fremden Dame auszuführen, aus der Bovalhütte Eispickel, Seile und Steigeisen mitgenommen. Dieses bewirkte die Entdeckung des Unglücks; denn das Fehlen der Gegenstände wurde noch denselben Morgen bemerkt, und die Spuren im Schnee wiesen den Suchenden den Weg: nicht hinab zur Diavolezza, sondern hinauf zum Piz Palü!

Er sollte den Unglücklichen zum Todesweg werden.

Gegenwärtig versucht eine Expedition von Bergführern die Leichname zu bergen.

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Zum Absturz vom Piz Palü.

Die Leichname der beiden vom Piz Palü Abgestürzten wurden gestern von dem Führer Bossi aus Pontresina aufgefunden und unter Lebensgefahr der Expedition heute früh glücklich geborgen.

Sie sollen nur wenig zerschmettert, nur wenig entstellt sein.

Auch diese zwei Toten wurden zu Pontresina in dem Kirchlein von Santa Maria aufgebahrt, und ist der Andrang, die Abgestürzten zu sehen, ein geradezu ungeheurer.

Die Gärten des Engadins werden geplündert, um die beiden friedlich nebeneinander Ruhenden zu schmücken.

Auf der Brust des Grafen leuchtet ein prachtvoller Strauß weißer Rosen.

Ihre Königliche Hoheit, die Frau Erbgroßherzogin Marie Luise, ließ durch ihren Hofmarschall, Baron v. Erffa, bei beiden Aufgebahrten herrliche Blumenspenden niederlegen. Diesem Beispiele folgten sämtliche hohen Herrschaften, die zurzeit im Engadin Aufenthalt nahmen.

Die Leiche des verewigten Grafen Wilding-Wild soll einer Bestimmung der Witwe zufolge nicht nach dem Schlosse des Grafen übergeführt, sondern in Pontresina bestattet werden: auf dem alten Friedhof von Santa Maria.

Großes Aufsehen erregte eine weitere Verfügung der edlen Hinterbliebenen:

Ihr Gemahl und die mit diesem zugleich verunglückte Dame sollen ein gemeinsames Grab erhalten.

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Zum Absturz vom Piz Palü.

Man schreibt uns aus Pontresina:

Sämtliche Jungfrauen und Frauen, an denen die »gute Frau von Santa Maria zum mitleidigen Herzen« Gutes getan, haben gebeten, ihre auf so tragische Weise um das Leben gekommene Wohltäterin zu Grabe tragen zu dürfen.

Dem Grafen Wilding-Wild wird die gesamte Führerschaft des Engadins die letzte Ehre erweisen.

Pax vobis!


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