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XIV.

 

In der Bovalhütte unter dem Piz Palü.
An Goethes Geburtstag.

Daß mir dieser Tag einfallen konnte, wo ich heute mein letztes schreibe! Einem Menschen wie mir, der mit jenem hehrsten und reinsten Geist kein Atom gemeinsam hat. Dennoch fiel mir's ein.

Und mir fällt ein, wie Goethe über den Selbstmord dachte: groß und frei, eben Goethisch …

Edda zog sich zurück, um etwas zu ruhen. »Zu ruhen.« Es klingt so wunderlich, wo wir bald in die ewige Ruhe eingehen werden. Bereits in wenigen Stunden.

Wir sind hier oben die einzigen Gäste; denn hier beginnt schon der Winter, und die Unterkunftshütte wird bald geschlossen.

Der Hüttenwart wundert sich, weil wir ohne Führer kamen. Ueberdies für eine Hochtour gänzlich unausgerüstet. Er glaubt, wir beabsichtigten, die Diavolezzatour zu machen und hätten den Weg verfehlt. Daß wir führerlos und unausgerüstet auf den Piz Palü wollen könnten – auf ein derartig sinnloses Unternehmen verfällt niemand. Da wir uns nicht wie ein Liebespaar benehmen, so hält uns der Mann auch nicht für ein solches, sondern scheint anzunehmen, wir hätten uns zufällig auf dem Diavolezzapaß getroffen, wären – da jeder von uns führerlos ist – miteinander in die Irre gegangen.

Aber auch für die Diavolezzatour bedarf es eines Führers, und der Mann schüttelt den Kopf über unsere alpine Unwissenheit.

— — — — —

Der Wart erkannte mich, erinnert sich meiner Dreigipfelbesteigung und sprach mit mir von dem englischen jungen Ehepaar, davon der Gatte vor einigen Tagen vom Julier abstürzte.

Heute wird der Tote, der mich mit Edda vermählte, in Pontresina begraben – nicht unter den Blumen von Santa Maria, unter denen nur noch für ein Grab Platz ist.

Wer wird in dem einen und letzten Grabe zur letzten Ruhe gebettet werden? … Wir nicht. Es gibt keine Hand, die uns im Tode ein gemeinsames Grab spenden würde.

So müssen denn unsere Seelen zusammenbleiben.

— — — — —

Ich hieß den Wart sich niederlegen.

Ich selbst will nicht ruhen. Ist doch bereits solche tiefe Ruhe in mir, eine rechte Feiertagsruhe.

In einer Stunde wollen wir aufbrechen. Der Mond scheint taghell.

Dem Wart sagte ich: wir würden den Weg, den wir kamen, wieder zurückgehen. Und ich sagte ihm: ich wüßte den Weg jetzt so genau, daß wir nicht fehlen könnten. Er brauchte daher für uns nicht aufzustehen.

Also ging der Mann zur Ruhe und überließ mich der meinen.

— — — — —

Ich machte soeben einen Gang durch die Hütte und stieß dabei auf Eispickel, Seil und Steigeisen.

An diese Dinge hatte ich mit keinem Gedanken gedacht. Als würden uns Schwingen emportragen, so beschwingt eilten unsere Seelen der Höhe entgegen.

Wir werden jene Gegenstände mit uns nehmen, und ich legte dafür eine Summe nieder, groß genug, daß unsere Todesstunde dem Wart ein vergnügtes Jahr verschafft.

Nicht als Diebe wollen wir uns aus dem Leben schleichen, das uns noch in allerletzter Stunde so reich macht.

— — — — —

Bald muß ich Edda wecken.

Wenn die Menschen da unten wüßten, wie leicht das Sterben ist, wenn zwei, die sich lieben, zusammen sterben.

Zusammen –

Des Wortes Glück nennt kein Wort. Es spricht selig.

— — — — —

Nun will ich das letzte über uns aufschreiben.

An den Berninaseen trafen wir uns. Wir gaben uns wortlos die Hand. Jedem von uns war zumute, als hätte er alle die Jahre über die Hand des anderen in der seinen gehalten.

Wo ich als Knabe mit meiner Mutter gestanden hatte, stand ich heute mit Edda; und ich war heute so glücklich wie ich damals gewesen.

Dabei so ruhig, so friedlich, schon jetzt erlöst und befreit.

Wir sprachen nicht von der Vergangenheit, nicht von dem, was jeder von uns ohne den anderen erlebt und erlitt.

Von uns selbst also nicht ein einziges Wort.

Daß wir wieder beisammen waren, beisammen bleiben sollten, war mehr wie alle Worte. Dabei schien uns dieses größte und schönste aller Wunder etwas durchaus Selbstverständliches, Natürliches, Einfaches zu sein.

— — — — —

Wir sprachen von meiner Mutter; und wir sprachen von der Schönheit der Welt. Von Schönheit überhaupt: von der wahren, großen, ewigen. Ich schilderte Edda einen neuentdeckten Leonardo da Vinci, unseren Lieblingskünstler: und sie sprach von einem Buche, das sie kürzlich las, und das auf sie starken Eindruck machte.

Es war von einem jungen Poeten: Walter Calé. Er schrieb Unsterbliches und starb – starb!

Mit Zweiundzwanzig Jahren erschoß er sich …

Von Bayreuth und Rom sprachen wir; von Frascati, wo wir längere Zeit lebten.

Wir sprachen nur von Gutem und Großem, von Schönem und Leuchtendem; nur von den höchsten Gütern der Menschheit …

Immer wohler ward uns zumute; immer friedlicher, feierlicher. Es erschien uns unmöglich, immer so friedlich-selig beisammen sein zu sollen.

Dann verließen wir die Berninaseen und begannen den Aufstieg.

Unsere Körper spürten kaum die Beschwerde des Steigens, so befreit und erlöst waren unsere Seelen schon jetzt.

Ich gehe, Edda zu wecken …

— — — — —

 

Auf dem ersten Gipfel des Piz Palü.
Tagesanbruch.

Durch die weiße Mondnacht stiegen wir die weißen Wände hinauf.

Wir schienen nichts mehr Irdisches zu haben, schienen emporgehoben zu werden.

Dem Gipfel zu, dem Ewigen zu.

Nun stehen wir droben: hoch über allem!

Vor uns schimmert im ersten Tageslicht zwischen Himmel und Erde der schmale Pfad, den wir zusammen schreiten werden.

Edda geht mir voraus.

Auf der Mitte des Silberstreifens wird sie stehen bleiben, wird sie sich umwenden, wird sie nach mir ihre Arme ausstrecken.

Zwischen Himmel und Erde werden wir uns den Kuß der Ewigkeit auf die Lippen drücken.

— — — — —

Der Morgen glüht auf.

Purpurglanz verbreitet sich.

Der König Bernina setzt sich die flammende Krone aufs Haupt, aus den ersten Sonnenstrahlen geschmiedet.

— — — — —

Ich werde dieses Buch in den Abgrund werfen, werde es fallen sehen: ein Stück meiner Seele.

Es ist Zeit.

Mein Weib hat den Pfad schon beschritten.

»Ich komme!«


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