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Die Gräfin Wilding-Wild
an Ihre Königliche Hoheit, die Frau Erbgroßherzogin
Marie Luise.
Villa Beausite, St. Moritz Bad.
Pontresina, am 27. August.
Dank! Dank!
Aus jedem Wort hörte ich meine Fürstin zu mir sprechen; und ich danke, danke.
Also darf ich heute noch fernbleiben? Bei meinem geliebten Gatten!
Das sagen zu dürfen! Es so sagen zu dürfen! Mit solchem inneren Jubel, solchem hellen Aufjauchzen der Seele. Es ist ein Glück, das ich mir erst verdienen muß: durch ein ganzes Leben von Liebe, von Glück.
Jawohl, auch von Glück! Ist doch das Glück des Menschen höchster Dank an die Gottheit. Der glückliche Mensch betet.
Ich will durch mein ganzes Leben Gott danken; mein ganzes Leben soll ein einziges Beten sein.
Die Unselige! Ich meine die Geliebte, die Gattin des Abgestürzten. Man fürchtet für ihren Verstand. Während der arme Jüngling – denn er war noch sehr jung – begraben wird, muß man sie einsperren und bewachen. Ich schäme mich meines Glückes, schäme mich, daß ich beten darf:
»Herr, Herr – siehe Dein glückseliges Geschöpf!«
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Harro ist durch den tragischen Unglücksfall noch immer ganz verstört. Er bemüht sich, es vor mir zu verbergen, ist so ritterlich, so zart, so – liebevoll.
Daß ich dieses Wort hinschreiben darf! Daß ich es meiner Fürstin zujubeln darf mit aufgehobenen Händen.
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Verzeihen Königliche Hoheit die vielen Absätze. Ich werde beim Schreiben beständig unterbrochen. Soeben feierte ich sogar einen kleinen Triumph.
Frau Erbgroßherzogin erinnern sich des argen Weibes, das in unserem Hotel wohnt. Ich hielt die Fremde für eine grande dame, und sie ist – etwas durchaus anderes. Harro taufte sie die »Tigerin«. Ich fand es von ihm sehr unrecht und mußte ihm dann das meine abbitten. Denn das schlechte Weib wollte einer Braut den Verlobten rauben; einer so holden und anfangs so glücklichen Braut.
Gestern ist die gefährliche – Dame plötzlich abgereist; und gerade vorhin ging das Brautpaar an unserer lieben Casa Piedermann-Barblan Arm in Arm vorüber. Sie ward über Nacht womöglich noch schöner, hat eine Miene, einen Blick, der zu sagen scheint:
»Ich habe gesiegt! Starke Liebe siegt über böse Leidenschaft!«
Unter dem Fenster meines kleinen, wundernetten Salons blieben die beiden stehen, um die Aussicht auf das Rosegtal zu bewundern – sie ist auch wundervoll! – so konnte ich sie mir denn gut betrachten. Er macht auf mich den Eindruck, als habe er ein schlechtes Gewissen und müßte schwere Buße tun – wolle es auch.
Es ist doch eine göttliche Welt, in welcher der Mensch liebt und wiedergeliebt wird.
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Wurde wieder gestört. Harro, den auch die Flucht des schönen »Raubtieres« aus seiner Verstörung über den Absturz des jungen Malers nicht herausreißt, rief mich soeben ab. Als er meinen Kummer um seine schwere Stimmung merkte, machte er (der Liebe, Gute!) sogleich ein heiteres Gesicht, worauf das meine natürlich sogleich aufstrahlte, als beschiene es die Sonne des Engadins, deren erbarmungslosen Glanz ich noch vor kurzem fast haßte. Harro sagte:
»Kannst Du für einen Augenblick hinüber in meine Kabine kommen? Aber Du schreibst an Deine geliebte Herrin, und ich störe Dich.«
(Er und mich stören!) So stand ich denn sogleich auf und ging mit ihm hinüber in sein Zimmer, welches wirklich nicht viel größer und nicht viel anders eingerichtet ist als eine Kajüte auf einem Ozeandampfer. In dem Kämmerlein befand sich Besuch. Wir waren also zu dritt. Ein Vierter hätte nicht mehr Platz gehabt. Harros Gast war ein reizender, junger Mann (er ist wirklich reizend!), der mit seinem Vater, einem berühmten Gelehrten, gleichfalls in unserem dreifach gesegneten Hotel Roseg wohnt. Harro liebt den Jüngling geradezu zärtlich. Nun reist er fort; kam, um Abschied zu nehmen; kam, um zu sagen: wie unbeschreiblich leid es ihm täte, sich von Harro zu trennen. Dabei machte er ein ebenso strahlendes Gesicht wie vorhin die holde Braut. Er ist nämlich auch verliebt, ist also auch ein Glücklicher. Wir sind nun schon unserer drei, die auf dieser wunderschönen Gotteserde durch ihr Glück beten …
Als der junge Mann Abschied nahm, fiel er Harro um den Hals und begann trotz seines Liebesglücks bitterlich zu weinen: kein Mensch auf der Welt – seinen guten Vater ausgenommen – habe ihm soviel Güte erwiesen; keinem Menschen – seinen lieben Vater ausgenommen – sei er soviel Dank schuldig.
Harro war bewegt … Bewegt mein stolzer, starrer Gatte, der einem fremden, jungen Mann in aller Heimlichkeit Vatergüte erweist …
Daran erkenne ich ihn!
Ich bin stolz auf ihn, ich liebe ihn, ich bin
meiner teuren Herrin
demütig betendes »Weltkind«
Achime.
— — — — —
Ich mußte meinen Brief noch einmal öffnen … Harro war soeben wieder bei mir, um mir zu sagen: er wolle für einige Tage eine Wanderung unternehmen. Keine Bergtour, keine von diesen entsetzlichen Gipfelbesteigungen. Nur eine Wanderung über den Berninapaß, seinem heißgeliebten Italien zu. Und nur für einige Tage.
Er bedarf auch wirklich einer Erholung. Daß er aber gerade jetzt geht!
Gerade jetzt –
Natürlich bin ich etwas betrübt. Nur etwas. Er kommt ja wieder! Schon nach einigen Tagen! Und dann –
Mein Gatte läßt sich Eurer Königlichen Hoheit ehrfurchtsvollst empfehlen und bitten: seiner armen, kleinen Strohwitwe für die wenigen Tage in Villa Beausite Unterkunft zu gewähren. Auch während der Nacht. Er läßt Frau Erbgroßherzogin sagen: er könnte dann ruhiger abwesend sein.
Dabei sah er mich an, wie noch nie … Wie noch nie …
Vater im Himmel, Vater im Himmel, erhalte mir das Glück, das Du mir gabst.