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Aus einem Schreiben der Gräfin Wilding-Wild
an Ihre Königliche Hoheit, die Frau
Erbgroßherzogin Marie Luise.
… Dann vergaß ich noch, Euer Königlichen Hoheit zu sagen, wie sehr mich das völlig unerwartete Wiedersehen mit dem Herrn Hofmarschall überrascht und – erfreut hat. Etwas enttäuscht bin ich aber doch. Denn – Baron Erffa ist nicht verlobt! Unbegreiflich, wie solche Gerüchte entstehen können. Von Herzen wünsche ich dem vortrefflichen Manne eine ausgezeichnete Frau. (Eigentlich war ich etwas befremdet, so schnell vergessen worden zu sein … Immerhin mehr erfreut als befremdet.) Es müßte ein entzückendes Geschöpf sein, ein Elfenwesen mit aschblondem Haar und dunklen Märchenaugen, klein und zierlich. Die zukünftige Freifrau von Erffa müßte die schönsten Hände haben, wie aus Elfenbein gedrechselt, wie die Hände einer Prinzessin van Dycks; und –
Und Königliche Hoheit lachen laut auf – lachen mich aus:
»Aber, meine kleine Achime, Du hast ja selbst aschblondes Haar, dunkle Augen und hübsche Hände –«
Ich protestiere, an mein Haar, meine Augen, meine Hände gedacht, also als die zukünftige Freifrau v. Erffa mein eigenes Porträt gezeichnet zu haben. Denn ich kann dem Herrn Hofmarschall zu den zwei oder drei von mir empfangenen zierlichen Körben nur gratulieren; kann ihm nur wünschen, mit seiner Liebe und seiner Hand eine dreifach reizende, dreifach seelenvolle junge Dame als Euer Königlichen Hoheit ehemaliges Hoffräulein zu beglücken. Der Mann verdient, beglückt zu werden; und wäre es um der Pein willen, die er um mich erdulden mußte, und die ich ihm nicht vergelten kann.
Weshalb er wohl zurückkam? So plötzlich! Wollte er nicht eine Weltreise machen? Aus Gram darüber, weil Joachime v. Arnim die Gräfin Wilding-Wild wurde? … Der Schmerz scheint nicht allzu groß gewesen zu sein, was mich für ihn sehr beruhigt. Sonderbar finde ich auch, daß er sogleich Königliche Hoheit aufsuchte, wo er doch wußte – Er sagte mir: er hätte es für seine Pflicht gehalten, sich sofort bei Frau Erbgroßherzogin zu melden. Wenn ich mich nicht verhörte, so meinte er: es sei ihm daran gelegen gewesen, durch seine Ankunft in St. Moritz gewisse Gerüchte, die plötzlich über ihn verbreitet wurden, zu widerlegen. Damit meinte er natürlich seine angebliche Verlobung. So wichtig war die Sache denn doch nicht, deshalb direkt vom Nordkap nach dem Engadin zu kommen … Vielleicht will er mir durch seine Anwesenheit sagen:
»Wie Du siehst, starb ich nicht an gebrochenem Herzen. Ich lebe nicht nur noch immer, sondern befinde mich recht wohl: wollte man mich doch sogar verloben! Es geschah nicht – noch nicht! Kann jedoch jeden Tag geschehen. Jedenfalls darfst Du über mich vollkommen beruhigt sein.«
Bester Herr Hofmarschall – die Gräfin Wilding-Wild ist mehr als beruhigt. Sie ist glücklich, sich durch Augenschein überzeugen zu können, kein Unheil angerichtet zu haben.
Und Harro?
Fanden Königliche Hoheit das Benehmen meines Gatten nicht außerordentlich? Er trat seinem ehemaligen Nebenbuhler mit solchem schönen Freimut, solcher offenen Herzlichkeit entgegen – Es war wirklich geradezu Herzlichkeit; ich fand es sogar etwas zu viel – daß ich im stillen stolz auf ihn war. (Als ob ich das nicht immer wäre!) Nicht die leiseste Spur von Eifersucht konnte ich bei ihm entdecken, was mich eigentlich kränken sollte. Eigentlich müßte es für eine Frau das Allerbeglückendste sein, wenn –
Ich mußte meine Plauderei unterbrechen. Der Glanz und die Schwalben des Engadins verursachten mir wieder einmal heftiges Kopfweh, so daß ich mich für heute abend entschuldigen muß. Harro wird sich die Ehre geben, zu erscheinen. Er ist zugleich Ueberbringer dieses recht kindlichen Briefes, den ich ihn lesen ließ, und der ihn sehr amüsierte. (Soeben sagte er mir lachend: es sei höchst unvorsichtig von mir gewesen, Gräfin Wilding-Wild geworden zu sein und nicht Freifrau v. Erffa, zukünftige Exzellenz und Oberhofmeisterin Ihrer Königlichen Hoheit.) Frau Erbgroßherzogin werden meinen Herrn Gemahl bei ausgezeichneter Laune finden. Als ich nach der Ursache dieser seltenen Erscheinung forschte, erklärte er mir:
»Ich hätte heute im Rosegtal beinahe eine gute Tat vollbracht.«
»Was für eine gute Tat? Und weshalb nur beinahe?«
»Ich hätte beinahe einen jungen Hund aus dem Rosegbach gezogen.«
»Warum zogst Du ihn nicht heraus?«
»Das Tierlein rettete sich selbst.«
»Darüber bist Du so vergnügt?«
»Darüber! Immerhin wollte ich hineinspringen.«
»Gottlob, daß Du es nicht tatest. Ein Sprung in den eiskalten Gletscherbach hätte Dir sicher eine Erkältung eingebracht.«
Was erwiderte er mir?
»Der Mensch kann einen noch viel tieferen Sprung in ein noch viel eisigeres Bett tun, direkt in die ewige Seligkeit hinein.«
Dabei lachte er so froh, wie ich nicht glaubte, daß er lachen könnte. Als Knabe konnte er vielleicht so herzlich lachen …
Nun lebe ich mit meines Gatten frohem Knabenlachen in der Seele, die ihm gehört.