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In meinem Gefängnis, am 2. August.
… Warum warte ich noch, jenes glückselige, allerletzte Mal herbeizuführen? Worauf warte ich noch?
Zweimal in meinem Leben war ich glücklich – was ich glücklich sein nenne. Als meine Mutter über meinem schuldlosen Knabenhaupte weinte, und als ich Edda Dafis für die Dauer einer Sommernacht liebte. Ich werde ein drittes und allerletztes Mal im Leben glücklich sein, wenn ich sie ein allerletztes Mal auf Erden wiedersehe. Trotzdem zaudere ich, mir meine letzte irdische Glückseligkeit zu verschaffen.
Mir ist, als müßte ich sie hinausschieben, als wäre ich nicht genügend darauf vorbereitet, ihrer noch zu unwürdig; mir ist, als müßte ich erst etwas tun, um eines solchen Endes würdig zu sein.
Was könnte ich armer Schächer wohl »tun«? Denn es müßte etwas Gutes sein. Gutes – ich?! Der Herr sei mir Sünder gnädig! Mich an meine Brust schlagen und so sprechen, ist alles, was ich zu »tun« vermag.
Und Achime –
Auch um ihretwillen muß ich noch warten.
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Mir ist, als ob vieles von mir abfiele: viel Unechtes, Unwahres, Unschönes. Mit ganz neuen Augen mich betrachtend, erkenne ich in mir diese Eigenschaften, von dem Unnützen meines Lebens, als Selbstling und Genüßling hingebracht, gar nicht zu reden. Was für klägliche Geschöpfe sind wir doch! Das geringste Unschöne flößt uns Aestheten eines neuen Jahrhunderts unangenehme Empfindungen ein; das Gemeine widert uns an; ein schlecht sitzender Frack, eine Krawatte von einer nicht sorgfältig zum Kostüm abgetönten Farbe dünkt uns menschenunwürdig; die Blume muß zur Vase, die Vase zur ganzen Einrichtung unseres Zimmers genau abgestimmt sein; die Hüte unserer Geliebten, der Einband unserer Bücher, die Initialen unseres Briefpapiers, unser Siegellack, Menu, Zigarettenetui – ein jedes Stück und jeder Teil von uns, sei es ein Ding oder Geschöpf, muß Ausdruck unseres Wesens sein … Wehe uns, wenn sie uns ausdrücken würden! So ausdrücken, wie wir in Wahrheit sind: nackt und bloß in all' unserer Menschlichkeit –. Es würde eine Verzerrung des nach dem Ebenbilde Gottes geschaffenen Menschen sein, daß uns vor unserem eigenen Bilde Entsetzen ergreift: Entsetzen darüber, wie trostlos unästhetisch wir großen Aestheten sind, wie rettungslos häßlich wir edlen Apostel des Schönen.
Daß ich es erst jetzt erkenne! Erst seitdem ich Edda wiedersah! Ist solche Wirkung eines an sich kleinen Ereignisses möglich? Solche Wirkung auf einen Menschen wie ich bin? Weil ich von einer großen Frauenseele geliebt wurde, und durch eine kurze Woche das Glück einer solchen Liebe empfand, werde ich noch nach Jahren, noch nach einem Leben voll krasser Selbstsucht durch die Liebe dieser Frau entsühnt und gereinigt, in Erwartung des allerletzten köstlichen Augenblicks.
Demnach wäre es doch wert gewesen, gelebt zu haben; könnte das Leben also doch schön sein?
Selbst für einen von meinesgleichen?
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Mehr und mehr betrachtete ich Menschen und Dinge mit anderen Augen. Ich beginne, den Wert von Menschen und Dingen zu erkennen; nicht ohne Scham, sie so lange und so sehr verkannt zu haben. Auch was den Hof anbetrifft, wurde ich bekehrt. Die Frau Erbgroßherzogin ist nicht allein eine Fürstin, sondern auch eine fürstliche Frau; und Ihre Exzellenz, die Frau Oberhofmeisterin, ist nicht nur eine sehr großartige, sondern auch sehr vortreffliche Dame. Das alles hätte ich längst erkennen müssen; denn das alles bestand längst. Ich sah es jedoch als Verzerrung – verzerrt und entstellt, wie ich selbst war. Bisweilen ist mir, als gewänne ich allmählich mein Menschengesicht wieder, wie ich es besaß, als meine Mutter über ihren aus Todesgefahr glücklich zurückgekehrten Sohn bitterlich weinte …
Und Du, Achime! Wie soll es mit Dir werden? Wie wirst Du die Vernichtung der Lüge ertragen? Denn sie darf nicht fortbestehen! Nicht fortbestehen durch die Lüge unserer Ehe, die ich nicht zur Wahrheit umwandeln kann.
Die Wahrheit wäre Ehebruch, an Edda Dafis begangen. Denn sie ist mein Weib! Sie allein war es von jeher; sie allein muß es bleiben bis zum Ende.
Wie aber wird es Deine schwache Seele ertragen?
Noch vor kurzem hätte ich mit keinem Gedanken danach gefragt; es hätte mich gar nicht gekümmert. Obgleich Du meinen Namen trägst, hätte ich Dich hingeworfen, wie ich viele hinwarf. Darunter viele, die mich liebten, wie Du mich seit kurzem liebst; darunter Edda Dafis, die mich heute noch liebt, wie ich niemals geliebt wurde. Und jetzt Du, arme, kleine Achime.
Wie ich in einer frivolen Laune um Dich warb, genau ebenso: aus frivoler Eitelkeit nahmst Du meine Werbung an. Und ich wußte es! Daß ich es wußte, erstickte in mir den ersten Keim von Liebe zu Dir – hätte sie erstickt, wenn sie gekeimt wäre.
Außer mir wußte es Deine Königliche Hoheit und trauerte um ihren holden Liebling, der das Weib eines Mannes werden wollte, wie Legionen anderer junger Mädchen es wurden: um nichts besser, nichts würdiger, nichts heiliger.
Darum – und jetzt, verstehe mich wohl: darum bleibst Du für mich unantastbar: ein süßes Kind, ein holdes Elfenwesen, meine liebliche Hoheit. Könntest Du mich doch verstehen! Daß ich mich heute angstvoll frage: wie Du die Trennung ertragen wirst; daß ich mich um Dich sorge, Du mir blutiges Mitleid einflößest … Siehst Du, Achime – daß ich heute dies alles empfinden kann, hat Edda Dafis für Dich vollbracht.
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Eine Erinnerung!
Einstmals, vor Jahren, erhielt ich von Edda einen Brief. Welch einen Brief! Jedes Wort höchste, jedes Wort heiligste Liebe. So schrieb eine Sterbende ihre letzten Worte dem Mann, den sie bis zum letzten Augenblick geliebt hatte.
Diesen Brief las ich kaum – so gut wie gar nicht. Aber ich wußte: es war höchste, heiligste Liebe.
Was dachte ich damals dabei?
Ich weiß es noch heute. Jeder meiner Gedanken steht heute wie eingebrannt in meinem Herzen:
»Sie soll mich zufrieden lassen. Das ist abgetan!«
Mich zufrieden lassen mit ihren letzten feierlichen Worten.
Abgetan die höchste, heiligste Liebe!
Und gerade heute diese Erinnerung …