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Am 26. August. Tief in der Nacht.
… Ich ging nach Santa Maria. Es war spät in der Nacht. Die Kirche war unverschlossen. Zwei junge Leute hielten vor dem Eingang Wache. Sie sagten mir: mitleidige Frauen hätten des Abgestürzten Gattin soeben davongeführt. Ich fragte: ob ich eintreten könnte, und bat, mich bei dem Toten allein zu lassen.
Eine Wachskerze brannte. Ihr flackernder Schein fiel auf des Gestorbenen Gesicht.
Ein friedliches, feierliches, wunderschönes Totenantlitz war's. Es schien ihm gar nicht wehgetan zu haben.
Doch darauf kommt es nicht an: nicht auf den Todesschmerz. Dieser so jung Verstorbene hatte in seinem Leben andere Schmerzen erdulden müssen, bis für ihn die Erlösung, die Befreiung kam.
Sie kam zu ihm wie ein großer, stiller, strahlender Feiertag nach langen, grauen, häßlichen Zeiten.
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Ich wußte, daß sie kommen würde: spät in der Nacht, wenn keiner sonst mehr kam. Sie brachte Blumen. Beide Arme voll weißer Rosen, trat sie ein. Sie sah mich zu Häupten des Toten stehen, schritt zu ihm, streute die leuchtende Blütenfülle über ihn aus.
Ich half ihr, sie ausbreiten …
Plötzlich berührten sich unsere Hände. Unsere Hände faßten einander, hielten einander.
Sie faßten einander über den weißen Rosen; hielten einander über dem toten Herzen.
Unser beider Hände hielten sich verschlungen, als könnten sie sich in Ewigkeit nicht mehr lassen.
Das können sie auch nicht!
Denn es war, als sei der Sarg ein Altar, der Tote ein Priester …
Unsere verschlungenen Hände wurden in dieser Stunde vermählt.
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Dann schritt sie wieder hinaus, wie sie gekommen war. Nicht ein einziges Wort hatten wir zusammen gesprochen.
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Nach einer Weile ging auch ich. Ich ging nach Hause. So lange war ich fortgeblieben, daß das ganze Haus bereits schlief.
Joachime war heute so seltsam außer sich geraten über diesen jungen Toten, dem doch so wohl war.
Ich mußte an ihrem Zimmer vorüber … Wenn die Dielen nur heute nicht knarrten!
Sie wachte noch. Ich hörte sie meinen Namen rufen. Immerfort meinen Namen. Die Dielen knarrten, und ich mußte vor ihrer Tür stehen bleiben, mußte hören, wie sie meinen Namen rief.
— — — — —
Sie rief ihn, wie eine Sterbende den heiligen Namen des Lebens ruft.
Ich stand und lauschte auf die rufende Stimme. So lange stand ich, bis sich meine Sinne verwirrten.
Eine Sterbende rief mich, und ich konnte draußen stehen, konnte sie rufen hören. Und – ich konnte der Sterbenden das heilige Leben nicht bringen.
Meine Hand streckte sich aus, rührte an der Klinke. Ein leichter, leiser Druck –
Alle guten Geister mögen Dir gnädig sein, Du armes Weib!