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XI.

Harro Wilding-Wild an Edda Dafis.

 

Am 26. August. In tiefer, stiller Nacht.

Edda!

Als Du heute nacht in Santa Maria Deine Hand aus der meinen löstest, wußtest Du auch, daß unser beider Hände nicht mehr gelöst werden können?

Wußtest Du auch, wir hatten uns bei dem jungen Toten vermählt?

Du gingst von mir als mein Weib!

Was aber tat ich? Ich ging hin, nahm ein anderes Weib, beging Ehebruch.

Ehebruch aus Mitleid …

Von diesem anderen Weibe komme ich soeben zurück und spreche zu Dir.

Ich sage Dir, daß ich die Lüge und die Schuld meines Lebens nicht länger ertragen kann – nicht länger ertragen will.

Ich will sie auslöschen mit meinem Leben.

Zuvor will ich von meinem wahren Weibe Abschied nehmen: Abschied von dem einzigen Weib, welches ich jemals geliebt habe.

Wird mein Weib stark genug sein, diesen ewigen Abschied zu ertragen?

Ob Du stark genug sein wirst! … Du wirst mir von Deiner Kraft geben.

Erinnerst Du Dich meiner Erzählungen aus meiner Knabenzeit?

Als hättest Du ein einziges Wort, welches ich zu Dir sagte, jemals vergessen können! Verzeih' also den Frevel meiner Frage. Ich weiß, daß Du in meinen Worten bis heute gelebt hast; weiß, daß Du in meinen Worten leben wirst bis zu Deiner letzten Stunde.

Und leben wirst Du in dem, was ich heute zu Dir spreche: in der Nacht vor meinem Todestage, der der Tag meiner Erlösung, meiner Befreiung sein wird.

Der Erlösung und Befreiung von meiner Lebenslüge, von meiner Lebensschuld.

Also von mir selbst.

Eingehend in das ewige Nichts, wird es die ewige Wahrheit sein, die mich umfängt.

— — — — —

Von meiner Mutter erzählte ich Dir oft … Du warst die einzige Frau, zu der ich von meiner Mutter sprechen konnte. Trotzdem vermochte ich Deine Seele an ein Kreuz zu schlagen!

Ich kreuzigte damit zugleich das Gute in mir.

Einmal erzählte ich Dir von Pontresina: von dem Hause Piedermann-Barblan; von den Bernina-Seen; von dem Piz Palü – von dem Kuß und den Tränen meiner Mutter.

Du weintest über diese Muttertränen.

Siehst Du, auch ich habe nicht vergessen können.

Nun höre!

Ich will nicht in Deinem Hause von Dir Abschied nehmen. Auch nicht in Santa Maria. Unter freiem Himmel, dem leuchtenden Himmel des Engadins, wollen wir uns zum letzten Male grüßen.

Der Piz Palü in seiner strahlenden Schönheit soll dabei auf uns niederglänzen.

Morgen abend – heute abend schon – wollen wir uns bei den Bernina-Seen treffen, wo die Alpennatur ein azurblaues und ein smaragdgrünes Auge aufschlägt, um den Himmel wiederzuspiegeln, der mir dieses letzte Scheideglück gibt.

Wirst Du kommen?

Und wirst Du dann von mir gehen, ohne mich zurückzuhalten von dem Wege, den ich allein schreiten muß?

Ich weiß: Mein Weib kommt!

Harro.


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