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VI.

Die Gräfin Wilding-Wild
an Ihre Königliche Hoheit, die Frau Erbgroßherzogin
Marie Luise.

 

Beausite, St. Moritz Bad.

Durchlauchtigste Frau Erbgroßherzogin!

Daß das liebenswürdige Fräulein v. Bork plötzlich Trauer bekam und abreisen mußte, bedauere ich für die Dame und für Königliche Hoheit; denn ich werde kein guter Ersatz sein – was wahr und wahrhaftig kein fishing for compliments sein soll: bin ich doch nicht mehr Joachime von Arnim; nicht mehr das Sonntags- und Sonnenkind mit dem ewigen Gefunkel in Blick und Seele, ein Glanz, den ich jetzt ebenso unerträglich finde wie diese Alpenwelt aus Naturemail.

Damit meine gütigste Herrin mich ja nicht mißversteht: es soll keine Klage sein, daß ich in so kurzer Zeit eine ganz andere wurde; und gewiß keine Anklage. Höchstens ein Vorwurf gegen mich selbst. Bisweilen will es mich sogar bedünken: diese so ganz andere, wenig leuchtende, selten lächelnde Gräfin Wilding-Wild habe sich sehr zu ihrem Vorteil verändert. Sie erscheint mir nicht nur stiller und ernsthafter, sondern auch tiefer und innerlicher – inhaltsvoller – als die Hofdame von Königlichen Hoheit war. Ich glaube, es ist das! Es ist der große Inhalt, den mein Leben seit kurzem empfing. Nicht nur mein Leben, sondern auch mein Gemüt und Herz. Und was hat bei mir diese Wandlung bewirkt? Zuerst das Leiden, dann die Liebe, diese zwei Gottheiten, die eigentlich nur eine Gottheit sind. Und wem danke ich das Wunder, das mit mir sich vollzog? Meinem Gatten, um den ich leide, den ich liebe; denn –«

Ja, ja, ja: ich liebe ihn! Ich liebe ihn leidenschaftlich, über alle Worte, über alle Maßen.

Was ich in meiner großen Einsamkeit heißpochenden Herzens mit ergriffener Seele bekenne, dürften Königliche Hoheit bereits erkannt haben; sind Frau Erbgroßherzogin doch seit einiger Zeit anders gegen mich: noch ernsthafter, noch gütiger, noch liebevoller. Kein Zug dieser zarten Schwesterlichkeit entgeht mir. Dank dafür möge heute mein Geständnis sein:

Ich mußte viel leiden, um durch mein großes Leid zu meiner großen Liebe zu gelangen – zu meinem großen Glück.

Auch das sollen Königliche Hoheit wissen: daß es mein Gatte noch nicht erkannte, daß ich des Tages harre, an dem er es erkennen wird. Dann werde ich ihn mit beiden Armen umfassen, um ihn nie wieder zu lassen; dann werde ich mich an ihn schmiegen, werde ich ihm zujauchzen:

»Du gabst mir ein großes Leid; und Du gabst mir meine große Liebe, mein großes Glück!«

Nun aber zu dem, was Zweck dieses Briefes ist:

Königliche Hoheit wollen mich nicht zur stellvertretenden Hofdame haben; aber Harro besteht darauf. Also bitte ich denn: aus Liebe zu mir, meines lieben Gatten Wunsch zu erfüllen. Ich kenne seine Gründe. Er will mir damit eine Freude bereiten, daß ich, wie in alten Zeiten, nicht nur täglich um Königliche Hoheit bin, sondern auch so glücklich sein darf, für Frau Erbgroßherzogin Dienst zu tun. Sein Wunsch, mich zu erfreuen, beglückt mich; und so möge ich denn als Ersatzhofdame angenommen werden – sollte ich auch, wie ich eingangs meines Schreibens behauptete, kein guter Ersatz sein. Nur in der einen Sache würde ich mich dem Wunsche Eurer Königlichen Hoheit mit gutem Anstand fügen: daß die »Gummiräder« mich abends Schlag zehn von Villa Beausite nach Haus Piedermann-Barblan zurückrollen; und morgens Schlag neun Uhr von Haus Piedermann-Barblan nach Villa Beausite. Mein Gatte pflegt jetzt nämlich jeden Abend, wenn wir – oder wenn ich allein – von St. Moritz zurückkehre, in meinem »weißen Salon« den Tee zu nehmen, was zu meiner glücklichsten Stunde geworden ist, welche von allen Menschen der Erde Königliche Hoheit am meisten gönnen

dem beglückten, dankbaren Hoffräulein

Joachime, Gräfin Wilding-Wild.


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