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II.

Ihrer Königlichen Hoheit
der Frau Erbgroßherzogin Marie Luise
auf Schloß Augustenthal.

 

Pontresina im Engadin, am 26. Juli 1905.

Diesen Brief an meine geliebte Fürstin werde ich bestimmt kuvertieren und selbst auf die Post bringen. Verschiedene Episteln wurden nämlich von mir zwar verfaßt, aber nicht abgeschickt. Weshalb nicht? Weil sie traurig waren – immer noch traurig! Jetzt ist's heraus.

Es darf heraus sein; denn dieses »Brüflein« – wie Harros alte Schloßkastellanin, Frau Anna Maria Koller, an ihn schreibt – soll allerlei Gutes melden. Ich will sogar versuchen, einige Strahlen Engadiner Sonne und etliche Funken Engadiner Firnenglanz mit einzupacken. Jedenfalls eine azurblaue Gletscherblume. Die Blumen haben hier eine Farbe und einen Duft, als wäre das wilde Rosegtal ein Garten der Alpenfee.

Ich fange an, mich einzugewöhnen. Es tat not. Unser ehrsames Alt-Engadiner Bürgerhaus besitzt entschieden seine Reize; selbst mein »Salotto« beginnt mir zu gefallen; und Frau Piedermann-Barblan, unsere Wirtin, wird mir ganz vertraut. Ich husche bisweilen ins Erdgeschoß hinab, in das Wohngemach der würdigen Dame, und lasse mir von ihr Geschichten erzählen: von alten, großen Zeiten, da noch die reichen Kauffahrer aus Welschland durch Pontresina ins Deutsche Reich gezogen kamen; von den Bündnerkriegen, dem gewaltigen Alpennimrod Colani und – und von meinem Grafen, da dieser noch ein Gräflein war und im Hause Piedermann-Barblan mit seiner Frau Mutter wohnte: in den nämlichen, etwas eigentümlichen Gemächern wie jetzt.

Königliche Hoheit müßten diese zwei mit hellen Bretterwänden verschalten, winzigen, niedlichen Gelasse sehen, über deren naive Ländlichkeit der Herr Kammerdiener meines gnädigen – mehr als je gütigen – Gebieters noch immer jeden Morgen vor Entsetzen schier erstarrt. (Den Mann belebt erst wieder die Erinnerung, daß er die Ehre hat, einem Standesherrn mit sechzehn Ahnen zu dienen.)

»Meinem mehr als je gütigen« …

Ich legte die Feder fort und schaute vom Papier auf … In der dunklen Waldschlucht wogt das Eismeer des Roseggletschers, und darüber steigt es auf: eitel Glanz empor zu eitel Glanz. Mir graut's nicht mehr bei dieser blendenden Schönheit der Himmelanstrebenden. Ich lasse meine Seele von den weißen Flammen der Gipfel emporheben, der Sonne entgegen, und lausche dabei auf die Musik dieser Welt, die göttlich wäre, käme nicht auch hierhin der Mensch mit seiner Qual, die göttlich ist, sobald der Mensch sein Glück zu ihr trägt.

Der Rosegbach rauscht und braust; der Schwalbenchor zwitschert sein Lied; und mein Herz, mein törichtes, kindisches Herz pocht zum Bachesbrausen und Vogelsang leise, leise eine holde Melodie:

»Mein mehr als je gütiger Gebieter! Mein lieber, gütiger … Mein lieber, lieber –«

Sollte ich hier gelernt haben, zu leiden, um hier gelehrt zu werden, zu lieben? Zu leiden und zu lieben: ich, Achime, ihrer hohen Frau herzloses, kleines Weltkind, dem Hofluft Lebenslust war, und dem in dieser Welt des Glanzes das Evangelium eines anderen Lebens und eines anderen Glücks verkündet ward.

— — — — —

Aber ich wollte Frau Erbgroßherzogin von meinen Plaudereien in dem getäfelten Ahnenstüblein der Casa Piedermann-Barblan erzählen; wo alles Altväterische, Altehrwürdige Vergangenheit ist. Lebendige Gegenwart sind hier nur die blühenden Nelkenstöcke auf den Fenstersimsen. Echte Engadinnelken: rosig-rot, mächtig und prächtig, ein glühender Blütenfall! Gestern brachte mir mein gütiger Gebieter – das ist aus dem ritterlichen Vasallen geworden – solchen märchenhaften Nelkenstock eigenhändig getragen. Niemals haben Blumen Eurer Königlichen Hoheit ehemalige Hofdame so beglückt! Meines Gatten Nelken leuchten durch das Fenster auf diese Worte herab. Sollte ich jung sterben müssen, will ich auf mein Grab seinen Nelkenstock gepflanzt haben. Wie Tropfen blühenden Herzbluts würden die roten Knospen über mir hinrieseln, und der Duft dieser Blumen des Engadins würde bis in mein Grab hinabrinnen …

Bei den Nelken muß ich an die irische Witwe denken, die jeden Abend zum Souper einen Nelkenstrauß trägt, der seltsam zu der Trauer paßt. Die Dame trägt freilich bereits Schmuck. Allerdings sind es Perlen. Ich sah nie köstlichere! Harro kann die mit Nelken geschmückte Perlenträgerin nicht ausstehen. Er hat bisweilen eigentümliche Antipathien, ist überhaupt leicht ungerecht.

Meine freundliche Hauswirtin erzählt mir im Stüblein unten die interessantesten Geschichten, und ich gerate hier oben ins Schwatzen. Von meinem Grafen erzählt mir die gute Frau, da dieser noch ein Gräflein war. Es muß ein prachtvoller Knabe gewesen sein! Schon damals bezauberte er die Menschen; schon damals ein kleiner Grandseigneur mit den Neigungen und Gewohnheiten eines Königssohnes. Seine Luxusbedürfnisse waren indessen schon damals Schönheitsbedürfnisse. Er haßte das Häßliche, besonders häßliche Menschen. Also schon damals ungerecht! Wen liebte mein Gräflein? Von allen Menschen nur einen: seine Mutter. Da er zu mir niemals von seiner Mutter spricht, so mußte mir unsere Wirtin von ihr erzählen. Sie scheint eine seltsame Dame gewesen zu sein: streng und starr. Am strengsten und starrsten gegen ihren Sohn, gegen diesen Sohn! Auch von der Palü-Besteigung, die mein Graf als Gräflein gemacht hat, muß ich immer wieder hören. Ganz Pontresina sprach damals davon; und wie der Knabe vom Palü glücklich zurückkehrte.

Er kehrte zurück, und seine Mutter schloß ihn leidenschaftlich in die Arme; seine strenge, starre Mutter vergoß heiße Tränen, weil der strahlende Berg ihr den Sohn gelassen hatte.

Als er vom Palü zu mir wiederkam, hätte ich's gleich seiner Mutter tun mögen. Jubeln und weinen hätte ich mögen, aufjauchzen und zugleich aufschluchzen. Ich blieb jedoch stumm. Sollte er den bösen Berg noch einmal besteigen wollen – Aber jetzt würde ich ihn bitten: mir zuliebe unten zu bleiben … Ob der Tag wohl kommt, an dem er mir zuliebe etwas tun oder nicht tun wird? Ich möchte für diesen Tag mein Leben lassen. Dann würde ich sterben in seiner Liebe, und seine Nelken würden auf meinem Grabe blühen.

— — — — —

Ich weiß nicht; aber – ich muß so viel an eine Begegnung denken, die wir kürzlich hatten …

Neulich, als wir auf dem Fußweg nach St. Moritz zur Meierei gingen, kam uns eine Dame entgegen. Niemals sah ich eine dieser Erscheinung auch nur ähnliche Gestalt! Wer ist sie? Was war ihr Schicksal? Weshalb sah sie Harro an?

Ich kann den Blick dieser fremden Frau nicht vergessen …

Es ist seit jenem Tage, daß mein gnädiger Gebieter gütiger als je gegen mich ist. Was hat seine Güte mit der Fremden zu tun? Und wie komme ich dazu, bisweilen zu glauben, feine Güte sei Mitleid?

Weshalb Mitleid, wenn er doch – Wenn vielleicht doch einmal ein Tag kommt, an dem er mir zuliebe –

Ich fürchte, ich werde auch diesen Brief weder kuvertieren, noch adressieren, sondern still zu den übrigen legen; denn ich fürchte: auch dieser Brief, der mit einem Lächeln begann, wird mit einem Seufzer beendet.

Könnte ich meiner hohen Frau doch bald meine lächelnde Seele zeigen! Mir ist's, es müßte ein Glanz sein, wie er die Firnen des Engadins verklärt, wenn die Sonne sie bescheint.

O du himmlische Sonne heiligen Menschenglücks, daß du meiner Seele bald leuchten möchtest! Nur einen Tag; eine Stunde nur! Sollen doch Augenblicke des Glücks mit dem Tode nicht zu teuer bezahlt sein.

Nicht zu teuer für die Frau, die liebt; nicht zu teuer für die Frau, die geliebt wird.

Die geliebt wird …


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