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VIII.

 

Piedermann-Barblan, Juli.

Ich sprach zu Achime von Edda!

Während ich zu der Gräfin Wilding-Wild von ihr sprach, fühlte ich geradezu einen physischen Schmerz. Zugleich hatte ich die Empfindung, als beginge ich ein Sakrileg. Und das mußte mir geschehen, der ich mich mein Lebelang übte, nichts zu fühlen, was die Schönheitslinie, mit der ich mein Dasein umschloß, zerstören könnte; nichts zu fühlen, was imstande wäre, mich zu beunruhigen und aus meinem leidenschaftlich geliebten leidenschaftlosen Selbst zu jagen. Zu Achime von Edda sprechend, empfand ich plötzlich, daß keine Macht auf Erden mich jemals zu der Einen hinbringen, mich jemals von der Anderen entfernen könnte. Und nicht einmal, daß das schuldlose Opfer mich gedauert hätte! Sie ist meine Frau. Wenigstens führt sie den Namen meiner Frau, besitzt also etwas, was ich Edda niemals gegeben hätte. (Allerdings hätte sie es niemals von mir gefordert.) Trotzdem ist mir zu Mut, als wäre allein durch den Namen, den die Lebende führt, der Gestorbenen ein neues Unrecht zugefügt worden.

Wenn ich zurückdenke … Wir hatten doch große Stunden miteinander: groß durch sie, die nicht anders sein konnte, als groß. Ihre Liebe hob mich hoch über alles. Aber – sobald sie mich auf einen Gipfel geführt hatte, entriß ich mich ihr und stürzte mich selber hinab. Da lag ich denn, der ich mich für einen Gipfelmenschen hielt, wieder glücklich drunten in der Tiefe! Sie verlangte von mir: nur ich und sie sollten droben stehen; und meine kleine Menschlichkeit ertrug solche majestätische Einsamkeit nicht. Deshalb mußte ich stets wieder herab zu der Menschheit, über die ich mich doch so erhaben fühlte.

Sie erkannte meine Schwäche, wollte mir von ihrer Kraft geben, und – wurde von einem Schwachen zerbrochen.

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Wenn wir zusammen Goethe lasen oder gemeinsam ein Kunstwerk betrachteten; wenn wir miteinander in Rom oder Bayreuth waren, so durchdrang mich die Empfindung: mein Leben hätte seine Höhe erreicht, mein Schönheitsideal seine Vollendung gefunden: vereint mit Edda, durch Edda! Trotzdem ruhte ich nicht eher, als bis ich ihrer Seele die Wunde, daran sie verblutete, beigebracht hatte.

Wie armselig ist doch meine ganze sogenannte Lebenskunst! Sie ist eine elende Stümperei, und die berühmte Verfeinerung des modernen Menschen will mir als Vergröberung erscheinen, fast als Verrohung. In einem beständigen Farbenrausch schwelgend, in Akkorden uns wiegend, jedes Gefühl in einem seelischen Treibhause züchtend, jede Erregung, die nicht Narkose ist, für genau so unpassend findend, wie eine schwarze Krawatte, wo eine weiße geboten gewesen wäre, nennen wir uns das »neue Geschlecht!«

Zu meiner Stimmung – wenn wir Modernen nur »Stimmungen« haben können! – zu meiner Laune paßt die Natur des Engadins: sie ist in Harmonie mit mir. Denn eigentlich ist das Engadin eine Gespensterwelt: Gletscher und Firnen, Gipfel und Grate, Felsenmauern, Oede und Einsamkeit.

Wenn es nur Einsamkeit wäre! Dann wäre es Leben. Wie es jedoch ist, ist es eine geisterhafte Scheinwelt: Gasthöfe statt Alpendörfer; Fremdenhorden statt Bewohner; Fremde, selbst die Arbeiter, die die Wiesen mähen und das Heu einbringen. Sogar der mitleidslose Sonnenschein dieses emaillierten Alpentals hat für mich etwas Gespenstisches. Und zu meiner Laune passen die mit Felsentrümmern besäten Halden; passen vor allem die Lärchenwälder, welche von den grauen Schmarotzerflechten mörderisch umstrickt und erstickt werden: die Wälder des Engadins sind zum Tode verurteilt – wie wir Neumenschen die alte Zeit und das alte Geschlecht zum Tode verdammen.

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Gestern erstieg ich den Schafberg. Auf dem Gipfel steht eine elende Hütte. Ringsum Fels, nichts anderes als Fels. Und ringsum die Alpen in ihrer schimmernden, flimmernden Eisesherrlichkeit.

Aus dem Untergeschoß der engen Alpenhütte führt eine leiterartige Stiege zu einer armseligen Bretterkammer empor. Ein Bett steht darin. Wer in diesem Bette liegt und seine Augen offen hat, erblickt weißen Glanz, nichts anderes als weißen Glanz: Schneegipfel an Schneegipfel, Gletscher an Gletscher, vom Piz Palü bis zum Corvatsch. Kein Fels, keine Matte; nur Eis und Firn, das Kaiserreich des »weißen Todes«.

In dieser Kammer starb Giovanni Segantini. Er starb? … In dieser Kammer ist er verendet!

Er kam herauf in die Steinwüste und lebte in der schlechten Hütte, um sein leidenschaftlich geliebtes Engadin zu malen, wie nur er es malen konnte: er, der Einzige! Vor seiner Leinwand, den Pinsel in der Hand, befielen ihn Todesschauer; auf dem Felsengipfel, in Himmelshöhe stand er, als der »große Wohltäter« zu ihm kam, ein Mörder und Untäter. Er schleppte sich noch bis zu der Hütte, überwachte noch die Bergung seines Gemäldes, erklomm die schmale Stiege, kroch in seine Kammer, legte sich auf seine Lagerstatt, blickte auf die Glorie der Schneealpen – blickte darauf, bis sein Künstlerauge brach.

Er wäre zu retten gewesen. Aber der treue Arzt, der zugleich sein guter Freund war, mußte ihn sterben lassen.

Eine Operation hätte ihn retten können. Sie war auf der Höhe unmöglich: man bekam den Schwerkranken die schmale Stiege, den Sterbenden bei der Herbsteskälte den hohen Berg nicht hinunter. Und Giovanni Segantini starb …

Heute nun war ich in seinem Sterbezimmer. Ich bat, mich allein zu lassen, setzte mich auf den Bettrand, schaute auf die weißen Zeugen seines Todes und dachte, dachte …

Ein großer Künstler hatte an dieser Stätte sein Leben ausgehaucht, bevor es vollendet war, bevor seine Seele in seinen Werken sich hatte ausleben können. Ein Jammer war's, der zum Himmel schrie. Und ich, der armselige Sohn seiner Zeit; ich, der Genußmensch, der noch niemals Begierde empfunden; der Lebenskünstler, der noch keinen Atemzug getan, der des Lebens wert gewesen wäre – ich fand mich nicht würdig, an dieses Mannes Sterbestätte zu weilen.

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Viel besser als das Sterbezimmer eines großen Künstlers paßt für mich das Restaurant unseres vortrefflichen Hotels Roseg in Pontresina. Ueberdies kann ich an dem Stücklein Weltkomödie, welches sich darin abspielt, einen matten Hauch mephistophelischer Freude haben.

Da sind der hübsche junge Fant und die interessante irische Witwe mit den drei Heranwachsenden Töchtern. Ich sehe, wie die Dame in Trauer sich für den unschuldigen, lieben Jungen die Augen untermalt und mit roten Engadiner Nelken sich schmückt; sehe, wie er als reiner Tor zu der Salonkundry hinüberstarrt, mit einem Ausdruck in seinen leuchtenden Augen, der voll bangen Staunens und zugleich voll seliger Wonne ist. Seine Blicke sagen:

»Es ist nicht möglich, daß Du Dich zu mir herabneigst, Madonna!«

Ja, mein guter Junge, es ist möglich. Sie wird sogar in Deine Arme sinken, Du brauchst sie nur zu öffnen. Wohl verstanden: im rechten Augenblick. »Aber« – so spricht Deine zwanzigjährige Unschuld – »sie ist ja nicht nur Lady vom Scheitel bis zur Sohle, sondern auch Witwe. Ueberdies zärtliche Mutter. Also ist es schlechterdings unmöglich.«

Heute hörte ich, wie er seinem Vater glückselig erzählte: er habe die Bekanntschaft der schönen Frau gemacht. Auf der Straße habe sie ihn angeredet und ihn gefragt, ob er Tennis spiele? Auch von gemeinsamen Bergbesteigungen sei die Rede gewesen. Natürlich spielt er für sein Leben gern Tennis, und es wird für ihn eine wahre Wonne sein, zusammen mit der trauernden Witwe Touren zu machen …

Der Vater des jungen Menschen interessiert mich. Es ist ein Gelehrter mit durchgeistigten Zügen und blauen Kinderaugen. Mit einer fast mütterlichen Zärtlichkeit hängen seine Blicke an dem Adonisgesicht seines Knaben. Vielleicht ist es sein einziger Sohn; vielleicht zugleich sein Sorgenkind, und jetzt sicher sein ganzer Stolz und all sein Lebensglanz. Ich möchte dem alten Herrn den weisen Rat erteilen, mit seinem Liebling abzureisen. Besser gleich morgen, als erst übermorgen! Denn ich wünschte seinem Sohne eine andere »erste Liebe« als diese.

Unsere schöne Braut war die ganze Woche über schwermütig: ihr Bräutigam blieb letzten Sonntag in Zürich auf seinem Bureau. Aber heute kam er, und heute ist die junge Dame die personifizierte bräutliche Seligkeit. Hätte sich mein Parcival wenigstens in dieses reizende Fräulein verliebt! Es würde freilich hoffnungslos sein, aber es wäre doch Poesie dabei.

Es macht mir Unbehagen, daß die »Tigerin«, deren Hüte meine holde Herrin so ausnehmend bewundert, die glückliche Braut häufig mit einem seltsamen Blick streift, nur von mir beobachtet und gewiß nur von mir seltsam befunden. Wollte ich über den Blick des schönen Raubtieres fabulieren, so könnte ich sagen: es sprühe darin etwas wie Beutelust, wie Blutgier. Aber – ich fabuliere eben. Heute, bei Anwesenheit des Bräutigams, schaute sie nicht ein einziges Mal hinüber. Das ist mir verdächtig. Um so häufiger ertappte ich heute den Schweizer Millionenmann bei einem Blick, der Madame galt, und der mir zu denken gibt. Uebrigens – wie sie ihre weißen Hände in die kristallene Wasserschale taucht, könnte eine Königin von ihr lernen. Dabei ist sie vermutlich die Tochter eines Pariser Concierge.

Was sie hier wohl will? Wegen des Roseggletschers kam sie sicher nicht.

Als wir heute in dem kirschroten Salon die Neapolitaner zur Gitarre singen hörten, und dann durch den dunklen Garten zu unserer Casa Barblan zurückkehrten, begegneten wir auf dem schmalen Wege zwischen den hohen Bosketts die Witwe. Sie hatte ihre älteste Tochter bei sich, um deren Schultern sie traulich den Arm schlang; und bei ihr war der junge Sohn des Gelehrten. Bald wird es für die liebe Kleine zu spät sein; die besorgte Mutter schickt das, nebenbei gesagt: sechzehnjährige »Kind« zu Bett, und –

So fängt es an.

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Ob die Menschen wohl zu allen Zeiten so viel und so zersetzend über sich nachdachten? Oder ob das wirklich eine besondere Eigenschaft unserer Zeit ist? Es wäre zugleich eine Diagnose unserer Zeit: beständig sich selbst den Puls fühlend; beständig seinen eigenen Herzschlag beobachtend, seinen eigenen Atem belauschend; jede Empfindung – was bei uns »Empfindung« ist – analysierend, jeden Blutstropfen unter die Lupe bringend. Wären diese Anzeichen nicht die Symptome einer allgemeinen Erkrankung? Und welchen Namen soll man der Epidemie beilegen? Den eines grassierenden tödlichen Seelenfiebers, welches auch das Gesunde in unserer Zeit ansteckt; oder –

Wüßte ich nur, was ich mit meinem von unserer kranken Zeit angesteckten Leben beginnen sollte? … Mich selbst verleugnen und meiner reizenden Gattin zärtlicher Gatte sein – da ich doch einmal die Gewissenlosigkeit besaß, es zu werden? Mein Lebelang nichts anderes mehr sein als zärtlicher Gatte!

Und mein Leben kann noch lange währen.

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Alle guten Geister loben Gott den Herrn!

Eddas Geist erschien mir leibhaftig, am hellen Tage!

Nicht ihr Geist war's, sondern sie selbst.

Sie lebt, ist hier!

Edda Dafis ist hier!


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