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Ihrer Königlichen Hoheit
der Frau Erbgroßherzogin Marie Luise
Erbgroßherzogliches Palais.
Zürich, Belvoir, am 8. Juni 1905.
Gnädigste Frau Erbgroßherzogin!
Mein Gatte hatte dieses schöne Haus gemietet, »damit kein Blick aus frechen Kellneraugen auf seine kleine Hoheit falle«. Er hat mich nämlich vollen Ernstes auf einen Thron gesetzt, mir aus roten Rosen eine Krone gewunden, rings um mich in goldenen Gefäßen weiße Marienlilien gepflanzt und huldigt seiner Gebieterin, der Gräfin von Savern.
So herrsche ich denn an dieser reizenden Stätte, inmitten eines märchenhaften Gartengefildes, über dem blauen Zürichsee, angesichts der leuchtenden Schneealpen. Aber meine Majestät ist etwas einsam. Das ist Majestät freilich immer.
Harro erzählte mir die Geschichte dieses Hauses. Von solchen Dingen wußte ich nichts. (Wie sollte ich auch?) Verstehe solche Dinge auch jetzt nicht. (Wie soll ich auch?) Ich verstehe nicht eine Liebe, die zu Schuld und Verbrechen wird, die zu Wahnsinn und Selbstmord führt. Eine solche furchtbare Liebe lebte in diesem Hause, unter diesen alten, herrlichen Bäumen, inmitten eines Edens, umgeben von der feierlichen Schönheit der Alpenwelt.
Belvoir gehörte einem reichen Manne, der eine wunderschöne Frau besaß. Es war jedoch nicht König Marke und Frau Isolde. Jedenfalls lebten die beiden friedlich an dieser Schönheitsstätte, bis auch zu ihnen ein Dritter kam. Das war ein genialer Künstler. Zugleich ein Mensch von ganz anderer Art als der reiche Mann, der seine schöne Frau von dem jungen Maler porträtieren ließ.
Mein Salon soll das Wohnzimmer von Lydia Escher gewesen sein; und man zeigte mir die Stelle an der Wand, wo das Gemälde des jungen Stauffer Bern gehangen hatte.
Dann kam es so, wie es »kommen mußte« – wie Harro sagt.
Es macht ihn etwas ungeduldig, daß ich mir von solchen Dingen keinen rechten Begriff machen kann: keinen Begriff von einer Leidenschaft, die zu Schuld und Verbrechen, zu Wahnsinn und Selbstmord führt.
Denn Stauffer Bern wurde wahnsinnig und tötete sich selbst; Lydia Escher verfiel in Trübsinn und tötete sich selbst; und wir, die Neuvermählten, leben in ihrem Hause!
Wenn ich für solche Dinge auch kein Verständnis besitze, sehe ich hier doch beständig im Geiste die beiden, die sich nur im Tode angehören durften. Der reiche Kaufmann, der eigentlich ein armer Mann war, konnte nicht verhindern, daß sie dennoch zusammenkamen. Nun sind sie für ewig vereint, während er in aller Ewigkeit allein sein muß. Gewiß hat er seine schöne Frau heiß geliebt. Was half es ihm?
Es muß furchtbar sein, einen Menschen heiß zu lieben und trotzdem keinen Teil an ihm haben, nicht ein Stücklein seines Wesens sich zu eigen machen zu können. Und wenn man dafür sein Leben hingeben wollte …
Das alles gehört für mich zu den Unbegreiflichkeiten, worüber Harro sich ärgert. Er muß doch wissen, welch unbeschriebenes Blatt meine Seele ist. Nichts als weihe, leere Seiten!
Mit welcher Schrift wird das Leben sie füllen?
Ich erhielt das Schreiben Ihrer Königlichen Hoheit … Gewiß, o gewiß! Ich träume, daß ich meiner ehrfurchtsvollst geliebten Herrin verwöhnte kleine Hofdame nicht mehr bin, daß ich die Gräfin Wilding – Wild wurde. Jedes Wort in diesem Schreiben ist Güte, jedes Wort streichelt mein wehes Herz. Weh vor Heimweh ist mein Herz: Heimweh nach meiner Fürstin gütigen Worten, ihrem stillen Lächeln, ihrem ernsten Blick. Mir ist, als finge ich an zu verstehen, weshalb ihr Lächeln so still, ihr Blick so ernst ist. Was ich jedoch nicht verstehe, ist, daß ich »vermißt« werden soll. So steht es nämlich schwarz auf weiß geschrieben! Kann solch Geschöpfchen vermißt werden? Von einer Frau, wie Frau Erbgroßherzogin, an einem Hofe, an dem nichts vermißt werden darf. Ich war da, bin fort und bin – eben einmal dagewesen. An meine Stelle trat eine andere junge Hofdame. Sie bewohnt die nämlichen Zimmer, hat den nämlichen Lakaien, die nämliche Equipage, nimmt bei der Tafel, beim Cercle, in der großen Hofloge den nämlichen Platz ein, schreibt in den nämlichen Angelegenheiten Briefe, empfängt in den nämlichen Angelegenheiten. Nur ist es ein anderes Gesicht.
Ob sie, die in allem meinen Platz einnimmt und ausfüllt, wohl von allen auch so verwöhnt, von allen so – geliebt wird? Hoflibelle, Hofsonnenschein, Hofelfelein, Hofnixchen – das waren die gewöhnlichen Titulaturen. Noch dazu die bescheidensten. Und wie die Titel, so die Behandlung. Sogar von Seiner Königlichen Hoheit, dem Erbgroßherzog, und den Allerhöchsten Herrschaften. Trotz aller Verwöhnung und Liebe flatterte die Libelle davon, löste sich der Sonnenstrahl auf, verschwand Fräulein Elfe; und das Nixlein verwandelte sich in die Gräfin Wilding-Wild, Gemahlin eines der glänzendsten, ach, nur zu glänzendsten Kavaliere im großen Deutschen Reich. Und solch undankbares Menschenwesen wird »vermißt«!
Das Wort hat einen Zauberton. Es klingt und singt in mir: »Vermißt – vermißt«. Sicher ist es eines der schönsten, der beglückendsten Worte unserer Sprache. Aber es weckt in der Seele Heimweh.
Heimweh kann der Mensch nur nach der Heimat haben; und meine Heimat ist, wo mein Gatte ist. Also begehe ich mit meinem Heimweh nach der Heimat, die ich verließ, ein Unrecht an meinem Gatten.
Ich verstehe die gütige Absicht, aus welcher Königliche Hoheit nichts von all dem berichten, was am Hofe vorgeht, seitdem ich nicht mehr dort bin. Welche Empfänge fanden statt? Wer ward zum Diner geladen? Welche Besuche werden erwartet? Und der Herr Hofmarschall? Wirklich mit unbestimmtem Urlaub auf und davon? Meinetwillen auf und davon? Ich jagte ihn in die weite, wilde Welt hinaus? Diesen festen Mann, ein solches Hexlein mit blondem Haar und blauen Augen! Wenigstens glaube ich, daß sie blau sind. Harro hat mir noch kein Sterbenswörtlein über meine Augen gesagt, die einen Mann wie Ihrer Königlichen Hoheit Herrn Hofmarschall auf und davontreiben konnten.
Meine Fürstin lächelt nicht mehr ihr stilles Lächeln; sieht mich mahnend – sieht mich strafend an; und ich verstumme unter diesem Blick.
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Eine Nachschrift!
Eben geht Harro von mir. Er teilte mir mit, daß wir hier nicht bleiben. Wir packen also wieder auf, gehen morgen schon weiter; ins Engadin, nach Pontresina. Ich glaube, es sind die Geister dieses Hauses, die uns vertreiben; die beiden Toten sind's, die sich wahrscheinlich liebten, und deren Ende Wahnsinn und Selbstmord war.
Was haben wir mit ihnen gemein? … Und doch fliehen wir vor ihnen.
Ich will leben, will glücklich sein, will glücklich machen.