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VI.

 

Haus Piedermann-Barblan.

Ich schreibe weiter an mich selbst …

Vom Piz Palü also auch dieses Mal glücklich wieder hinunter! Nur daß ich droben von der Bergkrankheit befallen wurde: gerade dort, wo der Grat am schmälsten, die Tiefe am schaurigsten war.

Um nicht zu stürzen, ließ ich mich sanft niedergleiten, umklammerte mit beiden Armen die scharfe Scheide, sank mit dem ganzen Leibe in den Abgrund, hing schwebend darüber, an dem schmalen Silberstreifen mich festhaltend.

Der glückliche Gatte und Vater, der mich führte, glaubte, ich sei dort oben plötzlich verrückt geworden. Und ich wollte doch nur empfinden, daß ich selbstherrlich über mein eigenes Leben gebot! Da Herr Bossi für mich verantwortlich war und mich wieder glücklich in die Arme meiner jungen Frau zurückzubringen hatte, so mußte ich mir gefallen lassen, ans Seil genommen, festgebunden und den Pfad zwischen Himmel und Erde, zwischen Sein und Nichtsein geleitet zu werden, wie ein Lämmlein am Bande.

Am späten Nachmittag erreichten wir Pontresina. Es war um die schöne Stunde, wo ganz Pontresina« zurückkehrte, um für die Table d'hôte Toilette zu machen. Es war daher die schöne Stunde, wo diese unerbittlich starre, königliche Alpenwelt einem bunten Narrenkasten glich. Herdenweis strömte die holde Menschheit den Unterkunftskasernen zu, um rechtzeitig bei der Fütterung zu erscheinen: gerade zu der feierlichen Stunde des Sonnenunterganges.

Die Seele noch erfüllt von dem eben zurückgelegten Weg durch die Lüfte, legte sich mir der Menschendunst erstickend auf die Brust.

Das Eine muß ich noch von meiner Hochtour berichten. Sowohl von der Diavolezzahütte, wie von dem Morteratschgletscher aus hatte man durch das Glas meine Palübesteigung beobachtet; man hatte mich am Grat hängen sehen, hatte jeden Augenblick meinen Absturz erwartet und bereits an die Aussendung einer Expedition gedacht – nicht zur Rettung meines Lebens, sondern zur Bergung meines Leichnams, soviel von diesem übrig blieb. Und nun kam ich ungebrochenen Halses wieder glücklich hinunter! Es war eine arge Enttäuschung.

Jetzt sollte ich Achime wiedersehen …

Nach der Erkenntnis, die ich dort oben empfangen hatte; nach der Erleuchtung, die mir in der Welt des Lichts zuteil geworden war, sollte ich sie als glücklich Heimgekehrter freudig, zärtlich begrüßen.

Weshalb habe ich sie, die Schuldlose, in mein Leben gerissen? Lediglich eines neuen Reizes willen. Ich wollte das Experiment machen: ob ich mein Herz noch einmal zum Vibrieren brächte? Und wenn mir das gelingen sollte, so wollte ich beobachten, wie lange die Erschütterung andauern würde: ob Wochen oder nur Tage? Und was dann? Dann war die Reine und Unschuldige an mich geschmiedet aus niedriger Eitelkeit, aus brutaler Selbstliebe, aus der unergründlichen Unsittlichkeit der modernen Menschen heraus – was ich einen modernen Menschen nenne. Die Sünde, die ich an dieser einen Mädchenseele verbrach, verbrechen Tausende von meinesgleichen an Tausenden von Unschuldigen und Reinen. Und nicht einmal, daß wir uns für diesen Totschlag einer Frauenseele verantwortlich fühlen. Wie, wenn ich trotz empfangener Klarheit versuchen würde – Was versuchen? Die Schuldlose und Reine zu lieben? Wenn ich versuchen würde, zu vergessen, was ich dort oben als Offenbarung empfing? Versuchen würde, Dich, o Edda, zu vergessen?

Mit diesen Gedanken näherte ich mich dem Hause Piedermann-Barblan. Ich überschritt seine Schwelle, trat in den dämmerigen, mit Urväterhausrat ausgestatteten Vorraum und stieg die schmale hölzerne Treppe hinauf.

Als ich damals vom Piz Palü wieder glücklich herabkam, stand auf der obersten Stufe meine Mutter und weinte um den heimkehrenden Sohn ihre ersten Tränen …

Achime befand sich in ihrem Salotto, empfing mich, als wäre ich von einer Promenade nach St. Moritz zurückgekehrt und verlangte von mir für ihre Dinertoilette den ihr versprochenen »Strauß Sonnenstrahlen«, den ich dort oben für sie pflücken wollte. Den hatte ich rein vergessen! Ich entschuldigte mich bei Ihrer Hoheit wegen meines äußeren Menschen, der nicht gerade salonfähig war, weshalb ich mich denn auch sogleich zurückziehen wollte. Aber sie diktierte mir zur Strafe für mein langes Ausbleiben eine volle Viertelstunde Ausharrens in ihrer holden Gegenwart. Also setzte ich mich in den rotbraunen Lehnsessel am Fenster, von wo aus man auf die Landstraße, Hotel Roseg und die Albulakette sah. Höflich erkundigte ich mich:

»War es langweilig?«

»So ziemlich.«

»Du schriebst ja wohl Deiner hohen Frau, warst also bei Hofe? Wie gefiel es Dir jetzt dort?«

Sie lachte mich an, warf mir einen strahlenden Blick zu und meinte schmollend:

»Du weißt, daß ich für den Hof geschaffen sein soll.«

»Also hattest auch Du Momente der Selbsterkenntnis?«

»Inwiefern auch ich?«

»Ich ward mir nämlich dort oben über allerlei klar.«

»O wirklich? Wie hübsch!«

Bald darauf empfahl ich mich, um ein Bad zu nehmen und mich in meinen Frack zu werfen. Achime war in großer Toilette, sah reizend aus, lächelte mir wonnig zu, plauderte allerliebst. Und ich? Hatte ich mir nicht vorgenommen, versuchen zu wollen, die Liebenswerte zu lieben? In tausend und abertausend Ehen liebt nicht der Bräutigam, sondern beginnt erst der Gatte zu lieben; tausend und abertausend Ehen sind zu Anfang Irrgärten, in denen jeder der beiden Gatten in tiefster Einsamkeit den andern sucht und – bisweilen auch findet.

Vielleicht, daß auch ich mit Hilfe eines Ariadnefadens finden werde.

— — — — —

Niemals lebte ich in der Vergangenheit. Sie war für mich – eben vergangen. Und jetzt, wo ich nichts anderes als Gegenwart sein sollte, ist sie zu dem Inhalt meiner Tage geworden.

Kann der Mensch so sich ändern, daß er nach einer kurzen Reihe von Jahren seinem Ich von damals in keinem Zuge mehr gleich ist? Bin ich seit zehn Jahren ein solch Anderer geworden, daß ich heute an Edda Dafis zurückdenken muß, als wäre sie, deren Seele ich an ein Kreuz schlug, mein berauschendes Glück, mein glühendes Leben gewesen? Können begangene Missetaten so tausendfältig an dem Missetäter sich rächen?

Wenn etwas in mir so sehr sich geändert hat, daß ich – des Menschen von damals gedenkend – mich heute nicht wiedererkenne, so liegt die Ursache dieser Wandlung nicht in schweren Schicksalen (die ich als »Lebenskünstler« stets verneinte); sie liegt auch nicht in gesammelten Erfahrungen (die einem Genußmenschen unbequem sind), sondern die Ursache liegt in einer Erkenntnis der Qualen, die meine schnöde Selbstsucht einer Seele bereitet hat, zu groß und glühend, um von meiner kleinen Menschheit verstanden worden zu sein.

Ich verstehe sie jetzt.

Daß an uns, die wir nur liebeln wollen, die wir nicht lieben können – daß gerade an uns so viel Göttliches verschwendet wird! Wie bei einem Schauspiele, im Fauteuil zurückgelehnt, sah ich zu, wie ihre große Seele an meiner Erbärmlichkeit zugrunde ging, jede Stunde ein neues Martyrium. In ihren Amphitheatern saßen die Römer, und die holde Plebs johlte vor Entzücken, wenn die wilden Bestien auf die Wehrlosen sich stürzten und sie Glied für Glied zerfleischten. Als ob derartige Zirkusspiele nicht noch heute stattfänden? Bestie ist der brutale Egoismus des Mannes, der auf die liebende Frauenseele sich stürzt und sie zerreißt.

Edda Dafis liebte mich und ging zugrunde an ihrer Liebe. Möchte die Gräfin Wilding-Wild niemals lernen, mich zu lieben! Auch sie würde an ihrer Liebe zugrunde gehen.

— — — — —

Ich lebe jetzt ganz für meine reizende Lebensgefährtin. Vormittags sehen wir uns freilich nur flüchtig. Aber mein Kammerdiener erkundigt sich jeden Morgen bei der Kammerfrau, wie Frau Gräfin geruht haben. Und aus St. Moritz treffen jeden Morgen die herrlichsten Blumen für meine Gebieterin ein. Uebrigens bin ich bereits in aller Frühe auf und davon. Entweder ich wandere auf die Alp Ota oder nach Muotas Murail. Wenn meine Gedanken mich jagen wollen, hetze ich mich selbst so lange, bis meine Verfolger von mir ablassen.

Manchen Tag sehe ich Achime erst beim Lunch. Wir nehmen unsere Mahlzeiten im Restaurant des Hotel Roseg ein, welches weiß und blau durch mein »neugieriges Fenster« in meine helle Zelle leuchtet. Obgleich ein kosmopolitisches Reisepublikum so geschmackvoll ist, sich gegenseitig zu ignorieren, scheint man sich viel mit uns zu beschäftigen. Schuld daran trägt meine holde Majestät und die Mannigfaltigkeit des Trousseau, den Ihre Königliche Hoheit für ihren »Sonnenschein« ausgewählt hat, und mit dem ein Königskind hätte ausgestattet werden können. Mich kümmern die Leute, die sich leider um uns kümmern, so wenig wie die Stühle, darauf sie sitzen. Aber bisweilen durchzuckt mich der Gedanke: »Halten sie euch für ein glückliches junges Paar?«

Es gibt jetzt nämlich im Hotel Roseg viele glückliche junge Paare. Sie befinden sich wie wir auf der Hochzeitsreise, speisen nicht an der Table d'hôte, sondern im Restaurant zu Zweien, haben sich allerlei zu sagen – bisweilen auch etwas Leises, Zärtliches – und tauschen bisweilen heimlich heiße Blicke. Als alter Skeptiker lächle ich dazu, glaube nicht recht an das »Glück«, schaue mit den Augen des Wissenden hinter den Vorhang, der so vieles verbergen muß.

Da ist eine junge Dame mit ihrer Familie. Sie haben alle etwas Ueberseeisches, Exotisches. Das Fräulein ist der Rasse nach eine Carmengestalt. Aber noch ganz unschuldig, wirklich reizend! Sie ist die Braut eines Großkaufmanns aus Zürich, eines nicht mehr jungen, uneleganten, unsympathischen Mannes, der das Leben voll genossen hat, und der nun dieses junge, wonnige Wesen sich zulegen wird, wie eine kostbare, köstliche Ware. Jeden Sonnabend erscheint er im Hotel. Dann strahlt die Liebliche gleich einem wolkenlosen Frühlingstag. Die beiden wandeln Hand in Hand durch den Garten, und selbst im Restaurant sitzt sie mitten unter ihrer Familie in stiller Verzückung neben ihm. Ich sehe sie an, werde gedankenvoll, werde traurig; denn auch dieses holdselige Geschöpf ist ein Opfer für den Moloch Mann.

Dann ist hier eine irische Witwe, eine Frau in dem sogenannten gefährlichen Alter. Aber sie hat drei Kinder, prächtige Geschöpfe, mit denen sie sich schmückt, wie mit den kostbaren Perlen, die sie zu ihrer schwarzen Dinertoilette anlegt. Achime findet die Dame »unendlich entzückend und rührend zugleich, auch wirklich distinguiert«! Ueberdies ist sie wundervoll frisiert und hat zu ihrem sehr dunklen Haar hellblaue Augen, die sie mit vollendeter Kunst untermalt. Dabei versteht sie überaus holdselig zu lächeln. Es ist das Lächeln einer Sirene. Aber gerade ihr Lächeln findet Achime »bezaubernd«.

Ich sage meiner Unschuld vom Hofe nicht, daß es das Lächeln einer femme entretenue ist. Sie würde es auch gar nicht verstehen.

Es gibt in unserem Hotel einen jungen Mann, der mit seinem Vater hier ist, einem ehrwürdigen alten Herrn, dessen Abgott der hübsche Junge ist. Der Alte ist ein berühmter deutscher Gelehrter, und der Jüngling eine wahrhaft liebenswürdige Menschengestalt, sonder Schuld und Fehl, voller Erwartung und Sehnsucht: Erwartung der großen Mysterien des Lebens; Sehnsucht nach dunklen, süßen Gewalten. Diesem guten, jungen Menschenkinde gelten die Blicke aus den untermalten Augen der Dame in Schwarz mit den wundervollen Perlen. Von ihren Kindern umringt, sitzt sie im Restaurant ihm gerade gegenüber, so daß er sie beständig ansehen muß. Er tut es mit einem Leuchten auf seinem hübschen Gesicht, als sähe er eine himmlische Erscheinung.

Von einer anderen Dame verstehe ich nicht, wie sie nach dem uneleganten Pontresina und in das hochwohlanständige Hotel Roseg kommt. Für die Welt ist sie eine Madame telle et telle. Sie gehört zu jener Frauenart, die den Mann um alles bringen kann, was des Mannes ist: nicht nur um Familie, Glück und Vermögen, sondern auch um Menschenwürde, Selbstachtung und Ehre; sie gehört zu jener Frauenart, die Bankerotteurs, Verrückte und Selbstmörder macht. Also zu einer Gattung von Raubtier. Sie gleicht der schönen Königin von England und trägt Kostüme, wie von einer genialen Künstlerphantasie eigens für sie komponiert. Achime bewundert sie höchlichst, findet Madame hoffähig, begreift nicht, weshalb ich nicht wünsche, daß sie ihre Lorgnette nimmt, um diese erstaunlichen Hüte und Pelze, Krausen und Spitzen verständnisvoll zu betrachten. Mir fällt auf, daß Madame – sie scheint hier eine Art Pönitenz abzubüßen – allein reist. Begleitet wird sie von einer Pariser Kammerfrau, die gegen ihre Dame von einer vielsagenden frechen Vertraulichkeit ist.

Mir persönlich steht Madame sittlich höher, als die reizvolle mütterliche Witwe, die für junge Leute solch bezauberndes Lächeln hat – besonders für die sehr jungen …

Außer den vielfach wechselnden glücklichen Hochzeitsreisenden sind dieses die Personen der Komödie: »Leben«, die ich von unserem kleinen Tisch im Restaurant des Hotels Roseg aus auftreten und agieren sehe. Vielleicht, daß wir beide: Graf und Gräfin Wilding-Wild, ausersehen sind, Held und Heldin zu sein.

Da wäre noch eine dritte Person, von der ich nicht einmal weiß, ob sie noch am Leben ist, die trotzdem aus der Komödie eine Tragödie machen könnte.

— — — — —

Nach dem Lunch ruhen wir in dem Hotelgarten. Er besteht aus jungen Arven und einigen mühsam großgezogenen Gartengebüschen. Feuerlilien und Päonien blühen in den Dickichten: Frühlingsblumen im Sommer! Sie zeigen die leuchtenden Farben, wie solche nur die Blüten dieser Hochtäler haben. Als wir vor zwei Wochen hier eintrafen, konnte ich für Achime in der Mitte des Juni einen Strauß Flieder, Narzissen und Tulpen pflücken.

Wir bleiben im Garten oder in der Wandelbahn des Hotel Roseg aus keinem anderen Grunde, als um in unserer Casa Barblan miteinander nicht allein zu sein. Es ist zwischen uns wie eine stumme Verabredung. Bisweilen lese ich vor. Zwar besaß meine Gräfin bereits als Hofdame Frauenrang, und jetzt ist sie meine mir angetraute Gemahlin: ich könnte ihr daher vorlesen, was edle Frauen hören dürfen. Also Frankreichs ausgewählte Romane, in denen die Welt – das heißt: Paris – als einziges ungeheures Lusthaus geschildert wird, und der Mensch lediglich dafür geschaffen erscheint, um Stammgast dieses eleganten Vergnügungslokals zu sein. In meiner Reisebibliothek – der Reisebibliothek eines Deutschen – befinden sich Maupassant und Prévost, Oskar Wilde und Gabriele d'Anuncio. Aber ich lese Achime aus Jakob Burckards »Kultur der Renaissance in Italien« vor; denn wir wollen im Herbst nach Florenz. Achime hört dumpf staunend zu und ist entsetzt über die Etikette an den Höfen der mittelalterlichen Tyrannen der bella Italia. Im Leben kommt eben alles auf den Standpunkt an.

Nach dem afternoon-tea ein Spaziergang durch die absterbenden Wälder des Rosegtales oder durch einen Hain uralter Riesenlärchen auf einem hohen Wege, den Achime besonders liebt, und zu dem mein Piz Palü in seiner ganzen eisigen Hoheit herniederstrahlt. Seitdem ich dort oben stand – seitdem ich dort oben zu der Erkenntnis des Wertes meines Lebens gelangte – ist mir, als ob der weiße Berg mein Eigentum sei, von mir teuer erkauft durch einen Augenblick, an dem alle Schauer des Menschlichen mich packten. Aber – das muß mein Geheimnis bleiben.

Oder wir fahren nach St. Moritz Dorf und Bad. Am Gestade eines lieblichen Alpensees, eine amerikanische Stadt, wie in fiebernder Hast aufgebaut: Basare, Riesenhotels, verwilderte Wege, öde Grasplätze, Bretterbuden, ein häßliches Durcheinander, bevölkert von einem kosmopolitischen Modepublikum, darunter Damen der großen Welt, die Damen der Halbwelt gleichen oder zu gleichen trachten, ein widerliches Stück moderner Ueberkultur inmitten dieser erhabenen Natur.

Achime gefällt St. Moritz Dorf und Bad. Sie sieht daselbst Kostüme und Hüte, wie man sie nur in Nizza und Monte Carlo sehen kann. Römische und florentinische Antiquare bieten ganze Museen feil, und man kann Spitzen einkaufen, die ein Vermögen kosten.

Ich kaufe für Achime, kaufe Antiquitäten und Spitzen, und bin glücklich, kaufen zu können. Ihr Salotto bei Piedermann-Barblan steht voll herrlichster Dinge in Silber und Email, Majoliken und Limoges. Einige schöne alte Truhen und Stoffe, ein Altargemälde aus dem Trecento und ein lebensgroßer Pfau aus vergoldeter Bronze befinden sich unter den erworbenen Schätzen. Es ist jedoch nicht Freude am Schenken, was mich verschwenden läßt; nicht der Wunsch, Freude zu machen, sondern mein schlechtes Gewissen.

Edda schenkte ich nur Blumen, wogegen sie mir ihre Seele gab.

Und ihr Leben dazu.

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Für das Diner im Restaurant Roseg machen wir mit einer Sorgfalt Toilette, als wären wir zur Tafel bei den regierenden Herrschaften befohlen. Ich erscheine im Frack und weißer Krawatte, und meine liebliche Herrin ist köstlich geschmückt mit meiner dreireihigen Perlenkette oder den Smaragden ihrer geliebten hohen Frau, oder Teilen des Brillantgeschmeides der Großherzoglichen Herrschaften. Wir sehen Abend für Abend im Restaurant Roseg ein Stücklein Weltkomödie aufführen. Die gerade anwesenden glücklichen, jungen Paare sind schweigsamer und zärtlicher als beim Lunch; die interessante Witwe hat ihre hellblauen Augen um ein weniges stärker untermalt und blickt den jungen, hübschen Herrn an der Seite seines ehrwürdigen Vaters um ein Merkliches bedeutungsvoller an.

Die exotische Schönheit ist still und bleich; denn ihr Herzallerliebster ist in sein Züricher Bureau zurückgekehrt; die »Tigerin« – wie ich im stillen die einsame Dame getauft habe – hat weiß aufgelegt und die Lippen blutrot gefärbt. Sie erscheint auch zum Diner stets im Hut, mit der Air einer Exkaiserin, und die Gräfin Wilding-Wild nimmt trotz meines Verbotes ihre Lorgnette; denn:

»Sahst Du je solchen Hut? Es ist einfach ein Traum!«

So können auch Träume verschieden sein …

Nach dem Diner, zu dem wir spät kommen, eine Zeit tödlicher Langeweile, hingebracht in dem kirschroten Riesensalon des Hotel Roseg, zusammen mit hundert anderen, die sich gleichfalls tödlich langweilen. Sie spielen Whist und Schach oder lesen, schlürfen Tee oder Limonade, machen Bekanntschaften und halten Konversation. Eine Bande neapolitanischer Gitarrespieler und Sänger im Nationalkostüm (weiße Hosen, krebsrote Sammetjacke!) spielt und singt das ewige: » Andiam', la nott' e bella«, wofür sie von den Engländern begeistert applaudiert werden; oder ein römischer Taschenspieler zeigt seine Künste; oder –

Trotzdem sitzen wir Abend für Abend in dem kirschroten Salon unter der Masse, bleiben nach Möglichkeit lange sitzen: nur deshalb, um nicht mit uns allein sein zu müssen.

Bei dem »Gute Nacht« küsse ich seit einiger Zeit Achime auf die Stirn, und selbst dieser Stirnkuß ist eine Lüge.

Allerdings nur eine Lüge mehr in diesem Lügenmeere des Lebens.

— — — — —

Wenn wir uns getrennt haben, ziehe ich mich in mein Zimmer zurück und schreibe an mich selbst. Auf dem Flur höre ich die Jungfer ab und zu gehen. Es dauert lange, bevor meine Gräfin für ihre Nachtruhe gebührend vorbereitet ist. Ob sie gut schläft? Ich lasse mich nach wie vor danach erkundigen und erhalte durch meinen Perfekten jeden Morgen zur Antwort:

»Frau Gräfin lassen sagen, sie hätten vorzüglich geschlafen.«

Mein Perfekter richtet diese Botschaft jeden Morgen mit dem nämlichen unbeweglichen Lakaiengesicht aus, und ich nehme nachgerade die fatale Gewohnheit an, dem Manne Morgen für Morgen ins Gesicht zu starren, ob darin wirklich keine Miene zuckt?

Nein, keine Miene!

Ich selbst habe schlechte Nächte. Wenigstens sind sie schlaflos. Gespenster besuchen mich in meinen wachen Nächten. Es hilft nichts, daß ich Licht anzünde, aufstehe und mich ankleide. Da ich in meinen beiden Kajüten nicht umhergehen kann, so setze ich mich in meinen bequemsten Polsterstuhl und erteile den Geistern Audienz. Sie kommen unaufhaltsam, eine lange, blasse Reihe.

— — — — —

Es half Dir nichts, Edda! Einer von uns beiden mußte gebrochen werden; und dieser eine, der gebrochen werden mußte, warst notwendigerweise Du. Von Mann und Weib wird stets das Weib gebrochen – wenn es den Mann liebt, wie Du mich geliebt hast. Wärst Du klug gewesen, hättest Du das gleich einsehen müssen. Du wolltest jedoch nicht klug sein. Bei irgendeiner Gelegenheit riet ich es Dir. Aber Du empfandest meinen guten Rat als Beleidigung, als riete ich Dir, kleinlich und niedrig zu sein. Groß wolltest Du Deine Liebe ausleben, die Klugheit mit einer Königsmiene verschmähend. Also war es nicht meine Schuld, wenn es kam, wie es kommen mußte. Ich weiß, was Du antworten willst. Aber nein – Du schweigst; Dein stolzer Mund bleibt stumm. Und ich weiß, was ich mir selber erwidere: daß ich es gewesen bin, der den Brand entzündet hat, in dessen Flammen Du umkamst. Ist es nicht immer so? Der Mann läßt sich lieben, duldet es eine Weile, kommt er jedoch den von ihm entzündeten Gluten zu nahe, so schreckt er davor zurück; denn er selbst will von keinem heißen Hauche berührt sein. Er selbst ist empört, wenn man ihm zumutet, sich ein Haar auf seinem Haupte versengen zu lassen.

Ich will Dir etwas sagen, Edda; Dir heimlich etwas zuflüstern …

Es ist rächende Gerechtigkeit, wenn ein Mann wie ich schlaflose Nächte hat, in denen er geisterhafte Gesichter schaut, aus deren entstellten Mienen anklagende Augen ihn anblicken. Und rächende Gerechtigkeit ist's, wenn neben einer Frau Deiner Art ein Weib geschaffen ward, jener Tigerin gleich, die uns Männer packt, in ihren Klauen festhält, uns das Blut aussaugt, uns lebendigen Leibes zerfleischt. Die großen Hetären dieser Welt sind die geborenen Rächerinnen der von der unersättlichen Selbstsucht des Mannes zermalmten groß liebenden Frau.

Wer aber, o Edda, rächt Dich an mir?

Sollte es die Reine und Unschuldige sein, die ich an mein schuldvolles Dasein geschmiedet habe, ohne recht zu wissen, weshalb? Ist, was mich abhält, die Schwelle ihres Schlafgemachs zu überschreiten, das Bewußtsein: meine Schuld gegen sie würde wachsen, wenn ich ihre Lippen küßte, ohne daß meine Seele davon weiß? Stößt Dein ruheloser Geist mich zurück von ihr, die auch ein Opfer ist?

Daß alle diese Gedanken in mir erst wach wurden, seitdem mir bewußt ward: Du warst das einzige Weib, welches ich jemals geliebt habe; das einzige, welches ich jemals lieben konnte! Erst wach wurden, seitdem ich den Silberpfad zwischen Himmel und Erde schritt, auf dem mir die Erkenntnis kam.

Eben diese Erkenntnis ist die Rache, die Dein mich nicht anklagender Geist an mir nimmt.

— — — — —

In meinen schlaflosen Nächten erscheinen mir die Stunden, die Tage, die Jahre, in denen ich Dich langsam hinmordete. Ich tat es fast mit Lust, begierig auf den Augenblick wartend, wo ich die Untat vollbracht hatte. Deinen Todeskampf, Deine letzten Zuckungen wollte ich sehen.

Andere Frauen, die ich küßte und hinwarf, wie man Dinge hinwirft, waren mir selbst dann gleichgültig, wenn sie glaubten, daß ich mich an ihrer Schönheit berauschte: Du, Edda, warst am begehrenswertesten, wenn Du am grausamsten littest. Ich liebte Dich Deiner Leiden willen, die ich zu Qualen machte. Wenn Du mich anschautest mit Deinen Augen, die nicht mehr weinen konnten – kein Weib der Welt hat Augen wie Du! –, so empfand ich den brutalen Triumph des Siegers; wenn Deine schweigenden Lippen vor erstickten Seufzern zuckten, so küßte ich sie, und wenn ich Deine königliche Seele zu Tode verwundet hatte, so lachte und scherzte ich. Selbst meine Umarmung wußte ich für Dich zur Folter zu machen, Dir zuraunend, wie heiß mich – andere Frauen geliebt hatten.

Alle diese Anderen wurden von mir bis auf den Namen vergessen; und sie waren doch alle jünger, schöner als Du. Einige von ihnen brachen meinetwillen die Ehe, wurden meinetwillen zu treulosen Gattinnen, schlechten Müttern und wurden von mir trotzdem bis auf den Namen vergessen. Du allein bist noch für mich; Dein Name allein klingt noch für mich! Und jetzt kommst Du zu mir in meinen schlaflosen Nächten als rächender Geist und reißest mich zurück von der Lebendigen, deren junges, unschuldiges Dasein ich an das meine gekettet.

Weißt Du noch, Edda? Ich befand mich mit Dir in einem Hochtal der Schweiz, als in mir der Entschluß reifte: »Hier bringst Du's zu Ende! Hier findest Du das Mittel, Dich von ihr zu befreien, die ihre Liebe als roten Faden durch mein Leben weben will! Hier zerreißest Du das Gewebe! Du wirst damit zugleich sie selbst zerstören; aber – so werde sie denn zerstört!«

In unserem Hotel erschien eines Tages eine jener Frauen, derentwillen Männer um den Verstand kommen. Es war ein Weib mit weißem Gesicht, gelbem Haar und graublauen Augen. Niemals hatte ihresgleichen für mich existiert. Und auch jetzt machte ich nur mit geheimem Widerwillen ihre Bekanntschaft, ließ mich scheinbar von ihr umstricken, brauchte dieses allererbärmlichste, allerschändlichste Mittel, um Dich von mir loszureißen, die mein Leben mit den Rosen ihres Herzblutes bestreute, und deren Liebe ich kreuzigte, ohne sie töten zu können.

Meine teuflische Absicht gelang. Klaglos, wortlos löstest Du Dich von mir, ließest Du mich frei, schiedest Du für ewig aus meinem Dasein.

Ich hörte nie wieder von Dir …

Und jetzt weiß ich nicht einmal von Dir, ob Du noch lebst? Aber ich weiß: wenn Du noch lebst, so liebst Du mich noch; denn Du lebst nur durch Deine Liebe zu mir. Würdest Du sterben, so würde Deine Liebe Dich vom Tode erwecken; denn Deine Liebe ist stärker als Tod.

Ich sehe Dich! Blaß und still stehst Du da, schaust Du mich an: klaglos, wortlos, mit Augen, wie auf der Welt nur Du hast. Es sind die Augen, die um mich so viel weinen mußten, daß sie tränenlos wurden in den Tagen, wo Du mich klaglos, wortlos verließest.

Edda – ich mühte Dich anrufen: »Astarte!« Und mich selbst müßte ich Manfred nennen. Denn solltest Du wirklich noch unter den Lebenden weilen, so habe ich doch Deine Seele gemordet.

Der Tag kommt, an dem sie mir abgefordert werden wird.


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