Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Haus Piedermann-Barblan.
… Wir begegneten uns in einem wahren Korso von Gästen aus St. Moritz und Pontresina auf dem Wege, an welchem über dem St. Moritzsee die »Meierei« liegt.
Sie kam von St. Moritz, wir kamen von Pontresina. Denn Achime war mit mir, und Achime fragte mich:
»Sahst Du die Dame?«
»Welche Dame?«
»Sie ging soeben an uns vorüber. Wäre es nicht sehr unschicklich, so bliebe ich stehen und sähe ihr nach.«
»Es wäre außerordentlich unschicklich. Was würde Deine Frau Erbgroßherzogin dazu sagen? Hoheiten bleiben nicht stehen, um sich nach interessanten Damen umzusehen. Aber das wissen Eure Hoheit.«
»Bitte, scherze nicht. Nicht jetzt!«
»Weshalb nicht jetzt?«
»Sie sah Dich an.«
»Mich?«
»Wie sie Dich ansah! Du mußt es bemerkt haben!«
»In St. Moritz sind viele interessante Damen, die uns Herren der Schöpfung die Ehre erweisen, uns einen Blick zuzuwerfen. Trug Deine Dame etwa einen Monte-Carlo-Hut? Ich finde Hüte nur dann des Anschauens wert, wenn sie Dein reizendes Haupt schmücken.«
»Du spottest wieder.«
»Wieder?«
»Wer sie nur sein mag?«
»Denkst Du noch immer an sie? … Ich möchte wirklich die große Unschicklichkeit begehen, stehen zu bleiben und der Dame nachzusehen. Sie wird jedoch dem Auge längst entschwunden sein, einer Erscheinung gleich.«
»So sieht sie aus.«
»Welche Phantasie! Ist sie schön?«
»Ich weiß wirklich nicht. Es war nicht das, was mir an ihr auffiel. Uebrigens glaube ich, daß sie schön ist. Unheimlich schön! Mit einem Ausdruck, als wäre sie einmal gestorben, und – Ich meine, als wäre einmal etwas in ihr getötet worden: zu Tode getreten. Nicht ganz zu Tode. Denn es zuckt und zittert immer noch in ihr, schreit immer noch in ihrer Seele nach Leben, nach einem letzten Aufleuchten … Verzeih. Aber hättest Du ihr Gesicht, ihren Blick gesehen! Und mit diesem Blick sah sie Dich an.«
»Das mußt Du Dir einbilden. Ich kenne gar keine Dame, die St. Moritz besucht, und solchen Blick haben könnte. Meine Hoheit spricht wie eine Poetin. Vielmehr: Höchstdieselbe geruhen zu fabulieren.«
Und ich lachte.
Bei allen guten Geistern, die den Herrn loben: ich lachte! Ich hatte soeben einen Geist gesehen: Edda Dafis Geist, und ich konnte in Gegenwart meiner Gattin hell auflachen.
Es war jedoch nicht Edda Dafis' Geist – es war sie selbst.
Sie lebt, sie ist hier, sie kommt, um mich zur Verantwortung zu ziehen, um von mir Rechenschaft zu fordern für das, was in ihr getötet ward, zu Tode getreten: »nicht ganz zu Tode.«
— — — — —
Wie ward es dann?
Wir gingen in die Meierei, um Gebirgserdbeeren mit Schlagrahm zu verzehren, saßen unter all den Menschen – Nicht doch! Und saßen unter all den Leuten … Edda Dafis war ein Mensch gewesen … Wahnsinn! Edda Dafis ist ein Mensch; denn sie lebt; sie ist hier; sie kam, um mich zur Verantwortung zu ziehen, um von mir Rechenschaft zu fordern.
Also – ich sah bei meiner Hoheit und durfte mir durch nichts anmerken lassen, daß ich die interessante Dame gleichfalls gesehen hatte. Meine Hoheit war nachdenklich bis zur Schwermut. Das ist sie jetzt freilich häufig. Dieses Mal schien sie versunken in der Erinnerung an » dieses Gesicht, diesen Blick.« Es war auch ein geradezu satanischer Zufall, daß ich Edda Dafis wiedersehen mußte, als ich meine Frau Gemahlin zum Erdbeerschmaus nach der Meierei begleitete.
Das ist ein schändliches Lokal! In diesem hoch fashionablen Luft- und Lustort eine mesquine Alpenmilch-, Tee-, Schokolade- und Kaffeeschänke mit schmierigen Tischtüchern, abgestoßenen Geschirren und den Preisen eines »Grand-Restaurant«. Aber welches Publikum! Gerade der hohen Preise wegen. Welche Versammlung traumhafter Damenhüte, und was sonst zu diesen Wunderwerken gehört. Sie werden hier von Herzoginnen und Hetären aller Nationen getragen.
Da saßen wir also mitten darunter. Der blaugrüne, liebliche See leuchtete zu uns herauf, der grau-weiße, grimmige Julier starrte zu uns herab. Wir schauten auf das häßliche St. Moritz Dorf, auf das noch häßlichere St. Moritz Bad; und ich empfand wieder einmal tiefes Mitleid mit dieser geschändeten Natur, die auf ihrem göttlichen Leibe all das Menschenunwesen dulden mußte: St. Moritz Bad und St. Moritz Dorf, die internationalen Herzoginnen und die kosmopolitischen Hetären …
Beständig an den seltsamen Blick der interessanten Dame denkend, hatte Achime heute nicht einmal für die glorreiche Versammlung Pariser Hüte ein Auge; und es befanden sich doch wahre Traumbilder darunter! Der Eindruck, den die Erscheinung von Edda Dafis auf meine Gattin machte, hat für mich etwas geradezu Mystisches. Ich muß mich hüten, darüber in Grübeleien zu verfallen. Es könnte gefährlich werden.
In der famosen Milchbude vertraten nicht nur wir zwei das Hotel Roseg: das ganze Restaurant schien sich daselbst Rendezvous gegeben zu haben, saß um die Brettertische und speiste Gebirgserdbeeren mit » crême battue«. Ich konnte daher meine Gedanken gewaltsam ablenken.
Die Pärlein finden sich, das Drama entwickelt sich. Es heißt »Leidenschaft«, und wird je nachdem mehr oder minder tragisch enden. Es kommt auf die Aktricen an, die bei diesem Spiel Autoren und Regisseure zugleich sind. Ich kann nur in meiner bequemen Loge sitzen, stumm zuschauen, und werde schwerlich Beifall klatschen.
Da ist die trauernde Witwe mit dem königlichen Perlenschmuck und dem reizenden Töchtertrio. Bei dem grausamen Schein der himmlischen Sonne – es ist überdies die Sonne des Engadins! – sind die drei Lieblichen der Frau Mama etwas zu sehr anzusehen: Madame bedarf entschieden der Dinertoilette und der elektrischen Beleuchtung, die jedoch nicht allzu grell sein darf. Neben mir sagte meine holde Hoheit, aus ihren Gedanken aufschreckend:
»Sieh doch! Dein Parcival bei der distinguierten Irin! Wie allerliebst heute die Kinder wieder sind! Besonders die Aelteste, die übrigens schon ein kleines Fräulein ist.«
Da saß mein reiner Tor, ohne in der »distinguierten Dame« Madame Kundry (zweiter Auszug, Verwandlung) auch nur zu ahnen. Noch immer nicht! Mit seinem ganzen unberührten Jünglingswesen saß er neben der Dame mit den Perlen, hing mit seinen leuchtendsten Blicken an ihren leicht gefärbten Lippen und sah nicht die untermalten Wimpern, die sich so schmachtend über den lichtblauen Augen schlossen. Da waren die drei süßen Mädels der trauernden Witwe, halbwüchsige Grazien, deren Backfischart immer wieder entzückend die Schranken eines Brüsseler » first class«-Pensionates durchbrach. Und der hübsche Junge, anstatt sich in die Aelteste von den dreien, die schon ein kleines Fräulein war, »rasend« zu verlieben, gewahrte nicht, daß inzwischen das reizende Kind sich sterblich in ihn verliebt hatte. Erste Liebe, mein Junge! Da könntest Du nun das schöne Gotteswunder in dieser wunderbaren Gotteswelt in aller seiner Herrlichkeit erleben, und lässest Dir das Göttliche zur Grimasse werden.
Da war auch der Vater des armen Knaben, der alte Herr mit dem feinen Gelehrtenkopf, den klaren Kinderaugen und dem törichten Kinderherzen; denn er sah nichts, dachte nichts Arges. Wie hätte er auch dergleichen denken können? Diese zärtliche Mutter in Schwarz und sein lieber Sohn, an dem er Wohlgefallen hatte. Wäre es nicht Christenpflicht gewesen, den Vater zu warnen? Aber der Mann hätte mich gar nicht verstanden.
Und da waren die anderen Personen des Dramas, dessen »Ort der Handlung« unser rühmenswertes Hotel Roseg bildet: die exotische Familie mit der lieblichen, noch immer vertrauensseligen Braut und dem Plebejer von Bräutigam. Die Braut noch immer vertrauensselig, trotz der Nähe der Tigerin, die in einem märchenhaften Spitzenkostüm, Spitzenhut und Spitzenmantel auf Raub ausging und ihrer Beute sicher schien. Wenigstens fing ich einen Blick auf, den die schöne Bestie ihrem Opfer zuwarf – sehr vorsichtig, sehr vielsagend – und beobachtete, wie sie von dem Millionenmann ebenso vorsichtig eine ebenso vielsagende Antwort empfing.
Ich beobachtete das alles? … Vielmehr, ich träumte alles! Denn mir war die Wirklichkeit zu einem Traum geworden, das Engadin zu einer Halluzination, das Leben zum Alpdruck: hatte ich doch Edda Dafis wiedergesehen! Und Edda Dafis war kein Traumbild, keine Fieberphantasie. Seltsamerweise wünschte ich gar nicht, daß sie dieses wäre. Ich hätte es nicht ertragen können, wenn sie sich plötzlich doch als Erscheinung erwiesen – es nicht ertragen können, trotz des Grausens, welches mich noch immer gepackt hielt.
Dabei saß ich neben Achime, und –
Achime liebt mich!
— — — — —
Von St. Moritz her kam sie uns entgegen. Also wohnte sie dort.
Edda Dafis in St. Moritz? …
Weshalb nicht? Sie könnte sich sehr verändert haben: nicht zum Wiedererkennen. Die Edda Dafis, die ich kannte, und von der ich geliebt wurde, paßte besser zu einer Gletscherhütte, als zu einem Grand Hotel-Kurhaus.
»Nicht zum Wiedererkennen verändert« … Ich erkannte sie bereits, bevor ich noch begriff: »Das ist ja Edda Dafis!« In der Betäubung, darin mich die gespenstische Begegnung versetzte, fragte ich Achime: ob die Dame »schön« gewesen sei? Jetzt fragte ich mich selbst: »War Edda Dafis eigentlich schön?«
Ich, der große Schönheitskenner, hatte nie so recht gewußt, ob sie eigentlich schön war. Ich glaube, sie war es ganz und gar nicht, brauchte es auch ganz und gar nicht zu sein: war sie doch – eben Edda Dafis.
Schön, wundervoll schön, hellenisch schön war ihre Seele. Und gerade diese, gerade ihre unsterblich schöne Seele habe ich getötet – zu Tode gemartert. Es kann nur ihr Leib sein, der jetzt noch wandelt und Odem hat. Und das soll nicht Grauen einflößen?
Wo mag sie in St. Moritz wohnen? … Ich kann es leicht erfahren, brauche nur in der Kurliste nachzusehen … Vielleicht führt sie längst einen anderen Namen … Nein! Sie war Edda Dafis, die mich liebte, wie nur sie lieben kann; und sie ist Edda Dafis geblieben, die mich immer noch liebt.
Jawohl: immer noch, immer noch!
— — — — —
Wenn sie nur durchgereist und bereits wieder fort wäre? Ich müßte die Götter auf meinen Knien danken; und die Gräfin Wilding-Wild mit mir. Wenn mein plötzlicher Anblick sie sogleich fortgetrieben hätte? Sinke nieder, danke! Danken auch Sie, gnädige Gräfin!
Nein – sie blieb! Und sie blieb, um mich zur Verantwortung zu ziehen, um von mir Rechenschaft zu fordern:
»Was hast Du an meiner unsterblichen Seele begangen?«
— — — — —
Soll ich sie suchen, oder wird sie mich finden?
Fliehen sollte ich sie! Gleich morgen! Bis ans Ende der Welt! Nicht meinetwillen! Ich bin nicht feige! Aber der holden Frau willen, in deren Augen jetzt bisweilen ein stilles Leuchten kommt, wenn sie mich ansieht.