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II.

 

München, Hotel Continental.

Achime schläft in dem Zimmer, dessen Schwelle ich nicht überschritt. Möchte sie in ihrem Schlaf lächelnde, leuchtende Träume haben!

Und so nahm ich denn ein Weib …

Ich nahm es, wie tausend andere es nehmen; hätte es ebensogut nicht nehmen können.

Dessen ward ich mir erst heute bewußt: an meinem Hochzeitstage! Und weil ich es mir mit unerbittlicher Klarheit bewußt ward, überschritt ich die Schwelle nicht.

Von jenen Tausenden von meinesgleichen würden das nur wenige verstehen. Vielleicht versteht es nicht einer. Vielleicht verstehe ich es selbst nicht. Etwas in mir hielt mich ab; und etwas in mir wird mich abhalten.

Es ist des Mannes – selbst eines Mannes meiner Art – unwürdig, ein Weib zu nehmen, wie ich es nahm: ein junges, reines Geschöpf, selig ahnungslos, heilig schuldlos. Ich fragte es nicht einmal, ob es mich liebte. Ich nahm es eben. Allerdings ließ es sich nehmen.

Das ist es: es ließ sich nehmen! In aller Ahnungslosigkeit, aller Unschuld. Tausend und abertausend Männer nehmen genau in der nämlichen Weise eine Frau; tausend und abertausend Frauen lassen genau in der nämlichen Weise sich nehmen …

Was ich heute weiß, was ich in dieser schlaflos verbrachten einsamen Hochzeitsnacht meinem verschwiegenen Freunde: dem Papier, anvertraue, hätte ich längst wissen sollen; und mein klares Gewissen hätte mich von dem abhalten müssen, was nun nicht mehr zu ändern ist. Daß ich mich nicht abhalten ließ, scheuchte mich zurück von der Schwelle, darüber es in das Heiligtum der Jungfrau führt; daß ich mich nicht abhalten lieh, wird mich zurückscheuchen, bis die Stunde kommt, wo wir gesühnt haben werden, daß ich sie nahm und daß sie sich nehmen ließ.

— — — — —

War es allein dieses, was mich heute Nacht einsam macht? … Ich bin gewohnt, mir die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, sobald ich sie erkannte.

Es ging heute in mir Seltsames vor.

Als mir unter großem Zeremoniell die reizende Fee des erbgroßherzoglichen Hofes vermählt wurde; als ich hätte tief bewegt sein müssen, fühlte ich plötzlich in mir eine Leere, eine Oede und Kälte, daß ich in diesem großen Augenblick mir selbst unheimlich ward. Was ich fühlte, mußte mir auf dem Gesicht geschrieben stehen. Der Herr Hofprediger hätte es mir vom Gesicht ablesen und sich weigern müssen, die Trauung zu vollziehen. Es mußte einen Eklat geben. Die Braut würde ohnmächtig hinsinken; die Hochzeitsgäste würden mich verwünschen, wie die Zunft der ehrsamen Sänger und Ritter auf der Wartburg den greulichen Tannhäuser; die allerhöchsten und höchsten Herrschaften würden sich entsetzt zurückziehen. Kurzum ein Eklat. Und nicht einmal, daß ich mich vor diesem historischen Moment, der eintreten mußte, gefürchtet hätte. Er trat jedoch nicht ein! Von allen, die da gekommen waren, las die verräterische Schrift auf meinem mit interessanter Blässe bedeckten Gesicht nur Eine. Das war die zukünftige Herrscherin des Landes. Ihre Königliche Hoheit, die Frau Erbgroßherzogin, war's, die fürstliche Frau mit der großen kalten Oede und der unendlichen heißen Sehnsucht im Herzen, an der sie sterben würde, wenn eine Fürstin an einem derartigen Frauenleiden sterben dürfte.

Also – Galavermählung, Galatafel, Galaabschied; erste Zweisamkeit auf der Bahn, im Hotel, und – Und plötzlich ereignete sich in mir das Seltsame.

»Weshalb bringst Du mich eigentlich nicht gleich nach Deinem geliebten Schloß Wild am Fuße der weißen Alpenkette, über dem einsamen, smaragdgrünen See, mitten im schwarzen Urwald der Riesenfichten?«

»Weshalb eigentlich nicht?«

Ich fragte mich selbst, und plötzlich wußte ich auch das.

In meiner Hochzeitsnacht mußte ich ihrer gedenken! Zum ersten Male nach Jahren; zum ersten Male nach einem teils toll, teils müßig hingebrachten Leben, das mich zu einem »Künstler des Lebens« gemacht haben soll. Zum ersten Male gedachte ich ihrer, nachdem ich längst das Recht verloren habe, an sie zu denken.

Ich brachte meine junge, reizende Frau nicht in mein altes, graues Haus, weil ich vor Jahren und Jahren sie dahin brachte:

Sie, Edda Dafis!

Sollte meine Gemahlin nicht dort mit mir sein, wo ich mit meiner Geliebten weilte? Wäre mein Weib durch die Erinnerung an die Gegenwart der Unvermählten beleidigt und entweiht worden?

Nein! Beleidigt worden wäre die Erinnerung an Edda Dafis, entweiht ihr Andenken.

Plötzlich fiel es mir ein: just an meinem Hochzeitstage!

Also durfte ich die Schwelle nicht überschreiten.

Für einen Mann, der »alles erlebt hat« – wie man von meinesgleichen zu sagen pflegt, ist es eine seltsame Hochzeitsfeier. In meiner nächtlichen Einsamkeit an dieses »alles« denkend, will mich's bedünken, als hätte ich nichts erlebt. Nichts außer jenem einen und vielleicht einem zweiten: da ich noch ein Knabe war.

Eine schwermütige Weise! Meine liebe Lebenskünstlerseele kennt andere Melodien. Melancholie ist nicht ihre Sprache. Immerhin – so ein einziges Mal, an meinem Hochzeitstage …

Ob sie wohl ruhig schläft? In ihrem Schlaf Träume hat von Glück und Glanz? Sie ist solch Sonnenkind! Und sie ist – Melusinen und Undinen sollen in der Hochzeitsnacht ihre Seele empfangen. Wenn mein Melusinchen also seelenlos bleibt –

Daß ich heute an Edda Dafis denken muß!


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