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Ihrer Königlichen Hoheit
der Frau Erbgroßherzogin Marie Luise
Erbgroßherzogliches Palais.
München, Hotel Continental,
am 5. Juni 1905. Spät in der Nacht.
Königliche Hoheit,
Durchlauchtigste Frau Erbgroßherzogin!
Ich träume!
Ich träume, daß ich meine gnädigste, meine gütigste Herrin für immer verlassen habe; ich träume, daß ich heute in der Schloßkirche den mit Orangenblüten durchflochtenen Myrtenkranz trug, daß ich nicht mehr Joachime v. Arnim bin, sondern die Gräfin Wilding-Wild.
Seit zwölf Stunden die Gräfin Wilding-Wild, die Gattin eines der glänzendsten Kavaliere seiner Zeit. Vielleicht zu glänzend für meiner geliebten Fürstin kleine Hofdame! Ich weiß, daß Königliche Hoheit so denken – daß am Hofe alle so denken; ich weiß, daß mein Seelchen in den Glanz dieser Männererscheinung flatterte wie ein Mottlein in die Flamme. Und ich weiß, daß ich ein sorgloses, leichtsinniges, frivoles Geschöpf bin, um welches meine hohe Frau im geheimen bangt.
Weshalb bangt?
Als ob es in meiner Natur läge, unglücklich zu sein? Meine Natur ist, zu leuchten und zu lachen, zu flimmern und zu schimmern. Solche Frauennaturen können gar nicht unglücklich sein. Das Talent zum Unglück ist nur tiefen Frauennaturen gegeben: solchen, die leiden können, solchen, die lieben können –
Was schreibe ich in der Nacht meines Hochzeitstages? Als ob ich Harro nicht liebte? Als ob ich nur aus Eitelkeit, nur weil ich gerade von diesem Mann zum Weib begehrt wurde, sein Weib geworden wäre?
Ich wache und träume. Traumumfangen schreibe ich meiner hohen Frau, zu der ich spreche, als spräche ich zu mir selbst. In meinem Traum gleiten die Bilder dieses Tages an meiner Seele vorüber, welche die Wirklichkeit noch nicht zu fassen vermag, welche zwischen Himmel und Erde schwebt, umwebt von einem lichten Dämmer, der alle Empfindung einhüllt. Es wird wohl der Zustand sein, darin jedes junge Mädchen sich befindet, dem soeben erst die Krone der Frau von der Stirne genommen ward. Für manche Frau soll es ein Dornenkranz sein.
Es »soll« sein …
Werde ich je vergessen können, wie Königliche Hoheit diesen Morgen in mein Zimmer traten, um den scheidenden »Liebling des Hofes« mit Schleier und Kranz einem neuen Leben zu weihen? Je vergessen können, wie ergriffen Frau Erbgroßherzogin waren? Ich empfand das Zittern der gütigen Hand auf meinem Haupt, lauschte auf den Schlag meines Herzens: ob er rasch und angstvoll war, und – erschrak über seine gleichmäßige Ruhe.
Werde ich je vergessen können, daß die Hochzeit der armen Hofdame mit einem Prunk gefeiert ward, als vermählte sich eine Königliche Prinzeß? Der Zug nach der geschmückten Schloßkirche durch die bekränzte, teppichbelegte Galerie; die Anwesenheit der Großherzoglichen Herrschaften; die Gratulation im roten Saal; die Tafel; der Abschied –
Es war von Harro zart und ritterlich, mich mit Königlicher Hoheit allein zu lassen. Zart und ritterlich. Diese zwei Worte nennen meines Gatten ganzes Wesen gegen mich. Es ist nicht möglich, zarter und ritterlicher zu sein. Den Salonwagen ließ er mit Myrtenzweigen und Rosen schmücken; und hier im Hotel fand ich meine Toilette mit Veilchengirlanden umwunden.
»Hier im Hotel« … Und ich wäre so gern mit ihm gleich auf sein geliebtes, einsames Bergschloß gegangen, – er sagte mir nicht, daß er es liebt; ich weiß es jedoch – anstatt eine Hochzeitsreise zu machen. Als ich ihn heute abend beim Souper fragte: »Weshalb gingen wir eigentlich nicht nach Schloß Wild?«, wurde er fast erregt. (Königliche Hoheit kennen seine »blasse Unbeweglichkeit«.) Von Schloß Wild darf ich also nicht mit ihm reden. Weshalb wohl nicht?
Aber dann wieder – mit einer Ritterlichkeit, einer Zartheit, als ob ich eine verzauberte Königin und er mein Vasall sei, sagte er mir gute Nacht.
Ich konnte in meinem Traum keinen Schlaf finden, schickte die Kammerfrau zu Bett, sitze nun unter meinen Blumen und schreibe am Ende dieses Tages, der mir mein Schicksal gab, an meine geliebte hohe Frau; spreche zu ihr, als spräche ich zu mir selbst.
In meinem ganzen Leben werde ich den Blick nicht vergessen, mit dem Königliche Hoheit mir heute den Kranz aufsetzten: als würde ich mit Dornen zu Leiden gekrönt.
Ich ward ja doch geschaffen, um glücklich zu sein!
Ward ich es auch, um glücklich zu machen?