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»Ich knie ...«

Ich knie vor dir und bete an.
Man kniet vor Gott, dem Herrn des Lichts.
Auch du hast Gotteswerk getan,
mich aufgehoben aus dem Nichts.

Gottvater hatte festen, straffen
Erdstoff zu unserm Fleisch und Blut.
Du hattest nichts, um mich zu schaffen
so, wie ich bin, dein Ding, dein Gut,

nichts, was man froh mit Händen greift.
Ich lag erstarrt in stummen Kälten,
war Nebeldunst, der träge schleift
durch die Zerklüftung müder Welten.

Gespenst, an einen Traum verloren,
der hinstarb wie ein Kinderstöhnen,
verdorben, eh er noch geboren.
Wie war ich fern von allem Schönen!

Du kamst! Vor deinen Augen sprang
des Blutes Knospe, Fleisch erblühte,
und heiliger Liebe Urgesang
durch tausend Lebensfasern glühte.

O Liebe, der vor Gott nicht bangt,
die mich, von Hochmut reingebadet,
kaum daß ich bin ans Licht gelangt,
mit ihrer Güte tief begnadet

und jäh vom Traum zur Wirklichkeit
entreißt! So bin ich ganz dein Kind,
das nach dem Mutterherzen schreit,
wenn Tag ins Meer der Nacht verrinnt:

denn du geleitest mich zum Segen
und hilfst mir, daß nicht überlaut
der Weltschmerz braust auf meinen Wegen.
Weib, schon ist dein Altar gebaut:

Ich knie vor dir und bete an,
da du gleich Gott, dem Herrn des Lichts,
hast größtes Gotteswerk getan,
mich aufgehoben aus dem Nichts.

Hugo Wolf


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