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Engel

»Engel!« einzig weißer Fleck in dieser Straßen Schwärze.
London, fahl mit Gas bestäubt und von Radau umraucht:
meinem Innern ähnlich, das Erinnern haucht,
flackernd hin und her sich dreht wie eine Kerze,
wie ein Schwimmer würgend, den Ermatten niedertaucht.

Glitzerläden, Bettellied und Straßenbahnen
in dem hohlen Nebel, der wie Fusel schmeckt.
Rückgrat überall noch: wo Betrunkner schreckt,
Hure pendelt und umschiente Wächter fahnen,
bis die Nacht mit schwarzen Tüchern das bedeckt.

»Engel!« lange mir wie aus dem Hirn gebunden,
überdampft von Laster und von Lüsten weggefegt;
nun mir schmiegsam wieder um die Stirn gelegt,
am Entflohenen wie ein Schatz zurückgefunden,
ausgewiesenem Paris gehorsam hinbewegt.

Kindheit spielt so wunschlos, herzhaft ausgelassen
um die Kummerfalten qualumdröhnter Stirn,
spielt um Augen, die sich zornig blind verwirrn,
spielt um Lippen, die zerfranst sind von zu vielem Hassen,
spielt und spielt ein Wiegenlied sehr lieb ins Hirn.

Kindheit: nah in riesenhaft durchtobten Räumen,
schaukelnd durch den ausgekochten Tag der Welt,
wie ein eisern Monument hoch aufgestellt,
Vorgesicht und Zukunft in gewagten Träumen,
Lächeln, das mich wie ein Taumel süß durchschwellt.

Diese Gnade: ach, hier ist sie plötzlich aufgegangen,
groß vorüberfliegend wie ein Goldkomet!
Herz, nun hast du wieder Einfalt und Gebet!
Braune Schalen springen! Blaue Himmel prangen!
»Engel!« wie ein Lerchenlied mir wieder zugeweht.

Paul Zech


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