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»Die Last zu leben ...«

Die Last zu leben mit den Leuten Ort an Ort
macht oft mein Auge mürrisch und mein Wort.

Doch mein Gewissen schlägt in solchem Fall,
erhebt die Traurigkeit, veredelt den Verfall.

Dann strahlt mein Blick, die Rede wird Gesang,
von göttlicher Gewißheit ist beseelt ihr Klang,

und göttliche Geduld strömt ihren würzigen Hauch
in meinen guten Rat zu aller Menschen Gebrauch.

Denn nicht im Alter nur alleine liegt der Sinn,
daß ich in meinen Jahren eine Art von Heiliger bin,

ein Heiliger fast, doch ohne viel Salbung oder Kraft,
der etwas Gutes sät und Undankbare schafft.

Zwar macht des Lebens Not und Dunkel manches Mal
mir grämlich meine Stimm und meine Stirne fahl.

Aus der Versuchung fort durch höheres Bemühn
zu meinem Wesen dann rett ich mich wieder hin,

mit einer Prüfung ernst, gewissenhaft und rein
– Gott sieht bis auf den Grund – schau ich in mich hinein.

Mein Unrecht forsch ich aus, das kleinste bis aufs Blut,
grad wie ein Richter es mit dem Gefangenen tut,

So weit verfolge ich die Laune meiner Schuld,
daß man mich schon verhöhnt als einen Narrenkult.

Was tuts, scheint doch mein Herz (aus Demut nehm ich an?)
gesegnet irgendwie mit einer Lieb alsdann,

mit einem biedern Wort für armen Mannes Gruß,
mit noch viel Liebe mehr. – Und Narrenwahn zum Schluß!

Nichts sind wir. Gott ist alles. Gott hat uns Sinn gegeben.
Gott rettet uns. So ists! Und dieses ist mein Leben:

Fortwährend beten. Im Gebete gluten,
heißt tauchen in eines guten Stromes Fluten,

heißt sein Wesen in die Vollkommenheit bringen,
das Element zu beherrschen, gegen Böses zu ringen.

Inbrünstig beten. Im Gebete verharren,
heißt sich wappnen zum Sprung und im Rücken sich wahren,

heißt gut und fest vor dem Nächsten erscheinen,
so wie man sich hingibt ihm und den Seinen.

Gebet macht heil und zum Leben bereit,
ist sicherer Lohn und ein Wort, das befreit.

Ist Frau und Engel und Schwester groß,
voll strenger Liebe, ein süßer Schoß.

Gebet hat Füße wie Flügel leicht
und Flügel, daß sein Fuß sie erreicht.

Gebet sieht scharf, es forscht und erkennt,
fragt, prüft und zweifelt und glaubt am End.

Es kann nicht verleugnen: in stiller Stund
Überwindung und heilsame Furcht auf dem Grund.

Ist allen bitter und gnädig zumeist,
fliegt mit dem Genius und rennt mit dem Geist.

Ist geheim oder stammelt, ist kindlich und klein,
ohne Unterschied griechisch oder latein,

seine Sprach und Rede kein Maßstab mißt!
Je niedriger oft, desto besser es ist.

Dies sag ich mir alles und wünscht es gescheht!:
o Herr, laß mich auf von der Erde stehn

einfältigen Wunsches, um darin allein
ein Kind nach wie vor deines Willens zu sein.

Solche Tat und in solcher Lebenszeit,
wie immer sie sei, so sei sie bereit

sich ganz dir hinzugeben, der schuf
den einfachsten und den pünktlichsten Ruf

grad für des Tages Dauer und Not:
so erwart ich immerfort meinen christlichen Tod.

Walter Hasenclever


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