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Das Kruzifix

Im dunklen Seitenschiff der Kathedrale,
nah an den harten Stein der Wand gepreßt,
doch übergossen von dem Siebenfarbenstrahle
des Fensters, hält den Blick ein Kruzifixus fest.
Der Sockel ist von goldnen Adern überquert,
der Glorienschein, geweckt aus goldnen Zungen,
umglänzt das Haupt, der Arme blankes Schwert,
weißfunkelnd wie ein Guß der Form entsprungen.
Der Leib ist groß und ganz aus Holz gemacht,
mit Farben leicht getönt, als sei das Leben
in den erhabnen Adern wieder angefacht,
um auszulöschen, wenn wir süß erbeben.
O Meisterwerk! Der Bildner, der dich schuf,
hat nur ein einziges Monument erschaffen
und brauchte nichts mehr hier zu seinem Ruf,
trat hocherhaben aus dem Kreis der Pfaffen ...
Seht welch ein Mensch! Kein andrer Körper kann
die Bahn der Schmerzen plastischer gestalten.
Das ungeheure Herz, das stürmisch überrann,
hat eine Brust wie diese zusammengehalten.
Der schöngeschweiften Lippen schmaler Spalt
haucht noch aus steingewordnem Atem: Güte.
Der wagerechte Strich der Arme kündet deutlich die Gewalt
des Willens, und die purpurn überblühte,
geschmähte Stirn ist wie ein Spiegel aufgestellt,
daß sich das schwarze Herz sündig Geborner
in Buße und Erfahrung klingend hellt.
Für dich, im Zweifel schwer Erfrorner,
bluten die Füße noch, die Seiten und das Händepaar,
als sei gestern Golgatha gewesen.
Man fühlt aus seiner Haltung klar:
der kann den Armen nicht ein falscher König sein,
ist Gott und Christ gekommen, zu erlösen
euch Heuchler, Pharisäer, ganz allein ...

O Bild, das einst ein Maler, Christ und Dichter
(ha, diese gute Dreiheit lob ich mir!)
umspült vom Doppelstrom der Abendlichter
kopierend hinwarf auf ein Blatt Papier.
O dieses Blatt, das er bei mir vergaß,
verratend, daß mein Auge saugend darauf saß:
von Dank und von Bewunderung getrieben,
hab ich für ihn die Verse aufgeschrieben.

Paul Zech


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