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Neuntes Buch

Die Feuerblumen Cholulas waren verlodert, die Feuerschmetterlinge waren davongeflogen. Aschenhügel und Steintrümmer zeigten nun für alle kommenden Jahrhunderte an, wo die Feuerblumen purpurn geleuchtet, wo die Feuerschmetterlinge geflattert, gehüpft und getanzt hatten. Sechstausend Leichen und die hohen Schuttberge hinwegzuräumen – soweit das menschlichen Händen möglich war –, die heilige Stadt neu aufzubauen, an deren Schönheit hingeschwundene Geschlechter, versunkene, vergessene, sagenhafte Völker gebaut, an deren Tempeln die versteinerten Spuren einer überreichen Vorzeit dem Beschauer auf Schritt und Tritt bis zum Tage des Blutbades entgegengestrahlt hatten – das überließen die Christen den durch Verheerung gänzlich verarmten, entblößten und entgötterten Bewohnern. Denn sie selbst hatten weder Lust noch Zeit und Muße dazu. Der Smaragdfels lockte von Westen her ...

Und wieder ritt Diego de Ordas dem grünen Wunder entgegen.


Wie von Freunden hatten die erschreckten Cholulteken von ihren Zuchtmeistern Abschied genommen, bis vor die Tore der Stadt hatten sie das abziehende Heer mit Fellpauken, Flöten und Blütenzweigen hinausbegleitet. Über dem Getrümmer, das der Künstliche Berg gewesen war, reckte und streckte sich – einem Galgen auf dem Hochgericht nicht unähnlich – ein riesenhaftes Holzkreuz, das Gedächtniswappen der dem Christengott untertanen Stadt, vom Zimmermann Christobal de Jaén aus zwei mächtigen Zederstämmen aufgerichtet. Ebenda war in einer vom Feuer verschonten Nische das Ölbild der Jungfrau Maria aufgehängt, und die Gottesmutter wurde von den Cholulteken Tonantzin, »Unser Mütterchen«, genannt, und ihr wurde geräuchert und geopfert wie der Teteo yn nan, der Mutter der Götter, der Froschgöttin mit dem blutigen Maul, die ja gleichfalls Tonantzin, »Unser Mütterchen«, hieß.

Die Stadt war der Kirche gewonnen. Während der fünf Tage, die nach dem Gemetzel Cortes in der Stadt noch geblieben war, hatte er es verstanden, Balsam in die durch sein Schwert geschlagenen Wunden zu träufeln, hatte Opfersklaven befreit, hatte die Tlascalteken veranlaßt, ihre Kriegsgefangenen freizulassen, hatte den Huldigungseid für den Kaiser ein zweites Mal entgegengenommen, hatte der vernichteten Stadt Liebe, Frieden und Bundesfreundschaft abgezwungen. Das Alte Raubtier freilich war der Lehnsherrschaft des Herrn des Sonnenaufgangs durch Selbstmord aus dem Wege gegangen – an einer Zinne seines zertrümmerten Tecpans hatte er sich erhängt, – Cortes mußte für die Wahl und Krönung eines neuen Priesterkönigs Sorge tragen. Unversöhnlich blieb auch die Königin-Witwe und fügte ihrer Verfluchung Marinas neue und grimmigere Flüche hinzu. Ihr Sohn aber, der Vogelsteller, schöpfte – da Cortes ihn als Priesterkönig bestätigt hatte – neue Hoffnungen auf den Besitz seiner geliebten Malintzin, und würdelos beflissen ließ er keine Gelegenheit vorübergehen, dem »Genelal-Capitantzin« durch die Dolmetscherin auseinandersetzen zu lassen, daß die Schuld am Mißverständnis (so bezeichnete er seines Volkes Untergang) einzig und allein der Tempel-Feger trüge. Doch Cortes hatte den Namen des Tempel-Fegers noch nie nennen hören und legte daher diesen Anklagen keinerlei Gewicht bei.

Indes schon bald – im benachbarten Huexotzinco – sollte er den Namen wieder hören und Näheres über die Schicksale des vielgewandten Mannes erfahren.


Am Abend vor dem Abzug aus Cholula bat Gaspar Lencero, ein tapferer, schlichter, doch stets etwas versponnener Soldat, um die Vergünstigung, den General-Kapitän allein sprechen zu dürfen. Cortes empfing ihn leutselig. Nach wenigen Worten zerschellte aber sein helles Lachen an der demantenen Feierlichkeit des mit der Welt zerfallenen Grüblers.

»Ich komme um meine Entlassung bitten, Señor Capitan!« sagte Gaspar Lencero. »Ich bin nicht imstande, fortan Waffen zu tragen.«

»Seid Ihr verwundet worden?« fragte Cortes.

»Nicht von Menschen, Señor Capitan. Gott hat mich verwundet. Er schnitt mir mit einem wilden Schwerthieb in die Seele. Nun bin ich ein Lahmer – und kann nicht mit Euch ziehen nach Mexico ...« »Ich verstehe Euch nicht. Wollt Ihr zurück an die Küste?«

»Nein, Euer Gnaden. Ich sah bei Tlascala eine Felshöhle – dort gedenke ich als Einsiedler zu leben.«

»Ihr seid nicht bei Verstande, mein Sohn! Jeder weiße Mann zählt in diesem kleinen Heere! Und Ihr seid einer meiner Besten! Was Ihr vorhabt, ist Fahnenflucht!«

»Gottes Trommel ruft mich, Señor Capitan! Und überhöre ich seine Werbetrommel, so ist das erst recht Fahnenflucht!«

Cortes schüttelte ärgerlich den Kopf.

»Bildet Ihr Euch ein, Señor, daß Ihr Gott so viel wert seid wie mir?« fragte er spöttisch. »Bildet Ihr Euch ein, daß der Herr der Heerscharen um Euretwillen die Trommel rührt? ... Was sind das für vermessene Reden!«

»So war es nicht gemeint, Euer Gnaden! Mit meinem Leben habe ich hinfort meine Schuld vor Gott abzubüßen.«

»Welche Schuld, mein Sohn?«

»Die Schuld, Euer Gnaden, daß ich den indianischen König, die Schwarze Blume, nebst etlichen seiner Spießgesellen nicht sofort niedergestreckt habe, als ich sie die Scheußlichkeit begehen sah. Daß ich Mitschuldiger wurde, weil mein Auge es sah, weil mein Gehirn es wußte und mein Arm doch tatlos blieb ...«

»Von welcher Scheußlichkeit redet Ihr?«

»Ich wüßte von mancher zu reden, Euer Gnaden. Doch die eine meine ich, deren Zeuge ich war. Sie geschah beim östlichen Stadttor, wo Ihr nicht hinkamt, wo der Zufall mich vorbeigehen ließ. Schon war die Große Pyramide ein Flammenmeer, da zogen, geführt von der Schwarzen Blume, die Tlascalteken durch die Gassen, nach anderer Beute für ihre hungerlechzende Rache zu suchen. Sechzig reiche Kaufherren hatten sie gefangen, und sie rammten hohe zugespitzte Pfähle in die Erde, setzten die Unglücklichen auf die Pfähle und entzündeten zu ihren Füßen ein Feuer. Und während die Pfähle durch die Eingeweide, Herz und Lunge der gräßlich Brüllenden schnitten, fraßen die Flammen am Holz der Pfähle und an der Haut der Menschenleiber ... Als ich das sah, kam ich mir vor, als wäre ich Gott, der sich selbst haßte und verachtete, weil er das geschehen ließ ... Gott empörte sich in mir gegen Gott! ... O Señor Capitan, das war ein sündiger, ein sträflicher Gedanke, und mein Lebtag will ich ihn abbüßen in der Felsenhöhle.«

Es gelang Cortes nicht, ihn von seinem Vorsatz abzubringen.


Die Steine schrien zum Himmel. Cortes wußte es, denn seine Seele war nicht taub. Mit eifriger Geschäftigkeit hatte er sich mit der Wahl und Krönung des neuen Priesterkönigs, der Freilassung der Kriegsgefangenen und anderen menschenfreundlichen Taten zu schaffen gemacht, um den Selbstvorwürfen zu entgehen. Doch die Last wich erst von seinem Herzen, als er durch den angehenden Eremiten erfuhr, daß einer der Indianerfürsten mit fluchwürdiger Schuld beladen war. Das gewährte ihm die Möglichkeit, das Odium und die Verantwortung für alle Greuel von seinen Schultern auf die der Schwarzen Blume abzuwälzen.

Nicht um Cholula, sondern um Montezuma zu strafen, um durch die Schreckensnachricht Anahuac einzuschüchtern, hatte er das Strafgericht über die unglückliche Stadt verhängt. Doch gegen seinen Willen war das Strafgericht zur Wüterei ausgeartet, das Verbot, Greise, Frauen und Kinder anzutasten, war mißachtet worden. Er hatte sein Heer nicht in der Hand behalten, die Zügel waren ihm entglitten. Ungern gestand er sich's ein – war doch dies die eigentliche Schuld, seine unverzeihliche Schuld, ein klägliches Versagen seiner Feldherrnschaft, auf die er sonst so stolz sein durfte. Noch peinlicher war, daß sich nachträglich herausgestellt hatte, wie leichtgläubig er und seine Feldobristen während des nächtlichen Kronrats teils auf erfundene, teils auf stark übertreibende Aussagen hin ihre folgenschweren Entschlüsse gefaßt hatten: nur einige Gassen hatte man durch Balken versperrt gefunden, Mexikaner waren in den unterirdischen Kammern der Großen Pyramide überhaupt nicht versteckt gewesen, und die in den Waldschluchten außerhalb Cholulas lauernden Adler und Jaguare Mexicos waren so gering an Zahl, daß sie der überfallenen Stadt nicht zu Hilfe eilen und erst recht nicht dem heranrückenden Tlascaltekenheer die Stirn bieten konnten. Zwar stand fest, daß ein Überfall geplant worden war, mehr aber als die ersten Vorbereitungen hatte das Alte Raubtier – immer wieder gehemmt durch die sich widersprechenden Weisungen Montezumas – nicht treffen können.

Seine Kastilier, auf die er angewiesen war, samt und sonders hängen zu lassen, war für Cortes so unausführbar wie die Tlascalteken zu strafen, die getreuen Bundesfreunde. Sogar bloß ihren Heerführern einen Verweis zu erteilen, verbot die Klugheit. Die Stadt Tlascala blieb der wichtigste Etappenort im Rücken des Christenheeres, und die freundliche Gesinnung seines Hohen Rates mußte, wenn erst Mexico erreicht war, noch mehr als zuvor unentbehrlich werden, die Verbindung mit der Küste und der europäischen Außenwelt ließ sich nur über die Talwege des Freistaates aufrechterhalten.

Als daher Cortes vor den Toren Cholulas von dem – nunmehr Don Lorenzo genannten – König Offenes Gesicht, von Don Vicente-Kriegsmaske, von Don Alfonso-Fichtenzweig und ihren zwanzigtausend Kriegern Abschied nahm, erwähnte er die begangenen Schändlichkeiten nicht und ließ auch kein Wort fallen über das um fünf Stunden verspätete Eintreffen des Entsatzheeres. Daß man unterrichtet war durch Piltecatl (der es von seinem Oheim, dem Offenen Gesicht, wußte), wer die Verzögerung absichtlich verschuldet hatte, und daß man sich keiner Täuschung hingab über die christenfeindliche Gesinnung Don Vicentes und Don Alfonsos – nicht nötig war es, daß diese es erfuhren. Im Gegenteil, Cortes überschüttete sie mit Dankesworten und beschenkte sie wie auch ihre Unterführer überreich mit Jadeitschmuck und Papageienfedern, den in Tlascala so hoch bewerteten Toztli- und Zacuanfedern. Beglückt zogen die Tlascalteken ab: bei der Plünderung hatten sie viel Salz erbeutet.

Wie wünschenswert es auch gewesen wäre, die beiden getauften Christenfeinde unter den Augen zu behalten, erzwingen ließ es sich nicht. Die Aufforderung, mit nach Mexico zu ziehen, lehnten sie ab, wenn auch Prinz Kriegsmaske in Aussicht stellte, seine Schwester Dona Maria Luisa-Rabenblume in Tenuchtitlan zu besuchen, sobald Montezuma dem Kaiser den Treueid geleistet haben werde. Es klang in diesem Zeitpunkt und aus diesem Munde wie ein herausfordernder Hohn.

König Truthahn und Piltecatl mit ihren viertausend Mann wichen von Cortes nicht ab, treu entschlossen, ihn bis nach Mexico, bis hinter die Mauern der Inselstadt zu begleiten, alle Gefahren mit ihm zu teilen. Auch die Schwarze Blume und seine kleine Gefolgschaft verließen die Kastilier nicht und zogen mit ihnen den westlichen Gebirgsketten entgegen, welche die Hochebene Am-Kolibri-Wasser von Anahuacs Tafelland trennen. Den jungen König zur Rechenschaft zu ziehen, beauftragte Cortes den Pater Olmedo. Die Religion hatte die Arme frei, sie durfte streng sein, brauchte nicht Rücksichten zu nehmen wie die an beiden Händen gefesselte Politik. Eine strenge Kirchenbuße wurde dem König auferlegt: für ein halbes Jahr sollte er vom heiligen Abendmahl ausgeschlossen bleiben.

Auf dem ganzen Wege bis zum Fuß der Kordilleren weinte die Schwarze Blume in seiner königlichen Sänfte wie ein gescholtenes schmerzzerrissenes Kind.


Das erste Nachtlager wurde in Izcalpan, einem Weiler des Freistaates Huexotzinco, aufgeschlagen. Dort überbrachten Gesandte aus dem Staate Tepeaca dreißig Sklavinnen und ein Goldgeschenk im Werte von vierhundert Dukaten. Auch aus der Stadt Huexotzinco nahte eine Abordnung des Hohen Rates und schenkte Cortes einen Edelsteinkasten aus Eisenholz, mit reich geschnitztem Eidechsenmuster auf dem Deckel und beschlagen mit schwerem Goldblech, Juwelen füllten den Kasten bis zum Rand. Das sei nur ein geringes Geschenk, doch Mexico habe erst vor kurzem Huexotzinco ausgeraubt, darum möge der weiße Gott mehr den guten Willen als das Geschenk bewerten ... Der Freistaat sei bereit, Hilfstruppen zu stellen. Mit freudigem Dank nahm Cortes das Geschenk und das Anerbieten an.

Beim Nachtmahl im Feldherrnzelt, zu welchem die Fürsten aus Tepeaca und Huexotzinco geladen wurden, warnten sie – wie es ehedem schon der Herabstoßende Adler durch Aguilar getan hatte – vor einem drohenden Anschlag Montezumas; die Wege im Gebirge habe er ungangbar gemacht, damit die weißen Götter, in Eis und Schnee versinkend, weder weiter noch zurück könnten. Durch ein Gebirgstor steige die Straße aus der Ebene aufwärts bis zur ersten Paßhöhe, – dort spalte sie sich, der eine, nördliche, Weg führe nach Chalco, Coatepec und Tezcuco, der andere, südliche, nach Tlalmanalco, Amaquemecan und Xochimilco. Die nördliche, an der Weißen Frau vorüberziehende Straße sei durch einen überhängenden Felsblock gefährdet, welchen Montezuma habe lockern lassen, um das Christenheer, falls es dort vorbeizöge, zu zermalmen, die südliche, durch das Gebiet des Rauchenden Berges führende aber sei unterhöhlt, mit Pfählen versehen, von tiefen Gräben durchschnitten und durch hoch aufgeschichtete Baumstämme gesperrt.

Auf die Frage, ob es einen dritten Weg nicht gebe, erhielt Cortes zur Antwort: es gebe einen zwischen den beiden Straßen, doch sei das ein enger, äußerst steiler Pfad, überwuchert von Dorngestrüpp und wilden Kakteen, unmöglich würde es sein, die schweren Feuerwaffen dort über die Felsenhöhen und durch die klafterschmalen Felsschluchten zu bringen.

Und als Cortes Zweifel über den neuen Hinterhalt und über den bösen Willen Montezumas äußerte, erzählten ihm die Kaziken vom eigentlichen Anstifter aller dieser Ränke, vom ausgestoßenen Sohn Huexotzincos, dem Tempel-Feger, dem schlimmen Ratgeber und Beherrscher des mexikanischen Königs. Wie er den berühmten Otomi-Krieger, den Irdenen Krug, im Moraste fing, wie er als Siegesheld gefeiert, bei seiner Heimkehr aus der Schlacht wegen Ehebruchs mit zwei Edelfrauen angeklagt wurde, wie er den Irdenen Krug im eichenen Käfig nach Tenuchtitlan brachte und Montezuma bescherte, wie dieser in ihm seinen Doppelgänger erkannte und ihn einlud, im Huei-Tecpan zu wohnen, und wie allmählich der König der Welt seinen Willen dem des frechen Ehebrechers unterordnete, – in breiter Ausführlichkeit wurde der Roman dieses Abenteuerlebens Cortes vorgetragen. Schon in Cholula waren ihm Anklagen gegen den Mann zu Ohren gekommen. Hatte er aber neulich kaum hingehört, als der Vogelsteller den Tempel-Feger erwähnte, so prägte er seinem Gedächtnis diesmal den Namen und die Taten des Mannes ein, welcher nach so übereinstimmenden Aussagen am Blutbad von Cholula die Hauptschuld trug.

Denn eine Schuld lag vor, nach Schuldigen mußte gesucht werden. Und menschliches Schuldbewußtsein ist oft wie ein Auge, das alles sieht – nur sich selbst nicht.


Der lange Schlangendrachen, vergrößert durch achthundert Krieger aus Huexotzinco und vierhundert aus Tepeaca, kroch am nächsten Tage weiter durch den fruchtbaren westlichen Teil der Hochebene Am-Kolibri-Wasser und erreichte, als die Sonne im Meridian stand, den Fuß der Kordilleren. Eben sollte bereits der Vortrab das Gebirgstor durchschreiten, als eine Nachricht eintraf, die zu längerem Verweilen zwang. Der Page Orteguilla und ein Bote Escalantes, der Karaibensklave Pedro aus Manzanilla auf Kuba – jener Fußläufer, durch welchen noch vor Sempoalla Cortes des galanten Salcedo wegen an die Küste gerufen worden war –, hatten das Heer eingeholt und überbrachten ein beunruhigendes Schreiben des Stadtkommandanten von Vera Cruz.

Schon von Tlascala aus, bald nach der Rückkehr des Reiters Enrico Lares, hatte Cortes Escalante wissen lassen, daß Orteguilla dem dicken Kaziken abgenommen und in Begleitung eines verläßlichen Mannes dem Heere nachgeschickt werden müsse. Doch auch ohne diesen Anlaß hätte Escalante seinen Brief, der ein Notschrei war, mit dem Fußläufer an Cortes gesandt, seine Hilfe zu erbitten, ehe es zu spät war. Die kleine Besatzung der Hafenfestung schwebte in höchster Gefahr. Nichts Geringeres zu fordern sah sich der Kommandant durch widrige Umstände gezwungen, als daß Cortes seine totonakischen Hilfstruppen entlasse, sie in das Irdische Paradies heimkehren lasse. Denn weder Escalante noch sein Bundesfreund, der dicke Kazike, verfügten über eine genügende Heeresmacht, den Angriffen des Schwelenden Holzes auf die Dauer standzuhalten, falls es zum Krieg kommen sollte. Ein Kampf auf Leben und Tod aber schien unvermeidlich, da der mexikanische Statthalter den Steuermann Gonzalo de Umbria und die Mulattin Beatriz de Palacios gefangengesetzt hatte und herauszugeben sich weigerte.

Nachdem er den Brief gelesen, fragte Cortes Orteguilla und den Kariben aus, ließ sich das ziemlich lakonische Schreiben durch mündlichen Bericht ergänzen. Orteguilla wußte nur, was ihm der dicke Kazike anvertraut hatte, der Sklave Pedro dagegen kam von der Meeresküste und hatte die Geschehnisse aus nächster Nähe verfolgen können. Was Cortes erfuhr, war eine Rechtfertigung des Schwelenden Holzes – wenn in den Augen eines Konquistadors ein Kazike zu rechtfertigen war, der sich unterstanden hatte, Hand an einen weißen Räuber und seine Gefährtin zu legen.


Der Ausflug in die Berge, welchen an jenem schönen Herbstmorgen, nachdem Escalante und Lares nach Sempoalla geritten waren, der Vielschreiber Alonso de Grado, der Agramant ohne Taten Pedro d'Ircio, der auf Stelzfüßen gehende Gonzalo de Umbria und die wahnsinnige Beatriz de Palacios unternommen hatten, um dem Blitzenden Schild, dem Sohn des Statthalters der Huaxteca, seine liebreizende Gattin nebst etlichen Nebenfrauen zu rauben, war nicht so glücklich und ertragreich verlaufen, wie die Raubgesellen sich's geträumt harten. Von totonakischen Tlamamas hatten sie sich bis in die Nähe des Felsenschlosses herantragen lassen, waren den Sänften entstiegen und hatten auf Umwegen – um nicht bemerkt zu werden – eine Felsspitze oberhalb des Schlosses erklommen. Dort verzehrten sie ihre Mundvorräte und schliefen mehrere Stunden, um erst bei Sonnenuntergang an die Ausführung ihres Planes zu gehen.

Die Felsplatte, wo sie auf der Lauer lagen, war durch einen tiefen Abhang von dem auf einer alleinstehenden Felskuppe erbauten Schloß getrennt. Eine steinerne Brücke, die den Eingang des Schlosses mit dem Berge verbunden hatte, war erst vor kurzem infolge eines Erdbebens eingestürzt, an ihrer Stelle führte – als vorläufiger Ersatz – eine Holzbrücke mit einem weinrot bemalten, breiten Holzgeländer über den Abgrund.

Der Plan des Alonso de Grado ging von der Annahme aus, daß der Blitzende Schild und alle waffenfähigen Schloßbewohner sich auf der Pumajagd befänden. Die wenigen zum Schutz der Frauen zurückgebliebenen Sklaven wollte er vom flachem Dach des Schlosses herabschießen, wenn sich dort die Gattinnen des jungen Kaziken zur Abendmahlzeit versammelt hätten.

Doch die Sonne senkte sich, und weder Diener noch Frauen zeigten sich auf dem Schloßdache.

»Da stimmt etwas nicht!« knurrte der hinkende Steuermann. »Euer vergoldeter Kuppler, Freund Grado, hat Euch und uns alle zum besten gehabt!«

»Unheimlich ist's ... nichts regt sich in diesem Gespensterschloß. Laßt uns nach Vera Cruz zurückkehren«, schlug der einstige Reitknecht des Grafen von Urueña vor.

In diesem Augenblick glitt ein Baumstachelschwein vom Stamm einer Weißtanne ab und kollerte d'Ircio vor die Füße, verzweifelt mit dem Greifschwanz und den schwarzen sichelförmigen Krallen um sich schlagend. D'Ircio war entsetzt aufgesprungen, suchte den Fußpfad zu gewinnen, der zu den Sänften hinabführte. Die Mulattin hängte sich kichernd an seinen Ärmel, um ihn an der Flucht zu hindern.

»Seht doch den Agramant ohne Taten!« hohnlachte Alonso de Grado ... Schlottert wie Espenlaub, will seine werte Person in Sicherheit bringen, will auskratzen mit seinen zu kurzen Beinen, will seine Gefährten im Stich lassen! Ihr seid mir ein Held, d'Ircio!«

Beschämt und wütend kehrte d'Ircio zurück. Mit dem Kolben seiner Muskete zerquetschte er das zur Stachelkugel aufgeplusterte Tier.

»Ich will dir ein Geheimnis verraten, mein Bruder!« raunte Beatriz de Palados. »Unter dem Schloßtor dort hausen vier Gespenster: ein toter Hund, ein toter Affe, ein toter Hahn und ein toter Mensch ...«

»Ich hoffe doch, daß wir heute mehr nach Hause bringen als ein Stachelschwein – wenn's auch Indianerinnen gibt, die sich wie ein Stachelschwein benehmen, sobald man sie streicheln und hätscheln will!« brummte der stelzfüßige Steuermann. »Worauf warten wir eigentlich noch, Señor Grado? Man hat uns hier oben gesehen – das ist klar! Und man will uns und unseren Musketen den lieblichen Anblick nicht gönnen. Eine Mahlzeit läßt sich auch im Innern des Schlosses einnehmen. Doch wir sind, sollte ich meinen, Manns genug, uns selbst einzuladen, wenn man es unterläßt, uns zu Tisch zu bitten!«

»Wenn das Tor nicht verschlossen ist ...« zögerte Alonso de Grado.

»Ach was! Tore und Frauen sind dazu da, geöffnet zu werden!« erklärte Gonzalo de Umbria. »Das ist kein Mann, der das nicht wagt! Kommt, laßt es uns versuchen – das Schloß ist nur von Frauen bewacht!«

Er hatte sich schon erhoben und stelzte voraus. Die anderen folgten ihm den Felsensteig hinab über die Holzbrücke. Als sie sich auf der Brücke befanden, schon unweit vom Tor, erscholl ein dumpfes Stimmengewirr über ihnen.

»Verdammt!« knirschte Alonso de Grado und zeigte aufs Dach. Dort stand der Blitzende Schild mit seiner speerbewaffneten Mannschaft. Ein Indianergeheul, dann ein ratterndes Schwirren und Klirren: zwanzig Speerschäfte sausten herab.


Wie durch ein Wunder blieben Alonso de Grado und Pedro d'Ircio unversehrt. Beatriz de Palacios war der Oberschenkel durchbohrt – irr lachend zog sie sich sofort den Schaft aus der Wunde, dann aber verlor sie das Bewußtsein und sank zu Boden. Dem Steuermann, der mit seiner rechten Hand das Brückengeländer umklammert gehalten hatte, traf ein Speer mitten in die Hand und nagelte sie, sich tief in das Holz einbohrend, fest. Rasend wie ein toller Stier brüllte Gonzalo de Umbria, doch trotz verzweifelter Anstrengungen vermochte er den Speer aus dem Holze nicht herauszuziehen, seine Hand nicht zu befreien. Alonso de Grado und Pedro d'Ircio waren über die Brücke zum Felsenpfad zurückgeflohen, wo sie hinter Gestrüpp Deckung suchten. Die Mexikaner blickten nicht mehr über die Zinnen des Daches herab, man hörte sie im Schloßinnern herabsteigen – näher und näher klangen ihre Stimmen, jeden Augenblick mußten sie aus dem Tor auf die Brücke treten, um der weißen Götter habhaft zu werden.

»Ihr Feiglinge!« brüllte der Steuermann den beiden im Gebüsch versteckten Gefährten zu. »Ich will mich nicht fressen lassen! ... Kehrt zurück und hackt mir die Hand ab! Sonst muß ich es selbst tun ... Doch das kann ich nicht mit dem kurzen Messer ... Erschießt mich doch lieber, ihr feigen Hunde! ... Ich will's, ich verlange es! ... Tut mir doch den Freundschaftsdienst!«

Alonso de Grado wagte sich bis auf die Mitte der Brücke vor. Der Mut verließ ihn dann aber doch. Weder dem Gefährten die Hand abzuhauen noch ihn zu erschießen, brachte er über sich. Und entsetzt floh er von dannen. Gonzalo de Umbria sah ihn und Pedro d'Ircio den Felsenpfad hinunterjagen bis ins Tal, wo die Tlamamas mit den Sänften warteten.

Da nahm der Steuermann sein Messer und schnitt an seiner Hand herum, ohne sie abschneiden zu können. Und helles Frauengelächter erscholl vom Schloßdach herab: die schöne Frau des Blitzenden Schildes lehnte dort über der Brustwehr des Söllers mit ihren Sandalenbinderinnen. Und sie warf ihm eine Mondblume zu.

Ihr junger Gatte und seine Begleiter stürmten gleich darauf aus dem Tor, und sie verschonten den weißen Gott und die weiße Göttin, sie nahmen sie gefangen ...


Dem Fußläufer und Orteguilla auferlegte Cortes Stillschweigen, und nur seine Feldobristen machte er mit dem Inhalt von Escalantes Brief bekannt. Die Mannschaft durfte nicht erfahren, welch eine Gefahr im Rücken drohte.

Trotz aller Erfolge war Cortes noch immer seines Heeres nicht sicher. Die heimlichen Widersacher und Aufwiegler waren nicht bekehrt und nicht abgetan, bloß in Schach gehalten waren sie und warteten eine günstige Gelegenheit ab, die Funken in der Asche neu anzufachen. Wohl fehlte es an kühnen Draufgängern nicht, aber auch Müde, Satte, durch die Plünderung Cholulas Bereicherte gab es und auch viele Vorsichtige, denen vor Mexico graute, wie selten sie es zwar eingestanden. Je näher das Wunderland in den Gesichtskreis rückte, je mehr es greifbare Wirklichkeit wurde, um so größer wurde die Zahl der Verängsteten.

Unter dem Vorwand, die Totonaken litten an Heimweh und das Herandringen so vieler Hilfstruppen könne Montezuma argwöhnisch machen, schickte Cortes den Schwager des Hauptmanns Tapia, den Feldherrn Cuhextecatl, mit dem größten Teil des totonakischen Heeres an die Küste zurück, – nur Tehuch und zweihundert Totonaken behielt er bei sich. Und er gab Cuhextecatl einen Brief an Escalante mit, worin er diesen ermahnte, allen Herausforderungen zum Trotz Frieden zu halten und eine Aussöhnung mit dem Schwelenden Holz herbeizuführen, sobald dies geschehen aber solle er ihm Alonso de Grado und Pedro d'Ircio zusenden, damit ein Kriegsgericht sie zur Rechenschaft ziehe.


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