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Gleich nachdem, verfolgt vom Hohngelächter Salvatierras und des ganzen Heeres, Velazquez de Leon Sempoalla verlassen hatte, kam mit königlichem Gefolge der dicke Kazike zu Narvaez, der sich inzwischen wieder an die Zechtafel gesetzt hatte. Der Narr Madrid wurde gerufen, die Reden des Königs zu verdolmetschen.

»O großer Krieger, o Sohn der Sonne!« sagte der dicke Kazike. »Du trinkst Wein, – doch Cortes trinkt keinen Wein!«

Schallendes Gelächter rauschte durch den Saal.

»Armer Cortesillo!« grölte Salvatierra. »Armer Wassertrinker! Hat nicht einmal Wein, die Sorgen hinunterzuschwemmen! Ist nüchtern wie sein leerer Magen!«

»0 Sohn der Sonne!« fuhr der dicke Kazike, zu Narvaez gewendet, fort. »Du lebst unbekümmert – doch Cortes kümmert sich um alles, weiß alles durch Kundschafter.«

»Das glauben wir dir, Dickwanst«, hohnlachte Salvatierra, »das glauben wir dir, daß Cortes bekümmert lebt! Er fürchtet für seine Ohren!«

»O Sohn der Sonne!« sagte der dicke Kazike. »Am anderen Ufer des Flusses Nahutla steht bereits Cortes! Zieh ihm entgegen, bevor er eine Brücke baut oder eine Furt findet! Sonst wird er plötzlich wie ein Sturmwind hier sein und uns alle seiner weißen Göttin opfern!«

So dröhnendes Gelächter riefen diese Worte hervor, daß der dicke Kazike sich eingeschüchtert zurückzog.

Doch der Narr Madrid blieb und flüsterte in ernstem Tone mit Narvaez, während Salvatierra neue Lachsalven hervorrief, indem er seinen Zechgenossen versicherte, er zittere wie Espenlaub vor Cortes. Überredet von Madrid, den Rat des dicken Kaziken nicht in den Wind zu schlagen, machte Narvaez dem Trinkgelage ein Ende und gab bekannt, daß er das Heer an den – kaum eine Stunde von Sempoalla entfernten – Nahutla-Fluß führen wolle. Die Hauptleute widersetzten sich erst: ein Nichts wie der Cortesillo sei so viel Beachtung nicht wert. Dennoch blieb Narvaez bei seinem Entschluß und gab Befehl, sich zur Schlacht zu rüsten.


Der Abend dunkelte, bevor das Heer marschbereit war. Als Narvaez seine Truppen durch das Stadttor Sempoallas führte, begann es zu nieseln, und als das bewaldete und morastige Ufer des Nahutla erreicht war, fegte ein tropischer Regenorkan über die nachtschwarze Landschaft. Kundschafter des dicken Kaziken hatten geführt und versicherten, die Wehrmacht des Feindes befinde sich gegenüber am anderen Ufer. Doch nichts regte sich drüben, nichts ließ sich in der Dunkelheit erkennen. Narvaez schickte Leute aus, um nach einer Furt zu suchen – sie kehrten unverrichteterdinge zurück: durch Regengüsse angeschwollen, war der Fluß undurchschreitbar.

Die Strapazen nicht gewöhnte Truppe murrte, die Offiziere und Hauptleute murrten, und selbst Narvaez murrte, triefend im stürzenden Platzregen. Nach einer Stunde Aufenthalt führte Don Panfilo sein Heer wieder heim in das wirtliche Sempoalla und ließ am Fluß als Schildwachen und Beobachtungsposten seinen Kämmerer Hurtado und einen gewissen Carrasco zurück.


Der Astrolog Botello hatte ein gutes Horoskop gestellt. Cortes faßte den Entschluß, in dieser Nacht den entscheidenden Schlag zu führen. Eine Furt hatte er ausfindig gemacht, war durch Kundschafter, die er über den Fluß geschickt, unterrichtet über das mutige Anrücken Don Panfilos und sein sinnloses Zurückweichen.

In drei Teile teilte Cortes sein Heer. Sandoval unterstellte er Velazquez de Leon und Ordas mit siebzig Mann und erteilte ihm den Auftrag, sich Don Panfilos zu bemächtigen, ihn zu fangen oder zu töten. Den Oberbefehl über das Gros des Heeres übertrug er Olid und gesellte ihm Avila, Tapia und Lugo als Unterfeldherren zu. Und er selbst behielt sich die Führung einer dritten, kleinen Abteilung von bloß fünfundzwanzig Hellebardieren vor.

Bei strömendem Regen, peitschendem Orkan und nächtlicher Finsternis las Pater Olmedo die Messe, Cortes, die Feldobristen und sämtliche Soldaten beichteten, nahmen das heilige Abendmahl, erhielten Absolution.

Gespenstisch der Aufbruch, ohne Trompetensignal, ohne Gerufe. Durch Urwaldgestrüpp ging es zur Furt. Das Wasser reichte bis an die Schultern. Dennoch wurde das andere Ufer erreicht. Dort stand ein Mann. Fast wäre er erschossen worden. Es war der alte, halb erblindete Juan Torrés, der Einsiedler Unserer Frau der blutroten Rosen auf der Pyramide von Sempoalla. Man brachte ihn vor Cortes.

Torrés war von der dicken Prinzessin gesandt. Sie sei in der Nähe versteckt, meldete er, sie fürchte sich, vor Cortes zu treten, da ihr Vater Verrat begangen. Doch lasse sie ihm sagen: nicht bereuen werde er es, wenn er sie gnädig aufnehme.

Viel Lust hatte Cortes nicht. Aber da die dicke Prinzessin zu ihm zu halten schien, konnte sie von Nutzen sein. Er ließ sie holen.

Aus ihrer Sänfte hervorquellend, hielt sie ihm ihren Sprößling entgegen. Für Vaterfreuden fehlte es ihm an Zeit. Hastig fragte er, was sie herführe.

Sie erwiderte: Ein unterirdischer Gang verbinde den Tecpan ihres Vaters mit den Kellerräumen des Teocalli – den Weg könne sie ihm zeigen, und aus den Kellerräumen führten Treppen bis zur Spitze des Teocalli hinauf – den Weg könne Juan Torrés ihm zeigen. Stehe er aber erst auf der Spitze des Teocalli, so könne er auf die Feinde hinabschießen und sich der achtzehn Kanonen bemächtigen, die Narvaez auf die zweite Plattform des Tempels hatte hinaufschaffen lassen.

Den Vorschlag fand Cortes einleuchtend. Der alte Torrés aber schüttelte traurig den Kopf:

»Ach, Senor Capitan, das tue ich ungern ...«

»Was?«

»Zu meinen Vögeln droben sage ich immer: Liebt euch untereinander! ... Ich sage nie: Haßt euch untereinander! ...«

»Doch auch das tun Vögel, guter Mann! Und wir haben jetzt Krieg!«

»Gewiß, gewiß ... Wer so hoch wohnt wie ich, muß ja auch Falken füttern können ... Der liebe Gott ist eine Taube, – der liebe Gott ist auch ein Falke ... Er wird schon wissen, wozu er die Raubvögel erschaffen hat nach seinem Bilde!.


Damit die Soldaten nicht ermüdet in Sempoalla ankamen, und um den Feinden Zeit zu lassen, sich zu entwaffnen und sorglos in Schlaf zu versinken, hatte Cortes beschlossen, langsam vorzurücken. Nach einer halben Stunde sah er sich gezwungen, entweder umzukehren oder voranzueilen. Die beiden von Narvaez zurückgelassenen Schildwachen waren entdeckt worden, Carrasco wurde festgenommen, Hurtado, Don Panfilos Kämmerer, entkam. Aus Carrasco ließ sich nichts herausholen, und als er von Olid, der ihn schrecken wollte, an einen Baumast gehängt und von Rodrigo Rangel aus der peinlichen Lage befreit worden war, blieb er sogar seinem Befreier gegenüber standhaft verschwiegen. Nach der Flucht Hurtados aber durfte Cortes nicht mehr hoffen, dem im Schlummer liegenden Feind unversehens nahen zu können. An eine Verfolgung des Entkommenen im Dunkel der Sturmnacht war nicht zu denken. Und daß Hurtado nach Sempoalla laufen und dort Lärm schlagen werde, war allzu gewiß. Trotzdem verzichtete Cortes auf seinen Plan nicht und näherte sich der Stadt im Eilschritt. Konnte er nicht den schlafenden Feind, so wollte er den eben geweckten, durch Alarm verwirrten, noch nicht gesammelten Feind überfallen.

Es glückte – weil Narvaez und Salvatierra Hurtado auslachten, ihn einen gespenstersichtigen Feigling schalten, als er – gegen Mitternacht – atemlos in Sempoalla ankam und schrie: Cortes sei ihm auf den Fersen! Don Panfilo, im Nachtgewand, lachte, fluchte und putzte seine Diener herunter, daß sie es gewagt hatten, ihn wegen solcher Alfanzerei zu wecken. Cortesillo mit seinem winzigen Häuflein solches wagen! Zu unglaublich war es, als daß es Glauben finden konnte. Viele Soldaten aber, erschreckt durch Hurtados Geschrei, hatten begonnen sich anzukleiden und zu waffnen, alles lief bei strömendem Nachtregen durcheinander, Sturmböen heulten, Trompetensignale erschollen. Narvaez verbot den Alarm, befahl, sich wieder schlafen zu legen. Nachtregen und Sturmböen gehorchten nicht, die Soldaten widersetzten sich. Und Hurtado gab nicht Ruhe. Obgleich mit Spott fortgewiesen, kehrte er, von einigen Einsichtigen begleitet, wieder, erzwang sich Zutritt, mühte sich ab, seinem Herrn zu beweisen, daß er nicht geträumt habe, daß man unrecht tue, seine Meldung zu verlachen! Narvaez widerlegte ihn: baren Unsinn habe er gemeldet! Es sei undenkbar, sei unmöglich, den Fluß zu überschreiten! Und schließlich erhitzte er sich: er sei kein Narr, der sich Ammenmärchen aufbinden lasse! Eine halbe Stunde stritten sie so hin und her. Bis es zu spät war. Bis – während sie noch stritten – Sandovals siebzig Mann mitten unter den alarmdurchwirrten, nur zum Teil bekleideten, nur zum Teil bewaffneten Truppen standen und sie niedermähten.

In wenigen Augenblicken war der Sieg entschieden.

Die Geschütze auf dem Teocalli zielten ins Dunkel, trafen niemand, schossen über die Köpfe der Anrückenden hinweg und vermehrten durch ihr Getöse die Verwirrung. Narvaez fand gerade noch Zeit, gepanzert und behelmt die Pyramidentreppe hinaufzurasen. Mit nur neunzehn Mann wehrte er sich gegen Sandoval, der ihm sofort hinauf gefolgt war. Auf der schmalen Treppe, wo kaum drei Mann nebeneinander fechten konnten, hätte sich Narvaez längere Zeit halten können, wäre nicht Cortes mit seinen fünfundzwanzig, brennende Fackeln tragenden Hellebardieren aus der Tür des Sanktuars auf der obersten Plattform hervorgestürmt. Narvaez erkannte Cortes und warf sich ihm entgegen. Da wurde ihm von der Hellebarde des weißhändigen Sanchez Farfan die Wange durchbohrt, das linke Auge ausgestoßen. »Santa Maria!« schrie er, taumelte, stürzte ohnmächtig zusammen. Eine Weile noch tobte der Kampf um ihn. Seine neunzehn Mitstreiter auf der Plattform zahlten den Versuch, ihn zu bergen, mit dem Tode. Der Ohnmächtige wurde die Pyramidentreppe hinabgeschleppt. Sein Anblick – man hielt ihn für erschlagen – versteinerte seine am Fuß des Tempels kämpfenden Truppen. Sie streckten die Waffen. Siegesgeschrei überbrüllte den Orkan.

Inzwischen hatte Olid zwei benachbarte Teocalli erstürmt und vom Feind gesäubert. Im Heiligtum eines dritten Teocalli hielt sich Salvatierra verschanzt, nachdem Velazquez de Leon ihn von Terrasse zu Terrasse hinaufgedrängt hatte. Da Salvatierra sich nicht ergeben wollte, ließ Leon das Binsendach des Sanktuars in Brand stecken. Von der Glut zur Verzweiflung getrieben, trat Salvatierra mit seiner kleinen Mannschaft aus dem Asyl hervor, ließ sich gefangennehmen. Und nicht nur er, auch jener Neffe fiel Velazquez de Leon in die Hände, der ihn einen schlechten Velazquez genannt hatte. Leon rächte sich an ihm, indem er ihm die Wunden verbinden, ihn sorgsam pflegen ließ.

Narvaez war – noch ohnmächtig – verbunden, dann aber in Ketten gelegt worden. Erwachend, brüllte er wie ein Stier – schlimmer als der körperliche Schmerz war der seelische.

In Ketten wurde er vor Cortes geführt.

»Ihr habt Grund, Eurem Glück zu danken, Senor Hernando Cortes!« sagte er mit Grabesstimme. (Sein tiefer Baß klang immer, als käme er aus einem Keller.)

»Gott gebührt mein Dank!« entgegnete Cortes. »Doch seid versichert, Don Panfilo, von allen meinen Siegen in diesem Lande war dies der leichteste!«

Am nächsten Morgen erst offenbarte es die Sonne, wie beschämend die Niederlage für die Besiegten war.


In Tenuchtitlan hatte Alvarado täglich, seit er Cortes vertrat, mit Montezuma Ball und Patolli gespielt oder war mit ihm auf einer der Brigantinen gesegelt und hatte die erste Zeit keinerlei Veränderung im Benehmen des Königs, des Adels und des Volkes wahrgenommen. Ihm, dem beliebten Sonnenherrn, begegneten alle mit unverminderter Freundlichkeit. Doch war er auf der Hut, spürte Gewitterluft, ahnte ein Wetterleuchten, wenn er auch nicht sagen konnte, von wo die Wolken sich heranwälzten.

Montezuma beabsichtigte indes nicht, den Schlag jetzt schon zu führen. Er war, seit er das günstige Orakel erhalten, wieder einmal seiner Zauderei verfallen. Trotz des Paktes, den er durch seine Gesandten mit Narvaez geschlossen, wollte er erst abwarten, ob das Waffenglück sich Narvaez oder Cortes zuneigen werde. Und er fürchtete eine günstige Entscheidung ebensosehr wie eine ungünstige. Wieder in den Sinn gekommen war ihm das Bild vom Fisch im Netz, der nur so lange noch lebte, als das Netz im Wasser blieb. Er wußte, daß er an Cortes – dessen Untergang er ersehnte und auch nicht ersehnte – gebunden war. Er wußte, daß das Ehemals unwiederbringlich dahin war, daß er in den Huei-Tecpan nie zurückkehren werde. Und er wußte zutiefst, daß er der Herr der Welt nicht mehr war und sterben mußte, wenn er leben wollte wie einst.

Eine Woche etwa, nachdem Cortes die Wasserstadt verlassen hatte, kamen zwei vornehme Azteken zu Alvarado und baten – im Namen des Adels von Mexico – um die Erlaubnis, das Toxcatl-Fest des Furchtbaren Huitzilopochtli (das mexikanische Neujahrsfest) mit Aufzügen und feierlichen Reigen im großen Tanzhof des Schlangenberg-Tempels begehen zu dürfen. Alvarado gab die erbetene Bewilligung, stellte aber zwei Bedingungen: das Fest müsse ohne die üblichen Menschenopfer gefeiert werden, und die Tanzenden dürften keine Waffen tragen.

Prinz Kriegsmaske, der neuerdings in auffallender Weise Alvarado sich angeschlossen hatte und, seit dieser den General-Kapitän vertrat, kaum von seiner Seite wich – Prinz Kriegsmaske hatte sofort abgeraten und machte, als die beiden Würdenträger sich entfernt hatten, seinem Schwager ernste Vorhaltungen wegen der leichtfertig erteilten Erlaubnis. Ein Vorwand sei das Fest. An das Verbot, Waffen in den Tanzhof zu bringen, würden die Mexikaner sich nicht halten. Ihnen käme es bloß darauf an, sich unauffällig in großer Zahl zu versammeln. Nicht zu bezweifeln sei es, daß die Tänze mit der Niedermetzelung der Christen enden würden, falls Alvarado den bösen Plan nicht durchkreuze.

Die Gattin Alvarados, Rabenblume – des Prinzen Kriegsmaske Schwester –, kam hinzu, während ihr Gatte und ihr Bruder noch erörterten, ob die erteilte Erlaubnis zurückgenommen werden solle. Sie mißtraute ihrem Bruder und fürchtete seine Ratschläge. Kreideschmetterling war ihm genommen worden, sein Freund Fichtenzweig war hingerichtet worden ... Bis jetzt hatte sich Kriegsmaske nicht gerächt. Rabenblume aber kannte seine Rachsucht. Und weil er gegen die Mexikaner sprach, sprach sie für die Mexikaner. Sie hatte viel Einfluß auf Alvarado, daher siegte ihre Meinung. Kriegsmaske entfernte sich, ohne Groll zu zeigen, und versprach, Beweise zu bringen.

Einen Tag vor dem Fest brachte er Beweise. Er führte Alvarado einen aztekischen Steinschneider zu, welcher aussagte, nachts seien Tausende von Sägeschwertern, Speeren und Schilden in den Schlangenberg geschafft worden, und schon würden die Frauen aufgefordert, ihre Schüsseln bereit zu halten, da es viel Fleisch zu kochen geben werde in den nächsten Tagen ... Doch wieder kam Rabenblume hinzu und flüsterte Alvarado ins Ohr, der Mann sei bestochen. Und dann stellte sie an den Steinschneider die Frage: ob er die Waffen im Tempel mit eigenen Augen gesehen habe. Da mußte jener eingestehen, daß er es auf der Straße von einer Frau gehört habe, deren Namen er nicht kenne. Und Alvarado brach in sein sonnenhelles, sorgloses Knabenlachen aus und schickte den Angeber heim.

Aber in der Nacht vor dem Fest geschah ein Ereignis, das Alvarado umstimmte und ihn hart gegen die Mexikaner machte.


Die Hochzeit Alonso de Grados mit der Prinzessin Maisblüte war verschoben worden, als Cortes gegen Narvaez zog. Seitdem litt Don Alonso Tantalusqualen. Er kam sich wie ein Fastender vor, dessen Fastenzeit wider alles Recht verlängert wurde, – und er war es doch gar nicht gewohnt zu fasten.

Maisblüte begriff, was seine gierigen Blicke wollten. Sie verbarg ihren Schauder. Sie lächelte rätselhaft und ließ ihn seufzen. Von Tag zu Tag wurde er frecher.

Schließlich sagte er es unumwunden: er wolle sein Glück vor der Hochzeit genießen.

Darauf hatte sie gewartet. Sie wies ihn nicht in die Schranken. Demütig sagte sie:

»Der weiße Gott ist der Herr, und ich bin die Sklavin.«

Und er drängte: wann und wo sie die Seine werden wolle?

Da befolgte sie den Rat, den der alte Zauberer ihr gegeben hatte. Sie lud ihn ein, gegen Abend in ein kleines Badehaus zu kommen, das sich im Garten des Huei-Tecpan befand.

Zur verabredeten Stunde kam er. Sie hatte das Schwitzbad für ihn richten lassen. Demütig ließ sie ihn vorangehen. Als er eingetreten war, schloß sie die Tür hinter ihm. Er merkte bald, daß er in eine Falle gegangen war. Doch wie sehr er an der Tür auch rüttelte, er vermochte sie nicht aufzubrechen.

Maisblüte rief ihre Mädchen. Diese hatten in der Nähe gelauert, trugen Reisbündel in den Armen. Die Heizung befand sich unterhalb des Schwitzbades. Schon war der Ofen überheizt, und immer mehr Holz fütterte die hungrigen Flammen. Bald begann der steinerne Fußboden des Schwitzbades glühheiß zu werden.

Ein kleines Fenster hatte Maisblüte in der Mauer anbringen lassen. Alonso de Grado steckte seinen wulstigen, schwammigen Kopf durch das Fenster. Er bat, jammerte, drohte, fluchte und schrie. Aber die Mädchen der Prinzessin hatten Flöten und Trommeln zur Hand, stimmten wilde, schrille, tosende Chorgesänge an. Lange übertönten sie die Schreie des Sterbenden. Und als schließlich Höflinge aus dem Palast herbeieilten, lebte Alonso de Grado nicht mehr.

Es ließ sich nicht verheimlichen, und Maisblüte wollte es nicht verheimlichen. Sie rühmte sich ihrer Tat. Denselben Abend noch – es war der Vorabend des Festes – erfuhr es die ganze Stadt. Und Alvarado befahl, Maisblüte festzunehmen, sie in den Tecpan des Königs Wassergesicht zu bringen und sie in einer der unterirdischen einstigen Schatzkammern, wo die vier Könige an der Kette schmachteten, gefangenzuhalten.

Auf Alvarado hatte die Nachricht eine ungeheure, verwirrende, umwälzende Wirkung geübt. Bisher hatte er sich gesträubt, Kriegsmaske Glauben zu schenken, der immerzu vor dem Haß der Mexikaner gewarnt hatte, – jetzt glaubte er ihm.

Während die Prinzessin, von kastilischen Hellebardieren eskortiert, zum Kerker geführt wurde, kam ihr im großen Audienzsaal Montezuma entgegen.

»O Zorniger Herr, o mein Vater«, rief ihm Maisblüte zu. »Der Herabstoßende Adler wird es erfahren: vollführt habe ich die Schreckenstat, die meine Reinheit dartut vor aller Welt!«

»O meine Schmuckfeder, o mein Edelstein!« sagte Montezuma. »Meine Augen sind voll Asche! Du brachtest Verderben dir und mir!«

»Nein, o Zorniger Herr, o mein Vater! Denn nun wirst du bald das Wort sprechen, das dich und mich befreit!«

Obgleich Alvarado zugegen war, machte Montezuma keinen Versuch, die Freilassung seiner Tochter zu erwirken, kopfschüttelnd entfernte er sich. Alvarado deutete diese Zurückhaltung des Königs als ein übles Zeichen.

Die schnell gesprochenen Wechselreden zwischen Vater und Tochter hatte er nur halb verstanden. Orteguilla mußte sie ihm Wort für Wort übersetzen. Und Alvarado legte sich den Sinn so zurecht: Maisblüte habe die Ermordung des weißen Mannes wagen können, weil ihr bekannt war, daß der kommende Tag Mexico die Freiheit bringen werde ...


Marina lag in Kindeswehen, als das Tanzfest begann. Einzelschicksale und Völkerschicksale wachsen gleichzeitig wie Früchte, die sich runden, reifen, sich lösen vom tragenden Zweig, ihrer Nabelschnur. Die Menschen können nur Gärtner des Werdens sein, sie pflanzen oder roden aus, die Sonne aber – die Zeitmesserin – wärmt, zündet, färbt und schwellt, und sie fragt nicht, ob süß oder bitter, ob heilsam oder todbringend die Frucht ist, das Schicksal, das durch sie heranreift.

Alvarado war die funkelnde, schöne und sengende Sonne Anahuacs. Er war weder böse noch gut, er war ein unglückbringendes Gestirn. Andere hatten das Pulver angehäuft, er brachte es zur Entzündung.

Die Blüte des Adels von Mexico, sechshundert jugendliche Tänzer in Kriegertanztracht, das Haar in Zöpfe geflochten, mit goldenem Rasselschmuck behängt, hatten früh am Morgen aus dem Dornentempel das aus Maisteig geknetete Idol Huitzilopochtlis abgeholt, in feierlicher Prozession durch die Hauptstraße Tenuchtitlans getragen und in einem der Tempelhöfe des Schlangenbergs auf eine hölzerne Estrade niedergestellt. In den Händen große Seerosen und Rasselstäbe schwingend, hatten sie den heiligen Reigen begonnen. Die eingeladenen fünfzig Kastilier – alle bewaffnet, da sie ja nie anders als bewaffnet ausgingen – blickten von der untersten Plattform der Pyramide auf den Tanz hinab. Da hob Alvarado die Hand. Ein Musketenschuß erscholl. Es war das verabredete Zeichen. Hellebardiere erschienen plötzlich an den Toren des Tanzhofes, versperrten alle Ausgänge. Die Kastilier verließen die Plattform, warfen sich auf die Wehrlosen. Es war kein Kampf, es war ein Gemetzel wie in Cholula. Grauenvoll wie in Cholula verwandelte sich der Tanzhof in einen karminenen Teich. Wie in Cholula spießten sich die zu den Toren flüchtenden Menschenhaufen in die Lanzen der Hellebardiere. Keinem der Azteken gelang es, die glatte Schlangenmauer zu erklimmen. Und der Greuel endete wie in Cholula: von den sechshundert Tänzern blieb nicht ein einziger am Leben.

Noch entsetzlicher war das Nachspiel. Die Mörder wurden zu Plünderern, zu Leichenfledderern. Aasvögeln gleich beugten sie sich über die Getöteten, sammelten Goldschmuck und Edelsteine.

Das Maß war voll. Allzuviel hatte Mexico schweigend getragen, nun war es aufgerüttelt, und sein Zornschrei gellte zum Himmel. Tiefste Not ermannt. Ausgerottet war der Adel, das Volk stand auf. Und die verzehrende Feuerschlange – der Krieg – stieg herab vom Himmel.

Den Großen Tempel trennte nur ein freier Platz vom alten Palast. Doch selbst diese kurze Strecke Weges konnte Alvarado nicht mehr ungefährdet seine Mannschaft zurückführen. Als die Kastilier aus dem westlichen Tempeltor traten, wurden sie mit einem Hagel von Geschossen überschüttet, Tausende von Bewaffneten versperrten ihnen den Weg. Sie mußten eine Straßenschlacht liefern und sich hindurchhauen durch die Menschenmauer bis in ihr Quartier.

In dieser Stunde gebar Marina Cortes einen Sohn. Sie lachte und weinte und kannte doch ihres Sohnes Zukunft nicht, der einst als Statthalter Mexico beherrschen und auf dem Schafott enden sollte ...


Die Waffen ruhten nicht mehr. Angriff folgte auf Angriff. Eingeschlossen im alten Tecpan war Alvarado, abgeschnitten von aller Welt, ein Belagerter in einer schwer zu haltenden Festung. Und die beiden Brigantinen, die ihn und sein kleines Heer mitsamt allen erbeuteten Schätzen aus der Wasserstadt hätten hinausretten können – die beiden Brigantinen waren zerstört. Diese Schreckensbotschaft erfuhr er, als er nach der Straßenschlacht den Tecpan des Königs Wassergesicht mit der Absicht betrat, sogleich die Truppen einzuschiffen, das noch friedliche Tezcuco zu erreichen und auch Montezuma mit fortzuführen. Kriegsmaske hatte Rache genommen für den Tod des Fürsten Fichtenzweig. Kriegsmaske war, gleich nachdem Alvarado sich zum Tanzfest begeben, mit einigen seiner tlascaltekischen Adler und Jaguare über die bei den Brigantinen aufgestellten christlichen Wachtposten hergefallen, hatte sie niedergemacht, hatte die Schiffe in Brand gesteckt. Dann war er spurlos verschwunden. Und während die Feindseligkeiten begannen, hatten auch nahezu tausend Tlascalteken – Anhänger des Prinzen Kriegsmaske – heimlich Tenuchtitlan verlassen.


Zwei Wochen später kehrte Cortes mit seinem durch die Truppen des Narvaez vergrößerten Heer nach Tenuchtitlan zurück. Die Mexikaner waren benachrichtigt, daß er zum Entsatz der Belagerten heranrückte, und sie unternahmen nichts, es zu hindern, ja, sie ließen sogar die Holzbrücken auf den Dammdurchstichen stehen. Es war ihnen recht, daß der Grüne Stein kam, daß er in die Falle ging, je größer sein Heer, um so schneller würde es sich aushungern lassen, um so größer würde die Zahl der Huitzilopochtli und Tezcatlipoca dargebrachten weißen Opfersklaven sein!

Einer Verabredung gemäß hielten die Azteken sich versteckt, während das Christenheer in die Stadt einrückte. Auch kein Weib und kein Kind ließ sich sehen. Durch eine menschenleere, tote Stadt hallte das grelle Harnischgeklirr, ächzten die Räder der Geschütze, dröhnten die schweren Soldatentritte und das Stampfen von Pferdehufen.

Die nicht gepflasterten Straßen waren vom Regen aufgeweicht. Dicht beim Stadttor glitt Romo aus und warf stürzend Cortes ab. Doch sofort, noch während das Pferd sich aufrichtete, hatte sich Cortes wieder in den Sattel geschwungen.

»Señor Capitan, nehmt es für ein gutes Omen!« sagte der Italiener Botello, der nebenher ging. »Was auch kommen mag, Ihr werdet immer wieder fest im Sattel sitzen!«

Und Rodrigo Rangel bemerkte:

»Euer Liebden wollten wie Brutus den mütterlichen Boden küssen! ...«

»Den stiefmütterlichen Boden!« verbesserte Cortes mit bitterem Lachen.

An der Spitze des Heeres langte Cortes vor dem Tecpan des Königs Wassergesicht an. Kein Bote hatte sein Herannahen gemeldet, – so abgeschlossen, so ahnungslos waren die Belagerten, daß Alvarado vom flachen Dach des Tecpans herab die anrückenden Reiter anrief und fragte: ob sie die Leute des Narvaez oder des Cortes seien. Sobald er Cortes erkannte, eilte er hinunter und öffnete mit seiner vor Jubel sich heiser schreienden Mannschaft das durch schwere Balken verrammelte Tor. Und er küßte Cortes die Hände, überreichte ihm die Schlüssel des zur Festung gewordenen Palastes. Auch Cortes war bewegt. Unerhörtes hatten sie beide erlebt, hatten sich tausenderlei zu sagen. Doch schon bald, als das erste Brausen der Freude verklungen war, begann Cortes nach den Ursachen des Aufstandes zu forschen. Und sowie er von der Niedermetzelung des tanzenden Adels erfuhr, geriet er in maßlose Wut. Er schrie Alvarado an, schob ihm die alleinige Schuld zu, nannte ihn einen schwachsinnigen Narren, der sich von der Hinterlist seines Schwagers, des rachsüchtigen Tlascalteken, habe umgarnen, aufhetzen, zum Angriff verleiten lassen. Und sich selbst nannte er einen noch größeren Narren, daß er ihm vertrauen, daß er ihn zu seinem Stellvertreter habe ernennen können. Schuldbewußt verfiel Alvarado – nach einigen schüchtern gestammelten Worten der Rechtfertigung – in ein düsteres, verstocktes Schweigen. Und er holte, als Cortes sich ausgetobt hatte, aus seiner Wamstasche einen – kurz vor dem Tanzfest – abgefangenen Brief des Narvaez an Montezuma, und stumm reichte er ihn Cortes hin. Bereits von Velazquez de Leon wußte Cortes, daß sich Narvaez und Montezuma mehrmals Boten und Briefe gesandt hatten und daß ein Pakt geschlossen war, seine beiden Heeresteile zu gleicher Zeit aufzureiben. Nun sah er es schwarz auf weiß. Und er fing an zu begreifen, daß die auf Berghöhen angehäuften Schneemassen mehr Schuld an einer Lawine haben als der Kiesel, der zufällig den Schnee in Bewegung setzt.

»Laßt mich hinrichten, Don Hernando!« sagte Alvarado. »Vielleicht wird mein Tod die Azteken beruhigen ... Ich bin bereit, den Kopf auf den Block zu legen, wenn Ihr meint, daß meine Bestrafung das Blut unserer Kameraden sparen kann!«

Ungekünstelt, soldatisch einfach gesprochen waren die Worte Alvarados. Tränen kamen Cortes in die Augen, er umarmte den Freund und ließ es bei den Vorwürfen bewenden.

Montezuma hatte sofort Cortes zu sich bitten lassen. Cortes lehnte es ab, ihn zu sehen. Durch Pater Olmedo ließ Montezuma Cortes sagen, er wolle ihm ein Pferd in Lebensgröße aus purem Golde schenken – nur kommen solle er, sich begrüßen mit ihm. Doch Cortes blieb bei seiner Weigerung. Und als Montezuma ihn aufsuchen wollte, empfing er ihn nicht.

»Dieser Hund von König ist der einzige Schuldige!« rief er erregt. »Ich hasse den Hund!«


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