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Beim Zurückschreiten durch die vordere Kammer fühlte sich Isabel wieder von finsteren Blicken betastet. Sie beachtete es nicht und ging zu Boden schauend bis zur Tür. Dort grüßte sie auf indianische Weise, und dabei prallten ihre Augen auf zwei stechende stahlblaue Augen. Erschrocken sah sie weg und ging hinaus, ohne noch einmal hinzuschauen. Draußen, als es zu spät war, bereute sie ihre Schreckhaftigkeit. Sie hätte sich überzeugen sollen, daß es eine Sinnestäuschung war! So aber trug sie die Ungewißheit mit sich fort – unfähig, ihre Erregtheit durch Vernunftgründe zu beschwichtigen.

Auf dem Heimwege sah sie im dichtesten Menschengewühl die blauen Augen wie zwei Sterne vor sich schweben. Sie mußte sich geirrt haben, redete sie sich ein. Unmöglich, undenkbar, daß ein Europäer in Tenuchtitlan weilte. Ihr Gatte Villareal, Francisco de Lugo und alle ihre Leidensgenossen waren auf den Altären geopfert. Und von den früher – in der Nacht der Schrecken – gefangenen Kastiliern konnte keiner mehr am Leben sein: unerbittlich war ja das Blutgesetz Huitzilopochtlis ...

Isabel hatte die Gassen des Stadtteils Cuepopan hinter sich und ging eben die große Schlangenberg-Mauer entlang, als sie hastige Schritte hinter sich hörte. Das Herz blieb ihr stehen wie vor wenigen Wochen in Tezcuco, als die Schwarze Blume ihr nachschlich. Der Rote Jaguar hatte sie schon seit einer Weile verfolgt, aber erst in dieser menschenleeren Gegend wagte er es, sie einzuholen. Als er neben ihr ging, erkannte sie den Mann mit den stahlblauen Augen. Er redete sie auf spanisch an.

»Señorita! ... Nein, bleibt nicht stehen ... Es könnte auffallen ... Geht still weiter und beantwortet meine Fragen ... Wer seid Ihr?«

»Eine Unglückliche ... Eine Sklavin des Königs von Tezcuco ...«

»Davon hörte ich ... Nennt mir Euren Namen!«

»Isabel de Ojeda. Und wer seid Ihr?«

»War der Statthalter von Uraba Euer Vater?«

»Ja. Kanntet Ihr meinen Vater?«

»Ich war mit Alonso de Ojeda und Diego de Ordas in Uraba. Als wir auf dem Schiff eines genuesischen Korsaren zurück nach Kuba segelten, litten wir bei der Insel Cozumel Schiffbruch.«

»Wer seid Ihr?«

»Einst war ich Matrose und hieß Gonzalo Guerrero.«

»Was! ... Der mit dem Franziskaner-Frater Jeronimo de Aguilar an die Küste von Yucatan verschlagen wurde?«

»Hat Euch der Frater erzählt? ...«

»Ihr wolltet nicht zu den Christen zurückkehren?«

»Ich bin ein Indianer geworden, Señorita. Meine Nase und meine Lippen sind durchbohrt. Und seid Ihr selbst nicht auch eine Indianerin jetzt?«

»Ich bin keine Heidin!«

»Die Götzen Mexicos verabscheue ich ebenso wie Ihr, Señorita, wenn ich ihnen auch Wachteln opfere ... Und tut Ihr's nicht auch? ... Sie sind die Abgötter der Reichen, der Goldgierigen, der Satten ... Erfunden wurden sie von den Kaufherren diesseits und jenseits des Ozeans. Wir Sklaven können sie nicht lieben.«

»Wessen Sklave seid Ihr?«

»Des Herrn der Herren, des Königs Guatemoc. Das heißt – ich war sein Sklave. Vor kurzem entlief ich ihm ... Ich hasse ihn mehr als seine Götter ...«

»Warum?«

»Weil er mich peitschen ließ. Und warum er mich peitschen ließ? ... Es wird Euch schaudern machen, Señorita. Nachdem Francisco de Lugo geschlachtet worden war, ließ sich Guatemoc aus den Fingernägeln des Toten ein Halsband fertigen. Um das Andenken des Tapferen zu ehren! sagte er. Die Wut packte mich, als ich ihn so geschmückt sah. Ich sagte ihm böse Worte.«

»Und er ließ Euch nicht töten?«

»Weiße Sklaven sind zu wertvoll ... Ich nehme an, daß auch ihr, Señorita, leidlich gut behandelt werdet.«

»König Ohrring-Schlange ist freundlich zu mir. Aber seine anderen Frauen verleumden mich oft bei der Herrin von Tula.«

»Wir müssen vorsichtig sein, Señorita, wenn wir uns wiedersehen. Ich will Euch jetzt auch nicht länger begleiten. Doch wiedersehen werden wir uns! Nehmt den Trost mit auf den Weg, daß Eure Leidenszeit nicht von langer Dauer sein wird.«

»Für mich gibt es keine Rettung mehr. Ich gehöre dem Indianer an, der mir den Opferstein ersparte ... Das werdet Ihr freilich nicht begreifen ...«

»Nein, allerdings nicht, Señorita. Ihr liebt ihn wohl gar? Seid Ihr Frauen aus solchem Holz geschnitzt? ... Ihr, die Tochter eines Statthalters?! ... Ihr wollt nicht über den See gerudert werden?«

»Ich könnte meinen Freunden nicht mehr in die Augen blicken ...«

»Ihr seid noch zu stolz, Señorita. Euer Unglück ward noch nicht reif. Bald wird Euer Stolz zermürbt sein! Zwar seid Ihr eine Adlige und ich nur ein Tagelöhnerssohn, aber das Schicksal hat uns an eine Kette geschmiedet, Señorita! Auf Kuba hättet Ihr mich keines Blickes gewürdigt, hier bin ich Euer nächster Freund – ob Ihr wollt oder nicht!

Wenn Ohrring-Schlange, der Euch zu achten scheint, nicht mehr imstande sein wird, Euch und jenes weiße Kind zu schützen – ich werde Euch schützen!«

»Wie? ...«

»Mit Hilfe aller Elenden und Bedrückten Mexicos ... Doch davon ein andermal ... Bald wird kein hellhäutiges Wesen in dieser Stadt geduldet sein, die überfrommen Kaufleute Tlatelolcos stießen schon Drohungen aus gegen Euch, Señorita! Und ob Ihr wollt oder nicht, Ihr werdet fliehen mit mir, Eurem Feind und Freund. Wir sehen uns wieder, Señorita!«


Es war Abend geworden, als Isabel heimkam. Sie vermied das Hauptportal und trat durch eine noch offene Pforte in den Palastgarten. Dort stand an den moosigen Stamm eines Farnbaumes gelehnt eine junge Sklavin und sang:

»Fröhlich ist mein Herz, ich bin ein Otomi-Mädchen,
Stehend scherze ich mit meinem Täubchen,
Mein farbiges Hüfttuch lege ich mir prunkend um.
Wehe, mein Kindchen! Ich strahlende Blume,
Ich lebe, ich senke den Kopf, eine Duftblume,
Ich verwelke für immer.«

Sobald die Sklavin Isabel erblickte, eilte sie auf sie zu.

Ob sie schon wisse, daß das weiße Kind verschwunden sei? Ja, und auch die Prinzessin Perlmuschel sei nicht mehr im Palaste. Der Durch-Zauber-Verführende habe sie in seinen Tecpan genommen, um sie vor der Herrin von Tula zu schützen.

Was die Herrin von Tula getan habe? fragte Isabel.

Die Herrin von Tula habe den Rat der Alten aufgehetzt. Und vorhin sei eine Abordnung des Hohen Rates am Lager der Wöchnerin gewesen und habe den Befehl überbracht, das weiße Kind müsse getötet werden. Darauf habe Perlmuschel erklärt: das Kind sei bereits tot, sei von ihr selbst im Pantitlan-Strudel ertränkt worden.

Von dem Pantitlan genannten Seestrudel inmitten der Lagune, wo die Mexikaner Geschmeide und Kinder zu versenken pflegten, hatte Isabel noch nie gehört. Auf ihre Fragen gab die Sklavin Auskunft: Man kaufte armen Müttern ihre Kinder ab und tötete sie den Tlaloque, den Regengöttern, zu Ehren, um sie dann zu kochen und zu verspeisen. Reich gekleidet und mit Schmuck versehen, die Wangen mit weißen Kreisen bemalt, wurden die Kinder gegen Abend in kleinen, mit Federn und Blumen verzierten Booten auf den Schilfsee hinausgefahren. Die ganze Nacht hindurch sang der alte Priester eines Wassertempels den Kindern Lieder vor, damit sie nicht einschliefen. Und er redete sie als Excoame – d. h. Perlenschlangen – an, denn jedes geopferte Kind wurde zu einer Perlenschlange. Bei Morgendämmer stieß man das Boot in den Seestrudel. Das Boot und die Kinder verschwanden, eingeschlürft vom wirbelnden Wasser, wie auch alle Opfergaben, die man dort in die Tiefe warf. An einer entfernten Stelle gab der See die Leichen wieder heraus.

Und weiter berichtete die Sklavin: Als die Prinzessin erklärt hatte, ihr Kind sei zur Perlenschlange geworden, habe der Hohe Rat ihren Worten keinen Glauben geschenkt. Und der Hohe Rat habe verlangt, daß sie den Kopf des toten Kindes vorzeige – es öffentlich dem Volk, den Priestern und dem Hohen Rat vorzeige – und solange sie durch Vorzeigen des Kinderkopfes ihre Unschuld nicht erweisen könne, solle sie als Verräterin an Mexico gelten und grausamer Strafe gewärtig sein ... Da aber sei der König von Tlacopan, ihr Jugendfreund, aufgebraust –: in seinen Tecpan wolle er die Prinzessin nehmen, um sie zu seinem Weibe und zur Königin von Tlacopan zu machen und sie vor der Rache ihrer Mutter zu bewahren! ... Und ungehindert habe er die Prinzessin in seinen Palast tragen lassen, denn auch ihn zu bedrohen, wagte der Hohe Rat nicht.


Die Meinung der Sklavin, der Senat Mexicos werde gegen den Durch-Zauber-Verführenden und seine Schutzbefohlene nichts unternehmen, war irrig. Wenige Tage hernach wurde das Verlangen von neuem gestellt: der Kopf des Kindes müsse vorgezeigt werden. Der Durch-Zauber-Verführende beriet sich mit seinen Freunden Ohrring-Schlange und Guatemoc, diese verhandelten mit Mitgliedern des Rates der Alten. Der Tod des greisen Weiblichen Zwillings der Schwarze Amber unterbrach die Verhandlungen. Er war der Sohn des Königmachers Tlacaelel gewesen, welcher zur Zeit der Könige Obsidian-Schlange und Himmelspfeil als Vorsteher des Hauses der Speere die Größe Mexicos begründet hatte. Mit dem Schwarzen Amber starb der letzte Zeuge glorreicher Zeit. Seine Totenklage, sein Totengericht, seine Bestattung beschäftigte die Gemüter wie ebenfalls die Ernennung seines Nachfolgers Tlacotzin, »der Wurfspieß«. Darüber geriet das weiße Kind in Vergessenheit.

Die Eheschließung des Durch-Zauber-Verführenden und der Prinzessin Perlmuschel war sogleich – noch an jenem Abend – pomphaft, mit großem Schall und Gepränge, nach mexikanischem Zeremoniell vollzogen worden. Begleitet von vier Mädchen, die brennende Fackeln schwangen, trat der junge König aus dem Palasttor, ging der in einer Sänfte getragenen Prinzessin entgegen, beweihräucherte sie mit Blumen-Weihrauch und führte sie in sein Haus. In der Mitte eines großen Saales setzte er sich mit ihr auf eine Matte. Sodann wurde ein Zipfel seines Mantels und ein Zipfel ihres Mädchenrockes von einem Priester zu einem Knoten zusammengeknüpft. Die Huehuetl-Trommel dröhnte, Flöten schrillten, Sänger und Sängerinnen trugen Lieder vor, Tänzer reigten den Schmetterlingstanz. Siebenmal wurde die Prinzessin um den heiligen Hausherd getragen, und sie warf Kopalkugeln in den lodernden Mund des Feuergottes, des Türkisherrn, des Gelbgesichtigen. Die Gäste setzten sich zum Festmahl nieder, aber die jungen Ehegatten blieben am Boden auf der Matte sitzen, schlürften durch ein Saugrohr Honigwein und durften erst um Mitternacht den Saal verlassen ...

Auch der Herabstoßende Adler rüstete ein Hochzeitsmahl. Als nach der Steinigung des Alten Wickelbärs die mexikanischen Gesandten aus Tlascala zurückgekehrt waren, hatten sie – vielleicht um ihren Mißerfolg zu verschleiern – erzählt, Königin Maisblüte sei tot. Den Schmerz hatte der Herabstoßende Adler nicht verwunden, und er wußte, daß er ihn nie verwinden werde. Da es aber nicht angängig war, daß ein König von Mexico ehelos lebte, gab er dem Drängen seiner Ratgeber nach und beauftragte sie, ihm ein Weib zu wählen. Ihre Wahl fiel auf die zweite der Töchter Montezumas, Prinzessin Silber-Reiher, welche die Gemahlin des Edlen Traurigen gewesen war. Wenig glich sie ihrer schönen Schwester Maisblüte. Kleiner von Wuchs, hatte sie glanzlose Augen und überscharfe Züge. Auch galt sie als streitsüchtig, ränkevoll und hochmütig.

Die schon anberaumte Hochzeit mußte jedoch verschoben werden, da von Kundschaftern aus Tezcuco die Nachricht eintraf, daß die Christen einen Angriff auf Iztapalapan und die Pfahlstädte am Xochimilco-See planten. Der Herabstoßende Adler verließ Tenuchtitlan und zog dem Feind entgegen.


Iztapalapan anzugreifen, hatte Cortes mehrere Gründe. Der nach der Niederwerfung Tepeacas, Quauhquechollans und der anderen Staaten Am-Kolibri-Wasser aufgestrahlte Siegesruhm der Sonnensöhne fing merklich an zu verblassen. Gleich nach dem Einzug in Tezcuco hatten die Stadtkönige von Otompan im Norden und Chalco im Süden Anahuacs an Cortes Geschenke gesandt und ihre Bundesgenossenschaft gegen Mexico angeboten. Seitdem aber waren andere Städte dem Völkerbunde der weißen Götter nicht beigetreten. Tatenlos saß das christliche Heer in Tezcuco und wartete auf die Beendigung des Brigantinenbaues. Solange die Brigantinen nicht auf dem See schwammen, durfte die Belagerung Tenuchtitlans nicht beginnen. Die Langweile demoralisierte die Mannschaft. Dem Tatendurst der Kastilier und der Rachgier der Tlascalteken mußte ein Ziel gegeben werden.

Trotz des kürzlich erlassenen drakonischen Dekrets, welches Würfelspiel, blasphemische Schwüre und Duelle (als ehrenschänderisch für ein Kreuzfahrerheer) verbot, wurde in Tezcuco geschworen, duelliert und gespielt. Zum Ärger der Offiziere würfelten gemeine Soldaten um Goldbarren. Erstaunlich viele Goldbarren aus den Schatzkammern des Königs Wassergesicht gab es noch im Christenheer. Vor der Flucht aus Tenuchtitlan hatten von den Kastiliern besonders die Soldaten des Narvaez ihre Taschen mit Gold gefüllt. Mochten auch Zahllose an den Dammdurchstichen durch ihre Goldlast in die Tiefe gezogen worden sein – manche doch hatten sich und ihre Schätze an das Ufer von Popotla hinüberretten können. Aus Besorgnis, der königliche Rechnungsführer Albornoz könne Ansprüche der Krone geltend machen, hatten lange Zeit die Soldaten ihren Reichtum geheimgehalten. Die zunehmende Spielwut hieß sie diese Vorsicht außer acht lassen.

Cristobal de Olid gönnte ihnen das Gold nicht. Zugleich aber ärgerte ihn das drakonische Edikt, von dem er wußte, daß es gegen ihn selbst und seine Unbotmäßigkeit gerichtet war. Treuherzig – er unterstrich nie seine Bosheiten – stellte er an Cortes die Frage:

»Warum verfaßt Ihr Dekrete, Don Hernando, wenn jedermann darüberlacht, wie ich darüber gelacht habe?«

»Solange man eine Armbrust nicht braucht«, entgegnete Cortes, »lockert man an ihr die Sehne, damit sich die Armbrust ausruht. Das Dekret gibt mir die Möglichkeit, jederzeit den Bogen zu spannen, die Disziplin zu straffen ...«

»Jederzeit? ... Dann wundert's mich, daß Ihr jetzt nicht zugreift, bevor die Goldbarren wieder verschwinden, die so rätselhaft aufgetaucht sind. Spielern wird das Spielgut konfisziert – steht in Eurem Dekret!«

Vor Ratschlägen Olids war Cortes auf der Hut. Auch diesmal witterte er eine Falle. Olid, der mit der Mannschaft des Garay kühne Pläne hatte verwirklichen wollen, war scheinbar gefügig geworden, seit Francisco Hernandez sich und dreihundert gut ausgerüstete Kastilier Cortes zur Verfügung gestellt hatte. Auf seine Pläne aber hatte Olid gewiß nicht verzichtet. Sein kleiner Anhang konnte wachsen, konnte mit der Zeit vielleicht das Übergewicht erhalten, wenn Cortes Fehler beging und sich neue Gegner machte ...

»Mit meinem Wissen und Willen«, sagte Cortes, »nahmen damals meine Soldaten von Montezuma Gold, so viel sie schleppen konnten. Sie fochten für ihr Leben und für ihr Gold auf dem Damm und bei Otompan. Wenige behielten ihr Gold und ihr Leben – diese wenigen haben ihren Besitz schwer und redlich erworben. Ein Heerführer, der daran tasten wollte, wäre wert, abgesetzt zu werden ...«

Aber bald nach diesem Gespräch sah sich Cortes veranlaßt, seine Meinung zu ändern. Die federnde Biegsamkeit seines Geistes erleichterte ihm die Umstellung; auch fehlte es ihm nie an Beweisgründen, wenn es galt, sich selbst zu widerlegen.

Ein Bote aus Tlascala überbrachte ihm einen Brief des Andrés de Tapia. Dieser meldete, daß wieder eine Karavelle den Hafen von Vera Cruz angelaufen habe. Sie gehörte einem gewissen Felipe Monjaraz, einem begüterten Händler auf Haiti. Er war mit hundert Mann an Bord auf Sklavenraub ausgesegelt – ein Sturm hatte ihn von der Mündung des Amazonenstromes nordwärts an die Küste des Totonakenlandes verschlagen. Die Ladung bestand zum größten Teil aus Waffen, – Musketen, Hakenbüchsen, Hellebarden, Harnischen, einigen Geschützen und viel Pulver. Aus dem Schreiben Tapias ging hervor, daß Felipe Monjaraz nicht abgeneigt war, seine Waren und auch den Beistand seiner Mannschaft Cortes zu verkaufen, falls ihm ein angemessener Preis geboten würde.

Seit der Nacht der Schrecken litt das Christenheer Mangel an Feuerwaffen und Pulver, die Ankunft des Francisco Hernandez hatte daran nur wenig geändert: brauchten doch dessen Leute ihre Waffen für sich selbst. Die Möglichkeit, in den Besitz von einigen hundert Musketen zu gelangen, faszinierte Cortes. Da er den Kaufpreis aus eigener Tasche nicht zahlen konnte, blieb ihm keine andere Wahl, als zu verzichten oder seine Soldaten auszuplündern.

Der Wagen mit dem Goldschatz Montezumas war in den Dammdurchstich versenkt worden. Die Beute von Otompan und einiges in Tlascala aufbewahrt gewesene Gold hatte Cortes verausgabt, um das Schiff auszurüsten, mit welchem er Alonso de Avila nach Europa sandte. Augenblicklich besaß er weniger als mancher seiner Untergebenen. Er beriet sich mit Albornoz und Alvarado.

Am selben Abend wurden in der Marketenderei der Feuerlilie die Spieler überrascht und alle Goldbarren auf Grund des Dekretes beschlagnahmt. Doch dem Falschspieler Saldana, der die meisten seiner Kameraden geschröpft hatte, gelang es, seinen Raub in Sicherheit zu bringen: und was Albornoz und den Profosen in die Hände fiel, reichte bei weitem nicht aus, die Schiffsladung des Monjaraz zu bezahlen.


Bebend vor Erregung und mit glutenden Wangen trat am folgenden Morgen Marina vor Cortes hin. Ihre schwarzen, mandelförmigen Augen flackerten.

»Entsinnt Ihr Euch, Don Hernando, wie empört wir waren, als bekannt wurde, daß Olid dem Rollenden Stein und allen Kriegsgefangenen aus dem Roten Berg mit einem glühenden Eisen ein Zeichen auf die Wangen brennen ließ? Ihr habt es verdammt wie ich, Don Hernando!«

»Olid hatte kein Recht dazu! ...«

»Haben wir ein Recht dazu?«

Marina sagte immer »wir«, wenn ihr eine Handlung des Cortes mißfiel: indem sie sich zur Mitschuldigen machte, gewann sie den Mut, Einspruch zu erheben ...

»Was willst du damit sagen?« fragte Cortes, obgleich er wußte, was sie so aufbrachte.

»Albornoz hat angeordnet«, rief Marina, »daß die Soldaten ihre Sklavinnen in den Alten Palast führen. Dort werden sie gebrandmarkt. Nur den Schönsten wird das Zeichen auf den Rücken gebrannt statt auf die Wange, und sie werden abgesondert – als Kronfünftel und als Fünftel des General-Kapitäns mit Beschlag belegt, um auf den Sklavenmärkten Anahuacs verkauft zu werden ...«

Tränen verglasten Marinas Augen.

»Albornoz ist ein Beamter der Krone Spaniens«, versetzte Cortes verlegen. »Ich kann ihm keine Vorschriften machen.«

»Lügt nicht, Don Hernando!« sagte Marina leise.

»Nein, ich will nicht lügen, Marina. Gewiß, ich könnte es hindern. Doch dann müßte ich Verzicht leisten auf die fünfhundert Musketen und das Pulver, das wir so dringend brauchen – und damit vielleicht auch Verzicht leisten auf das Bekehrungswerk und die Ausmerzung der Blutgreuel Mexicos ... Das kann ich nicht, nachdem das Schicksal mich auf diesen Posten gestellt hat, das kann ich nicht als verantwortlicher Führer meiner Truppe und als Kreuzfahrer, für den ich mich halte – der ich Blutaltäre in Kirchen wandeln will! ... Glaube es mir, leicht fiel mir der Entschluß nicht. Meine Seele war letzthin hin und her gezerrt wie damals in Tlascala, als ich Lugo und die fünfundvierzig Mann preisgeben mußte, um unser hohes Ziel nicht zu gefährden. Die menschlichen Denkgesetze sind voll unlösbarer Widersprüche. Denker scheitern daran oder finden sich ab mit der Unvereinbarkeit der moralischen Forderungen. Ein Kämpfer aber muß den Pfeil seiner Armbrust auf einen einzigen Punkt richten und hunderttausend Punkte übersehen. Wer überall hinzielt, trifft nichts. Man muß es lernen, Menschenschicksale zu übersehen, wenn man ein Völkerschicksal vor Augen hat!«

Marina weinte laut.

»Kannst du mich widerlegen?« fragte Cortes.

Sie schüttelte schluchzend den Kopf.


Die Abstempelung der Sklavinnen hatte viel böses Blut gemacht. Bei den Kämpfen Am-Kolibri-Wasser jenseits der Berge war den Siegern eine verhältnismäßig geringe Goldbeute, dafür aber eine Unzahl von Sklavinnen in die Hände gefallen. Auf männliche Indianersklaven wurde ihrer Aufsässigkeit wegen (gelinde gesagt) verzichtet ... Die meisten Kastilier besaßen fünf bis zehn Mädchen und Frauen. Jetzt wurden diese in das Schneckenhaus – den alten Tecpan des Königs Zwei Kaninchen – eingeliefert, mit dem Brandeisen entstellt, nach Alter und Schönheit gesichtet, die Nichtverkäuflichen wurden dann wahllos verteilt. Mancher, der hübsche Mädchen gehabt hatte, erhielt alte Weiber.

Die Nörgler im Heer, die Anhänger des Gobernadors von Kuba, wagten sich wieder hervor. Der Steuermann Cardenas, der schon bei der ersten Rebellion an den moskitobedeckten Sanddünen giftige Anspielungen über »König Cortes« gemacht hatte, tat jetzt den Ausspruch: dem Christenheer könne es nicht fehlen, da es ja zwei Könige habe – einen in der Alten und einen in der Neuen Welt! ... Böse lachend und fluchend stimmten ihm Pedro de Palma (der Galan der langen Elvira), Gonzalo Mejia Rapapelo, der Enkel der Räuberin, Pero Trujillo, der grobe Spuckkünstler, Porras, der rothaarige Sänger, und viele andere bei. Ganz außer Rand und Band geriet ein Hellebardier namens Lerma, als er Cortes durch die Straßen Tezcucos reiten sah, fiel er dem Pferde in die Zügel, brüllte und schimpfte und mußte wie ein Tobsüchtiger weggeführt werden. Mit weniger Lärm, doch mit desto verbissenerem Ingrimm ereiferte sich ein gewisser Antonio de Villafaña. Eins der schönsten Sklavenmädchen war sein eigen gewesen, und seit sie ihm abgenommen wurde, trauerte er um sie, als wäre sie sein eheliches Weib. Zu seinen Freunden Palma, Papapelo und Lerma äußerte er: Cortes müsse ermordet werden. Jene griffen den Gedanken hitzig auf und spannen ihn weiter: auch über Albornoz, Alvarado, Olid, Ordas, Alonso de Ojeda und Sandoval sei das Todesurteil zu fällen. Kurz, sämtliche Kronbeamte und Offiziere müßten beseitigt werden ... Villafaña ließ sich Schweigen geloben. Er war – fast ohne es zu wollen – zum Rädelsführer einer Bande geworden, mochte diese einstweilen auch nur aus vier Verschwörern bestehen. Sie beschlossen, ihre Zeit abzuwarten, mehr Teilnehmer zu werben und erst nach umsichtiger Vorbereitung den Mordplan zur Ausführung zu bringen.

Bald konnte Villafaña neue Namen auf die Liste der Verschwörer setzen. Das Geheimnis wurde so streng gehütet, daß Cortes arglos blieb. Er hätte sich, wäre das Komplott ihm bekannt gewesen, schwerlich einschüchtern lassen. Daß ihm aber seine Handlungsweise auch von seinen getreuesten Anhängern verübelt wurde, machte ihn allgemach doch stutzig. Daher ließ er bekanntgeben, daß in Zukunft auf eine einmal verteilte Beute nie wieder Ansprüche erhoben werden würden.

Um die Unzufriedenheit im Heer abzulenken, beschloß er den Zug gegen Iztapalapan.


Felipe Monjaraz hatte die Steuermänner und Matrosen bei seinem Schiff zurückgelassen und traf mit einigen neunzig Mann und drei Pferden in Tezcuco ein – gerade noch rechtzeitig, um am bevorstehenden Kampf teilnehmen zu können. Obgleich er ein Händler, kein Krieger war, ließ er sich es nicht nehmen, mitzureiten. Er war hager, mittelgroß, hatte ein vornehmes Äußere und gut geschnittene Gesichtszüge, die hellbraunen Augen unter den buschigen Brauen blickten düster und standen nicht in Einklang mit dem ewigen Lächeln auf dem dünnlippigen Mund.

»Ich entsinne mich dieses Mannes!« sagte Alvarado zu Cortes. »Vor vierzehn Jahren sah ich ihn in Santo Domingo auf Haïti. Und wißt Ihr wo? – Im Gerichtssaal! Er hatte einen bösen Prozeß damals. Sein Weib war in ihrem Schlafzimmer ermordet aufgefunden worden. Förmlich durchlöchert war ihr Körper von Dolchstichen, man zählte dreißig Wunden. Niemand zweifelte, daß Monjaraz der Täter war. Seine Frau hatte einige Zeit zuvor entdeckt, daß er sie mit einer der Hausangestellten betrog, und sie hatte ihm seitdem das Leben sauer gemacht. Seine Verhaftung machte ungeheures Aufsehen. Aber er war schon damals steinreich und brachte bestochene Zeugen vor. So konnte ihm die Schuld nicht nachgewiesen werden.«

Auch unter den älteren Soldaten entsannen sich einige jener Mordtat. Bald wußte es jedermann. Mit einer feindseligen Scheu wurde der reiche Mann angegafft und gemieden.

Er hatte seine sechzehnjährige Tochter, sein einziges Kind, mit nach Tezcuco gebracht. Sie hieß Celestina und wurde von den Soldaten La Monjaraza genannt. Sie war schwachsinnig. Ohne schön zu sein, hatte sie etwas Rührendes im hilflosen Ausdruck ihres Puppengesichtes und ihrer gelbgrünen, großen, glashaften Augen.

Die Gattin Alvarados, Rabenblume – des Königs Kriegsmaske Schwester –, nahm Celestina in ihre Obhut, als Monjaraz mit den Feldobristen Tezcuco verließ.

Von den Offizieren blieben in Tezcuco nur Sandoval als Stellvertreter des General-Kapitäns und der junge Alonso de Ojeda, welcher gemeinsam mit dem weißhändigen Sanchez Farfan die Schwarze Blume beriet, erzog und überwachte.


Gedeckt durch Maisfelder, Baumwoll-, Maguey- und Kakaopflanzungen und dann durch die grüne Mauer der Zypressenwälder des südöstlichen Lagunenufers, näherten sich – dem Anschein nach unbeobachtet – zweihundert Fußsoldaten, achtzehn Reiter und viertausend Tlascalteken Itztapalapan. Daß von allen Orten Anahuacs gerade Itztapalapan gezüchtigt werden sollte, hatte seinen Grund nicht nur darin, daß diese Stadt zu Montezumas Zeit die Residenz seines christenfeindlichen Bruders gewesen war und daß sie – nur getrennt durch einen meilenlangen Steindamm – vor den Toren Tenuchtitlans lag. Es war auch Notwehr, wenn die Christen der ständigen Bedrohung der Maisfelder Acolhuacans ein Ende machen wollten. Die Ernte – und damit die Ernährung des Christenheeres – war in Frage gestellt, da immer wieder die Mexikaner von Itztapalapan aus die Feldarbeiter Tezcucos überfielen, töteten oder wegschleppten.

Um die Mittagszeit befand sich Cortes bereits zwei Meilen östlich der Stadt, als er, aus einem Walde in die Ebene tretend, sich achttausend Mexikanern gegenübersah, die sofort mit wüstem Kriegsgeschrei den Kampf begannen. Den Feuerwaffen konnten sie nicht lange standhalten. Zäh fechtend, zogen sie sich auf die Stadt zurück; dicht vor den Mauern wurde ihr Rückzug zur Flucht: sie suchten Schutz in der Stadt, so hastig, daß sie nicht einmal die Tore hinter sich schlossen. Die Christen drangen durch die offenen Tore ein. Doch zu ihrem Verwundern fanden sie keine Adler und Jaguare innerhalb der Mauern vor –: unzählige Boote hatten in den westlichen Kanälen der zu zwei Dritteln in die Lagune hinausgebauten Pfahlstadt bereit gelegen und das mexikanische Heer in Sicherheit gebracht. Das hinderte die Tlascalteken nicht, sechstausend Greise, Frauen und Kinder der friedlichen Bevölkerung Iztapalapans hinzumorden. Die Christen hatten Besseres zu tun: sie durchsuchten Haus für Haus nach hübschen Mädchen, Gold und Geschmeiden. Die Beute war übergroß. Als die Nacht nahte und nichts mehr zu rauben war, steckten sie die Stadt in Brand.


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