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Mehrere Wochen war Cortes schwer krank, einige Tage rang er zwischen Leben und Tod. Ein zersplitterter Knochen oberhalb des Schläfenbeins mußte aus der schwärenden Wunde entfernt werden. Ponce de Güelva, der verrückte Apotheker, war in Tenuchtitlan umgekommen, doch zum Glück befand sich unter den Leuten des Narvaez ein Feldscher, der leidlich geschickt sich aufs Trepanieren verstand. Freilich, das hartnäckige Wundfieber zu bannen, besaß er kein wirksames Heilmittel. Und als vierzehn Tage nach der Operation das Fieber nicht nachgelassen hatte, willigte Cortes, auf Anraten Marinas, drein, sich den Rat einheimischer Arzte einzuholen und in einem Pacalli – so wurden die Apotheken genannt – eine aus weißen Chian-Körnem und den Wurzeln der Pocahualizpatli-Pflanze zubereitete Medizin kaufen zu lassen. Und tatsächlich, den Medizinmännern gelang, was dem europäischen Arzt mißlungen war: das Fieber schwand.

Nicht weniger als die Mehrzahl der Kastilier hatten die Tlascalteken um das Leben des weißen Gottes gezittert. Wie beliebt, wie vergöttert er war, hatte sich nie so offenbart wie in dieser Zeit der Sorge. Täglich waren die Vierfürsten in eigner Person und mit ihnen Abgesandte des Hohen Rates ans Krankenlager gekommen, hatten es förmlich umlagert, so daß Marina und der Feldscher, um sich ihrer bangen Fragen zu erwehren, sie mit der Notlüge fortscheuchen mußten: Cortes wünsche keine Besuche mehr.

Als das Fieber nachgelassen hatte, empfing Cortes die Sammelnde Biene und das Offene Gesicht. Sie berichteten ihm von einer Sitzung des Hohen Rates. Trotz der beim Tanzfest von Rabenblume erhobenen Beschuldigungen hatte Kriegsmaske die Kühnheit gehabt, zur Senatssitzung zu kommen. Was er in Gegenwart der Kastilier abgeleugnet hatte, räumte er angesichts seiner Stammesgenossen ein und rühmte sich sogar, die Brigantinen zerstört zu haben, damit habe er dem schlimmsten Feinde Tlascalas das Rückgrat gebrochen, einem gefährlicheren Feinde, als Mexico je gewesen sei. Er erinnerte an die Hinrichtung des Fürsten Fichtenzweig auf dem großen Marktplatz der Stadt, gemahnte an dessen Rede unter dem Galgen und forderte den Rat der Alten auf, ein Schutz-und-Trutz-Bündnis mit Mexico gegen die Christen zu schließen. Weiter zu reden, war Kriegsmaske gehindert worden. Er hatte die Zahl seiner Gesinnungsgenossen überschätzt. Sein eigener Großvater, der blinde Hundertjährige, hob die zittrige Greisenfaust gegen ihn und verfluchte ihn. Das Offene Gesicht schlug ihn ins Antlitz, schlug ihm zwei Zähne aus. Der Senat erklärte ihn für einen Hochverräter, ließ ihn festnehmen und in einen Holzkäfig sperren. Und nun baten die beiden Fürsten Cortes, er möge das Todesurteil über Don Vicente aussprechen.

Cortes lehnte das ab.

»Wenn ich Kriegsmaske töten lasse, so wird sein Anhang wachsen. So mächtig sind wir Christen heute nicht wie damals, als wir den Fürsten Fichtenzweig straften. Heute bedürfen wir mehr denn je der Eintracht. Und keinen besseren Dienst kann ich mir und euch Tlascalteken erweisen, ab wenn ich die Bosheit Don Vicentes durch Milde unschädlich mache. Ein Schwerthieb spaltet Eis, aber nicht Wasser. Darum laßt ihn frei – dies ist mein erster Wunsch seit meiner Krankheit, und ihr dürft ihn mir nicht abschlagen!«

Die Stadtkönige widersprachen erst und fügten sich dann, weil sie die Bitte des weißen Gottes nicht abweisen konnten. Kriegsmaske wurde auf freien Fuß gesetzt.


Ein Dämon war Cortes. – Wer anders hätte das schier Unwahrscheinliche vermocht, Flüchtling zu sein und Werber zugleich, allem Mißgeschick zum Trotz. Die Tlatepotzca, Die-hinter-den-Bergen – die Staaten Tlascala, Huexotzinco und Cholula –, hielten zu ihm. Der Vogelsteller, der junge Priesterkönig Cholulas, sandte mehrmals Geschenke für den »Genelal-Capitantzin« und Zweige mit Blumen-desroten-Herrn für die Zauberfürstin (womit Marina gemeint war). Und selbst der unbotmäßige Prinz Kriegsmaske trug knirschend das Joch.

Knirschend sah auch Olid ein, daß sein wohlwollendes Mitleid mit Cortes nicht mehr am Platze war. Maisblüte zu erlangen, sah er sich durch Cortes gehindert. Doch er verschob die Verfolgung seiner Ziele, vergaß sie scheinbar ganz und bemühte sich – was er früher nie getan hatte – um das Vertrauen und die Gunst Don Hernandos. Olid konnte ausgelassen, temperamentvoll und ungezogen sein wie ein zehnjähriger Knabe. Obgleich Cortes seine Unberechenbarkeit kannte, wunderte er sich über seine Zutraulichkeit und fand an seinen beinahe liebenswürdigen Frechheiten Gefallen. Dennoch weckte es sein Mißtrauen, daß Olid, der mit bissigen Glossen keinen der Feldobristen und Soldaten verschonte, nie eine Silbe über Maisblüte und Don Pedro Gallejo fallen ließ.

In heimlichen Gesprächen mit Pater Olmedo bestand daher Cortes darauf, die Eheschließung zwischen der Königin und Gallejo müßte beschleunigt werden. Aber es war Gallejo selbst, der um Aufschub bat mit der Begründung, die noch immer stumme Königin schüttle jedesmal abweisend den Kopf, wenn von der Ehe die Rede sei, und er wünsche ihre Liebe sich nicht zu erzwingen. Trotzdem schickte Cortes den Pater Olmedo zu ihr, in der Hoffnung, sie werde durch eine christliche Bußpredigt weich gestimmt, vielleicht umgestimmt werden. Auch sollte sie, die vor der Hochzeit mit Alonso de Grado schon einmal getauft worden war, für eine nochmalige Taufe vorbereitet werden, hatte sie doch in der Zwischenzeit wieder Götzendienst getrieben.

Doch des Paters priesterliche Ermahnungen fruchteten nichts. In ihrer Kammer, wo er sie allein antraf, kniete sie am Boden, auf ihren Hacken sitzend, und ließ wehmütige Weisen aus einer kristallenen Flöte ertönen – einem Beutestück, welches Don Pedro Gallejo ihr geschenkt hatte. Kaum hatte Olmedo zu reden angefangen, brach das traurige Lied ab, und Maisblüte begann auf der Flöte so lärmend zu schrillen, daß der Pater seine eigenen Worte nicht hören konnte. Geärgert entriß er ihr die Flöte. Da kreischte sie wie ein verwundetes Tier und hörte nicht auf zu kreischen, bis Olmedo ihr die Kristallflöte zurückgab und sich kopfschüttelnd entfernte.

Weil nun Olmedo den Versuch nicht wiederholen wollte, veranlaßte er Cortes, Marina zu Maisblüte zu senden und sie durch Güte für den christlichen Glauben zu gewinnen, ihr gewissermaßen Religionsunterricht zu erteilen an Stelle des Priesters. Als Marina zu Maisblüte kam, erwiderte diese ihren Gruß nicht und übertönte die Worte durch ihr Flötenspiel. Nicht abschrecken ließ sich Marina, sie kehrte wieder. Und während sie das drittemal bei ihr saß und sprach – nicht von Dogmen sprach, sondern vom schweren Los der Frauen, welches das gleiche sei unter allen Himmelsstrichen –, wurde das Flötenspiel allmählich leiser. Marina redete im Stil der uralten aztekischen Ermahnungsreden.

»Wußtest du denn nicht«, sagte sie, »daß es auf dieser Erde keine wahren Freuden und keine wahre Ruhe gibt, sondern, ganz im Gegenteil, Mühsal nur und Seelenqualen und Überfluß an Elend? Diese Erde ist wahrlich ein Ort der Tränen, der Trauer und des Mißvergnügens, diese Erde ist schlecht und voller Pein ...« Und als Marina merkte, daß Maisblüte aufhorchte, sprach sie von Montezuma, der stets zu ihr liebevoll wie ein Vater gewesen war, und vom Herabstoßenden Adler, von dem sie wußte, daß er Maisblüte liebte. Damit hoffte sie das Eis zu brechen. Eben damals waren von geflüchteten Otomis Nachrichten aus Tenuchtitlan über die Große Mauer gebracht worden. Marina erzählte, daß nach dem Totengericht über den Überwältiger – dem der Kahn über den Schilfsee nicht verweigert wurde – eine neue Königswahl in Tenuchtitlan stattgefunden habe: zum Tlatohuani von Mexico sei der Herabstoßende Adler erwählt worden. Das Fest der Königskrönung aber sei hinausgeschoben worden bis zur Wiederherstellung des Durch-Zauber-Verführenden, des jungen Königs von Tlacopan, der jüngst vor den Toren der Stadt schwer verwundet wurde. Beim Krönungsfest werde Prinzessin Silber-Reiher, die zweite Tochter Montezumas und Witwe des Edlen Traurigen, Königin von Mexico werden, da der Herabstoßende Adler auf Wunsch des Volkes und der Priesterschaft – gleich nachdem er zum König erwählt war – mit ihr sich öffentlich verlobt hatte.

Eine grausame Kunde war das, wenn auch Marina sich bemüht hatte, sie schonend vorzubringen. Die Wirkung auf Maisblüte war vernichtend.

Die Flöte fiel zu Boden. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Maisblüte Marina an. Und ihre Augen schienen zu fragen: Lügst du oder lügst du nicht? ...

Doch nicht lange währte der Zweifel. Am ganzen Körper zusammenzuckend, von Schluchzen geschüttelt, brach sie in ein verzweifeltes Weinen aus. Gebrochen war der Trotz, gelähmt der sich abschließende, weltverachtende Stolz, der ihr bislang das Sklavinnenschicksal ertragen half.

Und daß Marina auf sie zuging, sie zärtlich umhalste und auf die Wangen küßte, ließ Maisblüte sich gefallen. Ja, sie selbst krampfte sich an ihren Nacken und schluchzte an ihrer Brust wie ein Kind an der Brust der Mutter. Und Marina gab ihr Kosenamen, nannte sie »Täubchen« und »dunkle Schmuckfeder«, und sie flüsterte ihr zu: erleichtern solle sie ihr Herz durch Tränen, erleichtern solle sie ihr Herz durch Worte, denn sie sei ja nicht stumm, sei nicht – wie Gallejo und andere glaubten – vor Schrecken stumm geworden.

Da begann Maisblüte zu sprechen. Und viel sprach sie, eilig, sich überhastend –: zu lange hatte sie, dem eigenen Befehl gehorsam, geschwiegen.

Nachdem der Herabstoßende Adler ihr verloren war, galt es ihr gleich, ob sie eines Christen Weib oder Sklavin sei, galt es ihr gleich, ob Gallejo oder ein anderer ihr Gatte werde. Don Pedro Gallejo war wenigstens ein Ritter und zuvorkommend. Sie widersetzte sich der Ehe nicht mehr. Bloß auf den einen Wunsch verzichtete sie nicht: ihren Vater bestatten zu können. Als sie es aussprach, als sie von der erleuchteten Königsgaleere in den Tiefen des Schilfsees erzählte, lächelte Marina nachdenksam.

»Laß uns beide vom Himmel erbitten, daß der Grüne Stein wieder an den Schilfsee gelangt. Nur Quetzalcoatl kann dir behilflich sein, das Verbot Tezcatlipocas zu übertreten!«

»Nein«, erwiderte Maisblüte. »Ich kann den Untergang Mexicos vom Himmel nicht erbitten! Ich bin ein Kind Mexicos und bin ein Kind Montezumas. An diesem Zwiespalt muß ich zugrunde gehen!«

Und sie brach von neuem in Schluchzen aus. Ein wenig verletzt und beschämt fühlte sich Marina durch den Stolz der Königstochter. Auch sie war ein Kind Mexicos – der Vorwurf brannte in ihrer Seele. Doch Maisblüte schluchzen zu sehen, ertrug sie nicht, und sie trocknete ihr die Tränen, küßte sie ihr von den Wangen. Für immer waren sie Freundinnen geworden, aneinandergekettet wie leidgeprüfte Schwestern.

Ehe Marina schied, versprach sie, vor Cortes und den anderen Feldobristen es geheimzuhalten, daß Maisblüte geredet hatte. Und sie hielt ihr Versprechen, wie schwer es ihr auch wurde, Cortes zu hintergehen.

Wenige Tage hernach wurde die Hochzeit Don Pedro Gallejos mit der Montezumatochter gefeiert.


Sofort, nachdem sich Cortes vom Krankenlager erhoben hatte, begann er Vorbereitungen zu treffen für den Bau von dreizehn Brigantinen. Einzeln sollten alle Teile der Schiffe nach Zeichnungen und Angaben des Schiffbaumeisters Marin Gutiérrez in Tlascala hergestellt werden, um, sobald die militärische Lage es gestattete, von Lastträgern über die Kordilleren an die Ufer der Lagune getragen zu werden, wo – so hoffte Cortes – etwa nach Jahresfrist die Zusammensetzung der Schiffsteile, die Betakelung und der Stapellauf der Brigantinen erfolgen konnte. Nicht nur von Tlascala, auch von Huexotzinco und Cholula erbat sich Cortes Handwerker. Und bald sah man die ersten indianischen Zimmerleute an der Arbeit: mit kupfernen Beilen bearbeiteten sie Balken, begannen Schiffsrippen herzustellen.

Freudig begrüßt wurde dies von den Veteranen des Heeres als ein Beweis dafür, daß ihre Flucht aus Tenuchtitlan nur ein Rückzug gewesen war, daß die Scharte ausgewetzt werden würde. Die Soldaten des Narvaez aber murrten über die Aussicht, das vielgelobte Goldland mit den Blutaltären noch einmal betreten zu müssen. Ihr Wortführer wurde Andrés del Duero, der einstige Gönner des Cortes. Die Bestallung des Cortes zum General-Kapitän hatte er bei Diego Velazquez, als dessen Sekretarius, erwirkt und hatte sich dafür von Cortes eine Beteiligung an den Erträgnissen des Unternehmens versprechen lassen. Auf Montezumas Goldschatz stand ihm kein Recht mehr zu, bescheiden war er geworden und begnügte sich mit einem Anteil an der Goldbeute von Otompan. Aber diesen hielt er für gefährdet, wenn Cortes sich in neue Abenteuer einließ, statt möglichst bald an die Küste vorzudringen und sich und das Heer nach Kuba einzuschiffen.

Von seinen Getreuen in Kenntnis gesetzt, beschloß Cortes, allen Unzufriedenen den Grund zur Unzufriedenheit zu nehmen. Lieber wollte er seine kleine Mannschaft noch verkleinern, als es dazu kommen lassen, daß die Tlascalteken Zeugen eines Aufstandes christlicher Soldaten würden. Er ließ daher bekanntgeben, daß er das Kronfünftel der Goldbeute von Otompan nach Europa zu senden beabsichtige, daß bis nach Vera Cruz fünf Reitern und vierzig Fußsoldaten der Schutz des Schatzes anvertraut sei und daß jedermann, der nach Kuba zurückzukehren wünsche, sich dem Geleitzuge anschließen dürfe.

Es meldeten sich zweihundert Mann.

Damals verfaßte Cortes seinen berühmten zweiten Bericht an Kaiser Karl, der mit dem Aufbruch nach Sempoalla beginnt, mit der Nacht der Schrecken und dem Rückzug nach Tlascala endet. Das Schriftstück sowohl wie das Gold durften Don Diego Velazquez nicht in die Hände fallen, mußten durch einen verläßlichen Mann an den spanischen Hof gebracht werden. Er übergab beides dem Hauptmann Alonso de Avila, ernannte ihn zum Führer des Geleitzuges und beauftragte ihn, die Einschiffung der heimkehrenden Mannschaften zu beaufsichtigen, selbst aber auf einer der Karavellen des Narvaez nach Spanien zu segeln. Und um dem Kaiser einen Begriff vom Reichtum Mexicos zu geben, fügte er dem Golde auch die smaragdene Stufenpyramide hinzu, welche von Olid nach dem Streit mit Gallejo hatte herausgegeben werden müssen. Der kleine Smaragdfels war mehr wert als der Goldschatz.

Daß Avila mit diesem Auftrag beehrt wurde, hatte zwei gänzlich verschiedene, beinahe sich aufhebende Gründe. Überworfen und verfeindet mit Alvarado, Sandoval und Luis Marin, suchte er trotz häufiger Ermahnungen immer von neuem Händel. Ihn loszuwerden, ihn abzuschieben ohne ihn zu kränken, ja sogar ihn scheinbar ehrend, nahm Cortes gern die Gelegenheit wahr. Andererseits ließ sich – außer daß er als Raufbold galt – nichts Ehrenrühriges ihm nachsagen. Zwar hatte ihn La Azteca im Schlangensaal des alten Tecpans entlarvt, doch er war in der Lage gewesen, sich von ihren und des Albornoz Anschuldigungen reinzuwaschen: er hatte sich nur sein Eigentum nehmen wollen, den Hort von Tezcuco, der ihm von Montezuma beim Patolli-Spiel geschenkt, von der Schwarzen Blume aber vorenthalten worden war. Er mochte ein Räuber sein, war aber kein Dieb. Und unter Freibeutern wird ein Räuber nicht mißachtet. Der spanische Ehrbegriff war ihm heilig. Seine Hübschheit und Fähigkeit, gewinnend liebenswürdig zu erscheinen (wenn es ihm darauf ankam), wie auch seine stiernackige Brutalität bürgten dafür, daß er sich bei Hofe nicht beiseite schieben lassen werde – wie anscheinend die Hauptleute Puerto Carrero und Montejo, von denen seit einem Jahr – seit ihrer Abreise nach Cadiz – keine Nachricht eingetroffen war.

Seit einem Jahr landeten in oder bei Vera Cruz Francisco de Salcedo mit Luis Marin, Quifioñes, Vendabal, Gallejo und sechs Hellebardieren, ferner der kleine Gerichtsschreiber Guillén de la Loa und Meister Pedro de la Harpa (der musikalische Matrose) mit den Leuten des Statthalters von Jamaica, Francisco de Garay, und endlich Panfilo de Narvaez mit seiner Heeresmacht. Kein Schiff aus Europa aber hatte sich an der Küste blicken lassen. Als peinlich, wenn nicht unheimlich, mußte Cortes das Schweigen seines kaiserlichen Herrn empfinden. Es ließ sich nur damit erklären, daß Puerto Carrero und Montejo verhindert worden waren, seinen ersten Brief, die Bittschrift des Heeres und die an die Dünen gesandten Geschenke Montezumas Kaiser Karl zu überreichen.

Zu Avila hatte Cortes das Vertrauen, daß er erreichen werde, was jenen mißlang, daß er die Ellenbogen haben werde, sich Bahn zu brechen durch einen Wall von Bischöfen und Höflingen.


Avila und zweihundert Kastilier zogen ostwärts, ohne Zwischenfall erreichten sie Vera Cruz und schifften sich ein. Der Rollende Stein im Roten Berge, der Vasall des Herabstoßenden Adlers, war nicht imstande gewesen, mit der kleinen mexikanischen Garnison den Durchgang durch sein Gebiet zu wehren. Doch hatte er hernach seinem Höflingsgefolge mit giftigem Lächeln verkündet: in Zukunft werde er mit dem Edelsteinwasser jedes durchreisenden Christen Jacatecutli, dem Herrn der Nase, dem Patron der Wandernden, die Lippen rot schminken!

Bald sollte der Rollende Stein Gelegenheit finden, seine Drohung auszuführen. Es war zwischen Avila und Cortes vereinbart worden, daß die erfolgte Einschiffung durch einen Boten, und zwar durch den Einsiedler Gaspar Lencero – jenen Eremiten, der in seiner Höhle Kreideschmetterling beherbergt und die Ermordung der Als-Schlange-Lebenden mit angesehen hatte –, nach Tlascala gemeldet werden würde. Gaspar Lencero hatte sich dem Geleitzug angeschlossen, weil er einen in Vera Cruz erkrankten Verwandten besuchen wollte. Nach der Abreise Dueros und Avilas wurde er von Narvaez, Salvatierra und allen anderen Bewohnern der Hafenfestung gewarnt, den Rückweg über den Roten Berg zu wählen. Er aber schlug alle Warnungen in den Wind. Glaubte er doch gefeit zu sein, da er waffenlos in der braunen Eremitenkutte einherging und als heiliger Mann – genau so wie der blinde Juan Torrés in Sempoalla – bei allen Indianern von den Bergen Tlascalas bis zu den Savannen der Totonakenküste in hohem Ansehen stand. Er verließ Vera Cruz und langte nie in Tlascala an.

Einige Zeit darauf sandte der Rollende Stein eine schön geschnitzte Kiste aus Blauholz an Cortes. Seine Tlamamas betraten Tlascala nicht, sie stellten die Kiste vor dem großen Osttor der Großen Mauer nieder, riefen den auf der Mauer Posten stehenden Otomis zu, das Geschenk sei für den Grünen Stein bestimmt, und entflohen, von Pfeil- und Steinwürfen der Otomis verfolgt. Die Blauholzkiste wurde in die Stadt Tlascala zu Cortes geschafft. Als er sie öffnen ließ, fanden sich darin die Überreste – Rumpf und Kopf – des geopferten Gaspar Lencero und ein Amatlacuilolli, das heißt ein mit farbigem Zypressenharz auf weißes Rindenpapier gemaltes Schreiben: so beschenke der Rollende Stein die weißen Götter! ... Des Einsiedlers Herz war aus der Brust gerissen. Die Arme und Beine waren abgehackt.

Eine Strafexpedition wurde sofort beschlossen. Besonders Olid benahm sich wie toll, forderte stürmisch und bettelte sodann um die Erlaubnis, der Rächer des heiligen Mannes zu sein. Dabei übersah er, daß es die von ihm geduldeten oder doch nicht verhinderten Scheußlichkeiten der Schwarzen Blume – die Pfählung der sechzig Kaufherren beim Gemetzel in Cholula – gewesen waren, um deretwillen Gaspar Lencero dem Kriegsdienst Valet gesagt und die Einsiedlerhöhle bei Atlihuetza bezogen hatte.

Cortes hätte lieber den verläßlichen Sandoval in den Roten Berg geschickt. Nur weil Olid nicht nachließ zu betteln und weil es peinlich war, daß ein Mann wie er sich einer bloßen Laune wegen – denn was war es sonst? – erniedrigte, gewährte ihm Cortes die Bitte und vertraute ihm die Strafexpedition an.


Zweitausend Tlascalteken, aber bloß fünfundzwanzig Kastilier begleiteten Olid. Als Unterfeldherren nahm er seine Freunde Juan Sedeño den Reichen, Sanchez Farfan den Weißhändigen und die Amazone Maria de Estrada mit, als Dolmetscher den Frater Aguilar, der ihn einst in Cholula mit unbehilflichen Worten so weltfremd an ein Erbarmen gemahnt hatte.

Gutherzig wie vor Jahresfrist beim ersten Besuch der Sonnensöhne öffneten die Bewohner des Weißen Mondgefildes Olid ihre Tore, bewirteten ihn und sein Heer. Das kleine, den Totonaken befreundete Stadtwesen war ein Spielball der streitbaren Mächte: erst kürzlich hatte es mit gleicher Zuvorkommenheit aztekischen Truppen die Tore geöffnet, sich Plünderung, Totschlag, Mädchenraub gefallen lassen und aller Unbill zum Trotz Mexico Treue geschworen. Jetzt wiederum schwor es dem Kaiser Treue und blieb sein Vasall, solange Christen innerhalb der Mauern weilten. Die noch unversehrte Stadt lachte voll Schwermut, war wie überweht von einem Hauch der Vernichtung. Die anmutige Architektur und die überreichen Reliefskulpturen des auf steiler Kuppe ragenden Kastells weckten wie einst die Bewunderung der Beschauer. Doch seltsam leer waren die Gassen. Die Mexikaner hatten Knaben und Mädchen als Geiseln fortgeführt. Und durch eine vom Heer des Narvaez in das Irdische Paradies, die Kordillerenstaaten und den Seengau eingeschleppte Pockenepidemie waren zwei Drittel der Bewohner des Weißen Mondgefildes hingerafft worden. Die Seuche hatte sich satt gefressen und war weitergezogen, so daß für die Christen eine Ansteckungsgefahr nicht mehr bestand.

Maria de Estrada ritt als Jäger gekleidet durch die Säle des Tecpans und in einen großen mit Wandteppichen geschmückten Saal, wo an einem mit Speisen und Getränken reich versehenen Speisetische Cristobal de Olid, Sanchez Farfan und Sedeño der Reiche tafelten.

»Bei Gott, Dona Maria, Ihr seid eine Zentaurin!« rief Sedeno begeistert. »Kommt, reitet und tänzelt auf unserem Tisch ... Aber gebt acht – er ist voll, übervoll. Wenn Ihr mit Euren Hufen (denn Eure Hufe sind es, schöne Zentaurin!) keine Schüssel und keinen Becher zertretet, so zahle ich Euch hundert Goldmaravedis!«

Juan Sedeño aus La Havanna war der reichste Mann im Christenheer. Einst bei der Landung an den moskitobedeckten Sanddünen nannte er eine der elf Karavellen, einen Neger und viele Kisten Salzfleisch sein eigen, und seine braune Stute hatte ein Graufohlen geworfen. Seit die kleine schüchterne Tänzerin La Medina, die er lange mit Liebesanträgen und später mit Verleumdungen verfolgt hatte, in der Nacht der Schrecken umgekommen war, liebte er die knabenhafte Amazone. Seine ehebrecherischen Hoffnungen freilich zerschellten immer wieder an ihrer diamantenen Reinheit.

»Ich bin unverkäuflich!« lachte Maria de Estrada. »Hergeritten kam ich, Don Cristobal zu fangen und nicht Euch, Señior!«

»Nur einmal ließ ich mich fangen und zum Sklaven machen! ...« murmelte Olid bärbeißig, an einem Truthahnflügel knabbernd. (Seine sehnigen Finger trieften von Fett.) »Gebt es auf, Dona Maria!«

»Nein, ich gebe es nicht auf! Ihr drei sollt mich auf der Jagd begleiten!«

»Wollt Ihr uns drei jagen, Señiora?«

»Nein, aber Sedeños Fohlen, das voriges Jahr hier in der Umgegend entlief. Und finden wir das Fohlen nicht, so bringen wir einen Hirsch heim!«

»Und damit meint Ihr Euren Gatten Sanchez?« platzte Olid brutal lachend heraus, umjohlt vom Gewieher seiner beiden Kumpane. »Ich soll wohl mithelfen, ihm ein Geweih aufzustecken?«

»Ihr sollt mithelfen, das Graufohlen heimzubringen ...«

»Also Euch! Doch ich wette: aus dem Fohlen wurde eine brünstige Stute. Habe ich nicht recht, Sanchez? Ihr könnt ja darüber Auskunft geben!« brüllte Olid vor Lachen.

Ohne die groben Anzüglichkeiten, an die sie im Lagerleben gewöhnt war, einer Betrachtung zu würdigen, wiederholte Maria de Estrada die Aufforderung. Da stellte es sich heraus, daß Olid nichts – oder nichts mehr – vom Fohlen wußte. Er fragte und ließ sich berichten, daß damals auf dem Wege zwischen dem Roten Berge und dem Weißen Mondgefilde Sedeños Graufohlen entlaufen war. Alvarado, Maria de Estrada und die Reiter Dominguez und Lares hatten die Verfolgung aufgenommen und hatten auf einem Weideplatz im Walde ein Rudel Hirsche erspäht, unter denen das Graufohlen stand, als gehörte es zu ihnen. Auch als später Lares von Cortes ins Irdische Paradies gesandt worden war, den entscheidenden Sieg über Tlascala dem dicken Kaziken und Escalante zu melden (und die zwei vergrabenen Malvasierflaschen zu holen), hatte er nahe beim Weißen Mondgefilde zu sehen geglaubt, wie das Fohlen zwischen Hirschen umhersprang und am Euter einer Hirschkuh trank.

Olid sagte grinsend:

»Setzt Euch splitternackt aufs Pferd, Amazonenkönigin, und reitet auf unserem Tisch. Wenn Ihr kein Unheil stiftet – außer in unseren Herzen –, so begleite ich Euch auf die Jagd!«

Ohne Widerspruch stieg Maria de Estrada vom Pferd und entkleidete sich vor den Männern. Als sie sich völlig nackt wieder in den Sattel schwang, behielt sie die Reitpeitsche in der Hand. Ein breites Brett war geholt worden und war an die Kante des Tisches gelehnt, damit das Pferd ansteigend, ohne Sprung, auf den Tisch gelangen konnte. Schlank wie ein schöner Knabe ritt sie auf dem Tisch umher. Die Schüsseln, Teller und Becher wurden von den Pferdehufen nicht gestreift. Maßlos war die Bewunderung Olids, Sedeños und Farfans, frenetisch der Jubel der vielen Neugierigen, die in den Saal gekommen waren, das Schauspiel zu betrachten.

»Ihr jubelt zu früh!« rief Maria de Estrada. Und mit dem Arm weit ausholend, peitschte sie ihrem Gatten Farfan dreimal quer übers Gesicht.

Und sonderbar –: sie erntete damit stürmischeren Beifall noch als mit ihrem Ritt.


Farfan de las manos blancas war ein Hellebardier von Rang: ihm war die Erziehung des kleinen Königs von Tezcuco anvertraut worden. Er war auch ein Held: den Alligator im Nahutla-Fluß hatte er durchspießt und hatte auf der Stufenpyramide Sempoallas dem Narvaez die Wange durchbohrt und das linke Auge ausgestoßen. Um so tiefer war jetzt sein Fall, und zum Schaden hatte er auch noch den Spott: er solle seine Gattin zum Duell fordern, rieten ihm alle, weil niemand daran zweifelte, daß er bei einem Waffengange den kürzeren ziehen würde. Als ob nicht Mut genug dazu gehörte, einer Amazone Bettgenoß und Schleppenträger zu sein! ...

Während er sich winselnd sein dickverschwollenes Gesicht kühlen ließ, ritten Olid, Sedeño und Maria de Estrada aus den Toren des Weißen Mondgefildes hinaus und suchten das Graufohlen. Selbstverständlich fanden sie es nicht. Aber sie erlegten Moorschnepfen, einen Coxcox-Fasan, einen Ameisenbär und etliche goldgelbe Affen. An einen Weideplatz, wo Hirsche davonstoben, gelangten sie auch, und Sedeño stritt mit der Amazone, ob es dieselbe Lichtung sei, wo sie damals das Fohlen entdeckt hatten. Schon wollten sie umkehren, als sie ein dunkles Wesen von einer Anhöhe herab und auf sich zuspringen sahen. Erst hielten sie es für einen Luchs, dann für einen menschenähnlichen Affen und erkannten, als es aus dem deckenden Gestrüpp hervortrat, daß es ein kaum bekleideter Neger war.

Der Neger redete Olid auf spanisch an:

»Don Cristobal, Ihr kennt mich doch?« ...

Oft versagte Olids Gedächtnis, wenn er sich Zeit lassen wollte für Entschlüsse oder einen Vorteil darin sah, gedächtnislos zu sein. Doch diesmal entsann er sich wirklich nicht. Er schüttelte den Kopf und sah verdutzt den Neger an. Auffallend schön war der Neger: er gehörte der Adelsrasse der Hima an, jenem schönsten Negerstamm, südlich der Nilquellen wohnhaft, der durch seine langschädlige Kopfbildung und das langgezogene edle Profil genau den herrlichen Königsbildern der Ramessidenzeit gleicht, vor allem Seti dem Zweiten.

»Ich entsinne mich nicht!« brummte Olid.

»Ihr entsinnt Euch Eures Leidensgenossen nicht, Don Cristobal? Freilich, Ihr seid jetzt ein großer Herr, und ich bin nur ein Sklave. Aber Ihr müßt mich doch kennen! Angeschmiedet war ich an Euch, ein Jahr lang saß ich auf einer Ruderbank mit Euch ...«

Obgleich Olid nie ein Hehl daraus machte, daß er ein Galeerensklave gewesen war, ja sich zuweilen damit brüstete, ärgerte es ihn, vom Neger daran erinnert zu werden. Er hatte ihn inzwischen längst erkannt, schwankte aber noch, ob er die anrüchige Bekanntschaft erneuern solle. Maria de Estrada, die seine Gedanken erriet und sich für ihn schämte, da sie selbst stets großzügig handelte, verstand es ihn umzustimmen durch die Bemerkung:

»Ei, Don Cristobal, jetzt habt Ihr Gelegenheit, Euch gleichfalls einen Leibneger beizulegen wie Cortes und Sedeño!«

Tatsächlich hatte Olid oft Cortes und Sedeño um ihrer Neger willen beneidet. Den Ratschlag der Amazone fand er beherzigenswert, seine verdüsterten Züge klärten sich auf.

»Du bist Estevan Parillas!« sagte Olid. »Wir sahen uns zuletzt bei Malaga.«

»Ich verhalf Euch zur Flucht, Don Cristobal!«

Olid nickte.

»Es soll dir nicht vergessen sein, Bursche. Was hast du seitdem getrieben?«

Da berichtete der Neger von seinen Lebensschicksalen. An den Quellen des Nils hatte er seine Kindheit verbracht. Von Sklavenjägern war er nach Acamor an die Mündung des Flusses Omiravi gebracht worden, wo Portugiesen den Sklavenmarkt aufkauften und nach Spanien weiterverkauften. Parillas wurde er genannt, weil Parillas der Name seines ersten, von ihm ermordeten spanischen Herrn gewesen war, eigentlich hieß er Ibrahim Achmed. Nach der Flucht von der Galeere hatte er, unfähig, herrenlos sein Dasein zu fristen, sich freiwillig als Sklaven einem Hidalgo angeboten, der nach Kuba auswanderte. Auf den Antillen ging er von Hand zu Hand. Sein letzter Herr ließ sich von Narvaez anwerben und nahm ihn mit nach der huaxtekischen Küste. In Sempoalla – noch vor der unfreiwilligen Entsendung des Priesters Guevara nach Tenuchtitlan – erkrankte Parillas als erster an den Pocken. Sein Herr, von ihm angesteckt, starb. Der Krankheitsherd war noch klein, als Cortes Narvaez besiegte, so daß das zum Entsatz Alvarados nach Mexico eilende Kastilierheer von der Seuche verschont blieb. Um so schlimmer wütete sie unter den von Cortes nach Vera Cruz geschickten gefangenen Offizieren Don Panfilos, unter der Besatzung von Vera Cruz und vor allem unter den indianischen Bewohnern Totonacapans. Von Sempoalla aus trat die Seuche ihren Raubzug an und gelangte über die Kordilleren bis nach Anahuac. Gegen sie gab es kein Heilmittel: wer an seinem Körper die furchtbaren Pusteln entdeckte, wußte, daß er ein Kind des Todes war. Nur Estevan Parillas, der so vielen blühenden Ländern das Verderben gebracht hatte, erhielt – gleichsam zum Lohn und Dank – sein Leben von der Seuche geschenkt. Darum aber verfluchten ihn die Bewohner von Vera Cruz, darum verabscheuten ihn die Totonaken: er wurde verjagt wie ein räudiger Hund. Nun hatte er versucht, sich nach Tlascala durchzufinden ...

Sedeño faßte Olids Arm, flüsterte ihm zu;

»Laßt Euch mit dem nicht ein! Den hat der Teufel ins Land gebracht! ...«

»Um so besser!« meinte Olid. »Der Engel des Herrn kann mehr Mexikaner erdrosseln, als Cortes vermag!«

Und zu Estevan Parillas sich wendend, fragte er:

»Welch ein Wind hat dich in diesen Wald geweht?«

»Ich suche einen Herrn!« erwiderte der Neger. »Wollt Ihr mein Herr sein?«

»Ja«, sagte Olid. »Das weiß ich von früher noch: du hast den Teufel im Leibe! Solch einen Burschen kann ich brauchen!«


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