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Das Geheul auf dem anderen Kanalufer verstummte nicht: »Sandoval! Sandoval!«

»Das darf nicht sein! So kann Gott mich nicht strafen wollen!« dachte Cortes. Obgleich der Kopf neben ihm lag, blickte er nicht hin. Dann aber streckte er doch die Hand aus danach ...

Und er zwang sich hinzusehen ... Er sah nur den herabhängenden Schnurrbart – schon war sein Blick von aufquellenden Tränen getrübt. Und wundersam blitzartig trat ein Bild aus seiner Knabenzeit ihm vor die Seele: er sah in seiner Vaterstadt Medellin den alten Kommandanten Gregorio de Sandoval durch die Gassen schlendern, gespornt, mit der Reitgerte die Luft schlagend, einsam, verdrossen über ein vertanes Leben ... Die flüchtenden Gedanken wurden zurückgerissen zur grellen Wirklichkeit, doch sofort suchten sie wieder zu entweichen ... Wie fremdartig war ringsum die Architektur der Häuser. Wie farbenfunkelnd die Terrassenbauten. Fast jedes Haus stand einzeln von Wasser umspült. Manche waren fünf Stockwerke hoch. Die Mexikaner glichen riesigen Kolibris. Es war das schönste Kleinod der Welt, dieses wellenflirrende Tenuchtitlan ... Aber was half es, feige in die Irre fortzuschweifen. Ja, es war Sandovals Kopf, den er in der Hand hielt. Und Cortes schrie auf vor Schmerz.

Im selben Augenblick wurde er von einem Indianer gepackt und den Kanalrand hinabgezerrt. Der Kopf Sandovals rollte ins Wasser und ging unter. Ein mit sechs Adlerkriegern besetztes Boot sauste heran, den herrlichsten aller Opfersklaven aufzunehmen. Die Mexikaner am anderen Ufer brüllten voll Siegesfreude: »Der Grüne Stein ist gefangen!«

Cortes selbst hielt sich für verloren. Er war nicht imstande, sich von der Umklammerung des bärenstarken Indianers loszumachen. Die aufgeweichte Straße, zerstampft vom Ringkampf, gab nach, bröckelte ab ... Cortes verlor das Gleichgewicht, glitt dem Wasser zu ... Da durchschnitt mit einem Schwerthieb Antonio de Quinones den Arm des Mexikaners und riß den stürzenden Cortes empor. Das Freudengeheul der Mexikaner verstummte und wandelte sich dann in Wutgeheul.


Die Zahl der Christen am Kanal hatte sich inzwischen durch herbeigeeilte Mannschaften Tapias vergrößert. Auch der Apfelschimmel Molinero wurde von einem Pagen herangeführt. Und als Cortes zögerte, ihn zu besteigen, zerrte ihn Quiñones beinahe gewaltsam zum Pferde hin und machte ihm in gütig-barschem Ton Vorhaltungen, daß er sein Heer gefährde, wenn er sich gefährde. »Wir sind verloren, wenn wir Euch verlieren, Señor Capitan! ...« Er war ein baumlanger Kerl, stämmig und lässig in der Haltung, pechschwarz, verwildert, struppig Bart und Haar, schmalstirnig, brutal und gutmütig das Gesicht. Mit dem galanten Salcedo, Luis Marin, Gallejo und Vendabal war er einst in Vera Cruz gelandet, während La Medina im Nachtlager auf dem Weg nach Sempoalla tanzte ... Noch hatte ihm Cortes kein Wort des Dankes für die Lebensrettung gesagt. Er wollte es tun, während er den Fuß in den Steigbügel setzte. Doch er kam nicht dazu. Der Hals des Pagen, der den Zügel Molineros hielt, wurde von einem Wurfspieß durchbohrt. Und als Qiñones hinzusprang, den Zügel zu halten, traf auch ihn ein tödlicher Pfeil ins Auge.

Schaudernd bestieg Cortes das Pferd. Für Trauer war ihm keine Zeit vergönnt. Dem Verstande die Herrschaft überlassend, fand er seine kühle Ruhe wieder. Umsichtig ordnete er den Rückzug an. Er selbst wollte sich mit seiner Leibwache und dem Rest von Alderetes Truppen auf der Hauptstraße südwärts durchschlagen. Seinen in den beiden Parallelstraßen fechtenden Heeresabteilungen befahl er, am Haus der Speere sich mit ihm zu vereinigen.

Verlustreich war auch der Rückzug. Von den Dachterrassen herab und aus den Kanälen herauf kämpften die Mexikaner. Die schwarze Sammetfahne mit dem gestickten, von weißen und blauen Flammen umloderten Goldkreuz wurde dem Fahnenträger Corral entrissen. Der rasende Jubel der Mexikaner über den Raub der Trophäe war ebenso verfrüht wie das Entsetzen der Christen angesichts dieser Schmach. Corral kämpfte sich durch bis zur Fahne und brachte sie und sich unversehrt aus dem Gewühl zurück.

Als das Heer hinter den Festungsmauern von Acachinanco geborgen war, ließ sich der Verlust übersehen. Zweiundsechzig Kastilier, achttausend indianische Verbündete, zwei schwere Geschütze und sieben Pferde waren den Mexikanern in die Hände gefallen. Und Sandoval war tot.


Macuilxochitl, der Gott des Tanzes und der Blumen, herrschte nun in Tenuchtitlan. Männer, Frauen, Greise und Kinder umflochten sich mit Blumenkränzen und tanzten. Und selbst die unseligen Kriegsgefangenen wurden durch Schläge gezwungen, Schmuck anzulegen und zu tanzen. Während der Weibliche Zwilling von einem Altan herab die in endlosem Zug an ihm vorbeischreitenden Heerscharen beglückwünschte und als getreue, den Vorfahren ebenbürtige Söhne der »Stadt im Kolbenrohr« feierte, wurden die Kriegsgefangenen am Götzenbild Huitzilopochtlis vorbeigeführt, wo sie Erde essen mußten, sie wurden an der berghohen Schädelstätte vorbeigeführt, wo ihnen aus einer Unzahl von Augenhöhlen das Spiegelbild ihres jammervollen Loses entgegenstarrte. Dann brachte man sie in den von den Königen von Tlacopan und Mexico bewohnten Palast. Dort ließ Guatemoc ihnen köstliche Speisen und Getränke vorsetzen, beweihräucherte sie, beschenkte sie mit Blumen und sagte: »Seid willkommen am stillen Wasser von Tenuchtitlan, wo zwischen Uferschilf und Röhricht der weiße Adler sang und die weiße Schlange pfiff. Die Gnade des Sonnengottes hat euch mir geschenkt, damit ich euch zum Fest meiner Krönung opfern kann! Freut euch und genießt – bevor das Messer euch die Brust öffnet – den Anblick des schönen Tenuchtitlan! Und tröstet euch, denn keine weibische Tat führt euch hierher! Zehn Tage lang wird dies Fest gefeiert werden, und jeden Tag werden sechs Söhne der Sonne und achthundert Söhne dieser Erde zu Göttern werden!«

Dem Wunsch des Königs gemäß wurde die Schar der Opfersklaven in zehn Gruppen geteilt. Und schon gegen Abend des ersten Tages erstiegen – nackt, mit weißen und roten Streifen bemalt, mit weißen Daunenbällen beklebt, Papierfähnchen in den Händen, Papierkronen auf den Stirnen tragend – sechs Kastilier und achthundert Tlascalteken in grausiger Prozession die Menschenwürgeplätze von vier Stufentempeln. Die eben erst nach Acachinanco zurückgekehrten Soldaten des Cortes, wie ebenfalls die Alvarados auf dem Dammweg von Tlacopan, konnten ihre bejammernswürdigen Kameraden erkennen, konnten sehen, wie sie durch Schläge gezwungen wurden, im Reigen der Priester mitzutanzen. Sie konnten sehen, wie einem nach dem anderen auf dem Adlerstein die Brust mit dem Obsidianmesser geöffnet wurde, wie der Opferer die Hand in die klaffende Wunde wühlte, das Herz herausriß und es empor zur Sonne hielt, wie das Blut in einem Becher aufgefangen und vom Hohenpriester getrunken wurde und wie die Unterpriester den Leichnam des Geopferten die steile, durch einen rieselnden roten Bach geteilte Tempeltreppe hinabschleuderten ... Wetterharte, im Krieg ergraute Soldaten schluchzten beim Anblick so zahlloser, so unabsehbarer Martyrien. Und doch war, was da vor ihren Augen geschah, erst ein Anfang, und zehn Tage lang mußte sich das Schauspiel wiederholen ...

Als die Arbeit der Opferer bei Sonnenuntergang ein vorläufiges Ende fand, verkündete das Mexikaner-Priesterchen von einer Terrasse des Schlangenberges herab das Orakel des heiligen Nopal-Baumes:

»0 ihr Mexikaner! Unser mächtiger Gott Huitzilopochtli, der von der Jungfrau geborene, der Wunderbare, redete so zu mir, seinem Knecht, durch den Mund des heiligen Baumes: O mein Vater – sprach zu mir der Gott –, sage den Mexikanern, daß ich zufrieden bin mit ihnen und daß ich weiß, was ich zu tun habe! Speise und Trank gaben mir die Mexikaner! Jetzt habe ich wieder einen Markt, wo ich mir Fleisch kaufen kann! Mehr Fleisch noch will ich haben! Sage den Mexikanern, daß sie sich nur noch zehn Tage gedulden sollen, dann werden sämtliche Söhne der Sonne und sämtliche Feinde Mexicos mit der Opfertracht geziert sein und – so wie die heute Erbeuteten – auf den Tempeln Tenuchtitlans tanzen!«


Die Verkündung des Hohenpriesters machte nicht nur innerhalb Tenuchtitlans ungeheures Aufsehen. Sie wurde bald in ganz Anahuac und jenseits der Grenzen Anahuacs bekannt. Die Folge war, daß sämtliche Hilfsvölker von Cortes abfielen. Zermürbt durch die Strapazen, vertrauten sie nicht mehr auf die Sieghaftigkeit der weißen Götter und glaubten dem Orakel ihres einheimischen Kriegsgottes. Heimlich, ohne sich die Absicht vorher anmerken zu lassen, entwichen bei Nacht die Chalken, Huexotzincas, Cholulteken, Totonaken, Huaxteken und sogar die Mehrzahl der Tlascalteken. Nur der Tlascaltekenkönig Piltecatl mit den getreuesten seiner Stammesgenossen und die Schwarze Blume mit einem Teil des Acolhuaken-Heeres harrten bei Cortes aus.

Die Entwichenen zurückzurufen, versuchte Cortes nicht: wohl aber sandte er ihnen Boten nach und bat sie, auf dem Wege in ihre Heimat sich zu lagern und erst abzuwarten, ob die Weissagung des Hohenpriesters eintreffe oder nicht.

Mit den Indianertruppen verlor Cortes auch seine indianische Bootsflotte. Das hatte zur Folge, daß die Brigantinen allein nicht mehr imstande waren, Tenuchtitlan so abzuschließen wie bisher. Ungehindert konnten wieder Marktboote Lebensmittel und Trinkwasser in die Stadt bringen: die beiden stärksten Bundesgenossen der Christen, Hunger und Durst, verließen Tenuchtitlan.


Die Zuversicht des Hohenpriesters beruhte (außer auf dem erfochtenen Siege) darauf, daß das große Entsatzheer aus Michuacan heranrückte. Von Tangaxoan, dem König von Michuacan, waren soeben wieder Boten eingetroffen, durch die er dem Herabstoßenden Adler sagen ließ: er werde in einigen Tagen am Ufer des Schilfsees sein.

Gerüchte gingen um von einer geheimnisvollen großen Heeresmacht, die von Guatemala oder Honduras her sich dem Seengau näherte. Flüchtlinge aus Xochimilco hatten diese Gerüchte nach Tenuchtitlan gebracht. Hoffnungsselig glaubten die Mexikaner, es seien die von den Mayafürsten erbetenen Hilfstruppen. Von den Gesandten freilich, die an die Königshöfe von Ichcanzihoo, Tzac Uleu und Tepan-Guatemala gezogen waren, war keiner zurückgekehrt ...

Tatsächlich hatten jene Gesandten ihr Ziel nie erreicht. Sie waren von der Sklavenhorde des Roten Jaguars aufgegriffen, ausgeplündert und getötet worden. Aus den ihnen abgenommenen Briefen hatten die Sklaven Kenntnis von der Einschließung und Bedrängnis Tenuchtitlans erhalten. Und da in dem gebrandschatzten Honduras wenig mehr zu rauben war, stießen sie ins Axochco-Gebirge (das Gebiet der Wasserblüte) vor, um dem mexikanischen Kriegsschauplatz nahe zu sein – so wie Wölfe und Aasgeier sich in der Nähe von Schlachtfeldern aufhalten und ihre Zeit abwarten.

Isabel de Ojeda hatte nicht lange die Dornenkrone einer Sklavenkönigin getragen. Der Rote Jaguar war ihrer Unnahbarkeit und ihres ewigen Weinens bald überdrüssig geworden und hatte sie Alonso de Barrientos abgetreten, mit welchem ihn der Zufall zusammenführte, als sie beide gegen denselben Fürsten in Honduras zu Felde zogen. Schon vor der Gründung von Vera Cruz hatte sich Barrientos um das Mündel des Ritters Ordas beworben, und als im ersten Nachtquartier auf dem Wege nach Sempoalla die kleine La Medina und alle Lagerdirnen zum Gitarrespiel des Bergmanns und Tanzmeisters Ortiz tanzten, ließ sich die olivenbleiche Isabel vom stattlichen Alonso de Barrientos im Kreise herumwirbeln ... Nach den Kämpfen von Tlascala zum Fähnrich befördert, war Barrientos während der Gefangenschaft Montezumas – bald nachdem die fünf Könige an die Eisenkette geschmiedet worden waren – südwärts gezogen, als einer jener fahrenden Ritter, die wie Ordas und Diego Pizarro außer dem Brunnen der Verjüngung auch verborgene Erdschätze suchten. Während der Nacht der Schrecken befand er sich in Oaxaca (der Heimat Marinas) und entging der Rache der Azteken, indem er zu den Maya entfloh. Als – neun Monate später – das Christenheer von Tezcuco aus den Erkundungszug in das südliche Anahuac unternahm und sich der Gebirgsstadt Quauhnahuac näherte, wurde im Geäst eines Lilienbaumes ein alter Maya entdeckt, der ein Schreiben des Barrientos und ein Isabel de Ojeda gehörendes Schmuckstück überbrachte. Das hatte Ordas ins Land der Frauen – Cihuatlan – getrieben. Aber weder ihm noch seiner Begleiterin Doña Elvira war es geglückt, Kunde von Isabel oder von Barrientos zu erlangen.

Als Gefangener der Tigerin, der Königin der Unabhängigen Weiber, lebte Ordas in Cihuatlan. Er war Sklave und Gatte der Tigerin. Er mußte ihre heiligen Hirsche versorgen, die Hindinnen melken, die Hirschmilch quirlen und Käse bereiten ... Die nackten Mädchen erzählten ihm von einem Gigantenreich und einem Silberland. Das erleichterte ihm die Mühsale der Milchwirtschaft: in ihm reifte ein neues Ziel.


Auf Anraten der Königlichen Kalenderwahrsager, Hofsterndeuter, Maiskornbeschauer und Fadenknüpfer war Guatemocs Krönung auf den günstigen Tag Ome ocomatli, »Zwei Affe«, festgesetzt worden. Und obgleich sich die angesagte Ankunft der Michuaken verzögerte, ließ das Fest sich nicht mehr hinausschieben und mußte ohne den Cazonci gefeiert werden.

Geführt vom Weiblichen Zwilling, begaben sich die Edeln des Reiches zum König von Tezcuco, überreichten ihm eine goldne Mitra, Ohrpflöcke, Brustschmuck, Gürtelgehänge, goldene Wadenschienen und forderten ihn auf, sich damit zu schmücken, um vor dem Herrn der Welt zu tanzen. Ohrring-Schlange nahm die Geschenke entgegen, verteilte Gegengeschenke und willigte ein, vor dem Herrn der Welt zu tanzen. Die gleiche Zeremonie wurde vor dem König von Tlacopan und dem König von Cuitlahuac wiederholt. Nachdem Ohrring-Schlange, der Durch-Zauber-Verführende und der Behandschuhte den Schmuck angelegt hatten, versammelten sich zweitausend Azteken der Adelskaste im größten Hofe des vom Herabstoßenden Adler bewohnten Tecpans, und als, gekleidet mit allen Insignien seiner Königsherrlichkeit und umringt von seinen Frauen, Narren und Krüppeln, Guatemoc zu ihnen hinaustrat, wirbelten sie vor ihm in einem sternenförmigen Reigen, und auch die drei Könige tanzten vor dem neuen Herrn der Welt. Darauf knieten die drei Könige vor ihm nieder, entkleideten ihn und salbten seinen Körper mit einer Spezerei, mit welcher sonst nur das Idol des Kriegsgottes gesalbt wurde. Und Ohrring-Schlange redete ihn mit diesen Worten an: »O tapferer Krieger, o großer König, fasse Mut, denn du bist das Ebenbild unseres Gottes Huitzilopochtli, der, zwischen Uferschilf und Röhricht thronend, über die Welt zu Gericht sitzt und seine Feinde zerschmettert!«

Und völlig nackt wurde Guatemoc durch die Gassen bis zum Schlangenberg geführt und dort – am Fuße der Pyramide – in das Ornat eines Opferpriesters gekleidet: um seine Lenden wurde ein dunkelgrüner, mit kleinen Totenschädeln und Knochen bemalter Frauenrock getan, eine ebenfalls mit Schädeln verzierte Schärpe wurde ihm um die Stirn gebunden, ein perlbestickter Weihrauchbeutel an seinen linken Arm gehängt, und mit einem großen Schleier vom Kopf bis zu den Zehen verhüllt, wurde er hinaufgeführt zum Glutbecken, wo er vor dem juwelenblitzenden Standbilde des Stammgottes den Fußboden zum Zeichen des Grußes mit dem Daumen berührte und weiße Weihrauchkörner ins heilige Feuer warf. Hierauf tat er, was die Opferer tun, riß Edelsteine aus klaffenden Brustwunden, hielt die zuckenden roten Adlerkaktusfeigen zur Sonne empor, trank das im Becher aufgefangene Edelsteinwasser angesichts des jubelnden Volkes ...

Nach der Opferung schloß er sich ein im Pfeilhause, einem Nebengebäude des großen Tempels, wo er betend und sich kasteiend vier Tage lang verweilte. Am Abend des vierten Tages kehrte er heim in den Palast und feierte die Verehelichung mit Königin Maisblüte. Die von Schmuckfedern umflammten Tanzspiele des Adels, die purpurn leuchtenden Pechpfannen und die Freudenfeuer auf allen Dachterrassen widerspiegelnd, brannte und loderte das Wasser der Kanäle, glühte und glomm weithin der Schilfsee.

Vom Altan des Palastes herab zeigte der Herr der Welt dem Volk seine von Milchopalen überrieselte Königin. Auf der Brust trug sie den Tlacauactecpatl, den »harten Kiesel«, den Diamanten. Sphinxähnlich rahmte ihr Haar die Wangen ein. Geisterhaft war ihr müdes Lächeln. Der Leiden und der Freuden war sie müde.

Das Mexikaner-Priesterchen hatte sich entschuldigen lassen: er sei krank, bettlägerig ... Als seine Stellvertreter sandte er eine große Schar auf Muscheltrompeten blasender, schwarz geschminkter, in gegerbte Menschenhäute gehüllter Räucherer und Priester. Als sie sich näherten, wich das Volk scheu und ehrfurchtsvoll vor ihnen auseinander. Bevor sie jedoch den Palast betreten hatten, kamen vier Huren herbeigelaufen, kenntlich an der Tracht und Haartracht der Süßduftenden. Und die vier Huren führten einen unanständigen Tanz auf. Es war ein unerhörter Schimpf, daß vor den Augen des Königs und der Königin Huren zu tanzen wagten. Hinfällig, durchsichtig blaß nach kaum überstandenem Wundfieber, verlor Maisblüte das Bewußtsein, als sie das Hohnlachen vernahm, mit welchem die Priester den Tanz der Huren begleiteten. Das Volk, aus einer schreckhaften Erstarrung durch die Ohnmacht der Königin geweckt, wollte die Süßduftenden in Stücke reißen, wagte jedoch nicht, sich an den Priestern zu vergreifen, in deren Mitte jene geflüchtet waren. Von den Priestern weggeführt, entkamen die Huren straflos.


Trotz der Festlichkeiten hatten die Waffen keinen Augenblick geruht. Mit verbissener Beständigkeit wiederholten bei Tag und bei Nacht die mexikanischen Krieger den Versuch, sich der Dammstraßen zu bemächtigen. Die Weissagung des Hohenpriesters gab ihnen das Vertrauen, daß ihre Selbstvergeudung nicht umsonst sein werde, und kummerlos vergeudeten sie sich, weil der in der Schlacht gefallene Krieger den neun Höllen entgeht, im Hause der Sonne lebt, in Gestalt eines Schwirrvogels die Sonne täglich bis zum Zenit begleitet ... Mehrmals gelangten sie bis dicht vor das Bollwerk Acachinanco, doch dann öffneten die heimtückisch schweigenden Geschütze plötzlich ihre feurigen Mäuler, und hinweggefegt vom Damm wurden die Todesmutigen. Die Prophezeiung erfüllte sich nicht. Die zehn Tage gingen vorbei, die weißen Götter aber wurden nicht von einem Orkan zerschmettert, wurden nicht vom See verschlungen und wurden auch nicht in Opfertracht nach Tenuchtitlan geführt. Maßlos war während der zehn Tage Mexicos Übermut gewesen, maßlos war jetzt Mexicos Verzweiflung. Und Mexico wehrte sich gegen den Zweifel, der noch unerträglicher war als die Verzweiflung ... Hatte der Kolibrigott gelogen?

Hatte der Hohepriester das Volk betrogen? Das konnte nicht sein! Wie aber war es zu erklären, daß das Orakel des heiligen Baumes irrig war? ...

Da verkündete das Mexikaner-Priesterchen dem verängstigten Volk ein neues Orakel des Nopal-Baumes: Königin Maisblüte müßte geopfert werden – dann werde die Weissagung in Erfüllung gehen.


Guatemoc kämpfte seit dem Krönungsfest am Südtor. Sein Hofstaat im Palast stand unter dem Schutz des Weiblichen Zwillings und etlicher Adler und Jaguare. Dem Hohenpriester ließ der Weibliche Zwilling sagen: Wenn das erste Orakel sich irrte, so könne auch das zweite Orakel sich irren, darum verweigerte er im Namen des Herrn der Welt den Opferern die Königin. Als aber das erregte Volk sich vor dem Palast zusammenscharte, traten nicht Adler und Jaguare aus dem Portal, sondern jene dreißig Blinden, welche einst auf Wunsch Montezumas den nächtlichen Bußgang der Prinzessin Maisblüte zum Tempel der Vierhundert Kaninchen mit Fichtenholzfackeln beleuchtet hatten. Die Blinden zückten Feuersteinmesser gegen ihre Herzen und erklärten feierlich, sie würden sich töten, wenn das Volk fortfahre, die Opferung der Königin zu fordern. Da verzog sich stumm die Menge. Und Tlotli, der Sperber, der Anstifter der Hetze gegen Maisblüte, mußte der in seinem Tecpan verborgen lebenden Königin Silber-Reiher und ihrem Schuldgenossen Coxtemexi eingestehen, daß er einen Fehlschlag getan hatte.


Drei Tage zu spät langten die zweihunderttausend taraskischen Bogenschützen aus Michuacan am westlichen Ufer der Lagune an. König Tangaxoan mit seiner elfjährigen heiligen Schwester Uacui – dem Eichhörnchen – bezog das schöne Lustschloß Chapultepec, während die beiden Vettern des Königs, die Feldherren Aguija und Nuzindira,sich mit dem Heer längs des zerstörten Aquädukts lagerten. Von den Christen wurden sie nicht belästigt: die Postenkette zwischen Tlacopan, Coyoacan, Itztapalapan und Acachinanco bestand nicht mehr, seitdem die Chalken, Huexotzincas, Totonaken, Tlascalteken und Acolhuaken fahnenflüchtig entwichen waren. Es fehlte den Christen an Mannschaften, das Seeufer zu bewachen. Hätten die Michuaken in Tenuchtitlan eindringen und mit den Azteken sich vereinigen wollen, sie hätten es ungestört von Chapultepec aus tun können.

Doch ebenso wie zu den Verbündeten der Schwarzen Blume war auch zu den Michuaken die Kunde der Weissagung Huitzilopochtlis gedrungen. Enttäuschend und verwirrend war des Gottes Irrtum, beunruhigend war die Fehde zwischen Mexicos Königshof und Priesterschaft.

Der Cazonci wurde von seiner elfjährigen Schwester beherrscht. Eichhörnchen verweigerte Speise und Trank. Und als Tangaxoan sie nach dem Grund fragte, sagte sie, den in ein Tuch gewickelten Stein – den Gott Wasoricuare – ans Ohr haltend:

»Der Herabstoßende Adler ist verloren, weil er Maisblüte nicht opfert. Und alle seine Freunde sind verloren. Zwei Eulen sitzen auf der Zypresse und reden. Ich höre, was sie sagen. ›Schnitt, Schnitt!‹ sagt das Eulenmännchen. ›Blutige Gurgel, blutige Gurgel!‹ sagt das Eulenweibchen ... Laßt uns nach Tzintzuntzan zurückkehren!«

Der kurzhalsige, einem Pinguin ähnliche König wagte den Launen seiner heiligen Schwester nie entgegenzutreten. Sie hatte den Zug nach Mexico befohlen, und jetzt, kaum angelangt, wünschte sie die Rückkehr. Wie damals gehorchte er auch jetzt blindlings. Das Taraskerheer brach nach Michuacan auf.


Die schwerste Prüfungszeit seit der Nacht der Schrecken bestand und überstand das Christenheer in den zehn auf die Niederlage folgenden Tagen. Der Anblick der Schlachtungen auf dem Teocalli zermürbte alle Herzen. Die Wunden brannten – keine Heilmittel gab es, nicht einmal Baumöl –, und mehr noch brannte der Zorn und Schmerz, den unglücklichen, so greifbar nahen Kameraden nicht beistehen zu können. Und zu keiner Stunde verstummte Guatemocs heiliges Muschelhorn. Die Kartaunen und Feldschlangen, aber auch die Musketen, verstummten allmählich ganz, da das Pulver aufgebraucht war. So überaus gefahrvoll war die Lage des kleinen, durch den Abfall der indianischen Verbündeten dezimierten Heeres, daß Cortes die kastilischen Frauen nach Tlascala schicken wollte. Doch die Frauen und Lagerdirnen widersetzten sich: Es sei nicht die Art der spanischen Frauen, ihre Männer im Stich zu lassen – vielmehr wollten sie Glück und Unglück mit ihnen teilen und gemeinsam mit ihnen sterben!

Und den Waffenruhm mußte fortan Maria de Estrada mit mancher ihres Geschlechts teilen. Auch Francisca de Valtierra, die Gattin des Bogenschützen Pedro de Guzman, die Marketenderin Catalina Marquez, welche man die Feuerlilie nannte, Rosita Muños, die Buhle San Juans des Aufgeblasenen, und sogar die lange Elvira, Rodrigo Rangels Freundin, schnallten sich Harnische um, stülpten sich Helme oder Sturmhauben auf die Locken, wagten sich in die Scharmützel auf den Dämmen und fochten so kühn wie die kühnsten Männer. Francisca de Valtierra schritt sogar für ihren von Mattigkeit übermannten Gatten als nächtliche Schildwache auf und ab, um ihm einige Stunden Schlafes zu ermöglichen. (Einst auf dem Wege nach Sempoalla hatte er mit ihr tanzend darüber nachgesonnen, wie federleicht sie in seinen Armen lag ...)

Das Pulver war verschossen. Doch das schier unwahrscheinliche Glück des Cortes verschaffte ihm eben damals Pulver die Menge. Ein mit Waffen und Munition geladenes Schiff des Abenteurers Ponce de Leon ging (nach Florida segelnd) im Hafen von Vera Cruz vor Anker und wurde von Pedro Caballero, dem Hafenkommandanten, kurzerhand beschlagnahmt. Noch bevor die vom Baumorakel festgesetzte Frist von zehn Tagen abgelaufen war, erhielt das Christenheer als unerwartete Gabe des Himmels zahllose, von Tlamamas getragene Lasten – erhielt mehr Feuerwaffen und Pulver, als es bei Beginn der Belagerung zur Verfügung gehabt hatte.

Und da bis zum zehnten Tage die Weissagung Huitzilopochtlis nicht in Erfüllung gegangen war, begannen beschämt und reumütig zuerst die entwichenen Tlascalteken, dann alle anderen Hilfsvölker sich wieder einzufinden. Auch Völkerschaften, die bisher dem Bund der Schwarzen Blume nicht beigetreten waren, sandten Huldigungsgeschenke, lieferten Köpfe von geopferten Kastiliern aus (die Köpfe waren ihnen als Siegeswahrzeichen vom Herabstoßenden Adler geschickt worden) und erklärten sich bereit, gegen Mexico zu kämpfen.


Eine seltsame Botschaft erhielt Cortes aus dem im Süden Anahuacs vorgelagerten Axochcogebirge, dem Gebiet der Wasserblüte. Von einem mexikanischen Entenjäger wurde ihm ein spanisch geschriebener Brief überbracht. Der Schreiber des Briefes nannte sich Tlatlauhqui Ocelotl – Roter Jaguar – und bot Cortes seine Hilfe an, machte jedoch zur Bedingung, daß nach der Einnahme Tenuchtitlans die Beute zu gleichen Teilen zwischen dem Sklavenheer und dem Christenheer geteilt werde.

Mit Olid, Tapia, Pater Olmedo und Aguilar besprach Cortes das Angebot. Lachend las er ihnen den Brief vor und sagte:

»Dieser Renegat und Christenfeind fängt an, Kompromisse zu machen des nackten Vorteils wegen. Er wird als Christ und Christenfreund enden!«

»Darum sollte man ihm goldene Brücken bauen«, riet Pater Olmedo, »und den Teufel um eine Seele betrügen!«

Tapia war empört.

»Ich hoffe, Don Hernando, daß Ihr dem Teufel lassen werdet, was des Teufels ist! Keine Antwort ist die einzig mögliche Antwort auf eine so freche Epistel! Dieser Matrose klopft Euch ja wohlwollend auf die Schulter, Don Hernando, und er spricht von seiner Diebesrotte, als wäre kein Unterschied zwischen ihr und unserem braven Heer!«

Anderer Meinung war Olid, er wollte paktieren:

»Señores, wir können es uns nicht leisten, so wertvolle Hilfe abzuschlagen! Lassen wir sie uns gefallen! Was die Bedingung anbelangt, so sind wir einem Erzhalunken gegenüber nicht verpflichtet, sie einzuhalten. Kommt es erst zur Teilung der Beute, werden wir Höchstdero Halunkenschaft höflich ersuchen, die Ansprüche zu ermäßigen, andernfalls wir kurzen Prozeß machen müßten mit ihm und seinem Sklavenpack! ...«

»Halunkenschaft? ...« fuhr Aguilar auf, und seine hohlen Wangen röteten sich. Die Bescheidenheit, als wäre sie ein Bettelmantel, abwerfend, erstaunte er sich selbst und seine Zuhörer durch die fieberheiße Lebhaftigkeit seiner Antwort:

»Nein, Don Christobal! Mit einem Schimpfwort erledigt man Leute vom Schlage des Roten Jaguars nicht! Mit einem Scheltwort ändert man an der Gotteswelt nichts! Die Gotteswelt und der Rote Jaguar gehören zusammen – genau so wie Eisen und Rost zusammengehören! Wer vermag zu beweisen, daß der Rost böser oder besser ist als das Eisen? Wir Menschen sind schuld, wenn das Eisen nicht blank bleibt, wenn es an Rost erkrankt ...«

»Also eine Krankheit nennt Ihr es? Ist das kein Scheltwort?« fragte Cortes.

»Warum? ... Warum nicht eine Krankheit?« fuhr Aguilar fort. »Es gibt auch heilsame Krankheiten! ... Und vor allem: es gibt Eisen, deren Rost wir segnen! ... Aber fragen denn Rost und Eisen nach unserem Segen oder Fluch? Sie sind da – und wir müssen uns damit abfinden ... Auch der eigensinnige Mensch Gonzalo Guerrero ist da, ist gottgewollt – mag es Euch lieb sein oder leid! ... Sieben Jahre lang habe ich an seiner Seite gelebt –: er war weder gut noch schlecht, aber er verzieh der Menschheit den Spruch ›Navigare necesse est‹ nicht. Wir Andersdenkenden sagen ja dazu, er sagte nein. – So geschieden ist die Welt seit Urbeginn, seit Abel und Kain. Solange es Eisenmenschen gibt, wird es Rostmenschen geben. Solange es Sklavenhalter gibt und geben wird, wird der Sklavenaufstand – der offene und der heimliche, meine ich – von der Welt nicht schwinden ... Das Trostloseste ist vielleicht die Einsicht, daß der Rost nie schaffend sein kann wie zum Beispiel der Eisenhammer –: der Rost ist eine bloße Verneinung. Kains Reich ist Niederbruch ohne Aufbau. Der große Baumeister der Welt braucht aber die Baumeister, und daher werden die Sklavenhalter den Namen zwar öfters wechseln, aussterben aber werden sie nie, solange es eine Erde gibt.«

»Frater, Ihr habt recht und unrecht«, sagte Cortes. »Ein Halunke braucht Guerrero nicht zu sein, auch wenn er ein Schädling ist. Nur daß er und seinesgleichen gottgewollt sein sollen, zweifle ich an. Nehmt eine einzelne Heuschrecke in die Hand –: welch ein zierliches sauberes Tier ... Wenn Ihr aber einen Heuschreckenschwarm auf der Wanderung gesehen habt, so mag Euch vielleicht, wie mir, der Gedanke gekommen sein, daß ein Teufel da am Werk ist – unheimlicher als jene die sich um Menschenseelen placken –, ein der tiefsten Hölle entstiegener Teufel, der in Heuschreckengestalt die Erde kahlfressen will, damit es auf der Erde nur Heuschrecken gebe, alles soll ihm weichen, damit er sich an seine Stelle setze, Gott soll ihm weichen, damit er, der Heuschreckenteufel, Gott werde. Das ist der König aller Satane – und mancherlei Gestalt nimmt er an: selbst als Buch tritt er auf, das alle Bücher, als Gedanke, der alle Gedanken fressen will. Mit ihm gibt es kein Paktieren ... Ich werde ihm einen Absagebrief schreiben!«

»Und die Folge wird sein, Don Hernando, daß er Guatemoctzin die Hilfe anbieten wird, die Ihr ausgeschlagen habt!« sagte Olid.


Und es geschah so, wie Olid gesagt hatte. Der Rote Jaguar bot Mexico seine Unterstützung an. Und Mexico, von den Michuaken im Stich gelassen, lehnte die anrüchige Bundesgenossenschaft nicht ab. Fern von Tenuchtitlan konnten sogar Rebellen von Nutzen sein, wenn sie andere Rebellen für Mexico zurückgewannen. Im Gebiet der Wasserblüte, wo der Rote Jaguar sich befand, war die Hauptstadt Quauhnahuac (Cuernavaca) seit Cortes zweitem Erkundungszuge dem Bund der Schwarzen Blume beigetreten. Auf Wunsch des Herabstoßenden Adlers belagerten nun die Sklaven die Gebirgsstadt.

Boten auf Boten aus Quauhnahuac meldeten Cortes die Notlage der Bewohner, flehten um Beistand. Obgleich erst ein geringer Teil der nach dem Baumorakel entwichenen Tlascalteken und sonstigen Verbündeten sich wieder eingefunden hatte, beschloß Cortes, Andrés de Tapia mit achtzig kastilischen Fußsoldaten, zehn Reitern und etlichen Tausend Indianern zum Entsatz von Quauhnahuac zu entsenden.

Alderete, der schuldbewußt die erste Zeit nach der Niederlage sich kaum hatte blicken lassen, wagte sich hervor und machte, mit den Fingern durch seinen gepflegten langen Bart streichend, höfliche Vorhaltungen:

»In unserer prekären Lage, Don Hernando, erscheint mir die Entsendung Tapias wie ...«

Da er stockte, fiel Cortes ihm ins Wort:

»Wie ein Wahnsinn, wollt Ihr sagen? Gewiß, Don Juliano, jede Kühnheit ist ein schöner Wahnsinn. Ich kannte in Sevilla einen von Gläubigern bedrängten Grafen, der sich nur dadurch rettete, daß er ein großes Gastmahl gab. Je schwächer wir sind, um so mehr müssen wir uns den Anschein geben, stark zu sein!«

Nach zwei Wochen kehrte Tapia erfolggekrönt zurück. Er hatte Quauhnahuac befreit und das ganze Gebiet der Wasserblüte von den übel hausenden Sklaven gesäubert. Diese waren, nachdem sie in einer Feldschlacht große Verluste erlitten hatten, fluchtartig nach Nordwesten ausgewichen.


Bei Chapultepec durchbrach der Rote Jaguar mit seiner Räuberhorde die Postenkette der Belagerer und drang in Tenuchtitlan ein. Es war seine Absicht, ehrlich für Mexico zu kämpfen und die Sklaven in das mexikanische Heer einzureihen. Das ihn umjubelnde Volk Tenuchtitlans erkannte ihn nicht und hielt ihn für einen der Mayafürsten, weil er mit der Krone und den Insignien eines Königs der Maya geschmückt war. Vor den Herabstoßenden Adler geführt, sprach er, als König der Sklaven zum König der Azteken, herausfordernd stolz:

»Ich hasse die Sieger und liebe die Besiegten! Ich hasse die Christen ebenso wie du! Ich hasse den Krieg, obgleich er uns zu Freunden macht!«

Knabenhaft lächelnd, hatte Guatemoc zugehört. Dann verdüsterten sich seine Züge:

»Ich liebe die Kühnheit, auch wenn sie der Prunk entlaufener Sklaven ist! Ich liebe den Krieg, obgleich er mich verschlingt. Aber Mexico ist noch nicht besiegt. Bist du gekommen, es zu retten? Vor Quauhnahuac nützte deine Hilfe wenig ... Indes, wenn du mit uns sterben willst, so sei willkommen!«

»Ich will mit euch sterben!« sagte der Rote Jaguar.

Da fuhr Guatemoc ihn wütend an:

»Du lügst! ... Geglaubt hast du, Mexico sei bereits eine Leiche, und du ließest dich wie ein Geier auf sie herab, ihr mit Krallenhieben die Augen auszuhöhlen, ihr Fleisch und ihre Sehnen von den Knochen zu hacken!« Auf ein Zeichen von Guatemoc überwältigte seine Leibwache den Roten Jaguar, band ihm die Hände auf den Rücken und schnitt ihm den Tzotzocolli genannten Haarschopf, das Abzeichen kriegerischer Heldenschaft, ab. Sein Gesicht war schneeweiß geworden. Doch er bat nicht um Erbarmen.

Da sagte Ohrring-Schlange zum Herabstoßenden Adler: »Gedenke des Zauberers Zacatzin, mein Bruder, der euer beider Freund war!«

»Um des Zauberers willen«, erwiderte Guatemoc, »soll dieser Sklave Tezcatlipoca werden und, die Flöte spielend, von seinen vier Frauen und acht Knaben begleitet, durch die Gassen Tenuchtitlans ziehen, bis das alte Jahr dem neuen Jahr weicht, aber erst soll dieser Sklave lernen, sich wie ein König zu betragen!«

»Du hast es mich eben gelehrt« – rief Gonzalo Guerrero –, »heimtückisch wie ein König und großmütig wie ein König: denn das neue Jahr wird Mexico nicht mehr erleben, die Käfige aber werden sich öffnen bis dahin! Und dann werden wir abrechnen – wir Sklaven und ihr Herren!«

Er wurde abgeführt und in einen auf dem Gelände des Momoztli-Tempels befindlichen Holzkäfig gesperrt.


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