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Cortes sagte:

»Jedes Geschehnis hängt wie ein Kettenglied an einer Kette. Aber von jeder gewordenen Kette kann man sagen, daß sie sich verschieden hätte halten können, auch besser, haltbarer vielleicht, wäre nicht eins der ersten Kettenglieder brüchig gewesen infolge einer menschlichen Schwäche ... Hier sehe ich die brüchige Stelle bei der ersten Belagerung von Azcaputzalco –: wenn Zwei Kaninchen sich durch den Titel Herr der Welt nicht hätte betören lassen ...«

»Er hätte die Tepaneken damals ohne Erbarmen ausrotten sollen!« sagte die Schwarze Blume.

»Nein«, erwiderte Cortes. »Damals hätte er Freundschaft mit dem Zürnenden Aderlasser schließen können und sollen! So machen es die Könige der alten Welt: sie kämpfen nicht bis zur Vernichtung, sondern sie kämpfen, bis sie Freunde werden! Eine Verknechtung wie die der Acolhuaken durch die Tepaneken wäre in der alten Welt undenkbar!«

Sinnend bemerkte Marina:

»Unter Azteken wäre ein Friedensschluß, der Freundschaft ermöglicht, undenkbar! Nie würde der Herabstoßende Adler Euer Freund werden wollen ...!«

»Nie werde ich sein Freund werden wollen!« rief die Schwarze Blume.

»Und Ihr, Don Hernando?« fragte Marina.

»Ich denke anders!« sagte Cortes. »Wir sind im Anfang einer neu sich bildenden Kette. Wer vermag ihre letzten fernen Glieder vorausahnen? Noch gibt es ein Zurück ... Noch steht Tenuchtitlan, noch ist es nicht zerstört ... Gebe Gott, daß ich die Stadt schonen darf ... Ein Wort, das nicht gesprochen ward, kann so schlimm wirken wie ein Wort, das gesprochen ward ... Wie offenbart sich das allein Richtige? ... Wer sieht klar außer Gott, der die ganze Kette sieht! ... An mir soll es nicht liegen. Ich bin bereit, Guatemoc die Hand zu reichen – heute noch, obgleich ich die Brigantinen baue ...«

Die Schwarze Blume lachte:

»Mit Hohn wird er die Hand zurückweisen, Don Hernando!«

»Ich werde sie immer wieder bieten!« versetzte Cortes. »An meinem guten Willen soll es nicht fehlen ...!«

Die Folge dieses Gespräches war, daß Cortes einen tags zuvor festgenommenen Kundschafter des Herabstoßenden Adlers nach Tenuchtitlan mit einem Friedensangebot schickte.

Als aber am Abend Marina allein war mit Cortes, fragte sie schüchtern:

»Und wenn ... wenn alle Friedensangebote vergeblich sind ... Werden die Mexikaner das zerstörte Anahuac als Fronknechte wieder aufbauen müssen? Werden die kleinen Kinder gefragt werden, ob sie den Herabstoßenden Adler oder den Grünen Stein zum König haben wollen?«

»Bin ich ein Tepaneke?« sagte Cortes unwirsch. Dann fügte er freundlicher hinzu:

»So oder so – es wird mit Freundschaft enden: mit der Bekehrung und Beglückung dieses Landes!«


Der Bote ruderte in einem Kanoe über den von Abenddämmer purpurroten Schilfsee und durch die erdunkelnden Kanäle Tenuchtitlans dem Huei-Tecpan zu. Von einem auf einer Kanalbrücke stehenden Bekannten angerufen, schrie er zurück: er rudere so eilig zum König mit einem Friedensangebot der Gelbhaarigen. Wie ein Lauffeuer züngelte im Nu die Kunde durch die Stadt. Die Menschen strömten aus den Häusern, eine große Volksmenge wälzte sich zum Schlangenberg und zum Großen Palast. Früher als der Herabstoßende Adler wußte sein Volk von der Friedensmöglichkeit.

Die Massen stauten sich auf dem großen Platz vor dem Huei-Tecpan. Die Massen waren erwacht seit der Niederlage bei Otompan. Mochten die Adligen am Blutwurm Freude haben – die Plebejer Mexicos, aufgeweckt und aufgerüttelt durch unsichtbare Mächte, hatten begonnen, an den Zusammenbruch Tezcatlipocas und den Aufstieg Quetzalcoatls, des Herrn des weißen Windkreuzes, zu glauben. Das verkündete Friedensreich sollte ja nicht bloß den unterjochten Völkern die Fesseln lösen, sondern allen, welche Fesseln trugen ... Erregt schrie die Menge: »Wir wollen den Frieden! Wir wollen nicht den Krieg!« Nur zuweilen verstummten die Rufe, und die fieberhafte Besessenheit wich bewundernder Neugier (welche schlecht mit der Kriegsfeindlichkeit in Einklang stand), wenn die höchsten Beamten und Feldherren in blendenden Federtrachten sich von ihren »Tocne!« rufenden Sklaven Bahn schaffen ließen durch das Gewühl bis zum Hauptportal des Großen Palastes. Denn vom König war sofort der Rat der Alten einberufen worden.

Dem Volke zeigte sich der Herabstoßende Adler nicht, wie laut auch die Rufe durch die Palastmauern drangen. Er befragte die beiden Mitregenten des Drei-Städte-Bundes, den König von Tezcuco und den von Tlacopan. Ohrring-Schlange hielt mit seiner Meinung zurück und bat nur darum, die Entscheidung ohne Rücksichtnahme auf ihn zu fällen; – denn war zwar im Friedensangebot seine und seiner weißen Sklavin Herausgabe nicht erwähnt, so war sie doch unvermeidlich, sollte es zu Verhandlungen kommen. Um so eifriger trat der Durch-Zauber-Verführende für eine Abweisung ein und bezeichnete die Friedensbereitschaft des Grünen Steines als eine Falle, zum mindesten wolle der Grüne Stein Ohrring-Schlange in die Hand bekommen, um an ihm Rache zu nehmen; nach Ohrring-Schlange aber würden der Herabstoßende Adler und er selbst an die Reihe kommen, weil sie vor einem Jahr Hunderte von Gelbhaarigen – mehr als Ohrring-Schlange – den Göttern schenkten.

Der Herabstoßende Adler schüttelte unwillig den Kopf: es handle sich nicht um drei Menschen und was gut oder schlecht für sie sei – es handle sich einzig und allein um Anahuac und den Drei-Städte-Bund. Nun sei es allerdings seine Überzeugung, daß für den Drei-Städte-Bund der Frieden in diesem Augenblick unheilvoller sein würde als der Krieg –: Frieden schließen hieße Verzicht leisten auf die Rückgabe Tezcucos und auf die Züchtigung der abgefallenen Staaten jenseits der Berge. Doch er befürchte, daß der Hohe Rat sich von den Rufen der Volksmenge draußen werde einschüchtern lassen. Dem einheitlichen Willen des Volkes sowohl wie des Hohen Rates zuwiderzuhandeln, fehle ihm aber die Macht.

Er war König und doch noch nicht König. Nach der Königswahl war allen Völkern der Welt mitgeteilt worden, daß die Sonne wieder leuchte, die sich verdunkelt hatte, daß sie wieder auferstanden sei und die Sprache wiedererlangt habe. Aber so wie die Schwarze Blume – wenn auch aus ganz anderen Gründen – hatte er das Fest der Krönung und Salbung hinausgeschoben. Seine Vorgänger – der Zornige Herr, Molch, Wassergesicht, Himmelspfeil und Obsidian-Schlange – hatten gleich nach der Königswahl Völker überfallen, um bei der Thronbesteigung mit Zehntausenden von Menschenherzen die Götter zu erfreuen, und selbst der Überwältiger hatte, wenn zwar nicht so wunderbar viele, dafür um so wertvollere Herzen auf die Altäre gelegt. Diesen Königen wollte der Herabstoßende Adler es gleichtun, wollte nicht mit leeren Händen vor die Götter treten. Und da die Weltlage es ihm nicht verstattet hatte, Tenuchtitlan zu verlassen und einen Opfersklaven-Raubzug in ferne Länder zu unternehmen, war es sein Vorsatz, nicht eher als nach dem ersten großen Siege über die Christen sich das blaue Copilli aufs Haupt setzen zu lassen. Die unumschränkte Macht des Weltherrn verlieh erst die türkisene Stirnbinde – ohne sie hieß er zwar König, durfte sich jedoch über die Beschlüsse des Hohen Rates nicht hinwegsetzen, waren ja auch seine Vorgänger zwischen Königswahl und Krönung in gleicher Abhängigkeit gewesen.

»Was immer der Rat der Alten beschließen mag«, sagte der Durch-Zauber-Verführende, »wir drei wissen es: der Tod ist besser als tödlicher Frieden! Wir drei Freunde wollen gemeinsam leben oder gemeinsam sterben! Das laßt uns beschwören!«

Und die drei jungen Könige gingen in die Götterkammer des Palastes. Sie schworen – beim Namen der Sonne und beim Namen Unserer Frau der Erde –, gemeinsam zu leben und zu sterben für Anahuac. Und zur Bekräftigung dieses Eides aß jeder von ihnen eine Handvoll Erde.

Dann – bei schon einbrechender Nacht – begaben sie sich in den dachlosen Saal der Dämonen, wo unterhalb der gemeißelten Schlangenleiber der Jaspiswände der Rat der Alten auf Schemeln hockte und ihrer harrte. Was Guatemoc befürchtet hatte, traf ein: der Hohe Rat beschloß, die wenigen Einsichtigen überstimmend, das Friedensangebot anzunehmen.

Da entfernten sich die drei Könige, schminkten sich Körper und Antlitz kreideweiß, beklebten sich mit weißen Daunenbällen, und flammende Kienfackeln in den Händen haltend, stiegen sie, schreckhaft angestarrt von der Volksmenge, die Marmortreppe der Schlangenberg-Pyramide empor. Auf der obersten Terrasse, dem Menschenwürgeplatz, angelangt, verkündeten sie im Flackerschein des ewigen Feuers den wirrhaarigen Priestern und dem angsterstarrten Volke drunten, daß sie beschlossen hätten, sich den Edelstein herausreißen zu lassen, um Mexicos Schmach nicht zu überleben. Ein tausendkehliger Schrei umbrauste die Pyramide. Der Feldherr Temillotzin, Der-mit-der-Steinpfeiler-Haartracht, raste die Tempeltreppe herauf und beschwor die Priester, mit der Opferung zu zögern, bis der Rat der Alten ein zweites Mal über den Frieden abgestimmt habe. Und während die königlichen Opfer in schauriger Prozession viermal um den Menschenwürgeplatz herumgeführt wurden, beschloß in einer zweiten hastigen Sitzung der Hohe Rat die Ablehnung des Friedensangebotes.

Die Opferung fand nicht statt.


Und abermals führte der Herabstoßende Adler die Könige von Tezcuco und Tlacopan in die Götterkammer des Großen Palastes, gemeinsam dort einen zweiten Eid zu schwören. In einer Ecke des mit kleinen Götterbildern gefüllten Raumes war ein lebensgroßes verschleiertes Standbild aufgestellt. Und als Guatemoc die Hülle abnahm, erkannten seine beiden Freunde, daß es einen aus Holz geschnitzten gepanzerten Gelbhaarigen darstellte.

»Ich habe ihn schnitzen lassen, damit die zwanzigjährigen Mexikaner sich üben, einen Sonnensohn zu töten! Auch die kleinen Kinder Tenuchtitlans sollen es lernen, ihn zu verwunden! Bevor er aber auf dem Großen Marktplatz von Tlatelolco Pfeilen und Speeren ausgesetzt steht, laßt uns die ersten sein, die unsere Messer in seine Eingeweide tauchen!«

Die drei Könige zückten ihre Obsidianmesser und stießen sie in die Brust des weißen Mannes. Dazu schworen sie – beim Namen der Sonne und Unserer Frau der Erde, in ihrem Haß nie nachzulassen und mit dem Edelsteinwasser des Grünen Steines und seiner vornehmsten Begleiter die Opferblutschale des Kriegsgottes zu begießen.


Ohrring-Schlange bewohnte mit seiner Mutter, der Herrin von Tula, und vielen aus Tezcuco herübergeflohenen Adligen den vom Herrn des Fastens im südöstlichen Stadtteil Teopan erbauten Palast am Schilfsee. Auf dem nächtlichen Heimwege begleitete ihn der Durch-Zauber-Verführende, da auch er einen eigenen Tecpan in Teopan besaß. Nachdem er sich von Ohrring-Schlange verabschiedet hatte, schritt er weiter durch ausgestorbene Gassen hin, als ihm plötzlich schien, der Jammerruf eines Weibes halle durch die nächtliche Stille. Erst kam ihm der Gedanke, es müsse die Stimme jenes weiblichen Phantoms sein, das Jahre vor der Landung der weißen Götter späte Wanderer geschreckt hatte mit dem Ruf: »Weh meine Töchter! Weh meine Söhne! Die Stunde des Verderbens naht! ...« Doch als er schärfer hinhorchte, erkannte er deutlich menschliche Laute. Und sich umschauend, erblickte er mitten auf der Gasse ausgestreckt eine Frau. Er winkte die hinter ihm gehenden Fackelträger heran, und nun erkannte er, wer die Wimmernde war. Von Geburtswehen überfallen, lag dort Prinzessin Perlmuschel am Boden.

Sie hatte an diesem Abend–während Ohrring-Schlange im Huei-Tecpan weilte – versucht, im Palaste des Herrn des Fastens Zutritt zu erlangen. Aber die Herrin von Tula hatte sie mit den Worten: »Sei im Staub deiner Sünden begraben!« von der Schwelle gewiesen, unerbittlich schroff und grausam wie damals im Seeschloß Tezcotzinco, wo sie das Webmesser nach ihr warf: »Nähre dich von Unrat, Tochter – du dienst ja der Göttin des Unrats, dem Frosch mit dem blutigen Maul! Auch du bist eine Kotfresserin, eine Sünderin!«

Der junge König von Tlatelolco war seit seiner Kindheit mit Perlmuschel befreundet gewesen. Als ihr Gatte, Prinz Grasstrick, des roten Blütenbaumes von Yuquane wegen ermordet worden war und sie als Geisel in Tenuchtitlan leben mußte, liebte er es, mit ihr auf schwimmenden Gärten den abendkühlen See zu durchfahren, bezaubert von ihrer jaspishaften Jugendfrische und Schönheit, ohne daß er ihr oder sich selbst seine Neigung gestand. Daß er mehr als Freundschaft für sie hegte, war er erst innegeworden, als sie ihm verloren war. Ihr Niederstieg war sein schmerzvollstes Erlebnis. Vor Montezuma, den sie mit dem Edelsteinfisch zu töten versuchte, hatte er sie wohl retten können, aber nicht vor ihrem schicksalhaften Selbstzerstörungswillen. Seitdem sie das unterseeische Steinbild der Wasserjungfrau bei Xochimilco geküßt, war sie (als La Azteca) des Grünen Steines Geliebte gewesen, hatte – nach der Hinrichtung ihres Schützlings, des kleinen Königs Menschen-Puma – in einem öffentlichen Schwitzbade hausend, sich jedem Mexikaner preisgegeben, der ihr schwor, sein Leben für die Ausrottung der Gelbhaarigen zu lassen. Dann, als beim Toxcatl-Fest Alvarado den im Tempelhof tanzenden Adel Mexicos hingemetzelt hatte, war sie eine Quauhcihuatl, ein Adlermädchen, geworden und hatte, das Kupferbeil schwingend, bei den Stürmen auf den Palast des Königs Wassergesicht, bei den Dammdurchstichen und schließlich bei Tlacopan mitgekämpft. Er – der Durch-Zauber-Verführende – dankte ihr sein Leben, denn bei Tlacopan hatte sie ihn, ab er schwer verwundet und schon bewußtlos von Christen fortgeschleppt wurde, herausgehauen. Erst Wochen hernach, geheilt vom Wundfieber, konnte er nach ihr forschen, doch sie war zurückgetaucht in ihre Verschollenheit.

Jetzt fand er sie wieder – nachts auf der Gasse. Von seinen Sklaven ließ er sie in den Tecpan ihres Bruders tragen. Ohrring-Schlange sorgte sogleich für Unterkunft und ärztliche Pflege der Prinzessin, seiner sittenstrengen Mutter zum Trotz.


Mit heißen Bädern wurde die Geburt beschleunigt, mit aufgelegten Fellstreifen wurde sie erleichtert. Nachdem die Hebammen die Prinzessin auf den hohen Gebärstuhl gesetzt hatten, riefen sie den Geburtshelfergott Tezcatlipoca und die fünf Cihuateteo, die Frauengöttinnen, an. Die Schreie der Kreißenden übertönten sie mit einem Zaubergesang:

»Dort im Hause auf dem Schildkrötenstuhl
Kam es in einer Perle zur Welt.
Dort im Hause auf dem Schildkrötenstuhl
Arbeitet man sich Schwielen an.
Komm her, komm her.
Komm her, du Perlenkind, komm her!«

Und als sie ein männliches Kind aus dem Mutterschoß gezogen hatten, durchschnitt die älteste der Hebammen die Nabelschnur und sprach so zum Neugeborenen: »Zarter geliebter Knabe, du bist der Erde und der Sonne versprochen! In der Mitte deines Körpers durchschneide ich deinen Nabel! Wisse wohl und versteh, daß das Haus, wo du geboren bist, deine Wohnstatt nicht ist: du bist ein Krieger, du bist der Vogel, den man Quecholli nennt, du bist auch der Caquan genannte Vogel –: du bist der Vogel und Krieger des, der an allen Orten ist. Das Haus aber, wo du zur Welt kamst, ist nur ein Nest. Hier sprossest du und blühst, hier trennst du dich von deiner Mutter wie ein Splitter vom Stein. Doch deine Heimat ist anderswo: du gehörst den Feldern an, wo die Schlachten geschlagen werden, dein Beruf ist es, die Sonne mit dem Blut der Feinde zu tränken und die Erde zu füttern mit den Leichen der Feinde, die sie unersättlich verschlingt. Dein Glück aber wirst du erst im Palast der Sonne finden.«

Darauf badete sie das Kind, indem sie ihm zuerst die Brust, den Nacken und den Kopf befeuchtete, dazu murmelnd: »0 Knabe, weile bei der Göttin des Wassers, daß sie alles dir von Vater und Mutter vererbte Böse abwasche!«

Als sie nun das Kind aus dem Bad genommen und abgetrocknet hatte, gewahrten die Medizinfrauen, daß es hellhäutig war, ein kleiner Sonnensohn. Was die Herrin von Tula befürchtet hatte, war Wirklichkeit geworden und ließ sich nicht verheimlichen: die Königin von Yuquane, die Schwester des Königs der Acolhuaken, hatte dem Erzfeinde Mexicos – Cortes – ein Kind geboren!


Am nächsten Morgen wußte es die ganze Stadt. Die Herrin von Tula hatte, ihre Tochter anklagend, dem Hohenpriester das Unerhörte mitgeteilt. Das Mexikaner-Priesterchen begab sich in den Huei-Tecpan zum Herabstoßenden Adler und verlangte mit zelotischem Zorn die Tötung des kleinen weißen Gottes. Guatemoc bat sich Bedenkzeit aus.

Eine Woche später saßen die Könige von Tlacopan und Tezcuco am Lager der Wöchnerin. Sie säugte ihr Kind, das geschlossenen Auges die eckigen winzigen Fäuste um die vollen rotbraunen Zitzen der Prinzessin klammerte.

Der Durch-Zauber-Verführende sagte:

»Quauhtemoc will nicht, was die Opferer wollen. Doch ihm fehlt die Macht zu trotzen. Die Priester haben alle großen Häuser aufgehetzt mit der Weissagung, das weiße Kind bringe Mexico Gefahr, wenn es nicht bald beseitigt werde.«

»Meine Quetzalfeder, meine Edelsteinkette gebe ich nicht her!« rief Perlmuschel wild. »Die Opferer lügen, sie wiederholen nur, was meine Mutter sagte! Meine Mutter ist es, die mein Kind haßt und es umbringen will! Doch ich werde es nicht hergeben! Jedes Tier verteidigt sein Junges! ... Wenn ihr meine Freunde seid, so helft mir mein Kind verbergen!«

»Schwester, wir sind eines Herzens!« sagte Ohrring-Schlange. »Wir werden das weiße Kind verbergen!«

»Wo, Bruder?«

»Bei einer armen Federarbeiterin ... Du kennst sie ...«

Sie konnte sich nicht entsinnen. Da erinnerte er sie an die nächtliche Lustfahrt auf dem schwimmenden Garten und wie er den Edlen Traurigen – der auf zwei Booten den Goldhort Tezcucos nach Tenuchtitlan brachte – an der Schulter verwundete. Der Strafe des Zornigen Herrn zu entgehen, lebte er als Huaxteke gekleidet im Hause des alten Obsidian-Arbeiters, des Nachbars der Federmosaikarbeiterin. Von dieser – oder einer ihrer drei Töchter – wurde ihr nach dem großen Vulkanausbruch Menschen-Puma wieder zugeführt, welchen der Herabstoßende Adler aus dem Tragkorb des nasenlosen Coxtemexi befreit und in die Obhut der Frauen gegeben hatte.

Jetzt entsann auch sie sich. Doch sie hatte ein Bedenken. Das Versteck des Kindes konnte verraten werden, wenn eine Dienstmagd der Herrin von Tula das Kind ins Haus der Arbeiterinnen brachte.

»Meine weiße Sklavin«, sagte Ohrring-Schlange, »wird das Kind hinbringen. Und ich werde ihr einen stummgeborenen Sklaven mitgeben, damit sie die Gasse findet.«


In der Tracht einer chichimekischen Edelfrau, das Gesicht mit einem safrangelben Schleier verhüllt, betrat gegen Abend Isabel de Ojeda das Haus der Federmosaikarbeiterin. Aus dem Stadtteil Teopan, an der Schlangenberg-Mauer und den Königspalästen in Moyotla vorbei, und durch das Gassenlabyrinth des nordwestlichen Stadtteils Cuepopan hatte ihr der stumme Sklave den Weg gewiesen, war aber – seinem Auftrag gemäß – an den weinrot bemalten Türbalken des Hauses umgekehrt.

Von den drei Töchtern der Federarbeiterin lebte die jüngste nicht mehr: ein von Häschern Montezumas geworfener Speer hatte ihr die Brust durchbohrt, als der damals verbannte Herabstoßende Adler, nach seinem tollkühnen Besuch in Chapultepec und dem Ballspiel mit Maisblüte, vor dem Hause des Obsidianarbeiters überfallen worden war. Die Wangen der Schwindsüchtigen hatten sich im letzten Jahr noch mehr gehöhlt. Und auch das Antlitz der anderen Schwester wies jetzt Spuren der Auszehrung auf, sie hatte überdies vor kurzem ein außereheliches totes Kind zur Welt gebracht.

Der späten Tageszeit wegen machten die Arbeiterinnen bereits Feierabend. Und wie meist um die Dämmerstunde hatten sich Besucher bei ihnen eingefunden, müde gearbeitete Mantelweber, Korbflechter, Lackarbeiter aus derselben Gasse, eine Wasserträgerin mit einem Bottich und jener Entenjäger, welcher einst der Herrin von Tula einen Botenbrief überbrachte (kurz bevor sie sich entschloß, den kleinen Menschen-Puma auf ihren Schoß zu setzen). Sie alle hockten am Boden der engen Werkstatt und verdickten durch ihren Schweißgeruch die stickige, graue, mit umherfliegendem Daunenflaum geschwängerte Luft. Und unter ihnen saß ein grell bemalter Mann mit einem Sklavenhalsband und einer Sklavenfeder auf dem Scheitel: Gonzalo Guerrero, der Rote Jaguar – nur noch kenntlich an seinen wasserblauen Augen, denn abgenommen hatte er sich seinen brandroten Bart und schwarz gefärbt sein borstiges Haar. Aber nicht mehr stumpf und dumpf wie einst lauschten sie seinen aufwühlenden Reden, sie hatten von ihm gelernt, ihren Unmut in Worte zu fassen. Ja, die Teuerung war unerträglich! Trotz mühseligster Arbeit verhungerte man! Bloß die Kaufherren Tlatelolcos wurden reich durch den Krieg! An allem Elend war ja der Krieg schuld! Daß die Adligen, die Brut der Königspaläste, den Krieg wollten, mochte hingehen – das war immer so gewesen, seit der Dämon Yaotl den Krieg in die Welt gebracht hatte. Aber die Kaufherren – was gebärdeten sie sich so kriegswütig? Leiteten die etwa ihr Geschlecht von Acamapichtli und Huitzilihuitl her? Feist geworden waren sie, während das Volk verarmte ...

Das Gespräch verstummte, als Isabel eintrat. Mißtrauische, unfreundliche Blicke betasteten die saubere tezcukanische Kleidung. Isabel fühlte sich als unerbetener Gast. Doch die alte Federarbeiterin schien sie erwartet zu haben. Sie ging auf sie zu, faßte ihre Hand und führte sie in eine abseits gelegene Kammer, wo sie unbeobachtet und unbelauscht reden konnten. Während sie hinausgingen, bemerkte die Schwindsüchtige in gleichgültigem Ton zu den Fremden: dies sei eine der Flüchtlinge aus Tezcuco, eine Kundin, die schon mehrmals Federmosaik bestellt habe.


Isabel sah in der Kammer, wohin sie geführt worden war, ein Cocolli – eine mexikanische Kinderwiege – stehen. Blanke baumwollene Säuglingswäsche lag auf dem Deckel einer meerblau bemalten Truhe bereit.

»Dein Herr, König Ohrring-Schlange«, sagte die Federarbeiterin, hat mich wissen lassen, was du mir bringst. Ich soll das Kind heimlich aufziehen. Eine meiner Töchter kann es nähren, denn sie hatte jüngst eine Fehlgeburt.«

Der safrangelbe Schleier Isabels reichte vom Kopfputz bis hinab zu den Knien und war so dicht, daß die Bürde auf ihrem Arm sich nicht erkennen ließ. Jetzt schlug sie den Schleier empor und hielt stumm das weiße Kind der Arbeiterin hin. Diese nahm es ihr ab und senkte es in die flaumgefüllte Wiege. Darauf wandte sie sich Isabel wieder zu, die ihren Schleier noch nicht wieder herabgelassen hatte, und sie starrte sie prüfend schreckhaft wie ein unheimliches Wunderwesen an.

»Du bist ja eine Gelbhaarige!« rief sie aus. »Du bist die, von der ich gehört habe: die Bettgenossin des Königs Ohrring-Schlange – Du! ... Also bist du die Mutter dieses Kindes?«

Und nun log Isabel, aus Mitleid log sie. Mochte die Arbeiterfrau auch gutherzig sein – ihr verraten, daß La Azteca die Mutter und der ärgste Feind Mexicos der Vater war, hieß das nicht das Leben des Corteskindes gefährden? Besser schien es, die Frau im Glauben zu lassen, Ohrring-Schlange sei der Vater ...

»Es ist mein Kind!« sagte Isabel.

Und sie beugte sich über die Wiege, küßte leise den erhitzt schlummernden, mit den eckigen Fäustchen zuweilen zuckenden Knaben. Und plötzlich – fast gegen ihren Willen – rollten Tränen hurtig wie ein Quell über ihre Wangen, und ein ersticktes Schluchzen schüttelte ihre Glieder. Sie beweinte sich selbst, hatte Mitleid mit sich selbst, daß sie so verlassen, für immerdar verloren und menschenfern war wie dieses unselige Kind.

Mit ihren tränengenäßten Händen berührte sie das dünne streifige Säuglingshaar und murmelte die Taufformel:

»Im Namen der Dreieinigkeit taufe ich dich Hernando!«

Die Federarbeiterin verstand weder die Worte noch die heilige Handlung.


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