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Denselben Abend ruderten die Schwarze Blume und La Azteca nach Tezcotzinco, dem unfern von Tezcuco auf einer Landzunge gelegenen einstigen Lustschloß des Herrn des Fastens. Als sie am Fuße des felsigen Kaps anlangten, sahen sie keinen Lichtschimmer aus den Alabasterfensterscheiben des hoch gelegenen Schlosses herausstrahlen, gewahrten aber, daß viele Boote aus Zypressenholz und fürstliche Galeeren (mit zähnebleckenden Dämonenhäuptern am Bug) vor der Landungsstelle schaukelten.

Die Schwarze Blume brauchte von den umhersitzenden Ruderknechten nicht zu erfragen, daß eine geheime Zusammenkunft im Lustschloß stattfand. Ihm war bekannt, daß seine Mutter und seine Brüder schon öfter in letzter Zeit die mißvergnügten Fürsten Anahuacs empfangen hatten. Er selbst war zu solchen Zusammenkünften geladen gewesen. Und wenn er sich bisher den Verschwörern nicht angeschlossen hatte, so hatte ihn nicht etwa die Treue, nicht die Liebe zu Cortes davon abgehalten, sondern sein Haß gegen Mexico, der ihn blind machte für das hereinbrechende Elend in Anahuac.

Jetzt hatte die Verteilung des väterlichen Hortes und die Bedrohung seiner Schwester durch christliche Soldaten eine Sinnesänderung zuungunsten der Christen in ihm bewirkt. Den Schimpf, daß Perlmuschel preisgegeben war von Cortes, dem sie selbstvergessen aufopferungsvoll sich hingegeben, daß ihr Beschützer sie nicht beschützte, empfand er um so tiefer, als er selbst der Kuppler gewesen war und die Schwester dem weißen Gott angeboten und zugeführt hatte.

Am Garteneingang wurden sie von einem Torhüter angehalten: die Herrin von Tula habe jedermann – er sei, wer er wolle – den Eintritt verboten. Die Schwarze Blume stieß den Wächter beiseite und schritt mit der Prinzessin durch den Garten. Am Portal des Schlosses aber standen zehn Bewaffnete. Da gab die Schwarze Blume den Versuch auf, sich gewaltsam Eintritt zu verschaffen. Und er schickte nach seinem Bruder Ohrring-Schlange.

Schon vor zwei Monaten – gleich nach der Hinrichtung des Schwelenden Holzes und des Blitzenden Schildes – hatten die meisten der am Hof von Tenuchtitlan lebenden Könige und Fürsten die Wasserstadt verlassen, teils weil sie sich dort nicht mehr sicher fühlten, teils weil sie es nicht ertrugen, der Schmach Montezumas untätig zuzusehen, und auf Abhilfe sannen. Grollend hauste, abgeschlossen von der Welt, Montezumas Bruder, der kränkliche Überwältiger, in seinem Wunderschloß Iztapalapan. Der Durch-Zauber-Verführende lebte in seiner Königsstadt Tlacopan und zerstreute sich mit der Wasserwildjagd. Der Edle Traurige aber hatte sich mit seinem Bruder Ohrring-Schlange nach Tezcuco begeben, und überaus rührig schürte er seitdem den Haß gegen die christlichen Unterdrücker und traf Anstalten für eine Erhebung der Azteken.

Er hatte sofort von Tezcuco aus einen Aufruf an den mexikanischen Adel erlassen. Ein Kriegsruf war es gewesen, ein sorgenbeschwingter, mahnender, flehender Lockruf – doch seinem hellen Klang war ein mattes Echo gefolgt. Die Azteken mochten nicht handeln, solange der Zornige Herr nicht handelte: auch in Gefangenschaft war er noch immer der Herr der Welt, und solange er das Zeichen nicht gab, mußten die Waffen ruhen.

Der Adel der Azteken fühlte sich eins mit seinem König wie ein Bienenschwarm mit seinem Weisel. Der Adel war gelähmt und willenskrank und vergnügungssüchtig wie Montezuma. Noch nie war in Tenuchtitlan so viel getanzt, gelacht und getrunken worden wie seit dem Einzug der Söhne der Sonne. Im Wirbel des Leichtsinns sich betäubend, sträubten sich die Verschreckten, die furchtbare Wahrheit zu glauben. Zu unwahrscheinlich waren die Geschehnisse, zu plötzlich hereingebrochen. Ein böser Traum mußte es wohl sein, aus welchem man eines Tages zur freudigen Wirklichkeit des Ehedem erwachen werde. Und genau wie der Zornige Herr, hoffte und harrte auch der Adel auf ein Wunder.

Die anderen Schichten der Bevölkerung waren und blieben stumpf und gleichgültig. Des Alltags Antlitz war ja unverändert. Der König lebte unsichtbar irgendwo, übergesiedelt in einen anderen Tecpan – auf den Kanälen wimmelten die Boote lustig wie stets. Die Handelsherren hatten ihren Verdienst, und selbst die armen Federmosaikarbeiterinnen, Wasserträgerinnen und Entenjäger fanden noch immer ihren kärglichen Lohn. Eine Knechtschaft war durch eine andere Knechtschaft ersetzt – doch was ging es sie an! Was gingen sie die Streitigkeiten der Zwingherren an, solange es an Mais nicht fehlte für den täglichen Bedarf!

Nur der höhere Adel hatte sich durch den Sammelruf Cacamas aus der schreckbewirkten Lethargie emporreißen lassen. Schon seit Jahren grollten die Fürsten der sträflichen Schwäche Montezumas und führten alles Übel auf sie zurück. Wenn nicht mit dem Zornigen Herrn, so ohne ihn, ja gegen ihn wollten sie kämpfen. Ein König war nicht unersetzlich wie die Ehre des Landes. Starb ein König, so schritt man zur Königswahl. Und der Zornige Herr war ein Verblichener, seit er der Hinrichtung des Schwelenden Holzes in Ketten zugeschaut hatte. Aus Feigheit blieb er bei den weißen Göttern wohnen, weil er sich bewußt war, daß er nicht mehr das Antlitz eines Königs hatte, – im Huei-Tecpan wäre er verloren gewesen. Die Fürsten waren entschlossen, seine Befreiung nicht abzuwarten, ihn jetzt schon zu ersetzen ...

Mehr Erfolg hätte Cacama gehabt, wäre ihm die Aufrüttelung des Volkes geglückt, wäre es ihm gelungen, den niederen Adel um sich zu scharen. Doch die Fürsten, eigensüchtig und eifersüchtig auf ihre Macht, dachten mehr an die Königswahl als an die Rettung des Landes.


Prinz Ohrring-Schlange erschien am Schloßtor. Die Schwarze Blume teilte ihm kurz mit, was ihn und seine Schwester den Gegnern der weißen Götter in die Arme trieb: die Geschmeide des Herrn des Fastens wurden eingeschmolzen, und das Christenheer verlangte den Tod der Prinzessin.

»Cacama und ich haben dich seit langem erwartet!« sprach Prinz Ohrring-Schlange. Und auf eine Frage der Schwarzen Blume, wer an der Versammlung teilnehme, zählte er ihm die Könige und Fürsten auf. Sie alle legten seiner Feindschaft gegen Montezuma mehr Gewicht bei als seiner Hinneigung zu den Sonnensöhnen, daher hätten sie gegen seine Anwesenheit nichts einzuwenden – wofern er sich durch einen Schwur verpflichte, von der Beratung nichts zu verlautbaren.

Die Schwarze Blume erklärte sich bereit, den Eid der Verschwiegenheit zu leisten.

Zur Schwester sich wendend, sagte Ohrring-Schlange, sie solle sich in die inneren Gemächer zur Herrin von Tula begeben, welche um diese Zeit noch am Webstuhl sitze, um wach zu sein, falls einer ihrer Söhne ihres Rats bedürfe.

»Sprich ein Gebet, Schwester«, fügte er hinzu, »sprich ein Gebet zu Ypalnemoa – durch den alles geschieht –, daß unsere Mutter dich vorlasse! Denn seit du dich zur flüchtigen Hindin gemacht hast, grollt sie dir gar sehr!«


Während Ohrring-Schlange die Schwarze Blume in den Versammlungssaal führte, begab sich Perlmuschel in die inneren Gemächer und trat in die Kammer, wo ihre Mutter webte.

Zwei dreiarmige, kupferne, milchgrün patinierte Kerzenhalter mit fingerdünnen Harzfackeln erhellten den mit Kolibrifederteppichen verhängten Raum. Rings um die webende Königin-Witwe hockten auf Schemeln fünf junge Mädchen, mit langen offenen Haaren, ihre Gesichter waren mit gelblichem Markasitpuder bestreut.

Die Königin von Tula unterbrach ihre Arbeit nicht. Mit dem Webemesser schlug sie gleichmäßig die in den Webekamm gefügten Baumwollfäden fest. Durch den mitleiderregenden Anblick der heimgekehrten Tochter ließ sie sich nicht rühren. Kalt und finster wies sie die Prinzessin aus ihrem Gemach hinaus. Und als Perlmuschel dennoch blieb, warf die Herrin von Tula das Webemesser nach ihr.

Perlmuschel verließ die Kammer, kniete draußen vor dem Perlenvorhang der Tür nieder, jammerte, schluchzte und schrie. Und schreiend schlug sie sich mit der Hand auf den offenen Mund.

Nachdem sie eine Stunde lang draußen gekniet hatte, ließ ihr die Herrin von Tula durch eine alte Sklavin eine verschlossene Majolikaschüssel bringen. Gestank dünstete der Prinzessin entgegen, als sie den Deckel abhob: in der Schüssel befanden sich menschliche Exkremente.

Und durch den Perlenvorhang erscholl die schneidende Stimme der Mutter:

»Nähre dich von Unrat, Tochter – du dienst ja der Göttin des Unrats, dem Frosch mit dem blutigen Maul! Auch du bist eine Kotfresserin, eine Sünderin ...!«

Die Prinzessin kreischte gell vor Entsetzen wie ein durchschossener Adler.

Und sie schlich hinaus in den Garten, ging zum Landungsplatz und ruderte zurück nach Tenuchtitlan.


Im hellerleuchteten Saal, wohin Ohrring-Schlange die Schwarze Blume geführt hatte, waren die Fensteröffnungen schwarz verhängt. Die sonst in einem der Schloßhöfe stehenden heiligen drei Herdsteine waren in die Mitte des Saales gestellt worden: bei der heiligen Flamme legten die Verschwörer den Eid ab, die Geheimnisse ihrer nächtlichen Zusammenkünfte nie zu verraten, und warfen zum Wahrzeichen Maiskörner in den Feuermund des alten Herrn mit der weißen Perücke, des gelbgesichtigen Feuergottes. Obgleich Christ und Hernando getauft, opferte auch die Schwarze Blume dem Herrn des Türkises, streute Körner ins Feuer und leistete den Eid.

Die anwesenden Verschwörer waren: der Edle Traurige, König von Tezcuco, der Überwältiger, König von Iztapalapan, der Durch-Zauber-Verführende, König von Tlacopan, ein König von Matlatzinco, ein König von Coyoacan. Ferner Prinz Ohrring-Schlange, die Schwarze Blume und der Herabstoßende Adler. Es war dem Prinzen Ohrring-Schlange gelungen, eine Versöhnung zwischen Cacama und Guatemoc zuwege zu bringen.

Die Beratung in dieser Nacht führte zu keinem Ergebnis, und die Meinungsverschiedenheit artete bald in häßlichen Hader aus. Einig waren sich zwar alle, daß Mexico königlos sei und eines neuen Herrschers bedürfe. Aber gerade dies rief die Uneinigkeit hervor. Die Verschwörer gönnten einander die Krone Mexicos nicht.

Der König von Matlatzinco, ein großer, dicker, allzu selbstbewußter Herr, geriet in Streit mit dem Edlen Traurigen und beschuldigte ihn, er werfe sich zum Anführer auf, nicht weil ihm Mexicos Rettung am Herzen liege, sondern weil er als Neffe und Schwiegersohn Montezumas glaube, ein Anrecht auf die Türkismosaikbinde der Könige Mexicos zu haben, es gebe aber andere, die mehr Anrecht darauf hätten als er.

Der König von Matlatzinco war nämlich ein mexikanischer Prinz, ein Sohn des Königs Kreideweiß. Erst vor kurzem hatte er Prinzessin Nephrit, die jüngste Tochter Montezumas, geheiratet und war daraufhin mit dem Königreich Matlatzinco belehnt worden. Sein Großvater, König Himmelspfeil, hatte drei Söhne gehabt: Wassergesicht, Kreideweiß und Molch. Die Söhne des Königs Wassergesicht waren der Zornige Herr und der Überwältiger, der Sohn des Königs Molch war der Herabstoßende Adler. Da die Azteken ein Wahlkönigtum hatten, kam der haltlose Sohn des Zornigen Herrn, der Vom-Himmel-Gestiegene, als Nachfolger nicht in Betracht. Doch nur Agnaten konnten gewählt werden, und hätte der Grad der Verwandtschaft allein entschieden, so wäre als Thronanwärter der König von Matlatzinco der nächste gewesen nach dem Überwältiger. Er durfte ohne zu lügen behaupten, daß er mehr Anrecht habe als sein Schwager Cacama, der bloß ein Verwandter mütterlicherseits, ein Sohn von Montezumas hingerichteter Schwester Smaragd-Lingam war. Freilich hatte noch niemand im König Matlatzinco den künftigen Weltherrn gesehen – außer er selbst, weder der Adel noch das Volk hatte je an ihn oder Cacama gedacht. Der Adel schätzte den stillen tatkräftigen Überwältiger, während des Volkes Sehnsucht sich auf den Herabstoßenden Adler, den grundlos Verbannten, richtete, dessen Name schon lange ein heimlicher Schlachtruf der Unzufriedenen war.

Beim Streit mit Cacama gestand der König von Matlatzinco unverhüllt ein, daß er sich für den würdigsten Nachfolger Montezumas halte, und für seine weitere Teilnahme an der Verschwörung machte er zur Bedingung, daß ihm die Führerschaft zugebilligt werde.

Indes die Vorwürfe gegen den Edlen Traurigen waren ungerecht. Ohne eigensüchtige Hintergedanken hatte Cacama den Aufruf an die Azteken erlassen und die Fürsten nach Tezcotzinco geladen. Mehr als andere litt er unter der Schmach Mexicos und lechzte nach der Austilgung der räuberischen Eindringlinge, bloß aus Liebe zu Heim und Herd wollte er zu den Waffen greifen, und wenn er so leidenschaftlich den Vertilgungskrieg forderte, so tat er es mit keinem anderen selbstsüchtigen Ziel, als um seine Schuld an den Bewohnern Anahuacs wiedergutzumachen: denn er war es gewesen, der bei den letzten Kronratssitzungen in Tenuchtitlan stets ritterlich dafür eingetreten war, die weißen Götter müßten eingelassen werden.

Es gelang ihm nur halb, die maßlosen Angriffe seines Schwagers abzuwehren. Er war zu stolz, sich rein zu waschen, da er sich reinen Herzens fühlte. Der Schein war gegen ihn.

Der Überwältiger, der Herabstossende Adler und die Schwarze Blume verhielten sich zurückhaltend, ließen ihre Gedanken nicht erraten. Im Herzen mißbilligten sie die Erörterung der Thronfolge, solange Montezuma am Leben war. Der König von Coyoacan stimmte dem König von Matlatzinco bei. Ohrring-Schlange und der junge König von Tlacopan verteidigten Cacama, erhitzten sich und reizten die Gegner zu immer neuen Ausfällen.

Unversöhnt, wenn auch äußerlich versöhnt, trennten sich gegen Morgen die Verschwörer.


Der Garten des Huei-Tecpan war von der Lagune umspült. Ein mit der Lagune durch einen kurzen und schmalen Kanal verbundener Teich befand sich unweit vom Parkufer, er diente als Hafen für die königlichen Boote und war von einer Steinmauer eingefaßt.

Drei Tage nach jener nächtlichen Zusammenkunft schritt Prinzessin Maisblüte durch den Schloßgarten, singend mit ihren Begleiterinnen.

»Auf die Erde herab fiel die Blume,
Auf die Erde brachte sie herab Tezcatlipoca,
Die schöne Blume, die gelbe Blume ...«

Ein junger Ruderknecht rief die Prinzessin an, als der Weg sie am Bootshafen vorbeiführte.

Er gehörte zu ihrem Haushalt, war mit ihr von Chapultepec nach dem Huei-Tecpan übergesiedelt. Als sie noch unverheiratet war, hatte stets nur er sie auf dem See gefahren. Seit sie ihres Bruders Gattin war, mußte er auch ihn rudern.

Wie einer Gottheit war er ihr ergeben und mißachtete seinen neuen Herrn, den Vom-Himmel-Gestiegenen, weil er dessen Untreue fast allnächtlich sah.

Als er Maisblüte anrief, war sie stehengeblieben, erstaunt über diese Kühnheit eines Knechtes.

Er habe ihr Wichtiges mitzuteilen, sagte er entschuldigend, als ihr harter Blick ihn traf.

Da hieß sie ihre Mädchen sich entfernen. Sie setzte sich auf die Steinbrüstung und senkte den Kopf herab, um deutlicher zu hören, was er – der aufrecht im Boot stand – ihr ins Ohr flüsterte. Ihr offenes Haar fiel auf die Mauer nieder, und vom Wind gebläht streiften zuweilen einzelne Strähnen sein schönes Knabengesicht.

Ein Gespräch, das ihr Brudergemahl, der Vom-Himmel-Gestiegene, mit dem nasenlosen Coxtemexi geführt hatte, war vom Ruderknecht erlauscht worden, und davon machte er ihr Mitteilung. Aus dem Gespräch ging hervor, daß der König von Matlatzinco die Verschwörung und die Namen der Verschwörer dem jungen Prinzen verraten hatte, damit durch diesen Montezuma erfahre, daß seine Absetzung geplant sei. Noch hatte der Vom-Himmel-Gestiegene mit Montezuma nicht gesprochen und schien nicht Lust zu haben, Cacama und die anderen Fürsten seinem Vater und damit auch den weißen Göttern auszuliefern. Coxtemexi aber hetzte den Prinzen auf, hielt ihm die sündige Liebe des Herabstoßenden Adlers zur Prinzessin Maisblüte vor und mahnte ihn an seinen Racheschwur. Wolle er aber Guatemoc verderben, so dürfe er auch die anderen nicht schonen. Und schließlich beschwichtigte er des Prinzen Bedenken, indem er ihm einen Plan entwarf, wie er die Prinzessin Perlmuschel, die er so liebe, jetzt erlangen könne. Er solle dem Anführer der Sonnensöhne, dem Grünen Stein, anbieten, ihm fünf aufständische Fürsten zu fangen, und sich dafür Perlmuschel von ihm versprechen lassen.

Als der Ruderknecht den Bericht beendet hatte, sagte ihm Maisblüte mit seltsam flackerndem Lächeln:

»Ich will dich überreich belohnen! Du sollst mich küssen!«

Noch tiefer beugte sie sich über die Brüstung, legte ihren linken Arm um seine nackte braune Schulter, näherte ihr Gesicht seinem schreckgelähmten Gesicht. Mit der rechten Hand aber suchte sie ihren Obsidiandolch. Und während ihre Lippen sich berührten, durchschnitt sie ihm die Kehle.

Er hatte zuviel gewußt – darum durfte er nicht leben. Doch weil er schön war und jung, hatte sie ihm das Sterben versüßt.

Sie rief ihre Mädchen und sagte: getötet habe sie ihn, weil er ihr einen unsittlichen Antrag gestellt habe. Und sie befahl den Mädchen, die Leiche des Jünglings auf den Schilfsee hinauszurudern und sie dort zu versenken.

Sie selbst ging in den Tecpan, rief ihre Sänftenträger und ließ sich in die Gelehrtenwohnung des Annalenschreibers Feuer-Juwel tragen, durch welchen sie öfters Botschaften vom Herabstoßenden Adler erhalten hatte.


Das Arbeitszimmer Feuer-Juwels war angefüllt mit Altertümern, Chroniken, Sammlungen heiliger Gesänge und astronomischen Werken. Doch er schrieb heute nicht, er malte nicht mit Zypressenharz auf Hirschhautpergament, als die Prinzessin anlangte. Inmitten der Bilderhandschriften und umringt von Urnen, aus Grabstätten herstammenden toltekischen Fundstücken, saß er mit seinen Freunden, dem Alten Wickelbär (welcher, als er noch als Zauberer in Tenuchtitlan lebte, sich den Namen Zacatzin beigelegt hatte) und dem Spinner, dem jungen rauschseligen Dichter.

Düster redeten sie vom Untergang ihres Volkes, ihrer Welt. Die aufdämmernde Welt, die ihre Welt ablösen kam, bedurfte eines Fundaments von Scherben.

»Wird nichts, nichts, was wir liebten, bleiben?« fragte der Spinner.

»Nichts!« sagte Feuer-Juwel. »Alles wird hinschwinden – wie einst, als der Jaguar die Sonne fraß.«

»Auch die herrliche Adlerpforte, der Stolz Mexikos?« fragte der Spinner zaghaft.

»Sie wird im See versinken!«

»Auch die Bücher, die du geschrieben hast?«

»Nichts wird von ihnen bleiben«

»Auch die Lieder, die ich gedichtet habe? ... Wenn alles verschlungen wird – wozu stieg denn Mexicos Schönheit aus dem See hervor?«

»O Dichter«, sagte der Alte Wickelbär, »auch die Wasserrose steigt aus dem See hervor und blüht nur drei Tage lang!«

Da schlug Feuer-Juwel eine noch unfertige Bilderhandschrift auf, sein Lebenswerk, worin er seine neugeborenen Gedanken in altheilige Gewänder kleidete. Und er las:

Als Unser Herr Quetzalcoatl, das Land der Sehnsucht Tlillan-Tlapallan suchend, an Cholula, der heiligen Stadt, vorbeizog, hielten ihn die Bürger fest und zwangen ihn, des Landes Krone zu tragen. Nur noch vier Jünger und eine Jüngerin, ein schönes stilles Mädchen, folgten ihm in die heilige Stadt, denn die meisten seiner Anhänger und alle Singvögel der Gärten Tulas waren im Schneegebirge erfroren.

Auch das Mädchen, vergewaltigt von einem Cholulteken, starb verzweifelt und wurde von den vier Jüngern beweint.

Da fragte Unseren Herrn der treueste der Jünger, der ihm die mit Türkismosaik überkrustete Schädelmaske geschenkt hatte:

»0 Unser Herr, wozu ist die Welt da?«

»Um vom Dasein erlöst zu werden!« erwiderte die Grüngefiederte Schlange.

»O Unser Herr, erkläre es mir!« bat der Jünger.

Da sagte Quetzalcoatl:

»Alles Etwas ruht im Nichts. Die Welt ist nicht endlos: die Welt grenzt an die Nicht-Welt. Und auch die Zeit hat Anfang und Ende und ist von der Nicht-Zeit begrenzt!«

»Verzeih, o Herr«, unterbrach ihn der Jünger. »Mein Herz kann es nicht fassen. Was ist die Nicht-Welt?«

»Die Nicht-Welt«, fuhr Quetzalcoatl fort, »ist das nie Gewandelte, ist das noch Ungewordene, ist das Gestaltenlose. Die Nicht-Welt ist wie Wasser, und die Welt ist wie Eis, das im Wasser schwimmt. Die Erlösung des Eises aber ist das Wasser.«

»Ach, wozu gerinnt das Eis, wenn es doch schmelzen muß!« rief der Jünger. »Immerfort weinen möchte ich über die grundlose Welt!«

»Sieh dort das Wölkchen am blauen Himmel!« sagte Quetzalcoatl. »Keine Wolke ist Tränen wert. Mag sie wie Perlmutter schimmern oder wie purpurnes Gold im Abendschein glimmen, ehe sie zerrinnt – der kristallene Äther ist schöner ohne sie. Keine Wolke ist beweinenswert – es bilden sich immer neue. Wenn du Tränen hast, so vergieße sie um die Ameisen, die dein Fuß zertritt!«

Als Feuer-Juwel zu lesen aufgehört hatte, entsann sich der Spinner der redenden Palastwand beim Fest des Kinderrausches. Und leise murmelte er vor sich hin:

»Tanze, tanze, mein schöner Schenkel! Denn bald faulst du begraben im tiefen See! ...«


Ein Sklave meldete: eine Edelfrau, gekleidet wie eine Prinzessin des königlichen Hauses, wünsche den Annalenschreiber zu sprechen. Feuer-Juwel begab sich mit dem Sklaven hinaus. Nach einer Weile kehrte er mit Maisblüte zurück. Der Alte Wickelbär und der Spinner hatten sich erhoben und wollten sich entfernen. Doch Feuer-Juwel bat sie dazubleiben: was die Prinzessin zu sagen habe, ginge sie beide nicht weniger an als ihn.

Maisblüte hatte schon früher durch Feuer-Juwel erfahren, daß der Herabstoßende Adler in der unterirdischen Mumienkammer der Schilfinsel beim Alten Wickelbär und dem Spinner Zuflucht gefunden hatte. Sie wußte, daß es Freunde ihres Geliebten waren, daß sie offen vor ihnen reden durfte – um so mehr, als ihnen das Ziel der nächtlichen Bootsfahrten Guatemocs nicht unbekannt sein konnte, mochten sie selbst auch an den Zusammenkünften der Fürsten nie teilgenommen haben.

Sie hatte sich auf einen hölzernen, mit blaugelb gestreiftem Kissen bedeckten Schemel niedergehockt, dicht neben die in engem Kreise hockenden Männer. Flüsternd sprach sie, doch so erregt, daß das Perlengehänge ihres Ohrpflocks klirrte und die Strahlenscheibe aus weißen Federn, die sie auf dem Rücken trug, wie ein Fächer hin und her schwankte. Um ihren glitzernden, schöngewölbten Mund huschten schwermütige Schatten, während sie vom Verrat des Königs von Matlatzinco erzählte und vom Racheplan des nasenlosen Coxtemexi, der, um den Herabstoßenden Adler zu verderben, auch die anderen Fürsten nicht schonen wollte.

Und als sie geendet, erhoben sich die drei Männer schnell, und auch sie erhob sich. Der Alte Wickelbär drängte. Es sei keine Zeit zu verlieren, schon senke sich die Sonne, in der kommenden Nacht wollten die Verschwörer im Schloß von Tezcotzinco zusammentreffen. Um die Schwarze Blume und den Überwältiger zu warnen, solle sich Feuer-Juwel in den Tecpan des Königs Wassergesicht und von dort nach Iztapalapan begeben. Der Spinner solle nach Tezcotzinco rudern, den Edlen Traurigen und Ohrring-Schlange in Kenntnis setzen und sie veranlassen, Ruderer auf den See hinauszuschicken, um den Durch-Zauber-Verführenden und den König von Coyoacan abzufangen und an der Landung in Tezcotzinco zu hindern. Er selbst aber wolle unverzüglich seine unterirdische Wohnung aufsuchen, wo er den Herabstoßenden Adler noch anzutreffen hoffe, da dieser erst nach Sonnenuntergang aufbrechen wollte.


Es gelang nur, zwei der Verschwörer zu retten.

Der Alte Wickelbär erreichte noch rechtzeitig die Toteninsel und hielt den Herabstoßenden Adler zurück, als er eben ins Boot steigen wollte. Feuer-Juwel konnte im Tecpan des Königs Wassergesicht die Schwarze Blume allein sprechen und von der Gefahr benachrichtigen, als er aber in Iztapalapan anlangte, befand sich der Überwältiger bereits auf dem See, zu weitab, als daß er hätte eingeholt werden können.

Der Spinner hatte sich, seit er bei den Mumien hauste, immer nur nachts auf den See oder auch in die dunklen Kanäle Tenuchtitlans gewagt, wollte er seinem Freund, dem Annalenschreiber, einen Besuch abstatten. Und er pflegte – ebenso wie der Alte Wickelbär – den Tag über in der Gelehrtenwohnung zu verweilen und erst in der darauffolgenden Nacht zurückzurudern. Diesmal indes, wo Höheres auf dem Spiel stand als bloß ihr Leben oder ihre Freiheit, ließen beide die Vorsicht aus der Acht. Weniger vom Glück begünstigt als der Alte Wickelbär, erreichte der Spinner sein Ziel nicht. Er hatte gehofft, unbehelligt im Menschengewühl untertauchen, sich durchschleichen zu können. Doch er wurde erkannt und wurde festgenommen, da von Montezuma ein Preis für seine Auffindung ausgesetzt worden war. Man brachte ihn in den alten Tecpan und führte ihn vor Montezuma. Erfreut war der Zornige Herr, den oft Vermißten, seit lange Ersehnten wieder vor sich zu sehen. Weder nahm er ihm die Freiheit, noch gab er sie ihm zurück. Er beschenkte ihn und hieß ihn bei ihm bleiben, mit farbenprächtigen Gedichten sein Freudebringer und Sorgenbrecher zu sein.

Siebzig weiße Götter, befehligt von Olid, setzten in Kanoes über den See, drangen in Tezcotzinco ein, metzelten die zur Wehr sich setzenden Palastwächter und Schildträger nieder und nahmen den Edlen Traurigen, Prinz Ohrring-Schlange, den Überwältiger, den Durch-Zauber-Verführenden und den König von Coyoacan gefangen, nachdem diese in verzweifelter Gegenwehr schwere Wunden davongetragen hatten.

Die Herrin von Tula und Königin Silber-Reiher, die Frau des Edlen Traurigen, kamen, die Gefahr mißachtend, an die Landungsstelle, wo in den Händen von Geharnischten große Pechfackeln vom Sturmwind zerzaust wurden. Qualm und Flammenlocken trug der Wind fort, grellrot leuchtete das Gestein des Felsenkaps, goldene Schlagschatten fielen auf Zypressen, Edelweidenstämme und Menschen.

Mit finsterer Wut schauten die beiden Königinnen zu, wie die vier Könige und der Prinz, gefesselt an Händen und Füßen, blutbesudelt, mit klaffenden Wunden, zu den Booten gebracht, in die Boote gesetzt wurden.

»Diese Gelbhaarigen«, rief die Herrin von Tula ihrem Sohn Cacama zu, »diese Gelbhaarigen greifen wie Affen nach dem glitzernden Gold! Schmach meinen Söhnen, daß sie sich von Affen fangen ließen!«

Der Edle Traurige schwieg. Sein Bruder Ohrring-Schlange antwortete für ihn:

»Von deinem liebsten Sohn, Mutter, ließen wir uns fangen! Melde unserem Bruder, der Schwarzen Blume, daß wir dem Verräter fluchen und noch am Kreuzweg der Unterwelt ihm fluchen werden für diese Schandtat!«

Auch die anderen Gefangenen stießen Verwünschungen aus gegen die Schwarze Blume. Sie waren überzeugt, daß niemand anders Cortes benachrichtigt haben konnte.

In Tenuchtitlan angekommen, übergab Cristobal de Olid die Gefangenen den Häschern Montezumas. Mit großem Pomp wurden die blutüberströmten Könige in goldenen Tragsesseln durch die Stadt zum Tecpan des Königs Wassergesicht getragen.

Der Edle Traurige verlangte, vor den Zornigen Herrn geführt zu werden. Doch Montezuma lehnte es ab, ihn zu sehen. Die Gefangenen wurden vor Cortes geführt.

Er saß auf dem Jaguarfellsitz, als wäre er der Herr der Welt, befugt, über Könige Recht zu sprechen. Neben seinem Thron standen Marina und die Feldobristen.

Streng ließ er den Edlen Traurigen fragen: Ob er nicht bereue, das befreundete Volk der Azteken zum Krieg aufgehetzt zu haben? Ob er nicht einsehe, daß den Krieg zu entfachen leicht, ihn jedoch zu beenden schwer sei? Ob er vergessen habe, daß es seine Pflicht sei, dem mächtigen König des Sonnenuntergangs ein treuer Freund zu sein?

Mit blitzenden Augen entgegnete der leidenschaftliche Jüngling:

»O großer Krieger, o weißer Gott! Von deinem mächtigen König weiß ich nichts und will ich nichts wissen! Und wenn – wie du forderst – der endlose Krieg nicht entfacht werden soll, mußt du Anahuac verlassen. Sonst aber – magst du den Weltherrn und vier Könige gefangenhalten – werden andere ausführen, was wir vorhatten, und für Mexico die Ehre zurückerobern, die von Räubern entwendet wurde!«

Die Schmiede Hernan Martin und Juan Garcia (der Mann der Feuerlilie) wurden beauftragt, die Könige von Tezcuco, Tlacopan, Iztapalapan, Coyoacan und den Prinzen Ohrring-Schlange an eine Eisenkette zu schmieden. Auf den Fußboden der unterirdischen Kammer, die bis vor kurzem den Hort des Herrn des Fastens beherbergt hatte, wurde Maisstroh gelegt, das Schatzhaus in einen Kerker verwandelt.

Rohe Soldaten rissen den schwerverwundeten Gefangenen den fürstlichen Juwelenschmuck, die königlichen Gewänder vom Leibe. Nackt wurden die Könige an die dicke Eisenkette und die Eisenkette wurde an die Mauer des Schatzhauses geschmiedet.

Lichtlos war der Raum, Nacht umhüllte das Leid und die Tränen, Ratten raschelten im Stroh, Skorpione krochen an den Wänden. Nur Ines Florin, die gutherzige Samariterin, kam zuweilen, brachte Wasser und Brot, ersetzte das stinkende Stroh durch frisches und verband die eiternden Wunden.


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