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Laute Männerstimmen wurden im Garten vernehmlich. Cortes und seine Feldobristen hatten Alderete die Herrlichkeiten des nach dem Mondgott, dem Herrn-des-Schneckengehäuses, benannten Tecpans gezeigt und führten ihn jetzt durch die Alleen und Blütensträucher des Palastgartens. Der Frater war erschreckt aufgesprungen und wollte sich entfernen. Doch schon näherten sich die Kavaliere dem Teich. Auch Marina und ihre Frauen hatten sich erhoben. Eine zapotekische Wärterin wollte ihr das Kind abnehmen, Marina aber schüttelte den Kopf: sie fühlte sich frei von Beschämung. Voll Stolz behielt sie das Kind des Cortes auf dem Arm.

Beim Anblick des reichen Hofstaates der wunderschönen jungen Mutter stellte Alderete an Cortes die Frage, ob dies eine gefangene Königin sei.

Zum Erstaunen aller fiel Marina Cortes ins Wort und gab dem Frager Bescheid:

»Ich bin eine Sklavin, Señor, und wurde in Tabasco mit vierundzwanzig anderen Sklavinnen Don Hernando geschenkt. Von der Dolmetscherin Marina oder Malitzin werdet Ihr in Vera Cruz wohl gehört haben. Warum also fragt Ihr, ob ich eine Königin sei? Nehmt Ihr Anstoß daran, daß ich vornehm gekleidet bin und von dienenden Frauen begleitet werde? Ich habe ein Anrecht darauf, ich will es Euch nicht verhehlen: dies Kind auf meinem Arm ist Don Hernandos Kind!«

Ein peinliches Schweigen folgte. Alle blickten verlegen drein. Sonst war es Marinas Art nicht, sich vorzudrängen. Sie, die Bescheidene, hatte so überraschend ihren stillen Bezirk verlassen ...

»Was ist in dich gefahren, Marina?« sagte Cortes vorwurfsvoll. »Ich glaube nicht, daß Don Juliano dich kränken wollte!«

»Das lag mir gänzlich fern, Señorita! Mir sind Eure Verdienste bekannt!« erklärte Alderete mit einer steifen Verbeugung.

Alvarados gerader Soldatensinn begeisterte sich plötzlich für Marinas Mut. Durch ihre freiwillige Bloßstellung hatte sie unliebsamen Fragen und Erörterungen, noch bevor sie aufflattern konnten, die Flügel beschnitten. Dies Mädchen war tapferer als die Männer.

»Ohne Doña Marina«, rief Alvarado, »wären wir nie über Sempoalla hinausgekommen! Ihr mögt in Vera Cruz von ihren Verdiensten gehört haben, Señor Alderete, aber gewiß nicht genug, – darum laßt mich Euch sagen, daß kein Lob an ihre Verdienste heranreicht!«

Alderete lächelte überlegen und beachtete Alvarados Angriff nicht. Zu Marina gewendet, sagte er:

»Nicht nur in Vera Cruz, auch in Kuba hat man mir von Euch erzählt, Señorita.«

»Habt Ihr auf der Herreise Kuba berührt?« fragte Cortes schnell.

»Ja, Don Hernando, – fast hätte ich es vergessen –, ich soll Euch vom Oheim Eurer Gemahlin, Don Diego Velazquez, Grüße überbringen ... Der alte Mann geht recht zurück ... Vom Koloß, der er war, blieb wenig übrig. Die Sorgen naschen ihm das Fleisch weg ... Ihr habt ihm übel mitgespielt, Don Hernando! ... ›Varus, gib mir meine Legionen wieder!‹ ist sein täglicher Seufzer.«

»Da mag er sich an Don Panfilo halten – nicht an mich!« lachte Cortes.

»Gewiß ... Auch das trägt bei zu seinem Verfall, daß er von seinem heimgekehrten Sekretarius Andrés de Duero erfahren hat, Narvaez sei neuerdings ein Lobredner und Bewunderer Eurer Kriegstaten geworden, Don Hernando ...! Und noch mehr geärgert hat ihn, daß fünftausend mit dem Buchstaben G gebrandmarkte mexikanische Sklaven, die Narvaez Don Cristobal de Olid abkaufte, in Kuba auf den Markt gebracht worden sind und daß der Erlös in Don Panfilos Tasche fließt statt in seine. Seitdem ist Don Diego krank und bettlägerig, – man befürchtet das Schlimmste für ihn ...«

»Er ist nicht mehr der Jüngste«, bemerkte Sandoval, um etwas zu sagen, da die anderen teilnahmlos schwiegen. Er sah totenblaß aus und trug den Arm in einer Binde.

»Um so bessere Nachrichten, Don Hernando«, fuhr Alderete fort, »kann ich Euch von Eurer Gemahlin, Doña Catalina, überbringen. Ihre Gesundung hat so erstaunliche Fortschritte gemacht, daß die Ärzte im Zweifel sind, ob sie überhaupt je schwindsüchtig war!«

»Solche Ärzte würde ich zum Teufel jagen!« platzte Olid barsch heraus.

Frater Aguilar wagte sich vor.

»Warum, Don Cristobal? Je schlechter die Ärzte, um so größer das Wunder des Allmächtigen! ... Wir alle haben den Wunderglauben, wir vertrauen auf Gottes Güte ... Freilich, Alvarez Pineda sprach anders. Er meinte, es wäre keine Hoffnung mehr ...«

»Wer ist dieser Pineda?« fragte Alderete.

»Er landete vorigen August«, erklärte Sandoval.

»Und jetzt sind wir im April«, lächelte Alderete. »Damals mag sie hoffnungslos daniedergelegen haben, jetzt aber ist sie wohlauf und sieht blühend aus, das kann ich bezeugen! ... Übrigens trug sie mir auch an Euch, Señorita, Grüße auf!«

»An mich?! ...« Marina fuhr zusammen, wie durchbohrt von einem Giftpfeil. »Überaus gütig ist Doña Catalina ... Nur begreife ich nicht ...«

»Wundert es Euch, Señorita? Wieviel die heilige Mutter Kirche, Seine Majestät der Kaiser und das christliche Heer Euch verdanken, ist Doña Catalina wohlbekannt. Sie hofft, Euch nächstens mündlich danken zu können.«

»Mündlich? ...« fragte Cortes, ohne seine Gemütsbewegung ganz verdecken zu können. »Wie versteht Ihr das, Don Juliano? Hat meine Frau vor, nach Mexico zu kommen? ...«

»Die Kordilleren sind verdammt hoch!« knurrte Olid.

»Dasselbe habe ich ihr vorgehalten. Doch sie meinte, Sehnsucht schrecke vor Hindernissen nicht zurück ... Wenn wieder ein Schiff in Vera Cruz landet, wird sie an Bord sein, vermute ich ...«


Da die Zusammenfügung der Brigantinen frühestens nach zwei Wochen beendet sein konnte, mußte der Beginn der Belagerung Tenuchtitlans immer noch hinausgeschoben werden. Cortes beschloß einen Rekognoszierungszug in das südliche Anahuac. Um Alderete nicht aus den Augen zu lassen, forderte er ihn auf, an seiner Seite mitzureiten. Der Weg nach dem Süden war frei, seitdem die von König Ohrring-Schlange bedrängte, umzingelte und fast schon eroberte Stadt Chalco durch Sandovals Eingreifen zum zweitenmal entsetzt worden war.

Nicht ohne Wunden war Sandoval aus den Kämpfen heimgekehrt, und um sie heilen zu lassen und wohlverdienter Ruhe, zu pflegen, blieb er als Stellvertreter des General-Kapitäns im Schneckenhaus-Palast zurück. Die anderen Feldobristen verließen mit Cortes und Alderete Tezcuco am 5.April. Die sie begleitende Truppe bestand aus dreiundzwanzig Berittenen, zweihundert Landsknechten und zwanzigtausend indianischen Bundesgenossen.

Mexico hatte seinen starken Stützpunkt im Südosten Änahuacs, dank Sandovals blutigen, aber erfolgreichen Entsatzkämpfen, eingebüßt. Als Befreier wurden die Christen von den Bewohnern Tlalmanakos, Chimalhuacans, Chalcos und den meisten Anwohnern des Chalco-Sees – den östlichen Chinampanecâ – begrüßt und gefeiert. Kein Anlaß fand sich, den Degen aus der Scheide zu ziehen, nirgends zeigten sich die mexikanischen Standarten. Da ließ sich Cortes verleiten, in das dem Süden des Hochtales vorgelagerte Axochco-Gebirge – den Ort-der-Wasserblüte, benannt nach einem dort tätigen Vulkan – vorzudringen.

Daß sie sich nunmehr in Feindesland befanden, wurden die Kastilier bald inne, als sie auf der Spitze eines hohen Felskegels eine Schar von etwa fünfzig lachenden Mädchen und Frauen erblickten. Entnervend war das Gelächter, eine Verhöhnung, ein Spott der Hölle. Unerträglich, daß Kreuzfahrer solcher Mißachtung preisgegeben waren. Wie nackthalsige Geier nisteten die lachenden Mädchen droben, geradezu unwahrscheinlich, unirdisch, phantastisch in so ragender Höhe, schaurig und grotesk, als wären sie Gorgonen mit Schlangenhaaren oder flachsbärtige Hexen. Der Versuch, ihnen das Gelächter zu verwehren, die Teufelsbrut in die Schluchtentiefe hinabzustoßen, mißlang – der Fels ließ sich nicht erklimmen. Und als der Scharfschütze Bemaldino de Coria seine Feuerflinte auf die frechste der Lacherinnen abschoß, glitt eine Nebelwolke zwischen ihn und sein Ziel und hinterließ, nachdem sie vorbeigezogen war, einen nackten, grauen, moosgetigerten Felsen.


Und weiter südlich zog das Christenheer durch den Ort-der-Wasserblüte. Nach mancherlei Scharmützeln mit den Bergvölkern, auch einer Schlacht in einem Tal, näherte sich die Vorhut der großen Stadt Quauhnahuac (von den Kastiliern Cuernavaca genannt).

Der Bogenschütze Pedro de Guzman – der Gatte der vornehmen Francisca de Valtierra – schritt neben dem Reiter Gonzalo Dominguez. Plötzlich legte er einen Bolzen auf die Armbrust.

»Warum? ...« fragte Dominguez.

»Seht Ihr dort links den hohen Lilienbaum mit den großen weißen Blüten?«

»Er ist wie mit Schnee bedeckt ...«

»Das Weiße auf dem einen Ast sind aber keine Blüten.«

»Was sonst? ... weiße Reiher?«

»Oder ein weißgekleideter Mensch.«

»Schießt nicht! ... Ich will hinreiten.«

Und Dominguez galoppierte zu dem vom Wege abseits stehenden Baum.

Das Geäst teilte sich, ein alter Indianer sprang herab. Angstbebend kniete er nieder vor dem Hirschungeheuer. Dominguez winkte Guzman und andere Soldaten heran. Bald war der Fremde von einem Schwarm neugieriger Kastilier und Tlascalteken umringt. Auch Cortes, Alderete, Ordas und Olid ritten an den Lilienbaum heran.

Der Indianer trug die Kleidung der Maya, war ein Maya. Als Dolmetscher wurde Aguilar gerufen, der sieben Jahre in Yucatan gelebt hatte.

Nachdem der Frater nur wenige Worte mit dem Maya gewechselt hatte, sagte er zu Cortes:

»Er sagt, er wolle nach Tezcuco zu den Söhnen der Sonne!«

»Der Kerl hat Glück!« lachte Olid. »Wir sparen ihm den halben Weg. Und sogar der Baum hat sich neben ihn gepflanzt, an dem er bald baumeln wird!«

»Was will er von den Söhnen der Sonne?« fragte Cortes.

»Das hat er mir noch nicht gesagt.«

»Warum versteckte er sich«, fragte Alderete, »wenn er vorgibt, uns zu suchen?«

»Weil er noch niemals Pferde und Reiter sah.«

»Nein, Frater, weil er ein übles Gewissen hat!« meinte Cortes. »Doch zu lügen, ist sein gutes Recht, wie es unser Recht ist, ihm nicht zu glauben. Also fragt ihn weiter aus!«

Diesmal führte Aguilar ein schier endloses Gespräch mit dem Maya. Schließlich sagte er:

»Dieser Alte ist ehrlich, Don Hernando, wie die meisten Maya. Und die Nachricht, die er überbringt, wird große Freude hervorrufen! Ein Mann, den wir als tot und vermißt beklagt haben, schickt ihn an Euch!«

»Wer?«

»Alonso de Barrientos!«

»Bei der himmlischen Prinzessin Maria!« rief Ordas aufstrahlend aus, »wenn das wahr ist, schenke ich meine Ersparnisse dem Kloster von Tlascala!«

Inzwischen hatte der Maya einen Brief aus seiner bauschigen Haarfrisur hervorgezogen und reichte ihn Cortes hin.

Obgleich Ordas nicht viel Ersparnisse besaß (wie die Liebe war auch das Geld ihm stets durch die Finger geglitten), zeugte sein Gelöbnis von seinem guten Herzen. Denn einst an den Sanddünen hatte ihm Barrientos Grund zur Eifersucht gegeben, war einer der Liebhaber seines Mündels Isabel de Ojeda gewesen. Damals, als im ersten Nachtquartier auf dem Wege nach Sempoalla die kleine La Medina und alle Lagerdirnen zum Gitarrespiel des Bergmannes und Tanzmeisters Ortiz tanzten, ließ sich die olivenbleiche Isabel vom stattlichen Alonso de Barrientos im Kreise herumwirbeln (worauf Villareal, der später ihr Gatte wurde, zwei Orchisblumen – im Auftrage des Hauptmanns Ordas – für ihre das Schicksal niedertanzenden Füße als Schuhe überreichte ...). Nach den Kämpfen vor Tlascala zum Fähnrich befördert, war Barrientos während der Gefangenschaft Montezumas – bald nachdem die fünf Könige an die Eisenkette geschmiedet worden waren – südwärts gezogen als einer jener fahrenden Ritter, die wie Ordas und Diego Pizarro außer nach dem Brunnen der Verjüngung auch nach verborgenen Erdschätzen suchten. Während der Nacht der Schrecken befand er sich in Oaxaca (der Heimat Marinas) und entging der Rache der Azteken, indem er zu den Maya entfloh.

Die abenteuerliche Flucht war im Brief ausführlich beschrieben, auch die freundliche Aufnahme, die Barrientos bei den Mayafürsten gefunden: durch Ratschläge während eines Krieges gegen Honduras hatte er sich die Hochschätzung seiner Gastgeber erworben. »Schickt mir zwanzig Soldaten, damit ich mich zu Euch durchschlagen kann«, stand am Schluß des Briefes.

Die schwermütigen Augen des Ritters Ordas hefteten sich fragend und heischend an Cortes.

»Schickt mich, Don Hernando!«

»Ich kann zwanzig Mann nicht entbehren!«

»Mit oder ohne die zwanzig Mann – ich will hin zu ihm! Erlaubt Ihr's?«

»Nein!« sagte Cortes lakonisch.

Aguilar, der unterdessen das Gespräch mit dem alten Maya fortgesetzt hatte, wandte sich jetzt an Cortes:

»Dieser Alte überbringt uns noch eine andere Botschaft, die ebenso überraschend ist wie die erste. Er fiel auf dem Wege hierher einem großen Haufen entwichener Sklaven aus Tenuchtitlan in die Hände. Nach Süden zogen sie, um in Honduras ein Sklavenreich zu gründen. Er wurde vor den Sklavenkönig geführt – und nach seiner Beschreibung kann das niemand anders sein als mein einstiger Leidensgefährte, der Matrose Gonzalo Guerrero!«

»Warum glaubt Ihr das?« fragte Olid mit lebhafter Teilnahme.

»Weil der Alte sagt, daß der Sklavenkönig die Mayasprache fließend spricht, und weil seine Untergebenen ihn den Roten Jaguar nannten. Ich entsinne mich, als ich ihm voriges Jahr begegnete – es war, als ich mit Piltecatl die weiße Schminke nach Cholula brachte und auf dem Rückweg ermordet worden wäre, hätte Guerrero mich nicht gerettet –, ich entsinne mich, daß er mir damals erzählte, sein mexikanischer Name sei der Rote Jaguar.«

»Ein Matrose gründet ein Reich! Hat man je dergleichen gehört!« rief Olid.

»O ja, Señor!« belehrte der humanistisch gebildete Alderete. »Ein thrakischer Königssohn, ein römischer Gladiator und Sklavenführer – Spartacus hieß der Kerl – versuchte solch eine Staatengründung, doch, gottlob, sie mißlang.«

»Warum gottlob, Don Juliano?« fragte Cortes. »Die Vandalen kamen ja doch, wenn auch etwas später. Ein Bergsturz läßt sich nicht lange aufhalten!«

»Kann ein Matrose die Erde beben machen?« rief Olid.

»Das klingt ja fast wie Neid, Don Cristobal!« bemerkte Cortes.

»Cyrus war ein Gärtnerbursche gewesen!« gab Alderete Olid zur Antwort.

»Und ich war ein Galeerensträfling!« sagte Olid mit triumphierendem Grinsen. »Das habe ich vor euch allen voraus, meine Herren!«

Ungeduldig drängte Sandoval:

»Erzählt weiter, Frater! Was geschah dem Alten, als er vor Guerrero geführt worden war?«

Aguilar setzte den Bericht fort:

»Nichts Böses geschah ihm: Guerrero ließ sich den Brief des Barrientos zeigen und gab ihn, nachdem er ihn gelesen hatte, zurück: er habe nichts dagegen, daß der Brief seinen Bestimmungsort erreiche und daß dem weißen Gott die erbetene Hilfe gebracht werde. Denn auch er, der König der Sklaven, sei ein weißer Gott. Übrigens sei auch die Königin der Sklaven eine weiße Göttin ...«

»Eine Christin? ... Wer? ...« riefen die Hauptleute.

»Isabel de Ojeda?« kreischte Ordas. (Vor Erregtheit überschlug sich seine Stimme.)

»Ja, es ist nicht ausgeschlossen, daß es Euer Mündel ist«, fuhr Aguilar fort. »Der alte Maya hat sie freilich nicht zu Gesicht bekommen. Sie weine immerzu, sagte ihm Guerrero, er fürchte für ihren Verstand, vielleicht sei sie bereits wahnsinnig, – auf die Dauer werde er sie nicht bei sich behalten können ...«

»Der Matrose hat ihr Gewalt angetan!« ächzte Ordas.

»Das ist wohl möglich«, sagte Aguilar. »Auf jeden Fall will er sie los sein. Er gab dem Maya ein ihr gehöriges Schmuckstück mit. Es war ihr in Tenuchtitlan abgenommen und einer der Töchter Montezumas geschenkt worden, durch einen Zufall hatten die abziehenden Sklaven dies Schmuckstück erbeutet, und so war es wieder in den Besitz Isabels – oder wer sonst die Sklavenkönigin sein mag – gelangt. Guerrero trug dem Alten auf, das Geschmeide dem Sonnengott auszuhändigen, der den Brunnen der Verjüngung sucht und ihm mitzuteilen, daß, dem Vernehmen nach, ein Jugendquell im Südlande fließt.«

»Hat der Alte den Schmuck verloren? Warum zeigt er ihn nicht? Her damit! Ich will ihn sehen!« rief Ordas und drehte ruhelos an seinem langen sarazenischen Schnauzbart.

Aguilar sprach einige unverständliche Worte, worauf der Maya zum zweitenmal in sein Haar griff und einen glitzernden Gegenstand hervorholte. Nun war kein Zweifel mehr möglich, wen der Sklavenkönig zur Sklavenkönigin gemacht hatte. Das Geschmeide, das der Maya Ordas reichte, war eine winzige an goldener Halskette hängende Statuette der Gottesmutter aus Gold und Emaille.


Seine Bitte, Barrientos suchen zu dürfen, hatte Ordas nicht wiederholt, was um so auffälliger war, als er nun auch von der Not Isabels wußte. Sein Entschluß war gefaßt, darum verhehlte er ihn. Hatte Cortes ihm die zwanzig Soldaten abgeschlagen – gut, so mußte er eben allein reiten, oder mit zwei, drei Begleitern, falls er welche fand. Am Abend dieses Tages – das Heer lagerte dicht vor der Stadt Quauhnahuac – machte Ordas vergebliche Versuche, erst den jungen Hauptmann Alonso de Ojeda, Isabels Bruder, und dann Aguilar für die abenteuerliche Fahrt zu gewinnen. Von Ojeda erhielt er die überraschende Antwort:

»Ich brauche Euch nicht zu versichern, wie sehr mir Isabels Schicksal nahegeht. Aber vorhin ließ mir Cortes durch seinen Stallmeister Martin de Gamba sagen: er werde Euch zwar nicht hängen lassen, wenn Ihr Euch strafbar machen solltet – dafür jedoch jeden, der sich unterstehen würde, Euch zu begleiten. Denn im Edikt, welches er in Tlascala erließ, werde der Galgen allen angedroht, die sich eigenmächtig vom Heere entfernen.«

»Warum will er mich nicht hängen lassen?« fragte Ordas gereizt. »Habe ich eine Ausnahmestellung? Soll das eine Ehre oder ein Schimpf für mich sein?«

»Ich weiß es nicht«, murmelte der junge Ojeda verlegen.

»Bitte, Señor, erklärt mir doch, wie Cortes das meint? Warum soll ich nicht gehängt werden? Man nimmt mich wohl nicht ernst? ... Wie?«

Rot bis an die Schläfen und stumm starrte Ojeda auf seine Fußspitzen.

»Gewiß, ich selbst habe mich immer für einen Narren gehalten. Nur von anderen möchte man ... Aber freilich, den Eiszapfen brachte ich vom Vulkan herab ... oder vielmehr, ich brachte ihn nicht herab ... Das ist es ja: stets ließ mich das Glück im Stich!«

Ordas verlor sich immer mehr. Eine Träne glänzte auf seiner Wimper. Flehentlich blickte er Ojeda an. Diesem tat er unsagbar leid.

»Ihr faßt es falsch auf, Don Diego! Niemand wollte Euch kränken.«

Ordas ermannte sich.

»Der gute Wille rettet die böse Tat nicht, Don Alonso! Ich wurde gekränkt! Überbringt Cortes meine Forderung zum Duell.«

»Aber, Don Diego! ... Wird meiner Schwester damit gedient sein, wenn Ihr im Zweikampf fallt? ...«

»Hm, daran dachte ich nicht! ... Nun ja, ich muß es bis zu meiner Rückkehr verschieben ...«


Eine Absage erhielt Ordas auch von Aguilar, den er als Dolmetscher gern in die Mayagegenden mitgenommen hätte. Ebenso wie Ojeda war Aguilar vom Stallmeister Martin de Gamba an die Satzungen des drakonischen Dekrets erinnert worden.

Aguilar hielt das Vorhaben des Ordas für unausführbar, für Wahnwitz und bemühte sich, ihn davon abzubringen. Umsonst. Ordas ließ keine Einwände gelten. Durch seine unsinnige Bärenjagd im Walde bei Teotihuacan trage er die Schuld daran, daß Isabel den roten Bestien lebend in die Hände fiel und den Hurenweg gehen mußte. Vor Gottes Thron werde er das einst zu verantworten haben – darum wolle er sein Leben nicht schonen, um ihr zu helfen ...

Mußte Ordas auf Aguilars Begleitung zwar verzichten, so erhielt er von ihm doch einen vortrefflichen Rat. Doña Elvira, die eine der beiden Gattinnen Farfans de las manos blancas, befand sich bei der vor Quauhnahuac lagernden Heeresabteilung. Als einst Ordas den Popocatepetl erstieg, hatte er sie als Dolmetscherin mitgenommen und ihr auf dem schwarzen Lavasande an der Grenze des ewigen Schnees das Versprechen gegeben – der Eiszapfen schmolz unterweilen –: er werde ihr Jugend und Schönheit wiedergeben. Seit jenem Tage hatte sie öfters Roßbubendienste für Ordas verrichtet, seinen Klepper gestriegelt und auch sonst eine scheue Anhänglichkeit gezeigt.

»Sie wird Euch bis zum Brunnen der Verjüngung folgen, wenn Ihr sie bittet«, meinte Aguilar. »Und sie darf es, denn das Dekret des General-Kapitäns droht nur uns Männern den Galgen an.«


Vor Tagesgrauen brach Ordas heimlich auf, und zu beiden Seiten seiner aschweißen Stute schritten Doña Elvira Farfan und der alte Maya. Obgleich dieser kein Mexikanisch sprach, war eine Verständigung mit ihm möglich. Denn Doña Elvira, die vor einem Jahrzehnt – nach dem Überfall auf dem Fluß bei Matanzas auf Kuba – als Kebsweib das Lager eines Karaibenhäuptlings hatte teilen müssen, war nach Yucatan auf den Sklavenmarkt gebracht worden und hatte dort längere Zeit gelebt, bevor sie ins Irdische Paradies und dann nach Tlascala verkauft wurde. So konnte sie als Dolmetscherin auch in Mayaländern Ordas von Nutzen sein.

Wie einst bei ihrem Ritt nach Cholula (mit Ordas) hatte sie sich eine rostige Sturmhaube auf die spärlichen eisgrauen Locken gestülpt, trug Wams und Pluderhosen wie ein Landsknecht.

Aus Furcht, Azteken zu begegnen, wählte der Maya einen Waldweg. Voll Vertrauen zu seiner Führung, beachteten es Ordas und Doña Elvira anfangs wenig, daß der Wald zum Urwald wurde, zu einem Labyrinth mit hohem grünem Gemäuer aus Farren, Moos, Kletterblumen und Lianen. Das wirrsame Geschlinge von Wurzeln, Luftwurzeln, gestürzten vermodernden Strünken erschwerte das Vorankommen immer mehr. Ordas mußte vom Pferd steigen, sein Schwert ziehen, Gerank zerspalten, Dornpflanzen zerhauen. Schließlich gestand der Maya ein, daß er sich verirrt habe.

Vier Tage lang nährten sie sich von Kräutern und Beeren und suchten nach einem Ausweg aus den grünen Mauern. Am Morgen des fünften Tages gelangten sie zu einer von einem Bach durchrieselten Waldwiese. Zehn völlig nackte, mit Bogen und Pfeilbündeln bewaffnete Frauen saßen am Bach, ließen das Wasser über ihre Füße und Waden rieseln und wuschen ihre langen schwarzen Haarmähnen.

Zu Tode erschrocken packte der alte Maya Doña Elvira am Ärmel und flüsterte ihr etwas in die Ohren. Darauf sagte sie zu Ordas:

»Der Alte will, daß wir in den Wald zurückkehren, bevor die Frauen uns erblicken.«

»Ich habe noch nie vor Frauen Reißaus genommen!« knurrte Ordas. Trotzdem hielt er sein Pferd an.

»Fragt den Alten, warum er so schlottert!« fügte er hinzu.

Doña Elvira fragte und teilte die Antwort Ordas mit: Sie seien versehentlich in das Reich der Unabhängigen Weiber geraten. Dieses von den Nachbarn gefürchtete und gemiedene Land heiße Uleu ri Gapohib ...

Kopfschüttelnd zweifelte Ordas den Namen an. So könne ein Land nicht heißen! behauptete er.

»Uleu ri Gapohib bedeutet in der Mayasprache ›Das Land der Jungfrauen‹«, erklärte Doña Elvira.

»Auch das bezweifle ich!« unterbrach sie Ordas von neuem. »Jungfrauen können sich nicht fortpflanzen!«

Ängstlich erfaßte Doña Elvira den Zaum seiner friedlich grasenden Stute und wollte sie in den Wald führen. Doch er ließ es nicht zu.

»Nein! Ihr sollt es mir hier erzählen!« sagte er eigensinnig. »Was ist es mit den Jungfrauen?«

»In diesem Lande werden alle vierzigjährigen Frauen getötet ...«

»Wie alt seid Ihr, Doña Elvira?« Grausam war seine Zerstreutheit. Sie war eine indianische Hure gewesen und war sich ihres verwüsteten Aussehens bewußt.

»Ich bin dreißig, Don Diego!«

»Verzeiht, Señora, ich vergaß ... Ihr könnt Euch für einen Mann ausgeben!«

»Männer werden nicht über die Grenze gelassen – außer einmal im Jahr während des April ...«

»Das trifft sich gut – wir sind ja im April!«

»Aber wenn es sich herausstellt«, fuhr Doña Elvira fort, »daß einer der Bräutigame mehr als fünfundvierzig Jahre alt ist, so wird er getötet!«

»Ich werde mich für jünger ausgeben, als ich bin, Doña Elvira! Aber freilich unser alter Führer ...«

»Ach, Señor, die bösen Frauen haben uns erblickt! ... Schnell, laßt uns fliehen, ehe es zu spät ist!«

»Nein, ich muß dies Abenteuer bestehen, Señora! Die alten Griechen überlieferten ähnliches von einem Gorgonenreich, und Perseus soll der Schönsten der Gorgonen den Kopf abgeschlagen haben. Das seien gleichfalls lauter Jungfrauen gewesen, wird berichtet. Ich hielt es für eine Fabel – doch man kann nicht wissen ... Sie wohnten irgendwo bei der Ultima Thule. Sollte etwa Thule das versunkene Tula sein – eben jenes Tula, welches ich suche, weil dort der Quell der Verjüngung floß? Denkt doch, wenn ich das Glück hätte, die Gorgonen ausfindig zu machen und die Lage der Insel Thule ...«

»Ach, bester Don Diego – das ist ja keine Insel ...! Kommt, kommt!« drängte Doña Elvira.

»Nein, Señora, ich will es ergründen! Die gelehrten Doktoren in Europa werden baß erstaunt sein – das walte Gottl Auch bin ich entschlossen, dies Land der Doppelkrone Kastiliens und Aragons einzufügen! Im Namen Seiner Majestät ergreife ich Besitz von diesem Grund und Boden! Ihr und der alte Maya seid meine Zeugen!«

Und Ordas pflanzte seine Turnierlanze in den Rasen, mit dem Griff nach unten, so daß das schwarzseidene Lanzenfähnchen–auf welchem hellblau die Buchstaben J.d.O. gestickt waren – im Winde wie eine Standarte wehte.

»Unser Führer ist geflohen!« ächzte Doña Elvira. »Ach, nun ist es zu spät!«

Die zehn nackten Mädchen waren rennend herangekommen und richteten die gespannten Bogen auf das Pferd und den Reiter. Aber Ordas griff weder nach der Lanze, noch zog er sein Schwert, noch ließ er sein Helmvisier herab. Er lächelte.

»Ich kämpfe nicht mit Frauen! Ich bin aller Frauen Diener! Erklärt ihnen das, Doña Elvira!«

Sie verdolmetschte es. Die Mädchen entspannten ihre Bogen. Eine von ihnen fragte, warum sie das Reich der Unabhängigen Weiber betreten hätten.

»Wir sind Jäger und haben uns verirrt!« ließ Ordas ihr antworten.

»Jeder Fremde ist ein Bräutigam unseres Volkes«, verkündete das Mädchen, »und muß vor das Angesicht unserer Königin, der ›Tigerin‹, treten, die in der Stadt Gapohtinamit – der Jungfrauenstadt – ihren Thron hat!«

Ordas willigte ein, sich zur Tigerin führen zu lassen. Der grasenden Stute mit seinen verrosteten spannenlangen Sporen den Bauch kitzelnd, äußerte er sachlich:

»Diese Gorgonen sind besser gewachsen, jünger und hübscher, als ich dachte!«


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