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Kundschafter gingen ein und aus im Huei-Tecpan. Während der Nacht erfuhr Montezuma, daß Cacama, obgleich er bisher ein Verfechter des heiligen Gastrechtes gewesen war, nunmehr als der erbittertste Fremdenfeind die Streitlust der Kampfbegierigen schürte. Die Anmaßung, von welcher der Edle Traurige den Tod der weißen Götter abhängig gemacht hatte, erblickte er im beleidigenden Benehmen des Grünen Steines auf dem Menschenwürgeplatz. Er sowohl wie der Überwältiger gaben bekannt, um Mitternacht werde der Angrifferfolgen – sie besäßen das stillschweigende Einverständnis Montezumas dazu.

Montezuma ließ den Vorsteher des Hauses der Speere kommen und widerrief alle Befehle seines Bruders und seines Neffen. Er verbot die Entfernung der Dammbrücken, er verbot jegliche Herausforderung der Christen. Auf den Vorhalt des Feldherrn, daß die Wut der Heerscharen sich kaum noch zügeln lasse – schrie er ihn an: ob er seinen Schildträgern Gehorsam schuldig sei oder seinem König? Und er machte ihn für die Ruhe in dieser Nacht verantwortlich

Nicht Marinas wegen hatte Montezuma den Angriff in dieser Nacht verschoben. Sein Wille war erkrankt. Er sah das Verhängnis näher und näher kommen und legte die Hände in den Schoß, erwartete das Verhängnis. Er sah den sicheren Rettungsweg, beschritt ihn jedoch nicht und hinderte andere, die ihm die Verantwortung abnehmen wollten. Ein Zauderer war er immer gewesen, aber jetzt war seine Zauderei eine wollüstige Selbstzerfleischung – so furchtbar und sinnlos, wie wenn ein Irrer sich lachend die Adern aufschneidet. Um seine unerklärliche Willenlosigkeit sich selbst zu erklären, redete er sich ein, daß er nicht auf das Verhängnis warte, daß er vielmehr die Frau aus Oaxaca erst sehen und sprechen müsse. Hätte er sich ehrlich gefragt, ob er an die Möglichkeit glaube, Marina sei die Welle, er hätte es verneinen müssen. Doch er wollte daran glauben. Er erhoffte von diesem Wahnglauben einen Zeitgewinn. Es rechtfertigte ihn vor seinem Gewissen, wenn er einer verlorenen Tochter wegen die Entscheidung hinausschob. Es rechtfertigte seine Feigheit, wenn die Bringerin des Verhängnisses das geweihte Kind war, das, von ihm preisgegeben, nicht ohne überirdische Hilfe hatte wiederkehren können als Rächerin ...

Wie alle Mexikaner empfand auch er eine abergläubische Scheu vor Marina. Schon die Wächter des Meeres hatten viel Wesens von ihr gemacht. Ihr Name war in aller Munde, als noch niemand den ihres Herrn kannte. Auf der Pyramide in Sempoalla war das rosenumhegte Bild einer weißen Göttin aufgestellt worden, und das Gerücht ging, es sei ein Bild der Malintzin. Auch in Tlascala und Cholula hatten die Christen Bilder ihrer Göttin hinterlassen, welche vom Volk als Tonan, Unsere Mutter, angebetet wurde. Und der Überbringer des abgeschnittenen Hauptes hatte auf die Frage, wieso bloß sieben der Gelbhaarigen getötet worden seien, geantwortet: eine weiße Göttin habe in den Reihen der Gelbhaarigen gekämpft und habe ihnen den Rückzug gedeckt ... Der Gedanke verfolgte Montezuma, das müsse Malintzin gewesen sein» – gab es doch auch Eulenmenschen, deren Nebelbild meilenweit wanderte, während ihr Leib im Schlummer lag.

Und diesen Traum im Traum spann sein ruheloses nächtliches Sinnen fort. Wie, wenn sie sowohl seine Tochter war wie eine Göttin? Seine von den Göttern zur Göttin erhobene Tochter? Dann war Widerstand aussichtslos. Dann konnte nur ihre Huld ihn retten – wenn es ihm gelang, ihre Huld zu gewinnen. So stark war sein Selbstbetrug, daß er sich freute auf den kommenden Tag, der den Schleier von ihrer Herkunft lüften – und vielleicht eine Brücke schlagen würde, zwischen ihm und den Söhnen der Sonne ... [Leer] Heiterer als sonst, gekrönt mit einer hohen Goldmitra und – in Erwartung eines Festes, das ein Frühtraum verkündet hatte – festlich gekleidet mit dem »goldenen Gewand«, hörte Montezuma am folgenden Morgen dem Trommelspiel seines Musikmeisters LöfTelreiher-Schlange zu und dem Gesang des Mädchenchores:

O ihr mexikanischen Völker!
Jener Chichimeke bin ich,
Der traurig und nachdenksam
Mit seinem Schilde hinschritt!
Jetzt muß ich gehen mein Verderben suchen
Oder wiederkehren mit Schätzen
Nach schwerem Kampf.

Mit blendender Taktsicherheit schlug Löffelreiher-Schlange das gebräunte Affenfell der am Boden liegenden Pauke. Das grauhaarige Männchen hatte unter vier Königen Mexicos alle Tanzfeste und Jubelfeiern als Trommelschläger geleitet und war ein Prinz von Amaquemecan gewesen, bevor er durch ein wundersames Ereignis an Tenuchtitlans Königshof gefesselt wurde.

Fünfzig Jahre war es her. Um dem König Wassergesicht das »Weiberlied« vorzutragen, waren die Prinzen der (in der Landschaft Chalco gelegenen) Städte Tlalmanalco und Amaquemecan nach Tenuchtitlan gekommen. Und als sie im Tanzhof des Palastes einen mit Trommelspiel und Gesang begleiteten Reigen aufführten, kam einer der Tlalmanalco-Prinzen beim Trommelschlagen aus dem Takt, verlor vor Entsetzen die Besinnung und senkte den Kopf über die Trommel. Löffelreiher-Schlange sprang für ihn ein, ergriff die Trommel und rettete so den Vortrag des Tanzgesanges. Wassergesicht, der von seinen Frauen umringt nebenan in einem Saal saß, hatte es bemerkt. Und so einzig wunderbar schien ihm das Trommelspiel des Löffelreiher-Schlange, daß er seine Frauen verließ, in den Tanzhof kam, sich unter die Tanzenden mischte und schließlich selbst anfing sich zu drehen, mitzusingen und mitzutanzen. Nach dem Reigen entfernte sich Wassergesicht, indem er zu den Prinzen ungnädig sagte: sie sollten einen solchen Tölpel nicht wieder die Trommel rühren lassen. Und die Prinzen schlotterten vor Angst, denn sie glaubten, der König werde sie alle verbrennen oder steinigen lassen. Wassergesicht aber hatte sich wieder nebenan zwischen seine Frauen gesetzt und schickte Höflinge, daß sie ihm den Mann brächten, der ihn erfreut hatte, der ihn gezwungen hatte mitzusingen und mitzutanzen. Und als die Höflinge Löffelreiher-Schlange holten, entsetzten sich die Prinzen noch mehr und steckten sich an mit ihrer Angst, glaubten sie doch, Löffelreiher-Schlange werde jetzt verbrannt, und dann käme an sie die Reihe ... Doch als Löffelreiher-Schlange vor Wassergesicht geführt worden war, rief dieser den Prinzessinnen zu: »Ihr Frauen, erhebt euch, bewillkommt ihn und setzt ihn in eure Mitte! Gekommen ist euer Gefährte! Betrachtet ihn genau und freundet euch an mit ihm! Entführt habe ich ihn, um euch zu erfreuen, ihr Frauen! Denn er hat es fertiggebracht, mich tanzen zu machen, dieser Löffelreiher-Schlange! – und nicht nur einmal! Mein Musikmeister wird er sein fortan!« Und Wassergesicht verlieh ihm einen feuerfarbenen Mantel, einen feuerfarbenen Lendenschurz, feuerfarbene Sandalen und einen mit Quetzalfedertroddeln verzierten Kopfbandriemen, und er hieß ihn diese Geschenke sofort anlegen.

Alle Siegesfeste des aufblühenden Mexico hatte dieser Mann mit seiner Trommel geleitet und auch die Leichenbegängnisse dreier Könige. Denn die Trommel kann jubeln und trauern, ihr schicksalhaftes Pochen begleitet Freude und Schmerz, Aufstieg und Niedergang.


Mit dreißig geharnischten Begleitern kam Cortes in den Huei-Tecpan, – fünfundzwanzig Mann ließ er am Haupteingang, mit Alvarado, Ordas, Velazquez, Avila und Olid betrat er den Schlangensaal. Im Huei-Tecpan befanden sich aber noch mehr Kastilier: seit dem frühen Morgen waren viele Soldaten, einzeln oder in kleinen Trupps, gekommen, die Gärten Montezumas und die Prunksäle zu besichtigen, ihre Zahl wuchs immerzu.

In der kurzen Verbindungsstraße zwischen dem alten und dem neuen Palaste patrouillierten Posten. Der Rest des Heeres stand kampfbereit im Tecpan des Königs Wassergesicht unter dem Oberbefehl von Lugo und Tapia.

Heiter begann das Gespräch. Montezuma schien vergessen zu haben, daß er Cortes vom Menschenwürgeplatz fortgewiesen hatte. Er war sichtlich bestrebt, die Erinnerung an den Zwischenfall auszumerzen.

Er fragte nach dem Helden, der im Bauche des Rauchenden Berges den Tanz der dreizehn Steine gesehen habei und als Ordas ihm vorgestellt wurde, scherzte er mit ihm, fragte lachend nach dem herabgebrachten Eiszapfen, von welchem man ihm erzählt habe, er habe die Größe einer fünfjährigen Tanne gehabt. Ob es wahr sei, daß der Eiszapfen davongelaufen sei, schnell wie ein Windhund, aus Furcht vor der Sonne? Und sich vor Lachen schüttelnd, erkundigte er sich, wie Ordas die Schneehalde herabgeglitten sei, ob stehend, ob sitzend, ob liegend, ob auf dem Rücken, ob auf dem Bauch – etwa mit dem Kopf voraus? oder seitwärts wie ein rollender Stab?

Die eine Längsseite des Saales – an welcher in langer Reihe das Gefolge des Königs aufgestellt war und seine Scherzworte belachte – hatte dicht unter dem Zederngebälk der Decke zehn quadratische Lichtöffnungen, die Fenstern gleich, mit dünngeschliffenen Alabasterplatten verschlossen, den Tagesschein – aber nicht Regen, Kälte und Wind – einließen. So durchsichtig waren die Alabasterscheiben, daß die schräg einfallenden Sonnenstrahlen auf dem grünlich-gelben Onyxmarmor-Estrich zehn große milchige Flecken malten. Langsam stetig krochen die regelhaften schimmernden Vierecke an Montezuma heran, unaufhaltsam rückten sie näher und immer näher, bestrebt, regellos ihre Form auflösend, über den Silberthron hinzurieseln.

Und Montezuma gewahrte dies Bild der Unentrinnbarkeit, und krampfhaft lachte er. Krampfig verzog sich sein langes, abgezehrtes, überfeinertes Adlergesicht, welches heute nur mit einer kleinen schwarzen Kautschukscheibe auf jeder Wange geschmückt war.

Unvermittelt in scherzendem Tone fragte er Cortes, ob er eine seiner Töchter zur Gemahlin wünsche?

Die tändelnde Unterhaltung hatte Cortes schon zu lange gewährt, sie erschwerte es ihm, die bereit gehaltenen Vorwürfe anzubringen. Jetzt sah er eine Gelegenheit, den Streit vom Zaun zu brechen. Er antwortete sehr ernst, beinahe schroff: die Christen heirateten nur getaufte Mädchen.

Doch Montezuma hatte einen Wall von Heiterkeit um sich errichtet und wollte sich nicht daraus hervorlocken lassen. Lächelnd sagte er: noch wisse er es nicht bestimmt, doch möglich sei es, daß eine seiner Töchter das Kreuz anbete ...

Cortes unterbrach ihn.

»Ich bitte die Aufmerksamkeit Eurer Majestät auf ernsthaftere Vermutungen lenken zu dürfen«, sagte er. »Es ist jetzt nicht die Zeit, Hochzeitsfeste zu feiern, während an der Meeresküste meine Kampfgenossen die Leichenfeier veranstalten für sieben weiße Männer, die auf Befehl eines Dieners Eurer Majestät umgebracht wurden!«

Montezuma lachte nicht mehr. Der erste viereckige Sonnenlichtflecken hatte den Silberthron erreicht. Montezuma starrte mit schreckhaft großen Augen Cortes an. Ihm sei nichts davon bekannt, sagte er leise.

Ob ihm auch nichts vom Gastmahl des Schwelenden Holzes bekannt sei? fuhr Cortes zu fragen fort. Ob er nicht wisse, daß ein weißer Mann und ein weißes Mädchen verspeist worden seien?

Montezuma schüttelte den Kopf.

»Die Tlascalteken sind Lügner!« sagte er.

Da holte Cortes aus seinem Wams den Brief Alonso de Grados heraus, und mit der Faust auf das Papier schlagend, daß es laut knisterte, rief er:

»Dies Papier aber ist kein Lügner, Majestät! Dies Papier ist ein untrüglicher Zeuge! Dies Papier sagt: Wir hielten Frieden, doch das Schwelende Holz brach den Frieden, indem er widerrechtlich zwei der Unseren gefangennahm! Dies Papier sagt: Eingeladen wurden die weißen Männer, um Frieden zu schließen, bewirtet wurden sie, und als das Mahl beendet war, erfuhren sie, an welchem Greuel sie unwissend teilgenommen hatten, erfuhren sie, daß das Fleisch, das sie eben verzehrt hatten, ihr weißer Bruder und ihre weiße Schwester gewesen war! Dies Papier sagt: daß von den weißen Männern, die auszogen, das scheußliche Gastmahl zu strafen, sieben nicht in ehrlichem Kampfe, sondern hinterrücks erschlagen wurden. Dies Papier sagt: daß der abgeschnittene Kopf des Anführers dem König Montezuma geschickt wurde. Und Euer Majestät haben das Haupt nicht in Tenuchtitlan, sondern auf dem Altar in Tlacopan niederlegen lassen! Und dies Papier sagt endlich: daß gefangene Mexikaner unter der Folter gestanden haben, sie hätten aus dem Munde des Schwelenden Holzes gehört: nicht er sei verantwortlich für das Gastmahl und seine Folgen, da er nur ausgeführt habe, was ihm anbefohlen war von Eurer Majestät!«

Über den juwelenfunkelnden Silberstuhl Montezumas waren zwei Jaguarfelle gebreitet. Die ausgestopften Jaguarköpfe lagen auf den Sessellehnen – mit weit aufgerissenen Rachen, die Augen aus schwarzem Spiegelstein, die Reifizähne aus weißem Achat naturgetreu nachgebildet. Montezumas Hände krampften sich in die offenen Raubtierrachen, spießten sich in die scharfen Fangzähne, so daß Blut über seine Finger lief. Doch er beachtete es nicht, niemand beachtete es.

Das alles seien Lügen, rief er finster.

»Auch ich glaube, daß es Lügen sind!« sagte Cortes überaus höflich. »Und ich hoffe, daß es Euer Majestät gelingen wird, sich von diesem Verdacht reinzuwaschen. Darum schlage ich vor, daß Euer Majestät das Schwelende Holz nach Tenuchtitlan kommen lassen. Wenn der Statthalter uns Rede und Antwort steht, wird die Unschuld Euer Majestät alsbald offenbar werden!«

Montezuma nahm sich von seinem linken Handgelenk die Spange ab, auf deren goldgefaßter, taubeneigroßer Kamee seine thronende Gestalt, in Chalzedon geschnitten, dargestellt war. Er winkte einen seiner Höflinge heran: schnell wie ein Falke solle er ins Huaxtekenland fliegen, die Spange dem Schwelenden Holz vorzeigen, unverzüglich sollen das Schwelende Holz und sein Sohn, der Blitzende Schild, nach Tenuchtitlan kommen.

Der Höfling zog die schon ausgestreckte Hand entsetzt zurück.

»O Herr, o König, Blut an deinem Bild ...!«

»Ja, Blut ist an mir ...«, murmelte Montezuma. »Wische es nicht ab – es soll so bleiben, bis ich selbst es abwasche ...! Und nun nimm mein Bild und eile!«

Der Höfling ergriff den Armring und stürmte hinaus.

Marina riß einen Fetzen aus ihrem Schultergewand, kniete vor dem König, wollte ihm die Wunden verbinden. Er ließ es nicht zu und schüttelte mißmutig den Kopf. Doch da er den weichen Glanz ihrer Augen sich feuchten sah, strich er ihr über das Haar, und in Gedanken versunken färbte er, ohne es zu wollen, ihr die Stirn rot.

»Die Eile, mit welcher Euer Majestät geruhen, die Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen«, fing Cortes von neuem an, »beweist mir – woran ich nie gezweifelt habe –, daß Euer Majestät den Verbrechen fernstehen. Wie könnte es auch anders sein, da Euer Majestät ein so treuer Freund meines kaiserlichen Herrn sind! Leider jedoch genügt meine Überzeugung nicht, den Verdacht meiner Soldaten zu beschwichtigen. Aus Rücksicht auf die erregte Stimmung meines Heeres sehe ich mich zu meinem Bedauern gezwungen, an Euer Majestät das Ersuchen zu richten: Euer Majestät möchten bis zur Ankunft des Schwelenden Holzes in den Palast des Königs Wassergesicht übersiedeln.«

Die wehrlosen Höflinge an der Längswand stießen heisere Schreie aus, wollten sich auf Cortes werfen, ihn erwürgen, – rasselnd schnellten die Degen der Feldobristen aus den Scheiden. Andere Mexikaner stürzten zu den Türen–doch dort starrten ihnen Hellebarden entgegen.

Unbeirrt fuhr Cortes fort:

»Ich gebe Euer Majestät die Zusicherung als Kavalier und Gesandter des mächtigsten Fürsten der Welt, daß Euer Majestät bei uns ebenso frei sich bewegen werden wie in diesem Palast, bedient von eigenen Dienern, und noch dazu den Vorteil genießen werden, auch von Kastiliern bedient zu sein. Nichts soll unterlassen werden, den Aufenthalt Eurer Majestät in unserer Umgebung so angenehm zu gestalten, daß es Eurer Majestät einst schwerfallen wird, sich von uns zu trennen! Fürsten pflegen ja oft aus einem Palast in den anderen zu ziehen, und ebenso wie dieser neue Tecpan ist auch der Tecpan des Vaters Eurer Majestät ein Wohnhaus Eurer Majestät. Ich rate Eurer Majestät, mit uns zu kommen, ohne Lärm zu schlagen. Unser Zusammenwohnen wird ein Zeichen gegenseitigen Vertrauens sein. Und der Verdacht meines Heeres wird mit der Ankunft Eurer Majestät in unserem Quartier widerlegt sein.«

»Ich bin ein König!« schrie Montezuma, zornbleich vom Jaguarfellsitz emporschnellend. »Wer wagt es, vor dem Angesicht eines Königs so zu reden? Wer untersteht sich, einen König in den Käfig zu sperren? Sind Könige dazu geschaffen, in Käfigen zu verschmachten? Seht mich an – seht ihr denn nicht, daß ich der ruhmreiche Teppich bin, der ruhmreiche Thron, vor dem selbst der Schmerz sich untertänig beugt? Wißt ihr denn nicht, daß ich meinem Volke heilig bin wie einer der Himmelsgötter? Mein Volk, das so gefürchtet zwischen Schilf und Röhricht wohnt, wird nicht erlauben, daß ich mit euch gehe. Und wenn mein Herz auch erstürbe in der Brust und ich bereit wäre, mit euch zu gehen, wird mein Volk mir das Sklavenhalsband abnehmen und euch verschlingen, wie der Jaguar die Sonne verschlingt!«

»Majestät belieben zu drohen«, sagte Cortes mit eisiger Ruhe. »Doch sollten Majestät einsehen, daß Männer, die sich zu solcher Tat entschlossen haben, durch Drohungen nicht einzuschüchtern sind!«

»Wozu die vielen Umstände mit ihm!« platzte Olid barsch heraus. »Es handelt sich um Leben und Tod für uns! Und unser Leben ist uns mehr wert als seins! Einlenken können wir nicht mehr, nachdem wir so weit gegangen sind. Also – entweder er folgt uns, oder wir machen ihn kalt!«

Montezuma ließ sich von Marina die Worte Olids übersetzen.

Dann stierte er entgeistert um sich. Die Mexikaner im Saal, das wußte er, wollten sich hinmetzeln lassen für ihn. Doch er schüttelte den Kopf, wehrte ab – es würde ja doch zwecklos sein ... Die Augen der Kastilier suchte er. Seine Blicke prallten an lauter steinharten Blicken ab, nur Marinas Augen waren weich und tränenfeucht.

Und der große Montezuma, vor dem eine Welt zitterte, war klein und schwach geworden wie ein Kind. Und in kindlicher Hilflosigkeit tat er das Unglaubliche, daß er das Mädchen fragte: was sie ihm rate? was er tun solle?

Schluchzend, ihm die Hände küssend, riet sie ihm, sich zu fügen.

»Ich gehe mich krümmen, ich gehe mich mit schwarzer Farbe schminken! Niedergeworfen ist die Goldblechfahne Mexicos, am Boden liegt das Hemd aus violetten Federn und der blaue Netzmantel!« sprach er flüsternd.

Und er befahl den Höflingen, den Tragsessel zu bringen.

Die Bewohner des Palastes scharten sich um das Haupttor, drohend stürmten die sechshundert Krieger des Tecpan heran. Doch Montezuma verbat sich ihren Schutz. Freiwillig folgte er den Söhnen der Sonne, rief er ihnen zu. Und er rief es auch der Volksmenge auf der Straße zu. Freiwillig besuche er die weißen Götter, sein Wunsch sei es, eine kurze Weile ihr Gast zu sein!


Und Montezuma lebte fortan im Tecpan des Königs Wassergesicht und hielt in den ihm zu Ehren wundervoll mit Wandteppichen und königlichem Hausgerät ausgeschmückten, wenn auch allzusehr bewachten Palastsälen Hof wie immer. Täglich badete er, brachte seinen Hausgötzen Wachtelopfer und Rauchwerk dar, erledigte unbehindert Regierungsgeschäfte (wobei der Weibliche Zwilling und andere Berater ihm zur Seite standen), empfing den Besuch des hohen Adels, des Klerus, der Königin Acatlan und seiner Kinder, ließ sich in den Erholungsstunden des Nachmittags von seinen Krüppeln und Narren aufheitern oder saß inmitten der schönsten seiner vierhundert Frauen, während Löffelreiher-Schlange die Trommel schlug. Er aß, wie er immer gegessen hatte – denn mit der Dienerschaft und dem gesamten Haushalt war auch die königliche Küche übergesiedelt, und wenn er unter den von jungen Dienerinnen in fünfzig goldenen Schüsseln servierten Gerichten gewählt hatte, was der Laune seines Geschmackes entsprach, verschenkte er mit den Speisen zuweilen auch ihre liebreizenden Trägerinnen an seine Kerkermeister, die zwanzig ihn bewachenden kastilischen Soldaten. Velazquez de Leon hatte die Oberaufsicht über den Wachdienst beim gefangenen König.

Durch den Pagen Orteguilla erfuhr Cortes, was Montezuma den mexikanischen Adligen zu antworten pflegte, wenn sie um die Erlaubnis flehten, ihn mit Waffengewalt zu befreien. Er sei nicht ein Gefangener der Christen, sagte er, sondern ein Gefangener Huitzilopochtlis, das Volk müsse dem Adel, der Adel dem König, der König dem Gotte gehorchen, solange der Gott nicht befohlen habe, zu den Waffen zu greifen, dürfe er es nicht befehlen und müsse warten, bis das Mexikaner-Priesterchen ihm ein günstiges Orakel aus dem Schlangenberg melde ...

Doch nicht nur auf das Orakel wartete er. Viel sehnlicher wartete er – wiewohl er sich schämte, es seinen Besuchern einzugestehen – auf die Ankunft des Schwelenden Holzes. War ihm doch von Cortes in Aussicht gestellt worden, daß seine Gefangenschaft ein Ende haben solle, sobald der Statthalter eingetroffen sei, und daß es ihm dann freistehen werde, in den Huei-Tecpan zurückzukehren. Dann erst wollte er das Zeichen zum Vernichtungskampf geben und grausamste Rache üben, wenn er selbst nicht mehr Gefahr lief, als Geisel ermordet zu werden.

Auf Marinas Mutter hoffte und wartete er nicht mehr. Die entsandten Boten waren ohne sie zurückgekehrt: die Frau war vor Jahren aus Oaxaca fortgezogen. Doch er fühlte keine Teilnahme mehr für ihr und Marinas Schicksal. Ihm schien jetzt, er sei von Papans Besessenheit angesteckt gewesen, als er um eines Wahnes willen die Zeit zum Handeln verpaßt hatte.

Fast zwei Wochen schon lebte Montezuma im alten Tecpan, als das Schwelende Holz, der Blitzende Schild und fünfzehn adlige Herren –lauter Teilnehmer am kannibalischen Mahl – in Tenuchtitlan anlangten. Die höchsten Staatsbeamten und Reichsfürsten zogen auf dem Damm von Iztapalapan bis zum Bollwerk Acachinanco ihnen entgegen, sie ehrfurchtsvoll zu begrüßen, und begleiteten die zwei kostbaren Tragsessel des Statthalters und seines Sohnes durch die Straßen Tenuchtitlans bis an den auf Stufen erbauten Tecpan des Königs Wassergesicht.

Mit einem grauen Hanfmantel seine Prunkrüstung verhüllend, trat das Schwelende Holz vor den Zornigen Herrn. Vor siebzehn Jahren, als – gleich nach seiner Erwählung zum König – Montezuma einen Sklavenraubzug ins ferne Atlixco unternommen hatte, war das Schwelende Holz im Kampfgewühl sein Lebensretter gewesen, hatte ihn, während er mit durchbohrtem Schenkel zu Boden gestürzt war, herausgehauen. Seitdem stand niemand dem Herzen Montezumas so nahe wie er. Sie waren Freunde, soweit Freundschaft möglich war zwischen dem Herrn und seinem Knecht. Dem König sein Leben hinzuopfern, war dem schwermütigen Statthalter so selbstverständlich, wie es dem König selbstverständlich war, das Opfer anzunehmen.

Über eine Stunde währte das heimliche Gespräch der beiden Freunde. Montezuma weinte. Der immer schwermütige Statthalter aber war heiter.

»O großer König, o Zorniger Herr«, sagte er, »ins Land, wo die Blumen stehen, will ich, dein Knecht, den Namen mitnehmen, den du deinem Knecht verliehen hast: auch dort will ich dein Lebensretter heißen!«

Montezuma schluchzte an seiner Brust und nahm Abschied vom Freund wie von einem Toten.

Darauf versammelte er seinen Hofstaat um sich und ließ die Kastilier in den Saal bitten.

Und er teilte Cortes mit: das Schwelende Holz bekenne sich schuldig, nicht nur eigenmächtig habe er gehandelt, sondern gegen seinen – Montezumas – ausdrücklichen Befehl, die Söhne der Sonne im Küstenlande unangetastet zu lassen, ihnen wie aztekischen Prinzen zu begegnen.

Das Schwelende Holz bestätigte die Worte des Königs und nahm alle Schuld auf sich.

Doch nicht das war es, was Cortes hatte erfahren wollen. Er ließ das Schwelende Holz, den Blitzenden Schild und ihre Begleiter in Ketten legen und überantwortete sie dem Henker Pero Osorio, damit er sie dem peinlichen Verhör unterziehe.

Allen Folterqualen zum Trotz blieben die treuen Indianer stumm. Ihre Standhaftigkeit zwang sogar dem Henker Hochachtung ab.

Dann tagte das Kriegsgericht. Schon vordem hatte Olid das Witzwort geprägt: das Schwelende Holz müsse brennen – der Name sei sein Schicksal! – Der grausame Scherz war nachgesprochen worden, und nun heischte das Christenheer den Scheiterhaufen für die Kannibalenmahlzeit.

Cortes, Velazquez de Leon und Ordas schlugen als Strafe die Enthauptung vor. Doch sie wurden überstimmt. Der Feuertod wurde beschlossen, nachdem Avila geltend gemacht hatte, die Furchtbarkeit der Strafe werde den Verschwiegenen sicherlich den Mund öffnen.

Und die Voraussage Avilas traf tatsächlich ein. Als den Gefangenen das Verdikt bekanntgegeben wurde, fragte einer der fünfzehn Begleiter des Statthalters: ob das Urteil nicht abgemildert werden könne, wenn die Unschuld seines Herrn dargetan sei. Die Frage wurde von Cortes bejaht. Und obgleich das Schwelende Holz und der Blitzende Schild ihren Untergebenen anschrien und ihm weiterzureden verboten, sagte er aus: der Statthalter opfere sich für den König, denn er habe nur ausgeführt, was von Montezuma angeordnet worden war.

Die Aussage wurde zu Protokoll genommen gegen den erbitterten Einspruch des Schwelenden Holzes und seines Sohnes.

Nun hatte Cortes den gewünschten Anlaß, auch Montezuma zu strafen.

Auf dem freien Platz zwischen dem alten Tecpan und der Schlangenmauer wurden – dem Haupteingang des Palastes gegenüber – zwei hohe Pfähle eingerammt. Und Cortes ließ aus dem kürzlich erst gefüllten Hause der Speere sämtliche Bogen, Pfeile und Speere herausholen und rings um die Pfähle zu einem hohen Haufen schichten. Daraufgab er die Anweisung, das Schwelende Holz und den Blitzenden Schild in Ketten herbeizuführen und sie an die beiden Pfähle zu binden. Denn ihren fünfzehn Unterbeamten war die Todesstrafe erlassen worden: die erbetene Abmilderung des Urteils bestand darin, daß sie als Sklaven verkauft wurden.

Darauf begab sich Cortes zu Montezuma und eröffnete ihm, daß durch eine Zeugenaussage seine Schuld am Tode des Hauptmanns Escalante, des Steuermanns Gonzalo de Umbria und sechs anderer weißer Männer erwiesen sei. Die göttliche Gerechtigkeit und die Gesetze Europas verlangten, daß das Verbrechen des Mordes mit dem Tode gesühnt werde. Doch wolle er davon absehen, die Todesstrafe über ihn zu verhängen, in Anbetracht der Freundschaft, die er dem Könige Don Carlos de Austria stets gezeigt habe. Die geringe Strafe könne ihm freilich nicht erlassen werden: daß er gefesselt zugegen sein müsse, während das Schwelende Holz an seiner Statt den Feuertod erleide.

Montezuma schrie auf wie ein verwundetes Tier.

»Tötet mich ...! Warum tötet ihr mich nicht, ihr Blutsauger!« schrie er.

Sein Hofstaat war ohne Waffen wie er. Sein Hofstaat schluchzte und schrie.

Rauhe Kriegerhände faßten den unantastbaren Herrn der Welt, zogen, zerrten ihn hinaus vor das große Tor des Tecpans. Dort, angesichts seines entsetzten Volkes, wurden ihm an Hände und Füße schwere rasselnde Eisenketten angelegt.

Tränenlos stand er aufrecht. Das Grausen verschleierte ihm den Blick. Er sah nicht das waffenstarrende Christenheer rings um den aufzüngelnden Scheiterhaufen, er sah nicht den qualvollen Tod der beiden glorreichen Dulder, er sah nicht die Zehntausende weinender Mexikaner, und er sah nicht die um ihn knienden Reichsfürsten, die mit Fetzen kostbarer Gewänder die Rauheit der lastenden Eisenklammern von seinem geheiligten Leib fernzuhalten sich mühten. Er sah nur sich selbst: bejammernswürdig in seinem maßlosen Leid, Er sah sich, wie sein Volk ihn sah, niedergestürzt von der höchsten Stufe irdischer Herrlichkeit – ein armes Menschenkind, das ein Gott gewesen war. Und jener Menschensohn kam ihm in den Sinn, von welchem Marina ihm erzählt hatte, der ein Gott war und sein eigenes Kreuz zur Schädelstätte getragen hatte ...

Kein Gott, kein König, kein Mann war er mehr. Und dahin war sein Königreich mit ihm. Mexicos Schande war seine Schande, Mexicos Leid war sein Leid.

Da plötzlich sahen seine blinden Augen. Zwei schwarze Falter kamen über das Palastdach geflattert. Sie haschten einander, verfolgten einander in wirbelndem Liebestanz. Eine Welt ging unter – sie aber jagten und schwebten und wogten buntschillernd im Sonnenglanz.

Eine Stunde später kniete Cortes vor Montezuma und nahm ihm eigenhändig die Ketten ab. Nun stehe es ihm frei, in den Huei-Tecpan zurückzukehren, sagte er ihm.

Doch Montezuma schüttelte nur stumm den Kopf und würdigte Cortes keiner Antwort.

Montezuma wußte von jetzt ab, daß er nie mehr zurückkehren konnte.


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