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Im Süden, am Fuße des heiligen Hügels von Iztapalapan, des »Akazienberges« (auf dessen Spitze beim Jubelfest Unsere-Jahre-umgürten-sich in der herzberaubten Brust des Sklaven-des-Feuers die heilige Flamme errieben wurde), ragte das vom Überwältiger erbaute Schloß aus smaragdenen Baumwipfeln empor. Da der Feind auf den Schilfsee entwichen und nicht mehr verfolgbar war, wollte Cortes in Itztapalapan übernachten. Mit Marina schritt er – während die Tlascalteken Kindermord verübten und die Christen in den Pfahlbauten plünderten – durch die mit poliertem Zedern- und Sandelholz getäfelten, mit Jaspis, schwarzem Achat und Goldblechstreifen umrahmten, mit Kolibrifedermosaik-Teppichen behängten Prunksäle des von Menschen verlassenen, nur noch von skulptierten Mischgestalten und drachenartigem Getier bewohnten Tecpans; und er wandelte mit ihr durch den Garten, wo Alleen vielhundertjähriger Zypressen schatteten, wo zierliche, mit Muschelscherben bestreute Wege – überdeckt hier und da von granitenen Portalen – sich schlängelten zwischen den an Balsamduft und Buntheit einander überbietenden Beeten mit Kienfackelblumen, Herzblumen, Feuerreiherblumen, Totenbeinblumen und unzähligen anderen auserlesenen Edelgewächsen, wo die Hecken immergrüne Myrtifloren waren; wo die bemoosten Stämme der weißen Terebinthen, Ilitl-Erlen, Purpurtannen, Eschen, Mimosenbäume und Pinien von gigantischen Lianen umwürgt waren, während aus dem von kreischenden Araras und goldgelben Rollschwanzaffen umtobten Gezweig eine strotzende Fülle parasitischer Blüten, phantastisch getigerter rosa Orchideen und Bromeliazeen herniederhing, wo einsam auf einem weiten Rasenplatz zwischen braunem Zittergras ein Drachenblutbaum sich erhob, bevölkert von langgeschweiften Silberfasanen, wo die Luft funkelte vom Geschwirr der Blumenvögel und Honigsauger und der handgroßen Falter, der feuergelben und der schwarzen Schmetterlinge, wo ein steinerner Aussichtsturm auf einem Hügel viele Kammern und Korridore hatte, und wo neben einem Hain von Dachpalmen ein künstlicher viereckiger Teich blinkte, dessen Grund aus prächtig gearbeiteten grünen und orange Onyxmarmorquadern mit Perlen und rotem Kristall verziert war. Und spiegelblank gemeißelt wie das Mauerwerk war die ins Wasser hinabführende Alabastertreppe, umspielt von Scharen kupfern blitzender Fischchen, zwischen Seerosen aber lärmten und schwammen die seltensten Tauchervögel, Schilfvögel, Reiher und Ibisse ...

Das Wehegeschrei der sterbenden Frauen und Kinder drang nicht über die hohen Gartenmauern.

Zwei Stunden lang, bis die Sonne auf den dunstfernen Höhenzügen des westlichen Michuakenlandes verblutete, wandelten Cortes und Marina dort, berauscht von Blumendüften und Erinnerungen. Als sie, vor länger als einem Jahr, zum erstenmal dem Banne dieser Zauberwelt verfallen waren, hatten sie sich selbdritt – mit La Azteca – vom »Aufseher der Blumen« umherführen lassen. Später hatten sie – ohne La Azteca – an einem regnerischen Abend, während bleischwere Tropfen mit scharfem Knattern und Prasseln auf die harten Palmenblätter fielen und die blechernen Schreie der Kraniche und Ibisse übertönten, auf die Lagunenufer hinabgeblickt, die fast taghell erleuchtet waren von roten Fanalen, von der Flammenbrunst des Unserer-Großmutter-Holz genannten Leuchtturmes und dem Altarfeuer des Schlangenberges. »Da schau, wie der Regenhimmel blinkt«, hatte damals Cortes ausgerufen, »es ist der Widerschein des Goldes und Silbers von Mexico, der droben schimmert! ...« Und dann hatte er auf die Mitte des Schilfsees gezeigt, wo Luciolen – heuschreckengroße Leuchtkäfer – heranschwebten, einer Prozession ähnlich von dunstgestaltigen durchscheinenden Totenseelen, welche, Kerzen haltend, ihren Grüften entstiegen waren. »Der Zug des Todes!« hatte Cortes bestürzt zu Marina gesagt. »Gott zeigt mir die Zukunft meines Heeres! ...«

Aber diesmal sprachen sie nicht vom leuchtenden Gold und seinem schwarzen Schatten und Begleiter, dem Tod.

»Weißt du noch, Marina«, sagte Cortes, »als wir diesen Palast und diesen Garten zum erstenmal erblickten, meinten wir, es gäbe auf der Welt ihresgleichen nicht. Doch bald darauf zogen wir in Tenuchtitlan ein – und selbst Itztapalapans Herrlichkeit verblaßte neben dem Huei-Tecpan und Chapultepec ...«

»Ja, wir wandelten wie in einem Traum damals!« sagte Marina. »Und wenn man sich ins Gedächtnis zurückruft, wie einzig, wie unvergleichlich schön Tenuchtitlan ...«

Sie brach ab, sie vollendete den Satz nicht. Er erriet ihre Gedanken.

»Warum sprichst du's nicht aus? Glaubst du, daß ich anders denke als du? Auch mir ist es leid um Tenuchtitlan!«

»Und doch wollt Ihr die Stadt zerstören, Don Hernando ...!«

»Auf mein Gewissen! – ich will es nicht, Marina! Ich will die herrliche Wasserstadt schonen! Gott gebe, daß ich es kann! Es ist mein ehrlicher Wunschi Soweit es an mir liegt, wird Tenuchtitlan fortbestehen! ...«

»Auch die Blutgreuel, Don Hernando?«

»Da legst du den Finger auf die Wunde des Denkens, Marina! – auf die nie heilende Wunde, den ewigen Widerspruch, den unlösbaren! Schönheit und Jammer – sie gehören zusammen, sind nicht zu trennen! Sie sind wie Krone und Wurzel eines Baumes. Schönheit ist die Krone, Jammer die Wurzel! Wird der Jammer – die Wurzel – ausgerottet, so welkt auch bald die Krone ...«

»Wenn Ihr aber die Krone – die Schönheit – vernichtet, Don Hernando, vernichtet Ihr denn damit auch die Wurzel? Wird die Wurzel nicht fortbestehen, wie man es an so vielen blitzgefällten Bäumen sieht ...? Heute zum erstenmal kommt mir dieser Zweifel und erschreckt mich, Don Hernando!«

»Du magst recht haben, Marina. Aber Zweifel ist ein schlechter Führer für Tatmenschen. Ich zweifle nicht an meiner Aufgabe ... Du etwa?«

»Nicht an Euch, Don Hernando!«

»Aber an der Aufgabe? ... Du solltest eher an mir zweifeln! Ich bin Wachs in den Händen des Schicksals! Ich bin ein weißer Schaumkamm auf einer Meereswelle! Ich kann nur, was mir zu können erlaubt ist! Wer ein Held genannt wird wie ich, darf über Heldentum lächeln! Ich baue Brigantinen und schicke Friedensangebote! – das Weltgeschehen kehrt sich um beides nicht! Gott vermag Städte und Länder zu retten – nicht aber wir Feldherren, die wir nicht wissen, ob wir des Herrn Engel oder Geißeln sind. Wenn wir Gutes wollen, tun wir Böses: und oft werden wir schuldig, wenn wir Gutes tun. Auf einem reißenden Strom sitzen wir in einem winzigen Boot am Steuer, wir können ein wenig nach rechts, ein wenig nach links steuern – jedoch ein Mächtigerer ist es, der dem reißenden Strom das Bett grub!«


Frater Aguilar kam atemlos in den Schloßgarten gestürzt und lief auf Cortes zu.

»Euch habe ich überall in der Stadt gesucht, Don Hernando! Geschieht es mit Eurem Wissen und Willen?«

»Was?«

»So wißt Ihr's nicht? Hörtet Ihr die Schreie nicht? ... Die Tlascalteken metzeln Frauen und Kinder nieder wie damals in Cholula! Von der Stadtbevölkerung lebt kaum noch die Hälfte!«

Einen Augenblick blieb Cortes starr und stumm.

»Ich bin schamrot, Marina, vor dir und vor mir selbst! Das ist es –: wir träumen und reden vom Guten und tun das Böse! Wie meistens, ist es nun beinahe zu spät, das Gute zu tun!«

Cortes eilte in die Stadt. Es gelang ihm, dem Morden Einhalt zu gebieten. Doch schon stand das Hafenviertel in Flammen. Und obgleich jener Teil der Stadt auf Wasser gebaut war, ließ das Feuer sich nicht löschen.

Von den Dächern der an Land befindlichen Häuser aus schauten viele Kastilier dem purpurnen Schauspiel zu. Mit Alvarado ritt Cortes durch die Gassen und machte ihm zornig Vorwürfe, daß er die Tlascalteken nicht im Zaum gehalten.

»Ich unterstellte Euch diese Bestien, Don Pedro, weil Ihr eine Tlascaltekin zum Weibe habt! ... Aber das sehe ich jetzt ein, daß ich Euren Schwager Kriegsmaske längst an einen Baum hätte hängen sollen! ... Und – bei meinem Gewissen! – Ihr sollt sehen: ich werde es noch tun! ...«

Schuldbewußt verteidigte Alvarado weder sich noch seinen Schwager. Plötzlich aber unterbrach er Cortes und zeigte nieder auf den Boden: das Feuer der brennenden Stadt spiegelte sich in den Gassensteinen.

»Was bedeutet das, Don Hernando? Wie ist das zu erklären? In dieser selben Gasse war ich vorhin – und sie war trocken ... Jetzt aber waten unsere Pferde durch Wasser!«

»Tod und Teufel!« murmelte Cortes. »Sollen wir ersäuft werden? ... Eine Kriegslist? ... Ein Dammbruch? ...«

»Kommt zur Pyramide, Don Hernando! Von der obersten Terrasse aus werden wir die Lagune übersehen können!«

Sie ritten zur Stufenpyramide. Am Fuß der hohen Tempeltreppe fanden sie den Hauptmann Francisco Hernandez. Er saß zu Pferd und hielt ein anderes herrenloses Pferd am Zügel.

»Ihr wollt doch nicht hinaufsteigen?« rief Hernandez. »Oben ist es nicht geheuer! ...«

»Warum?« fragte Alvarado.

»Mich bat der Händler Felipe Monjaraz, sein Pferd zu halten. Er wollte sich den Brand der Stadt von oben anschauen. Ich schrie ihn an: ob er Nero sei? Ich warnte ihn, sich ohne Begleitung hinaufzuwagen ... Er hörte nicht auf mich. Nun warte ich seit einer halben Stunde hier vergebens auf seine Rückkunft ...«

»Wenn droben der Teufel diesen Gattenmörder holte, wäre es ein Wunder?« bemerkte Alvarado.


Nachdem Felipe Monjaraz sein Pferd dem Hauptmann Hernandez übergeben hatte, war er furchtlos bis zur höchsten Terrasse emporgeklommen. Auf dem Menschenwürgeplatz sah er keine Priester und auch nicht im Doppelsanktuar, sie waren augenscheinlich mit den Adlern und Jaguaren auf den See hinausgeflüchtet. Er hatte es nicht anders erwartet, sonst wäre ihm des Hernandez Warnung zu Herzen gegangen, und er hätte – da er mit Fechtkünsten wenig vertraut war– nicht nur im Schutze seines Schwertes sich hierher gewagt ... Er suchte sich den besten Aussichtspunkt aus und stierte nieder auf die lodernden Pfahlbauten. Schon waren die einzelnen Häuser gleichsam versunken, überdeckt, überflutet von Feuerwellen. Ein Flammensee schwebte über dem See. Das Wasser brannte gleichsam. Der Widerschein der durch die erschwarzende Nachtdämmerung gehellten Kaminglut färbte die Kanäle, Brücken, Paläste und Terrassentempel des nur zwei Meilen entfernten Tenuchtitlans und verwandelte sie in amarantrote Kristalle.

Felipe Monjaraz, der bisher Tenuchtitlan nur von weitem, von Tezcuco aus über den Schilfsee dunsthaft hatte schimmern sehen, schaute jetzt von hoher Warte hinab auf die Königin aller Städte zu seinen Füßen – und sie strahlte greifbar nahe in einem unirdischen, verherrlichenden Licht. Dermaßen gebannt war er vom Zauberbild, daß er sonst nichts sah und hörte.

Plötzlich war ihm zumute, als strecke ein höllisches Ungeheuer eine Drachenklaue aus nach ihm. Weit gespreizt waren die hornigen krummen Krallen der Klaue und zogen sich allmählich rings um ihn zusammen. Etwas Furchtbares ging dicht hinter seinem Rücken vor. Er fühlte, ohne sich umzuwenden, daß eine Schar Opferpriester im Halbkreis um ihn stand und daß sich nach und nach der Halbkreis grausig lautlos verengerte. Das Pochen seines Blutes donnerte ihm betäubend in den Ohren, der Schreck rieselte ihm eiskalt durch die versteinerten Glieder. Unfähig war er, sich zu rühren: er wollte den Kopf drehen und konnte nicht, er wollte ans Schwert greifen und konnte nicht ...

Als Cortes, Alvarado, Hernandez und einige Hellebardiere, die sich ihnen angeschlossen, die Pyramidentreppe hinaufgeeilt waren, fanden sie Felipe Monjaraz geschlachtet auf dem Blutopferstein liegen. Von Opferpriestern war keine Spur zu entdecken. Das gab Anlaß zum Gerücht: Satan in eigener Person habe dem Händler die Brust aufgeschnitten.


Von Iztapalapan aus führten zwei Steindämme, ein nördlicher nach Tenuchtitlan und ein westlicher nach Coyoacan. Dieser zweite Dammweg schied den Süßwassersee von Xochimilco von der salzigen Lagune. Die beiden Dämme bildeten ein Dreieck mit einer Dammstraße, die Coyoacan mit dem Tenuchtitlan vorgelagerten Bollwerk Acachinanco verband (wo einst Cortes von Montezuma begrüßt worden war). Das aus Iztapalapan auf Booten entwichene Mexikanerheer befand sich innerhalb dieses Dreiecks.

Alvarado zeigte auf den westlichen Damm.

»Eure Vermutung war richtig, Don Hernando! Da schaut – den kenne ich, den dort auf dem Damm –, das ist Guatemoctzin selbst, der neue König, der mit den Erdarbeitern den Damm öffnet, als wäre er eine Schleuse! Der südliche See steht höher als die Lagune!«

Kupferrot im Brandlicht blinkten die Menschenkörper, die gelockerten Steinquadern und Erdschutthaufen. An einer Stelle des Dammes war das Zerstörungswerk bereits getan, an einer anderen vollendete es sich eben. Wie eines großen Flusses geteilter Wasserfall ergossen sich zischend die Fluten des Süßwassersees in das Dammdreieck. Und sie wälzten sich, da sie nach Tenuchtitlan und nach dem offenen Schilfsee zu keinen Abfluß hatten, südwärts gegen die Gassen Iztapalapans.

Wie Wahnsinnige jagten Cortes und seine Begleiter in großen Sprüngen die Pyramidentreppe hinab. Des Monjaraz Leiche zu bergen, war keine Zeit. Trompetensignale, kreischende Befehle und Flüche durchschnitten wie heulende Pfeile die rot-blutige Nachtluft. Vor dem unheimlichsten der Feinde, dem stetig steigenden Wasser, flüchteten – ihre Beute im Stich lassend – Kastilier sowohl wie Tlascalteken in die höher gelegenen Maisfelder außerhalb der Ringmauer.

Das Gedränge am östlichen Stadttor verlangsamte die Flucht. Und plötzlich waren die Adler und Jaguare wiedergekehrt und tauchten in allen Gassen kämpfend auf. Die Nachhut watete bereits bis an die Brust im Wasser und mußte sich auch noch der kupfernen Teufel erwehren.

Als einer der letzten verließ Cortes die Stadt. Selbst fechtend, gewahrte er den Schwätzer Tarifa, den »Diensteifrigen«, den Gatten der rundlichen Rosita Muños, obgleich von zwei Feinden bedroht, hielt Tarifa ein mit Gold und Juwelen gefülltes Edelsteinkästchen über den Wellen und schien sich von ihm nicht trennen zu können.

»Werft lieber das Gold fort als Euer Leben!« schrie ihm Cortes zu.

Tarifa ließ das Kästchen in die Flut fallen und brach in Tränen aus. Er flennte wie ein Kind und vergaß im Schmerz die Gefahr. Als er nach seinem Schwert griff, war es zu spät – er wurde überwältigt ...


Nicht gerade ruhmbedeckt kehrte das Christenheer nach Tezcuco zurück. Mit knapper Not war es dem Untergang in Itztapalapan entgangen. Die gesamte Beute war verloren ... Immerhin mochte es als Trost gelten, daß außer Tarifa und Monjaraz kein Mann getötet worden war (nur Indianer, sechstausend Frauen und Kinder!).

Rosita Muñoz hatte kaum Ursache, sich den Tod ihres Gatten zu Herzen zu nehmen. In Sempoalla (damals als die dicke Prinzessin Hochzeitsschmuck anlegte) hatte Rosita zum Bedauern vieler dem ledernen Gesellen die Hand zum Ehebund gereicht, doch überdrüssig geworden war sie gar bald seiner und seiner abwechslungsarmen Rodomontaden: welche Dienste er Seiner Majestät dem Kaiser leiste und wie schlecht er dafür entlohnt werde ... Seit jener wilden, vom Vulkanausbruch bestrahlten Liebesnacht an der Torre de la Victoria hatte sie ihn immer wieder hintergangen mit San Juan dem Aufgeblasenen, einem nicht minder faden Maulhelden, ihr Ehebruch war dauerhaft und beständig wie eine Ehe geworden. Die Schicklichkeit forderte nun, daß sie ihren toten Gatten beweinte – und das tat sie denn auch ausgiebig. Sie entdeckte gute Eigenschaften an ihm, die sie früher nie entdeckt hatte. Eine Folge ihrer Trauer war, daß die zur Waise gewordene La Monjaraza sich ihr anfreundete und ihre unzertrennliche Gefährtin wurde.

Ungeheuchelt tobte sich der Jammer der schwachsinnigen La Monjaraza aus. Von ihrem Vater war sie verhätschelt worden. Sie schrie wie ein Tier bei der Nachricht von seiner Opferung. Und als der rohe Trujillo ihr schadenfroh beibrachte: zur Strafe für den Gattenmord (von welchem das arme Mädchen bisher nichts wußte!) sei ihr Vater von Beelzebub zerrissen worden, hatte ihre Verzweiflung keine Grenze mehr. Sie verweigerte Speise und Trank, magerte zur Schattengestalt ab und sang, wenn sie nicht schluchzte, Kirchenlieder. Rabenblume und Rosita Muños ließen niemand zu ihr vor.

Dabei wurde Alvarados Haus, wohin La Monjaraza übergesiedelt war, von Beileidsbesuchern bestürmt und belagert. Sie war die reichste Erbin der Neuen Welt. Mit jedem Tag stieg die Zahl ihrer Freier. Unter anderen schrieb ihr auch Rodrigo Rangel einen wortreichen Liebesbrief. Als er ihn uneröffnet zurückerhielt, wandte er sich an San Juan den Aufgeblasenen, den Freund Rositas. Und viele beschritten denselben Weg.

Auffallend war es, wie sehr jetzt San Juan von seinem Hauptmann Olid bevorzugt wurde. Der Neger Estevan Parillas trug dem Aufgeblasenen eingesalzene Hunde und andere Leckerbissen, ja sogar ein aus Francisco de Garays Weinkeller stammendes Fäßchen zu. Eigentlich war das nicht ganz verständlich, da Olid mit der Tochter des tlascaltekischen Stadtkönigs Rauchender Schild verheiratet war und außerdem mit Königin Maisblüte in freier Ehe lebte ... Wenige Tage nach der Rückkehr aus Iztapalapan setzte er die Beförderung San Juans zum Fähnrich durch.


Der Mißerfolg in Itztapaiapan nötigte Cortes Bewunderung ab für einen Gegner, der, um ihn zu vernichten, eine seiner schönsten Städte geopfert hatte. Die Kunde vom Dammbruch ermunterte weit über Anahuacs Grenzen hinaus die Vasallen Mexicos und versetzte seine Rebellen in Schrecken. Erst vor kurzem war Chalco dem Bunde der Schwarzen Blume beigetreten, und jetzt zitterte es vor der Rache der Azteken. In einem Felsenkastell inmitten der Stadt befand sich noch immer eine mexikanische Besatzung, auch gingen Gerüchte, der Herabstoßende Adler rüste, um als erste der abgefallenen Städte Chalco zu züchtigen. Boten aus Chalco beschworen die Schwarze Blume und Cortes, Hilfe zu schicken.

Mit dem acolhuakischen Heerführer Chinchinchicuatzin zog Gonzalo de Sandoval nach Chalco. Es gelang ihm, die Stadtburg zu überrumpeln. Unter den Gefangenen, die er machte, waren zwei Mexikaner von hohem Feldherrnrang. Er brachte sie mit nach Tezcuco.

Und Cortes, dem sie vorgeführt wurden, ließ ihnen durch Marina eröffnen: Die Söhne der Sonne seien keine Menschenfresser wie die Azteken. Das Leben und auch die Freiheit schenke ihnen der Grüne Stein und verlange nur von ihnen, daß sie bei ihrer Rückkehr in Tenuchtitlan dem Herabstoßenden Adler ein Friedensangebot überbrächten.

Marina machte sie auch mit dem Inhalt des von Cortes eigenhändig geschriebenen Briefes bekannt. Der Wortlaut des eigenartigen Dokuments ist uns überliefert, – er lautet:

»Ich habe keinen sehnlicheren Wunsch, ab Eure Majestät und die schöne Stadt Tenuchtitlan vor dem Untergang zu bewahren. Leicht ist es, einen Krieg zu beginnen – schwer, ihn zu gutem Ende zu führen. Eine fliegende Lanze gehorcht nicht mehr dem Lanzenwerfer. Meist enden Kriege mit dem Verderben derer, die sie heraufbeschworen. Sollten Euer Majestät zum Frieden bereit sein, so will ich alle erlittene Unbill und den Tod meiner Gefährten verzeihen und keinerlei Forderungen stellen.«

Einer der beiden aztekischen Generale nahm den Brief entgegen und steckte ihn in sein bauschig gekämmtes Haar.


Als die beiden Mexikaner zum Boot geführt wurden, das sie über den See setzen sollte, kamen sie an dem von Olid bewohnten kleinen Tecpan vorbei. Vom Dach herab erschollen Flötenklänge, schwermütige mexikanische Melodien. Sie blickten empor und sahen auf dem flachen Palastdach eine junge Frau in aztekischer Tracht. Am Frühlings-Blumen-Rock, am gescheitelten, sphinxartig die Wangen einrahmenden Haar und an einer kleinen Goldmaske, die sie zwischen den Brüsten mit Edelsteinketten befestigt trug, erkannten sie Königin Maisblüte. Erst wollten sie ihren Augen nicht trauen, denn die Königin war totgesagt und betrauert worden in Tenuchtitlan, doch bei längerem Hinsehen konnten sie nicht daran zweifeln, daß sie es leibhaftig war. Ihr einen Gruß hinaufzusenden oder sie anzurufen, wagten sie nicht. Am Lagunenufer angelangt, fanden sie Gelegenheit, heimlich einen Ruderknecht auszufragen, und der bestätigte ihnen, daß Maisblüte noch am Leben war.


In einer Kammer mit blauer Daunen-Wandbekleidung saß die Herrin von Tula am Webstuhl, Sie webte eine Decke, meergrün mit schwimmenden Fischen, Krebsen und einer großen weißen gewundenen Muschel, aus welcher eine gelbe nackte Frau hervorkroch. Im Kreise um die alte Königin knieten ihre Mädchen und spannen, indem sie Spinnwirtel sich schwirrend drehen ließen. Eintönig gab das Pochen des Webemessers dem Gesumm der Wirtel das Zeitmaß an, als wäre es eine fernher tönende, den Takt schlagende Trommel.

Die Herrin von Tula war jetzt Alleinherrscherin im Palast. Ihr Sohn Ohrring-Schlange hatte Tenuchtitlan schon vor mehreren Tagen mit einer größeren Heeresmacht verlassen, beauftragt vom Herabstoßenden Adler, den Verrat der Stadt Chalco zu strafen und die Stadtburg mit einer neuen mexikanischen Garnison zu belegen. An den Beratungen über das inzwischen eingetroffene Friedensangebot hatte Ohrring-Schlange nicht mehr teilnehmen können; es war ohne ihn abgelehnt worden.

Ein Torhüter trat durch den Perlenvorhang der Tür, legte die Arme kreuzweise über die Brust und meldete: vor dem Hauptportal warte in einer Sänfte die Königin-Witwe von Tezcuco auf Bescheid, ob die Königin-Witwe von Tezcuco sie empfangen wolle. (Die Witwe des Edlen Traurigen führte nämlich den gleichen Titel wie die Witwe des Herrn des Fastens.) Diese ließ ihre Schwiegertochter Königin Silber-Reiher hereinbitten und ging ihr bis an die zum Palasttor emporführenden Granitstufen entgegen. Der Höfling Coxtemexi, der Königin Silber-Reiher begleitet hatte, blieb draußen bei den Sänftenträgern, während die Herrin von Tula ihren hohen Gast in einen geräumigen Saal führte. Auf Jaguarfellsessel setzten sie sich einander gegenüber. Sklavinnen brachten Kakaoschalen. Dann blieben die beiden Königinnen allein.

Nachdem die zeremoniösen Begrüßungsformeln ausgetauscht waren, teilte Königin Silber-Reiher den Zweck ihres Besuches mit. Der Herabstoßende Adler hatte sein Verlöbnis mit ihr gelöst, weil jetzt erwiesen war, daß ihre Schwester Maisblüte noch lebte. Ihr Herz auszuschütten, hatte sie die Herrin von Tula aufgesucht, anklagend sich zu beklagen. Und das tat sie auf ihre Weise mit großer Beherrschung, kalt und spöttisch lächelnd, obgleich ihr Inneres ein Flammenherd war.

Die Herrin von Tula wußte Rat und Trost: könne Silber-Reiher nicht Königin von Mexico sein, so solle sie – zum zweitenmal – eine Königin von Tezcuco werden, das durchzusetzen, dem Sohn die Braut zuzuführen, glaube sie als Mutter genügend Einfluß zu haben; auch werde Silber-Reiher keinen schlechten Tausch machen, da Ohrring-Schlange dem Herabstoßenden Adler nicht nachstehe.

Zu klug war Silber-Reiher, um ihrer Rache wegen – die sich ja aufschieben ließ – einen Thron auszuschlagen. Sie dankte und brachte nur das Bedenken vor, Ohrring-Schlange werde von der Ehe nichts wissen wollen, da er sein Herz an eine weiße Sklavin gehängt habe.

Darum müsse die weiße Sklavin aus dem Weg geräumt werden, solange Ohrring-Schlange von Tenuchtitlan abwesend sei, antwortete die Herrin von Tula. Schon seit lange war es ihr ein Dorn im Auge, daß ihr Sohn dem Zauber der Gelbhaarigen erlegen. Jetzt hatte sie einen Anlaß, dem Ärgernis ein Ende zu machen.

Über die glanzlosen Augen der Königin Silber-Reiher huschte ein flüchtiger Glanz: sie sah den Herabstoßenden Adler leiden am Leid seines Freundes ...

»Das Mexikaner-Priesterchen«, sagte die Herrin von Tula, »wird heute abend dem Volk verkünden, wie der Wunderbare Huitzilopochtli den Brief des Grünen Steines beantwortet. (Vorhin suchte mich der Hohepriester auf, von ihm erfuhr ich es.) Die Stimme des Gottes sprach aus dem heiligen Nopal-Baum: Kein weißes Wesen darf hinfort in meiner Stadt geduldet werden: kein weißes Kaninchen, keine weiße Taube, kein weißer Schmetterling, kein weißer Mensch!«


Auf dem Rückweg in den Huei-Tecpan schritt Coxtemexi neben dem Tragstuhl der Königin Silber-Reiher her und flüsterte mit ihr. Er sah nicht mehr abschreckend aus, wenn er auch die einstige Schönheit nicht wiedererlangt hatte.

»Wer gab dir deine Nase zurück? Du erzähltest mir es schon – doch ich hörte nicht hin ... Ich dachte an den Herabstoßenden Adler, der sie dir nahm ... Gab er sie dir wieder?« fragte Königin Silber-Reiher spöttisch-bitter.

Da berichtete Coxtemexi noch einmal, wie ihn auf einer Kanalbrücke die Giftmischerin Xiuhxahualli, die Blaubemalte, angeredet und sich erboten hatte, seine Häßlichkeit zu heilen. Auf seine Frage, wie sie das vermöchte, hatte sie gesagt: sie wolle ihm die häßliche Narbe im Gesicht wegschneiden und auf die blutfeuchte Wunde die Nase eines eben getöteten Opfersklaven legen, sie dann mit einem langen Frauenhaare annähen, so daß sie anwachse, als wäre sie sein eignes Fleisch. Erst habe er ihr nicht getraut, schließlich aber habe er sie doch gewähren lassen, – nun bereue er es nicht – wenn auch die Nase seiner früheren nicht gleiche ...

»Du gingst deiner Nase wegen zur Giftmischerin«, sagte Silber-Reiher, – »doch nicht nur, um sie anheilen zu lassen ...«

»Cihuapiltzine, warum sonst? ...«

»Um deine Nase zu rächen!«

»Cihuapiltzine, hassest du ihn nicht auch?«

»Ebensosehr wie du! ... Darum will ich, daß du mich zur Blaubemalten führst – jetzt gleich!«

»Cihuapiltzine, noch ist es Tag. Es würde bemerkt, es würde ruchbar werden, daß du zur Giftmischerin ...«

»Wo wohnt sie?«

»Beim Haus der Fledermäuse. Heute nacht werde ich dir den Weg zu ihr zeigen!«


In der Kleidung der Sternhimmel-Göttin Ilamatecutli, der »Alten Herrin«, welche auch Tonan, »Unsere Mutter«, hieß, tanzte, als die Nacht hereinbrach, von mehreren flötenspielenden Greisen begleitet und beaufsichtigt, Isabel de Ojeda in den Gassen Tenuchtitlans. Auf Wunsch der Herrin von Tula war sie in den Schlangenberg eingeliefert worden, und die Fürstin der Priesterinnen, die Frauenköpfe-sammelnde-weiße-Frau, hatte sie in Empfang genommen, sie gekleidet, sie geschminkt, sie zum Ebenbild und Sinnbild der Alten Herrin, der Gemahlin des Feuergottes, geweiht. Jetzt trug Isabel ein bis zu den Knöcheln reichendes schlohweißes Baumwollhemd und darüber einen mit Sternbildern bemalten Frauenrock aus rotem Leder, dessen unterer Rand, zu Riemen zerschnitten, mit kleinen, bei jedem Schritt laut rasselnden Schnecken-Gehäusen benäht war.

In der linken Hand hielt sie ein hölzernes, blau bemaltes und mit Türkismosaik inkrustiertes Webemesser, in der Rechten einen mit Kreide geweißten Rundschild, von welchem viele lange, am Boden schleifende Bänder aus Reiherfedern sich herabringelten. Die untere Hälfte ihres Gesichtes war schwarz, die obere gelb geschminkt. Ihr Haar bildete Hörner an den Schläfen und war von einer Adlerfeder-Krone bekränzt.

Ein Mädchen oder eine Frau, die zur Sternhimmel-Göttin geworden war, mußte tanzend in ein Haus treten, und wenn sie dort einen Jüngling vorfand, sich ihm hingeben. Das Unerlaubte war ihr erlaubt. Nur das Verbotene nicht zu tun, war ihr verboten.

Schon allzulange hatte Isabel die Schmach hinausgeschoben. Wenn ihre Begleiter, die flötenspielenden Greise, sie mahnten, trat sie in ein Haus, kehrte dann sofort wieder um, schüttelte den Kopf und sagte: nur Weiber habe sie angetroffen ...

Weinend und tanzend war sie durch zahllose Gassen gekommen. Die Greise wurden ärgerlich und bedrohten sie, schließlich schlugen sie sie. Keine Ausrede war ihr geblieben, sie konnte dem Unentrinnbaren nicht entrinnen ...

Ratlos schaute sie sich um. Da schimmerte eine Hoffnung vor ihr auf. Die Gasse, in der sie sich befand, kam ihr bekannt vor – war sie nicht erst vor kurzem hier gewesen? ... Und plötzlich erkannte sie auch das ärmliche Haus wieder, wohin sie das Kind der Königin Perlmuschel gebracht hatte. Damals hatte sie Gonzalo Guerrero dort angetroffen, der sie retten wollte ... Unheimlich war er ihr gewesen, abstoßend und anziehend zugleich wie ein unterirdischer Titan, der die Sonne und den Himmel haßte. Ihr fremd und fremd ihrer Welt, war er, der geborene Sklave, der Mit-Ketten-zur-Welt-Gekommene, ewig bestrebt, die Ketten zu brechen, ohne die er doch nicht zu leben vermochte. Seine Reden, ihr erst zuwider, hatten nachgewirkt in ihr und Achtung, ja sogar Bewunderung für seine Zielstrebigkeit ausgelöst. Jetzt sehnte sie ihn mit allen Fibern ihres Herzens herbei und schickte zur Heiligen Jungfrau ein Gebet empor, das Wunder möge geschehen, daß dieser Mann heute wieder dort sitze, wo er damals saß ...

Isabel trat in das Haus der Federarbeiterin. Und so wie damals fand sie die vordere Kammer mit Gästen gefüllt. Am Boden hockten da neben der Schwindsüchtigen und ihrer Schwester müde gearbeitete Mantelweber, Korbflechter, Lackarbeiter, eine Wasserträgerin, ein Entenjäger – und er, den sie suchte. Sie sah nur die beiden blauen Flammen seiner Augen. Jäh verstummt waren die Reden bei ihrem Eintritt, leichenstill wurde es im Raum. Jeder wußte, was Unsere Mutter Ilamatecutli herführte und daß ihr Wunsch keine Absage litt. Wen unter den Ärmsten der Armen wollte sie sich auswählen? ... Sonst pflegte sie nur in den Palästen der Reichen ihrer Lust zu frönen ...

Isabel ging auf den Roten Jaguar zu und faßte seine Hand. Stumm erhob er sich und ließ sich von ihr in die hintere Kammer führen, wo die Wiege des weißen Kindes stand.


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