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Salvatierra hatte zuviel getrunken. Er verfärbte sich, wurde weiß wie feuchtes Salz.

»Hatte er einen Bruder unter den Leuten in Tepeaca?« fragte Olid Don Panfilo leise.

»Nein. Aber er verträgt nicht den Anblick voller Becher, und leerer Becher erst recht nicht!«

»So wenig wie den Anblick von Blut!« ergänzte Olid grinsend. »Als wir ihn in Sempoalla fingen und schrien: ›Victoria! Victoria! Narvaez ist tot!‹, bekam er Leibweh und Durchfall!«

Aguilar bemühte sich um Salvatierra, der von der Bank geglitten war, und richtete ihn auf. Olid klopfte dem Trunkenen auf die Schulter.

»Ihr seid eine zu volle Flasche, Señor – darum entkorkt Euch selbst!« riet er ihm. »Macht es wie Vitellius, sucht das Vomitorium auf! Es ist nahebei: Ihr braucht Euch bloß zur Laube hinauszubeugen!«

Salvatierra befolgte den Rat. Er stieß Aguilar zurück, der ihm behilflich sein wollte, und schwankte an das Fenster der Bretterlaube heran. Sich hinausbeugend übergab er sich. Um ein Haar hätte er das Gleichgewicht verloren: denn von einem Windstoß gewiegt, bog sich der Ceiba-Baum und mit ihm die Laube hin und her, so daß man wohl seekrank werden konnte.

»Ein Schiff!« grölte Salvatierra.

»Was grunzt er?« fragte Olid.

»Er meint, wir schwanken hier wie auf einem Schiff!« erläuterte Aguilar.

»Ein Schiff!« wiederholte Salvatierra.

»Er scheint, weiß Gott, die Laube für eine Schiffskammer zu halten und das Baumlaub für wogende grüne Wellen!« lachte Narvaez.

»Und sich selbst für den Admiral!« lachte Olid. »Ich hoffe, er wird nicht ein Bad nehmen wollen!«

»Ein Schiff!« schrie Salvatierra zum drittenmal, sich überkreischend.

»Schon gut, wir haben's gehört, Senor Salvatierra! Verliert die Lenkung Eures Schiffes nicht! Nehmt Euren Platz am Steuerruder wieder ein!«

Wütend wandte sich Salvatierra um und verließ das Fenster.

»Ich bin kein Lügner!« schrie er. »Jedem zause ich das Fell, der mir nicht glaubt!«

Ein Trompetenton erscholl: der Alarmruf des Turmwächters von Vera Cruz. Aguilar eilte ans Fenster.

»Wahrhaftig, auf der Reede draußen – ein Rennschiff! Es segelt auf den Hafen zu ...«


Unverzüglich war Olid die Leiter hinabgestiegen und hatte sich zu Pedro Caballero, dem Kommandanten der Hafenfestung, begeben, mit ihm zu beraten. Im Stadthause war Caballero nicht mehr anwesend. Olid fand ihn am Meeresufer inmitten einer neugierig auf die Reede starrenden Volksmenge. Eine von Caballero dem Schiff entgegengesandte Schaluppe kehrte eben ans Ufer zurück, so erfuhr Olid, daß die Karavelle dem Gobernador von Jamaica, Francisco de Garay, gehörte und von einem Hauptmann Diego de Camargo geführt wurde.

Als – bald nach der Gründung von Vera Cruz – Garay durch die heimkehrende Mannschaft seiner Schiffe unterrichtet worden war, daß Cortes mittels einer Maskerade – die der wiehernde Hengst des Tanzmeisters Ortiz verraten – ihm fünf seiner Leute geraubt, darunter den Matrosen Pedro de la Harpa und den spitznasigen kleinen Gerichtsschreiber Guillén de la Loa, hatte er wutblaß, doch mit schweigsamer Zurückhaltung zugehört und die Einzelheiten des Schimpfes in sein Gedächtnis gebucht. Garay nahm sich Zeit. Notgedrungen. Denn Jamaica war eine kleine, karg bevölkerte Insel. Beeinträchtigt wurde seine Werbetätigkeit auch dadurch, daß in St. Jago auf Kuba Don Diego Velazquez mit gleicher Leidenschaft und sehr viel mehr Leidenschaftlichkeit die Aufstellung der hernach von Narvaez geführten Heeresmacht gegen Cortes betrieb. Die von Garay in die benachbarten Kolonien ausgesandten Werbeoffiziere konnten meist nur noch Ähren lesen, wo der Gobernador Kubas reich geerntet hatte. So kam es, daß Garays Rüstung noch in den Anfängen steckte, als im Juni die Nachricht aus Kuba nach Jamaica gelangte, Narvaez sei mit achtzehn Schiffen an der Küste des Goldlandes Mexico gelandet. Daß Cortes besiegt und in Ketten gelegt worden sei, nahm Garay als selbstverständlich an. Sein Rachefeldzug war gegenstandslos geworden. Aber von der Beute wollte er sein Teil haben. Darum setzte er sein mühselig angeworbenes Heer auf drei Schiffe und befahl dem Hauptmann Diego de Camargo, Mexicos Gestade aufzusuchen – genau war man in Jamaica nicht unterrichtet, wo sie zu finden waren – und an der Seite Don Panfilos fechtend den Wilden so viel Gold abzunehmen, wie nur irgend möglich, die Schiffe aber sofort mit Sklaven verfrachtet heimzuschicken. Sein Gönner und Patron, Don Juan Rodriguez de Fonseca, Bischof von Burgos und Erzbischof von Rosano, der Leiter der indianischen Angelegenheiten, hatte ihm ja ein Patent ausgefertigt, das ihm Sklavenraub und Tauschhandel an der Festlandküste westlich von Florida gestattete.

Auf die Bussolen und Seekarten war kein Verlaß. Camargo fand Vera Cruz nicht und landete fünfzig Meilen nördlich am Panuco-Fluß. Auch jener Landstreifen gehörte noch zum huaxtekischen Gebiet, war also Mexico untertan. Seit der grauenvollen Hinrichtung ihres Statthalters – des Schwelenden Holzes – in Tenuchtitlan lebten die Huaxteken in Furcht und Schrecken vor den Europäern. Sie hielten die neuangekommenen weißen Götter für Freunde des Grünen Steines und begegneten ihnen ehrerbietig. Als jedoch die Garay-Leute sich daran machten, Sklaven und Sklavinnen einzufangen, griffen die Huaxteken zu den Waffen. In einer Schlacht zogen die Christen den kürzeren, mußten auf die Karavellen flüchten. Alle Schwerverwundeten wurden auf das Flaggschiff Camargos gebracht. Dann segelten die drei Schiffe weiter südlich. Ein Sturm trennte die kleine Armada. Das Flaggschiff war im Sturm leck geworden und drohte zu sinken, als Camargo Vera Cruz sichtete und wieder Hoffnung schöpfend den Kurs auf den Hafen nahm.


Das doch verlorene Schiff ließ Camargo auf den Strand laufen. Auf Anordnung Caballeros wurden die Schwerverwundeten – und das waren fast alle auf dem Schiff, die anderen waren Tote – an Land getragen. Der Erschöpfung und dem Hunger waren mehr erlegen als den furchtbaren Sägeschwertwunden. Doch fehlte es der Karavelle an Mundvorräten, so barg sie dafür eine beträchtliche Ladung Munitionskisten, Armbrüste, Musketen und Pulver. Ja sogar vier Kartaunen und zehn Feldschlangen. Olid nahm sofort Besitz von den Waffen in Cortes' Namen.

Diego de Camargo war ein Sterbender, seine Ankunft im Hafen sollte er nur wenige Wochen überleben. Von ihm erfuhr Olid, daß sich an Bord der beiden anderen Schiffe ebensoviel Munitionskisten befänden und hundertundfünfzig, wenn auch durch Hunger geschwächte, so doch kerngesunde Soldaten. Dazu sieben Pferde.

»Es wird Euch leicht fallen«, sagte Camargo, müde lächelnd, »meine Soldaten für Euch zu gewinnen. Die beiden Schiffe herlocken könnt Ihr zwar nicht – das kann nur der Zufall, der freilich kann viel ... Für mich ist's jetzt zu spät, zu hoffen oder zu rasen. Die Seele vorbereiten für die große Reise, ist jetzt meine Aufgabe.,. Aber den jungen gesunden Burschen wird es gleich sein, ob sie für Narvaez oder Cortes sterben, wenn sie nur ihr täglich Brot haben und ausreichenden Sold!«

Die Voraussage Camargos bewahrheitete sich tags darauf. Was Olids Wunsch nicht vermocht hätte – der Zufall vermochte es: er lockte morgens ein zweites und gegen Abend das dritte Schiff des Garay in den Hafen von Vera Cruz. Der Führer der zweiten Karavelle war von Haiti her befreundet mit Olid, nach kurzer Überredung willigte er ein, mit seiner Mannschaft unter Olids Fahnen zu treten. Schwieriger gestaltete sich und mehr Umsicht erforderte der Einfang des dritten Schiffes. Von Camargo hatte Olid in Erfahrung gebracht, daß diese Karavelle unter dem Befehl des Alvarez Pineda stand, eines reichen Grubenbesitzers, den Olid nur dem Namen nach kannte. Dafür war Juan Sedeño der Reiche befreundet mit ihm, und Frater Aguilar war einst Hausgeistlicher bei Pineda gewesen. In einem Boot ruderten Sedeño, Aguilar und Olid – er hatte sich als gemeiner Soldat verkleidet – an das Schiff heran. Sedeño und Aguilar stiegen an Bord. Sie wurden von Pineda wie alte Freunde begrüßt und umarmt. Nicht genugtun konnte sich Pineda mit Ausrufen der Verwunderung und der Freude darüber, daß der tot geglaubte, seit acht Jahren vermißte Aguilar am Leben war. Teilnehmend fragte Sedeño, ob der Gobernador von Kuba sich wohl befinde.

»Don Diego hat Euch zwar gegrollt, Señor Sedeño, weil Ihr Euch Cortes angeschlossen hattet. Aber ...«

»Ich?« unterbrach ihn Sedeño erregt. »Tat ich es denn aus freien Stücken? Wie ein Seeräuber hat damals Cortes mein Schiff vor Havanna gekapert, hat mich mitgeschleppt wie ein Beutestück! ...«

»Ja, ein Seeräuber ist Cortes«, erklärte Pineda. »Darum kann man mit ihm kein Mitleid haben. Sein Schicksal ist verdient. Hat man ihn schon hingerichtet?«

»Nein, noch nicht. Ihr und Camargos Leute seid gerade zur rechten Zeit gekommen. Übermorgen legt er den Kopf auf den Block, nebst zwanzig seiner Anhänger. Ich habe es ihm oft genug vorausgesagt!«

»Und was macht Don Panfilo?«

»Oh, dem geht es ausgezeichnet. Er hat Mexico in der Gewalt und ein Dutzend der umliegenden Länder. Augenblicklich ist er im Hafen. Eurem Hauptmann Camargo hat er einen glänzenden Empfang bereitet. Kommt gleich mit in unser Boot, wir bringen Euch zu ihm!«

Alvarez Pineda war es zufrieden. Er stieg mit Sedeño, Aguilar und einer kleinen Gefolgschaft ins Boot und ließ sich ans Ufer rudern. In zwei inzwischen genahten Schaluppen wurde seine Mannschaft ausgebootet.

Kaum war dies geschehen, trat Olid auf Pineda zu und forderte ihm den Degen ab.

»Ist der Mann toll?« fragte Pineda den reichen Sedeño, und seine Stimme überschlug sich vor Schreck. »Wer ist der Mann? ...«

»Ich bin der Feldobrist Don Cristobal de Olid. Und Ihr seid mein Gefangener!«

»Ihr seid ein Gefangener des General-Kapitäns Cortes!« verbesserte ihn Aguilar, dessen Vorwitz sogleich durch einen stechenden Blick Olids gestraft wurde.

Sich zu widersetzen, versuchte Pineda nicht. Olid führte ihn in sein Quartier und redete zwei Stunden lang in ihn ein. Das Ergebnis der Verhandlung war, daß Pineda sich bereit erklärte, mit seiner Mannschaft in den Dienst Olids zu treten – nicht aber in den Dienst des Cortes, den er zu hassen vorgab. Daß Olid ein solches Abkommen annehmbar fand, bewies Pineda ebenso wie vordem schon die Bemerkung Aguilars, daß ein Zwiespalt zwischen Olid und Cortes bestand.

Um mehr hierüber zu erfahren, ließ Pineda gegen Abend den Frater zu sich kommen. Nur kurz machte er ihm Vorwürfe, daß er an seiner Belügung und Festnahme teilgehabt, entschuldigte es indes selbst, da er als Untergebener Olids nicht anders habe handeln können. Überaus herzlich erging er sich dann in Erinnerungen an alte Zeiten auf Kuba. Er fühlte ihm auf den Zahn und merkte bald, daß Aguilar derselbe kindlich phantastische Mensch war wie einst, der sich damals Kind in seinem Hause gefühlt hatte. Die Vertrautheit zwischen ihnen war bald hergestellt. Da fragte Pineda ihn nach Cortes und Olid aus. Ohne Vorbehalt sagte Aguilar, was er wußte. Olid schien Cortes zu grollen, weil dieser ihn gezwungen, Maisblüte Don Pedro Gallejo herauszugeben. Und gesprächig werdend, teilte Aguilar mit, was er aus der Unterredung Olids mit Don Panfilo über die beiden Montezumatöchter erlauscht hatte.

Alvarez Pineda sagte:

»Glückhaft wie Cortes war nie ein Mensch auf Erden. Wie Bileam zu fluchen auszog, aber segnen mußte, so sammelten Diego Velazquez und Garay ihre Heere, welche nun dem General-Kapitän, statt ihn zu vernichten, zugute kommen. Auch mit Doña Marina hat Cortes ein unerhörtes Glück. Nun wird er bald Hochzeit mit ihr feiern können.«

»Ist Doña Catalina krank?« fragte Aguilar mit gespanntem Gesichtsausdruck.

»Doña Catalina war immer krank, schwindsüchtig seit Jugend auf«, sagte Pineda, »aber jetzt geht es zu Ende. Als wir von Kuba absegelten, hatten die Ärzte erklärt, sie habe keine drei Wochen mehr zu leben. Ja, ja, Cortes hat Glück ...«

In dieser Nacht schloß Aguilar die Augen nicht. Er wälzte sich auf den Knien, brachte aber kein Gebet auf die Lippen, da er sich bewußt war, daß es ein Dankgebet werden würde für die Todeskrankheit der Doña Catalina. Unfähig zu beten, erhob er sich und sann, bis die Sonne aus dem Meer stieg und Vogelgezwitscher zu ihm durchs offene Fenster drang. Ziellos war bisher seine seraphische Liebe zu Marina gewesen. Jetzt aber sah er eine Aufgabe und ein Ziel für seine Liebe: darauf hinzuwirken, daß Cortes den Bund mit Marina kirchlich segnen lasse ...


Dem dicken Kaziken hatte Olid Botschaft geschickt: er werde auf dem Rückweg wieder durch Sempoalla kommen und wünsche ihn in der Stadt vorzufinden, andernfalls werde er ihn an einen Baumast hängen. Der dicke Kazike, der wegen seiner Parteinahme für Narvaez noch immer ein schlechtes Gewissen hatte, faßte dies ab ein Todesurteil auf und meldete zurück: er begebe sich nach Sempoalla und erwarte den die Augen aushöhlenden Adler.

Als Olid von Caballero, Narvaez und Camargo Abschied genommen und sich nach Sempoalla in Marsch setzte, hatte er – außer den zweitausend Tlascalteken – hundertfünfundsiebzig Kastilier und dreizehn Pferde. Das war mehr, als Cortes in Tlascala zurückbehalten hatte. Und Feuerwaffen besaß Cortes überhaupt keine. Wenn Olid jetzt frondieren wollte – er hätte die Obermacht gehabt.

In Sempoalla bewarfen die heimgekehrten Sempoalteken Olid mit Blumen, wenn sie auch ergrausend auf seinen schwarzen Schatten, den allerorts mit blanker Klinge hinter ihm her schreitenden Neger, hinschielten. Der dicke Kazike kam auf den großen Rasenplatz zwischen seinem Tecpan und dem Teocaili, keuchend wie ein nach Luft schnappender Karpfen und an allen Gelenken schlotternd – obgleich unter den Armen gestützt von seinen beiden Karyatiden –, Olid entgegen, reichte ihm gelbe Federnelken und beweihräucherte ihn mit weißen Kopalkugeln. Auch schwarze Kautschukkugeln ließ er in den glimmenden Räucherlöffel fallen, gleichsam als Abwehropfer für den entsetzlichen schwarzen Gott. Der dicke Kazike war ein Bild des Jammers. Zum Skelett war der einstige Fleischberg abgemagert. Seine Haut, die nicht zugleich mit seinem Fett hatte schrumpfen können, hing schlapp und faltenreich, bei jeder Bewegung hin und her schwingend wie leere Ziegeneuter, von seinen Backen, seinem Hals, seinen Armen und Händen herab. Überdies hatte er Antlitz und Körper auch noch mit weißer Erde geschminkt. In ein Papiergewand war er gekleidet, ein Papierdiadem schmückte seine Stirn. Im linken Arm trug er ein totes, rotgelbes Hündchen, in dessen Hals ein Obsidianpfeil stak.

Der zu Mißtrauen neigende Olid entsann sich, daß Piltecatl das Alte Raubtier in Cholula weiß geschminkt hatte und daß er selbst damals mit Avila wettete, er könne mehr und eleganter Köpfe vom Rumpfe trennen als jener. In welchem Zusammenhang die Wette mit Piltecatls Auftrag gestanden, war ihm nicht mehr klar, nur wußte er, daß die weiße Schminke Krieg bedeutete. Vollends beunruhigte ihn der tote Hund im Arm des Königs.

Er fragte Aguilar:

»Soll der tote Hund ein Hohngeschenk für mich sein?«

»Nein, Don Cristobal. Den Hund hat der Kazike an das jenseitige Ufer des neunfachen Wassers geschickt: das ist ein Strom, der die Totenwelt umgibt, nach Ansicht der Heiden. Dort wartet der Hund, bis sich sein Herr zum neunfachen Wasser begibt. Kaum daß er ihn erblickt, wirft er sich in den Strom, schwimmt heran und hilft seinem Herrn, ans andere Ufer zu gelangen ...«

»Was zum Teufel hat der Kazike in der Hölle zu suchen, solange ich ihn nicht hinbefördere?«

»Das ist's ja eben, Don Cristobal: er denkt, Ihr wollt ihn hinbefördern! Darum hat er sich weiß bekreidet und trägt das Papierkleid, das die Toten tragen.«

Olid mußte hell auflachen. Blitzschnell spießte er das Hündchen auf die Spitze seines Degens und schnellte es in weitem Bogen über die Häupter des königlichen Gefolges hinweg, so daß es an den Stufen des Tecpans niederfiel. Der dicke Kazike, überzeugt, der Degenstoß gelte seinem Herzen, war wie ein Leichnam zu Boden gesunken und lallte immerzu die Klagelaute »Ayao, ayao ...«

Da Olid sich nie die Mühe genommen hatte, mit Einheimischen zu reden, konnte er fast gar kein Mexikanisch. Er beauftragte daher Aguilar, dem dicken Kaziken zu eröffnen: das Hündchen für die Totenwelt sei nicht mehr vonnöten.

Die Freude des armen Königs über die erlassene Todesstrafe war ergreifend. Die Tränen sickerten ihm in die Runzeln der Hängewangen und wuschen bis zur Brust hinab fingerbreite Streifen von Kreide herunter.

»Ich weine, wie das Feuer weint«, sagte er, gewissermaßen sich entschuldigend. »Das Feuer weint keine salzigen Tränen!«

Nun ließ Olid an ihn die Frage stellen, ob er von den elf vermißten Offizieren des Narvaez, die auf der Straße südlich von Sempoalla am Citlaltepetl – dem Sternberge – vorbei nach Tepeaca gezogen waren, etwas in Erfahrung gebracht habe.

Der dicke Kazike machte ein sehr bekümmertes Gesicht.

Ja, er wisse, daß sein Vetter Cuhextecatl mit elf weißen Göttern durch das südliche Totonacapan zum Sternberg gezogen sei. Von reisenden Händlern habe er inzwischen gehört, daß Cuhextecatl und die elf in Tepeaca auf grausige Weise umgekommen seien.

Was er erzählte, klang schier unglaublich. Es wurde indes wenige Tage danach bestätigt. Von den Bewohnern Tepeacas waren die Offiziere und Cuhextecatl gastfreundlich empfangen worden. Als sie sich alle in einem Gemach des Tecpans befanden, wurden vor die einzige Tür des Gemaches schwelende Ballen von Chilipfeffer gelegt. Der Dunst drang ein, betäubte die im Raum Befindlichen. Und nicht eher wurden die Ballen entfernt, als bis die Offiziere und Cuhextecatl erstickt waren. Darauf ließen die Fürsten von Tepeaca die Toten aufschneiden, ihnen die Gedärme herausnehmen und sie mit Stroh ausstopfen. Rings um eine mit herrlichen Speisen, Getränken und Blumen bedeckte Tafel wurden dann die Ausgestopften auf Sessel gesetzt und aufgefordert, sich es gut schmecken zu lassen. »Eßt und trinkt, ihr toten Herren, und genießt euer Dasein! Hier ist alles, was ihr begehrt: geröstete Frösche, Camotliwurzeln, weiße Tomaten und Honigwein. Warum eßt ihr denn nicht? Solltet ihr etwa müde von der Reise zu uns sein? ...« Und dies wiederholten sie Tag für Tag.

Auf die Nachricht hin faßte Olid den Entschluß, sich in Sempoalla nicht aufzuhalten und auf dem nächsten Wege – ohne Tlascala zu berühren – nach Cholula zu eilen, das an Tepeaca grenzte.


Inzwischen hatte Cortes mit seinem Heer und vielen Hilfstruppen Tlascala verlassen und war vor die sechs Meilen im Südosten von Cholula gelegene Stadt Tepeaca gezogen, von deren Unmenschlichkeit er eine Woche früher als Olid in Kenntnis gesetzt worden war. Als Olid Cholula erreichte, hatte Cortes bereits die Adler und Jaguare Tepeacas in zwei Feldschlachten besiegt, hatte die Stadt Tepeaca und andere befestigte Städte des Landes eingenommen und war im Begriff, gegen das gleichfalls rebellische Land Quauhquechollan vorzugehen. Denn da vor bald einem Jahre, während – nach dem Gemetzel von Cholula – Cortes, zum Rauchenden Berge ziehend, in Itzcalpan, einem Weiler des Freistaates Huexotzinco, übernachtete, die Fürsten von Tepeaca dreißig Sklavinnen und ein Goldgeschenk im Werte von vierhundert Dukaten überbracht hatten, wurden sowohl sie wie auch ihre westlichen Nachbarn, die Quauhquecholteken, als Vasallen Karls des Fünften und ihre Anhänglichkeit an das Aztekenreich als eine strafwürdige Rebellion angesehen.

Nicht nur die Ermordung und Schändung Cuhextecatls und der elf Christen zu züchtigen, hatte Cortes Tlascala verlassen. Ihm war zu Ohren gekommen, daß die Pocken in dem bis dahin verschonten Tlascala aufgetreten waren – wenn auch vorerst noch vereinzelt, an den Grenzen, nicht in der Hauptstadt. Der Krieg gegen Tepeaca und Quauhquechollan bot die günstige Gelegenheit, vor der Seuche zu fliehen, ohne den Indianern als feige zu erscheinen. Ja, im Gegenteil: die Lorbeeren, die im Rebellenkrieg gepflückt werden konnten, waren dazu angetan, das durch die Nacht der Schrecken geminderte Ansehen der Christen von neuem zu heben.

Cholula hatte von jeher mit Quauhquechollan (welches ebensoweit südwestlich von ihm lag wie Tepeaca südöstlich) im Unfrieden gelebt. Als nach dem Fall Tepeacas bekannt wurde, daß das Christenheer den Krieg gegen Quauhquechollan plane, herrschte Jubel in Cholula. Der Vogelsteller, der junge Priesterkönig Cholulas, stellte ein Heer von zehntausend Mann auf, um an der Seite der Christen zu kämpfen. Ihm gesellte sich Prinz Kriegsmaske mit einigen tausend Tlascalteken zu. Nicht mit Unrecht hatte Cortes angenommen, daß kriegerische Verwicklungen im Süden den unruhigen Prinzen wie auch dessen Anhang von heimlichen Wühlereien ablenken würden. Zwar hatte der Prinz anfänglich seine Teilnahme verweigert, kam aber jetzt nach Cholula, befürchtend, die Beute von Quauhquechollan könne ihm ebenso verlorengehen wie die von Tepeaca. Der mißtrauische Olid faßte die Rüstung so großer Indianerheere als gegen sich und Cortes gerichtet auf. Kurz entschlossen bemächtigte er sich des Vogelstellers und des Prinzen Kriegsmaske und hatte sie hinrichten lassen, wäre er nicht von Aguilar daran gemahnt worden, daß der Vogelsteller von Cortes als Priesterkönig eingesetzt worden war. Olid sandte den Vogelsteller und den Prinzen unter starkem Geleit, mit Ketten an Händen und Füßen, Cortes zu, damit er sie aburteile.

Nach eingehender Untersuchung stellte Cortes fest, daß die Anschuldigungen Olids aus der Luft gegriffen waren. Es war ihm äußerst unangenehm, daß der Vogelsteller und Kriegsmaske so behandelt worden waren. Eigenhändig nahm er ihnen die Ketten ab, beschenkte sie, umarmte sie und bat sie ein ums andere Mal wegen des Versehens um Verzeihung. Die erhielt er leicht vom Vogelsteller, indem er ihm erlaubte, in Marinas Nähe zu weilen, soviel er wollte, ihr Riesensträuße zu verehren, bei Tisch neben ihr zu sitzen und ihr aus Speisen geknetete Kugeln in den Mund zu stecken (wie er es einst im Weißen Mondgefilde zum Ärger des Velazquez de Leon getan hatte). Schwieriger war es, die Wut des Prinzen Kriegsmaske zu beschwichtigen, da dieser als Sühne nichts weniger forderte als die Herausgabe Kreideschmetterlings. Cortes ließ Pikecatl zu sich ins Feldherrnzelt bitten, setzte ihm auseinander, von welcher Bedeutung für den Sieg des Kreuzes die Eintracht unter den Tlascalteken und Europäern sei, und beschwor ihn, auf Kreideschmetterling zugunsten des Kreuzes zu verzichten. Aber Piltecatl weigerte sich. Und schon drohte Kriegsmaske, unversöhnt nach Tlascala zurückzukehren. Da riet Alvarado, der als Schwager des Prinzen zu den Verhandlungen hinzugezogen war, zu einem Vergleich durch Befragung des Schicksals. Nachdem Kriegsmaske und Piltecatl sich bereit erklärt, dem Spruch des Schicksals sich zu fügen, schlug Alvarado ein Ballspiel im Ballspielhaus einer dem Heerlager benachbarten, erst tags zuvor geplünderten Stadt vor. Das Spiel endete ergebnislos, da beide gleich gute Spieler waren. Ohne den Hermaphroditen reiste Kriegsmaske nach Tlascala ab.

Cortes schrieb einen Brief voller Vorwürfe an Olid. Die Folge war, daß Olid mit seinem Heer grollend in Cholula blieb.


Rieselnd im Mondlicht flimmerte das gestickte, von weißen und blauen Flammen umringte Goldkreuz mit der Umschrift »In hoc signo vinces« auf der schwarzen Sammetfahne. Es war zwei Uhr nachts. Gil Solis näherte sich und sprach leise mit dem Wachtposten. Sie weckten Rodrigo Rangel, welcher vor dem Zelteingang auf der bloßen Erde lag. Der Kämmerer begab sich hinein, Cortes zu wecken. Gil Solis wurde ins Zelt gerufen.

Cortes kannte die mit Verschlossenheit und Verschwiegenheit gepaarte Neugier des Gil Solis. Er wußte, daß und weshalb er von seinen Kameraden den Spitznamen Tras de las puertas, »Hinter der Tür«, erhalten hatte. Wenn dieser Mann sich gedrängt fühlte, dem General-Kapitän eine Eröffnung zu machen, so mußte er wohl Unerhörtes beobachtet haben.

»Es wird mir nicht leicht, Euer Gnaden«, begann er, »von meinem Vorsatz abzugehen ...«

»Von welchem Vorsatz, mein Sohn?«

»Ich bin ein Weltbeobachter. Der Hang ist mir angeboren, Menschenherzen zu ergründen. Man könnte mich einen Diogenes im Fasse nennen, nur daß meine Laterne ...«

»Der Mond ist!« unterbrach ihn Cortes. »Das alles ist mir bekannt. Kommt zur Sache, lieber Freund. Ihr habt mich aus dem Schlaf gerissen ...«

»Wenn Euer Gnaden vorziehen zu schlafen, so kann ich es ja ein andermal sagen!« erwiderte Gil Solis und wandte sich dem Ausgang zu.

Er war im Begriff, die Tür seiner Seele zuzuschlagen und zu verriegeln. Und da Cortes spürte, daß er nie sie wieder aufriegeln würde, hielt er ihn freundlich zurück.

»Ich wollte Euch nicht kränken«, sagte er. »Schmeichelhaft müßte es Euch altgedientem Soldaten sein, daß Euer Feldherr jedes einzelnen Sonderheiten kennt. Stets gebilligt habe ich Euern Vorsatz, die beobachteten Laster Eurer Kriegsgefährten für Euch zu behalten. Ihr wenigstens seid kein Klatschmaul, das rechne ich Euch hoch an. Etwas Außergewöhnliches muß Euch begegnet sein, sonst kämt Ihr bei nachtschlafender Zeit nicht zu mir!«

»Ich kann es Euch ja auch morgen früh erzählen«, sagte Gil Solis.

»Nein, Ihr dürft mich nicht so auf die Folter spannen!« lächelte Cortes. »Ihr habt außer mir auch meine Neugier geweckt. Und selbst wenn ich mich wieder zur Ruhe legte, meine Neugier würde doch wach bleiben und den Schlaf mir bis zum Morgen stören. Also sagt, was Ihr zu sagen habt!«

Da berichtete Gil Solis von seinem Erlebnis. Sein Zelt stand neben dem des Don Pedro Gallejo. Bis spät in die Nacht hinein hatte er das zarte schwermütige Flötenspiel der Gattin Gallejos – der Königin Maisblüte – gehört. Schließlich war die kristallene Flöte verstummt: das Ehepaar war zu Bett gegangen, nichts regte sich mehr. Etwa zwei Stunden später schlich eine dunkle Gestalt um das Zelt und verschwand im Zelt.

»Ein Indianer?« fragte Cortes.

»Erst glaubte ich es auch. Rot bemalt war sein Gesicht, wie die Gesichter mancher Tlascalteken. Schau, schau, dachte ich, hat die Stumme einen Liebhaber? Doch das Stelldichein wäre schlecht gewählt gewesen, wenn auch ihr Mann im Schlafe lag. Oder sollte es ein Bote des Königs von Mexico sein, der ihr einen Gruß überbringen, ihr vielleicht zur Flucht verhelfen wollte? Vielerlei ging mir durch den Kopf. Ein dumpfes Geräusch glaubte ich zu hören, doch dann sagte ich mir, daß ich ein scharrendes Pferd gehört haben müsse. Vorsichtig spähte ich umher und entdeckte, daß an einem Pfosten hinter dem Zelt ein Pferd angebunden stand. Da plötzlich trat Don Pedro Gallejo aus dem Zelt, gewaffnet wie zur Schlacht. In den Armen trug er sein stummes Weib – ich weiß nicht, warum mir schien, sie sei ohnmächtig. Er bestieg mit ihr das Pferd ...«

»Und der Indianer?« fragte Cortes.

»Blieb im Zelt, Euer Gnaden.«

»Saht Ihr das Gesicht Gallejos?«

»Nein, Euer Gnaden. Er hatte sein Helmvisier herabgelassen. Er trug aber nur einen Handschuh – den andern hatte er wahrscheinlich in der Eile nicht finden können. Als er aufs Pferd stieg, erblickte ich im Mondlicht ganz deutlich seine linke unbehandschuhte Hand. Sie war schwarz – eine Negerhand!«

»Estevan Parillas – Olids Neger!« rief Cortes erregt aus.

»Ja, derselbe Gedanke kam auch mir gleich, Euer Gnaden!«

»Warum habt Ihr's nicht verhindert, Mensch!« schrie Cortes ihn an.

»Ich versuchte es, Euer Gnaden. Alles geschah ja so blitzschnell. Ich stürzte hinzu, die Zügel zu packen. Da erhielt ich einen Dolchstoß in die Schulter. Ziemlich lange muß ich wohl ohne Besinnung dagelegen haben. Als ich erwachte, war vom Reiter und der Königin nichts mehr zu sehen.«

Jetzt erst bemerkte Cortes den Blutfleck auf dem Wams des Gil Solis.

»Laßt Euch verbinden, mein Sohn. Ihr tatet Eure Pflicht!«

Der Feldscher wurde gerufen. Nachdem die Wunde ausgewaschen und ein Verband angelegt war, begab sich Cortes mit Gil Solis und der Nachtwache ins Zelt des Gallejo. Ein grauenvoller Anblick bot sich den Eintretenden dar. Gallejo lag tot auf seinem Lager: ihm war die Kehle von einem Ohr zum andern durchschnitten.


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