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Das Gespräch brach ab, da ein nach Otompan vorausgeschickter Bote – ein Acolhua aus dem Gefolge der Schwarzen Blume – zurückgekehrt war mit dem Bescheid, daß die Bewohner Otompans der Schwarzen Blume den Gehorsam verweigerten und daß ihre Adler und Jaguare ausgezogen seien, um auf sehen der Mexikaner gegen die Christen zu kämpfen ein aztekisches Heer von hunderttausend Feuersteinen lagere in der die Stadt umgebenden Ebene bei einem Dorfe namens Tonan Ippan (Angesichts-unserer-Mutter).

Diese Nachrichten standen im Widerspruch zu allen Aussagen Feuer-Juwels. Denn als in Tepozotlan am Xaltocan-See der vermeintliche Otomi sich erboten hatte, Cortes durch die Sumpfpfade zu führen, hatte er angegeben: er stamme aus Otompan, der otomitischen Stadt, vor wenigen Tagen erst habe er dort geweilt und könne bezeugen, daß die Schwarze Blume und die Christen mit offenen Armen empfangen würden, wenn erst Cortes bei seinen Freunden in Otompan weile, sei alle Gefahr gebannt – liege doch die Stadt unfern der Grenze Tlascalas, fern von aztekischen Garnisonen» das Aztekenheer aber sei schwerfällig und werde eine Woche brauchen, um am Lagunenufer entlangziehend den Weg-der-Toten zu erreichen.

Cortes sah sich nach Feuer-Juwel um. Vor kaum einer halben Stunde noch schritt der Otomi neben ihm und gab ihm Auskunft über Teotihuacans Sonnenhaus und Mondhaus. Jetzt war er nirgend zu sehen. Auch als Cortes nach ihm suchen ließ, war er nicht zu finden, blieb unauffindbar. Einige sagten, er sei bei einem Gehölz zurückgeblieben, weil er sich einen Dorn in den Hacken getreten hatte ...

Seine Aufgabe war erfüllt. Er hatte das Christenheer verhindert, den nordöstlichen, am Zumpanco-See vorbeiführenden Weg zu wählen, er hatte es in die Ebene von Otompan – auf den Weg-der-Toten – hingelockt.


Doch noch war der Weg-der-Toten unsichtbar, verborgen durch einen vorgelagerten – Aztaquemecan, Ort-der-Reihergewänder, benannten – Höhenzug. Cortes beriet sich mit der Schwarzen Blume, ließ sich von ihm eine Beschreibung des Geländes jenseits des Berges geben. Ein Ausweichen wäre jetzt ja doch vergebens gewesen – die Schlacht mußte angenommen werden trotz der phantastischen Überzahl des Gegners.

Die Schwarze Blume kannte Otompan und den Weg-der-Toten. Als – kurze Zeit nach dem Ableben seines Vaters, des Herrn des Fastens – der Bruderzwist ausgebrochen war, hatte sich die von Mexico bestochene Hauptstadt Tezcuco für den Edlen Traurigen erklärt, während alle anderen Städte des Acolhua-Reiches der Schwarzen Blume ihre Tore öffneten. Im Triumph war er von Stadt zu Stadt gezogen bis zur nördlichsten, Otompan, und auf dem Weg-der-Toten besiegte er Montezumas Feldherrn, die Rose, ihn verfolgend bis vor die Tore Mexicos, wo er ihn im Zweikampf erschlug und auf einem Scheiter aus Röhricht verbrannte.

Nach Oton, dem Stammvater und Feuergott der Otomis, war Otompan benannt worden: Im-Bereich-Oton-Tecutlis hieß die fast ausschließlich von Otomis bewohnte Stadt. Ihre Tempel waren den barbarischen Gottheiten Tatacoada, Oton Tecutli, Yocippa und Atetein errichtet. Und sogar das böse Prinzip »E« besaß dort ein Heiligtum. Die Treue der Otomis von Otompan zu erproben, hatte die Schwarze Blume oftmals Gelegenheit gehabt. Wenn sie jetzt von ihm abfielen, so geschah es gewiß nicht freiwillig, sondern unter dem Zwang der Verhältnisse: sie waren von Mexicos Heerscharen wie von einem Meer überflutet und umbrandet, der Verzweiflungskampf der Christen aber erschien ihnen aussichtslos.


Im Dorfe Cacamolco am Fuße des Aztaquemecan-Berges übernachteten die Kastilier, immerwährend umbrüllt von den auf die Höhen entflohenen Dorfbewohnern, die bis zum Morgengrauen nicht müde wurden hinabzurufen: »Schlaft diese letzte Nacht! – morgen entkommt ihr der Falle nicht!«

Einige der Schreier hatten sich zu weit vorgewagt und wurden niedergemacht. Vom Hungerwahnsinn befallen, schnitt der Musketier Hernando Alonso einem der getöteten Indianer die Leber heraus, schmorte sie in Gegenwart seiner entsetzten Kameraden am Lagerfeuer und verzehrte sie. Als jüngst am Xaltocan-See das Pferd des Martin de Gamba geschlachtet worden war, hatte Cortes die Schuldigen straffrei gelassen. Diesmal aber verurteilte er den Musketier wegen Menschenfresserei zum Galgentod. Sein ganzes Heer widersetzte sich, der Henker Osorio wurde bedroht. Cortes sah sich gezwungen, das Urteil zu widerrufen.

Seit vielen Tagen nährten sich die Offiziere und die Soldaten von Xicama-Wurzeln, Sauerampfer, Pilzen und wilden Kirschen. Vergiftungen waren häufig, mehrere Kastilier starben nach dem Genuß des Teonanacatl-Pilzes. Am Vorabend der Schlacht war das Heer todmatt, verlechzend wie ein Haufe verlorener Wüstenwanderer.

Schon zwei Tage früher hatte Cortes die Schwerverwundeten von den Kruppen der Pferde losbinden und auf Tragbahren legen lassen. Die Pferde wenigstens durften nicht kraftlos sein. Er war bei den Dammdurchstichen aller Feuerwaffen, der Geschütze sowohl wie sämtlicher Musketen, beraubt worden. Seine letzte Hoffnung blieben die Pferde, – und er besaß nur noch einundzwanzig Pferde ...


Als bei flammendem Frührot die Christen die Höhen des Aztaquemecan-Berges überschritten und die Ebene von Otompan, den Weg-der-Toten, überblicken konnten, bot sich ihnen – südwärts nach dem Schilfsee zu – ein wundersamer Anblick dar. Zuerst trauten sie ihren Augen nicht – : bedeckte etwa – jetzt im heißesten Hochsommer – frischgefallener Schnee die Savanne? Fernhin, so weit der Himmel blaute, blinkte die Ebene leuchtend weiß. Und doppelt grell blendete der schneeige Schimmer, beschienen von zwei Sonnen – der im Osten aufgehenden und einer anderen, beinahe ebenso hellen, die von Teotihuacan her erstrahlte. Denn auf der Spitze der Sonnenpyramide befand sich ein riesenhaftes schwarzes Steinbild des Sonnengottes mit einem goldenen Spiegel auf der Brust, der die Strahlen der aufgehenden Sonne auffing und dem »Gefilde am Wasserrande«, dem Bereich des Drei-Städte-Bundes, zuwarf, auch Otompan streifend. Die Augen der Schauenden gewöhnten sich erst allmählich an den Flimmer und Glimmer, bis sie unterscheiden konnten, daß es die schlohweißen Kriegsmäntel, die Reiherfederwämse und die Baumwollpanzer der hunderttausend Feinde waren, die sie für Schnee gehalten hatten.

Das Dorf Tonan Ippan – Angesichts-unserer-Mutter –, wo der Überwältiger mit seinen Heerscharen lagerte, war eine Stunde Wegs vom Berg entfernt. Unbelästigt konnten die Christen in die Ebene hinabsteigen. Ein Azteke von mächtigem Gliederbau erwartete sie dort mit Schild und Sägeschwert und forderte zum Einzelkampf heraus. Der junge Alonso de Ojeda und Juan Cortes, ein Negersklave des Cortes, nahmen die Herausforderung an. Ohne ersichtlichen Grund schreckte der aztekische Hüne im letzten Augenblick zurück und schwand in der Ferne.


Düster und stumm schritten nun die Kastilier auf dem Weg-des-Todes der Schlacht entgegen. Dicht vor dem Feinde ließ Cortes haltmachen. Das ganze Heer kniete nieder, während Pater Olmedo ein Gebet sprach und Gottes Segen auf die Kreuzfahne und ihre Streiter herabrief.

Dann hielt Cortes eine kurze erstraffende Redes

»Ihr habt keine Kartaunen mehr«, rief er, »Bresche zu legen in die Menschenmauern dort, Musketen, welche die Götzenanbeter für Zauber hielten, habt ihr nicht mehr, die Aureole des Schreckens schwand von euch, nicht mehr für unwiderstehlich, nicht mehr für Götter geltet ihr, nichts blieb euch als euer Schwert und Gottes Beistand! Der Feind brüstet sich mit seiner Zahl. Doch der eine Gott ist mehr als sechzehnhundert Götter. Ein Fels ist unser Gottvertrauen, unser Bewußtsein, daß wir Christen sind, die gegen die Ungläubigen kämpfen! Zeigt diesen Heiden, daß die Unzucht der Vielen nichts vermag, die Zucht der Wenigen aber alles! Zeigt ihnen, daß hunderttausend Wellen zerschellen müssen an einem – wenn auch kleinen – Felsen!«

Nachdem er so die Kleinmütigen ermannt und die Mutigen entflammt hatte, schritt Cortes die Reihen seines Heeres ab. Und er ermahnte, die Schwerter mehr zum Stoß als zum Schlag zu gebrauchen und vor allem an die Hauptleute des Feindes heranzudringen und sie niederzustechen, da nichts so sehr geeignet sei, ein Heer zu lähmen, als der Verlust seiner Führer. Die Arkebusiere – es waren ihrer nur noch zwölf– und die Kavalleristen stellte er zuäufierst an den rechten und den linken Flügel auf und ermahnte die Reiter, in Trupps zu fünf Mann vorzustürmen, auch schärfte er ihnen ein, mit ihren Lanzen nicht nach der Brust, sondern nach dem Gesicht, nach den Augen der Indianer zu zielen – wie es Maria de Estrada stets getan hatte.


Bejel rührte die Trommel. Ein Schmetterton aus der lilienförmigen Trompete des Sebastian Rodriguez flatterte wie eine Lerche lustig empor ins Ätherblau.

»Santiago und los auf sie!« rief Cortes.

Die Schlacht hatte begonnen. Und gleich beim ersten Anprall gab die Menschenmauer nach, durchbrochen von der Wucht des christlichen Ungestüms. Freilich, auf die Ebbe folgte alsbald die Flut. So viele Mexikaner tot am Boden lagen, so viele brausten und sausten heran, unbekümmert um das Los, das ihrer harrte. Im Regen der fliegenden Steine, Wurfspieße und Pfeile aber sank mancher der Kastilier und Tlascalteken getroffen hin, und die kleine Schar fing an, merklich zusammenzuschmelzen.

Indes alle Versuche der Azteken, das Christenheer zu umzingeln, wurden jedesmal durch die Kavallerie vereitelt. Alvarado, dessen Fuchsstute in der Nacht der Schrecken umgekommen war, ritt eins der Pferde des Narvaez. Er und Avila und Olid – jeder von vier Reitern umringt– fegten durch die Reihen der Feinde wie der Herbststurm durch welke Blätter. Sie glichen nicht menschlichen Wesen, sie glichen Reitern der Apokalypse.

Die Skelettgestalt des Todes schien zwischen ihnen zu reiten, mit breiter Sense Menschenhaufen gleich Kornähren niedermähend. Von grausiger Schönheit aber war Sandoval umkleidet. Einem Erzengel ähnlich mit flammendem Schwert, blitzte er auf seinem dunkelbraunen Hengst Motilla durch das dichteste Gedränge und begründete an diesem Tage den Ruhm seines Löwenmutes und seiner Heldenschaft ohnegleichen.

Cortes leitete die Schlacht durch Zuruf und Signale. Er sprengte hierhin und dorthin, war überall, wo er ein Wanken spürte. Seine Mahnungen und mehr noch sein Beispiel erstarkte die Erlahmenden. Wie ein Soldat focht er und teilte die Lebensgefahr seiner Kameraden. Sein Koller und Brustharnisch trieften vom Blut seiner Wunden. Die in Tlacopan erhaltene Kopfverletzung war noch nicht geheilt, die Narbe brach auf, und schon schlug ihm ein Steinwurf eine zweite schwere Kopfwunde. An der linken Hand büßte er drei Finger ein. Sein Rappe Romo, von Pfeilen bespickt und zerfetzt an jedem Teil seines Körpers, brach vor Blutverlust zusammen. Cortes bestieg den Apfelschimmel Molinero.

Vier Stunden währte die Schlacht in glühender Sonne, in glühendem Kampf. Schweißgebadet fühlten die Streiter ihre Zungen und Kehlen verdorren, ihre mordenden Arme müde werden des Mordens. Den Christen begannen schließlich Kraft, Mut und Hoffnung zu schwinden. Sie wichen. Cortes hielt die Fliehenden auf, flehte sie an, wetterte sie an:

»Was tut ihr, Wahnsinnige ihr! Wollt ihr euch wie Hunde von den Heiden abstechen lassen? Bedenkt, daß keine andere Wahl uns blieb als Sieg oder Tod!«

Es gelang ihm ein letztes Mal, die Wankenden voranzutreiben. Er wußte, daß es ihm nicht wieder glücken würde. Er hatte ein Trostwort bereit für jeden Verzweifelnden, für die eigene Verzweiflung hatte er keinen Trost.

Da, in der höchsten Not, erblickte er aufragend über die Köpfe der herandrängenden Mexikaner einen von strahlendem Gefolge umgebenen und von königlichen Tlamamas getragenen goldenen, mit schwergoldenem großen Blumengerank verzierten Tragsessel. Darin saß ein fürstlieh gekleideter Azteke, von dessen Rücken ein anderthalb Klafter hohes, sich spitz (wie der Querschnitt einer Birne) verjüngendes, mit einem Quetzalfederbusch gekröntes Goldnetz aufragte. Zu weit entfernt war der Azteke, als daß Cortes seine Gesichtszüge hätte unterscheiden können. Doch das Goldnetz war ihm bekannt: bei einem Kriegerfest in Tenuchtitlan hatte er es auf dem Rücken Montezumas gesehen. Es war die Matla Xiquipilli, »Netz-Sack«, genannte Devise der Könige Mexicos. Mit Recht folgerte Cortes, daß auf dem Goldstuhl der Bruder Montezumas, der Überwältiger, Mexicos neuer König, sitzen müsse.

»Vorwärts, Kameraden!« schrie Cortes. »Los auf den Goldstuhl dort! Ist erst der Goldstuhl unser, ist unser auch der Sieg!«

Und er trieb den Keil hinein tief in das Gewimmel der haßerfüllten Myriaden. Hinter ihm und seinen tapferen Begleitern schloß sich die Bresche, und die Menschenwogen umbrandeten ihn wie Sintflutgewässer.

Dennoch drang er vor. Er durchstach drei der Träger, so daß der Goldsessel zu Boden sank. Und mit einem Schwerthieb schlug er dem Überwältiger einen tödlichen Nackenhieb.

Juan de Salamanca, der neben Cortes focht, sprang vom Pferd, trennte das Haupt des Mexikanerkönigs vom Rumpfe und hob es empor wie ein Gorgonenhaupt. Brüllend stoben die Azteken auseinander. Sodann riß Juan de Salamanca das Goldnetz von der Schulter des Geköpften und reichte die Königsdevise Cortes hin mit den Worten:

»Ihr, gnädiger Herr, habt ihn gefällt! Euch gebührt das Siegeszeichen. Schaut, Ihr habt gesiegt! Alexanders des Großen Sieg über Darius war nicht wunderbarer!«

Der Anblick der Königsdevise in der Hand des christlichen Führers trieb die Heerscharen, die Hunderttausende, in die Flucht. Bei der Verfolgung töteten die Christen zwanzigtausend Feinde. Eine unermeßliche Beute, auch das königliche Heerlager, fiel ihnen in die Hände.


Die reichste Trophäe erbeutete der Reiter Don Pedro Gallejo. Während der Plünderung des Lagers war er, begleitet von seinem Freund Francisco Martin de Vendabal, als erster in das königliche Zelt eingedrungen und hatte die Königin Maisblüte bei der Hand gefaßt und für seine Gefangene erklärt. Nachdringende raubsüchtige Gesellen, die der Königin den Schmuck vom Leibe reißen und wenn nicht ihr, so doch ihren prinzlichen Frauen Gewalt antun wollten, waren von den beiden Freunden verscheucht worden.

Gallejo und Vendabal waren vor bald einem Jahr, als das Christenheer sich bereits auf dem Wege nach Sempoalla befand, in Vera Cruz mit dem galanten Salcedo, Luis Marin und Antonio de Quifiones gelandet. Auf der Universität Salamanca hatten sich die beiden Freunde gefunden und waren unzertrennlich seitdem. Sie waren Hidalgos, hatten schmale lange Gesichter und schöngeformte längliche Schädel. Ihre Erziehung, Universitätsbildung und angeborenes Kavaliertum schied sie ab von den meisten Goldsuchern jener Zeit. Sie waren ernst und schweigsam. Besonders Don Pedro Gallejo schien beschwert von einer heimlichen Kummerlast, für die er vielleicht selbst keine Ursache wußte ...

So unerwartet, so jäh war das Unglück über Maisblüte hereingebrochen, daß sie in ihrer Seele keine Schutzwaffen, keinen Panzer fand, der grauenvollen Wirklichkeit zu begegnen. Eben noch die mächtigste Königin, war sie jetzt die Sklavin eines kastilischen Reiters. Da beschloß sie, sich durch Stummheit zu wehren und zu bewahren. Sie hoffte durch ihre Stummheit einen Wall errichten zu können zwischen sich und der Schändung, die für sie jeder Blick, jedes an sie gerichtete Wort bedeutete.

»Fürchte nichts, o Königin«, sagte Gallejo auf mexikanisch. »Zwar nahm ich dich gefangen, doch nur um dich zu schirmen und ein schlimmeres Los von dir fernzuhalten! Nicht meine Sklavin bist du – deine Schönheit macht mich zu deinem Sklaven! Jedes deiner Worte wird mir ein Befehl sein!«

Maisblüte schwieg. Ihre Frauen heulten laut, sie lächelte verächtlich, unnahbar. Eine Kränkung war ihr Schweigen – sie wischte damit das Dasein des Kastiliers aus. Sie blickte durch ihn hindurch wie durch eine Dunstgestalt. Aber Gallejo ließ sich nicht abhalten, ihr weiter ritterlich Trost zuzusprechen. Kein Blick ihrer fernschweifenden Augen belohnte ihn.

Sie hörte seine Worte nicht einmal, hätte sie hingehorcht, sie hätte verächtlich gelacht – in so fehlerhaftem Mexikanisch waren sie geradebrecht. Doch sie war taub und blind für die Außenwelt. Sie sah sich auf der hellgelben, weinrot gefleckten Onyxtreppe am Lagunenufer stehen, und sie sah die erleuchtete, mit Toten bemannte Königsgaleere in den Tiefen des Schilfsees. Und in den Ohren klangen ihr die Worte des alten Zauberers: »Eine schwere Last legen dir die Sterngötter auf den Rücken, o Königin!« – und ihre eigenen Worte dann: »Wer bin ich, daß der Himmel mich zur Blume macht? Daß der Himmel mich auf knospen macht?« Da ward sie sich plötzlich bewußt, daß sie ihre Kindespflicht nicht erfüllen, daß sie ihren Vater nicht bestatten könne. Und obgleich ihre Augen düster, starr und hart in die Weite blickten, näßten sich die Augenlider, und zwei große Tränen rollten über ihre Wangen herab.

Don Pedro Gallejos Herz aber jauchzte und ächzte –: sie war nicht gefühllos, und sie litt I Seine Tröstung habe sie erweicht, dachte er, denn er hatte ihr vom Tod des Überwältigers, ihres Gemahls, gesprochen.


Olid trat in das Königszelt. Seine Begleiter, einige zwanzig handfeste Kriegsknechte, blieben vor dem offenen Zelteingang. Alvarado, der eben vorbeieilte, blieb stehen. Unverkennbar durch das Kolibrifedermosaik und die goldenen Stangen war das prangende Obdach des Königs von Mexico. Alvarado ärgerte sich, daß er zu spät gekommen war. Bei einem der Umstehenden erkundigte er sich und erhielt zur Antwort: Gallejo und Vendabal hätten mehrere Leute des Olid aus dem Zelt gewiesen, als diese die Frauen wegschleppen wollten. Alvarado blieb und wartete ab, welche Wendung der Zwist nehmen werde.

Olid war dicht vor Königin Maisblüte hingetreten. Seine Augen verschlangen sie gierend. Doch nicht ihre Schönheit war es, die seinen dicklippigen Bandenführermund erstrahlen machte. Im Tecpan des Königs Wassergesicht war er ihr oft begegnet, wenn sie ihren Vater besuchte – daher wußte er, daß die Tochter Montezumas vor ihm stand. Und nicht anfechtbar war ihre Tochterschaft wie die Marinas.

Seit dem Tode des Vom-Himmel-Gestiegenen und der jüngeren Prinzen lebte kein männlicher Nachkomme Montezumas mehr. Maisblüte war die Erbin, zweier Könige Erbin: des Zornigen Herrn sowohl wie des Überwältigers. Noch tags zuvor hatte er Cortes von den verstiegenen Plänen des Velazquez de Leon gesprochen, die sich auf die ephemeren Ansprüche Marinas aufbauten. Wie ganz anders begründet aber würden die Ansprüche dessen sein, der Maisblüte besaß. Und war Cortes so sehr der Narr seines Gewissens, daß er die Hand nach der Goldfrucht des Glückes nicht ausstrecken wollte, so war er – Olid – entschlossen, den Apfel der Hesperiden vom Ast zu pflücken, der sich ihm entgegenbog ...

Olid nahm Gallejo beiseite und flüsterte:

»Tretet sie mir ab! Ihr sollt es nicht bereuen!«

»Señor, Ihr fordert Unerfüllbares!.,.« erwiderte Gallejo.

Olid blickte starr zu Boden. Seine Augen verfingen sich am Schmuck der Königin. Gleich nach dem verhängnisvollen Ausgang der Schlacht und noch bevor die Christen in ihr Zelt gedrungen waren, hatte sie sich ihres fürstlichen Schmuckes entledigt. Olid bückte sich schnell und hob einen Smaragd von unerhörter Größe auf. Der fehlerlose Smaragd war als Stufenpyramide, dem Schlangenberg ähnlich, geschliffen. An der Basis hatte er den Umfang eines Handtellers und erhob sich zwei Zoll hoch. Mit ihm verglichen, war der faustgroße Smaragd des Cortes (den ihm die dicke Prinzessin vor ihrer Hochzeit geschenkt hatte) unscheinbar und unschön, da er roh bearbeitet war und einige Brüche aufwies, während dieser durchscheinend blinkte wie ein grünflimmernder Himmelskörper. Sein Wert mußte unermeßlich sein. Ein kleiner Gletscher war er, der ewig ferne Smaragdfels des Diego de Ordas schien gefunden zu sein ...

Am Morgen nach der Schlacht der Schrecken hatte der Überwältiger dies Kleinod aus Iztapalapan holen lassen und es Maisblüte um den Hals gehängt, als sie seine Gemahlin und Königin wurde.

»Dies ist meine Beute«, sagte Olid. »Da Ihr die Pyramide übersaht, gehört sie mir!«

Vendabal bemerkte trotzig:

»Gewiß, Señor, Euch gehört die Pyramide – wenn der Rechnungsführer Albornoz sie Euch läßt und sie nicht für Seine Majestät Don Carlos de Austria beansprucht!«

Olid würdigte Vendabal keines Blickes und keiner Antwort. Zu Gallejo gewendet, fuhr er fort:

»Das wißt Ihr, daß ich gezwungen noch nie herausgab, was ich mir nahm. Aber vielleicht tue ich es aus freien Stücken. Ich biete Euch einen Tausch an. Überlaßt mir die Königin und nehmt dafür die Smaragdpyramide – sie hat auf Erden ihresgleichen nicht!«

»Auch die Königin hat auf Erden ihresgleichen nicht!« sagte Gallejo ruhig. »Was Ihr fordert, kann ich nicht tun!«

»Ein Wahnsinniger seid Ihr!« schrie Olid. »Und ich war ein Tor, daß ich bat, statt Euch zu befehlen und Euch zu strafen, wie Ihr es verdient. Was habt Ihr Euch angemaßt! Mit welchem Recht habt Ihr meine Leute fortgewiesen und sie gehindert, sich die Frauen zu nehmen, die ihre Sklavinnen sind?«

»Diese Frauen sind die Sklavinnen der Königin!« rief Vendabal.

»Jawohl, der Königin Venus, der Liebeskönigin!« lachte Olid barsch. Und an den Zelteingang tretend, rief er seinen Soldaten zu:

»Holt sie euch! Ich erlaube es!«

Sofort stürzten sich zwanzig Landsknechte ins Zelt und schleppten die schluchzenden Frauen hinaus. Nur an Maisblüte sich zu vergreifen, wagten sie nicht, da sie wußten, daß Olid sie begehrte.

Gallejo und Vendabal hatten die Schwerter gezogen und sich schirmend vor Maisblüte gestellt.

»Schert euch zum Teufel, wenn euch das Leben lieb ist!« brüllte Olid. Und auch er entblößte sein Schwert und drang auf die beiden ein.

Vendabal focht mit ihm, während Gallejo Maisblüte aus dem Beireich der klirrenden Klingen in einen andern Teil des Zeltes führte.

Da ertönte ein Aufschrei Vendabals:

»Es ist aus mit mir! Räche mich, Pedro!«

Und mit durchbohrter Brust sank Vendabal zu Boden.

Gallejo ließ Maisblüte stehen und stürmte auf Olid zu. Wenn er beim Fechten sich selbst überbot und den bärenstarken Olid in die Enge trieb, so war es nicht der Gedanke an sich und Maisblüte, der ihm übermenschliche Kraft und Geschicklichkeit verlieh und ihn geradezu in eine blitzschnell überlegene, zielende, treffende Stahlschneide verwandelte, sondern der irre, dumpfe Wunsch, den Freund zu rächen. Auf die Dauer allerdings hätte er Olid nicht die Stim bieten können.

Da wurden plötzlich die Fechtenden getrennt. Alvarado schlug Olid das Schwert aus der Hand und trat aufs Schwert, so daß Olid es nicht aufheben konnte. Gallejo wäre jetzt imstande gewesen, Rache zu nehmen für seinen Freund. Einen Wehrlosen niederzustechen, erlaubte ihm jedoch seine Ritterlichkeit nicht.

Erblaßt war Olid. Er senkte den Kopf wie ein Stier, der die Erde aufwühlt. Stumm warf er sich auf Alvarado und suchte ihn zu erwürgen.

Lange währte der Ringkampf der Feldobristen nicht. Cortes war ins Königszelt getreten und schlichtete den Streit.

Der Totschlag an Vendabal ließ sich nicht strafen, da Vendabal als erster die Waffe aus der Scheide gezogen hatte und fechtend gefallen war. Dennoch war Olid schuldig genug. Er leugnete seine Schuld auch gar nicht, ernüchtert wie nach einem Rausch, gestand er sogar ein, daß er sich schuldig fühle. Von Cortes ließ er sich ohne viel Widerspruch zwingen, die Smaragdpyramide dem Rechnungsführer Albornoz auszuhändigen. Allgemein fiel seine Bereitwilligkeit auf, Alvarado und Gallejo die Hand zu reichen. Auf nichts Gutes deutete so viel Selbstbeschränkung. Auf nichts Gutes deuteten auch die Worte Gallejos, als er in die ausgestreckte Hand Olids seine Hand zu legen sich weigerte!

»Gott vergebe Euch, Don Cristobal. Ich kann Euch nicht vergeben!«

Gewissermaßen als Sühne für die erlittene Unbill wurde Gallejo die Königin als Eigentum zugesprochen. Hinter rücksichtsvoller Höflichkeit verbarg Cortes seinen Groll gegen Maisblüte. Die Strafe für die Ermordung ihres zweiten Gatten Alonso de Grado, den sie ins überhitzte Temazcalli gelockt und dort verbrannt hatte, war ihr erlassen worden. Bei den letzten Kämpfen in Tenuchtitlan hatte Cortes sie aus der Haft in den Schatzkammern befreit und sie in den Huei-Tecpan zum Herabstoßenden Adler geschickt, um Waffenruhe und freien Abzug für die Christen zu erwirken. Sie war nicht zurückgekehrt» und statt Waffenruhe hatte ihr Gang erneute und noch wildere Sturmangriffe zur Folge gehabt. Einen Teil der Schuld an allem Jammer der Nacht der Schrecken schrieb Cortes ihrem Wortbruch zu und haßte sie deshalb. Aber seitdem, das goldene Netz überreichend, Juan de Salamanca ihn mit Alexander dem Großen verglichen hatte, war er sich seiner weltgeschichtlichen Verantwortung mehr denn je bewußt. Und da er sich entsann, daß der Makedonierkönig die Witwe des Darius mit äußerster Zuvorkommenheit behandelt hatte, ließ er es an Liebenswürdigkeiten auch der Witwe des Überwältigers gegenüber nicht fehlen. Er war gescheit genug, die feinen Fäden zu unterscheiden, die zwischen Olids Bestreben, sich der Königin zu bemächtigen, und seinen letzthin gemachten Äußerungen über die Pläne des Velazquez de Leon gesponnen waren. Und in einem Gespräch unter vier Augen mit Gallejo ließ er eine Bemerkung darüber fallen, wie lieb es ihm sein würde, wenn Gallejo, um eine Wiederholung des Streites zu vermeiden, möglichst bald sich von Pater Olmedo mit Maisblüte trauen lassen wollte.


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