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Orteguilla weinte immerzu. Er war wie ein Vogel, der vor Beginn eines Erdbebens hin und her flattert und selbst nicht weiß, was ihn ängstigt. Er fühlte, daß eine Veränderung vor sich gegangen war, und hätte doch nicht angeben können, welche – außer daß Montezuma ihn nicht mehr verhätschelte, nicht mehr beschenkte, nicht mehr so herzlich mit ihm sprach wie früher.

Bald nach dem Besuch im Schlangenberg sagte Montezuma zum Vorsteher des Hauses der Teppiche, es sei sein Wunsch, daß das große Freudenhaus von Tlatelolco zerstört werde. Der Befehl wurde sofort ausgeführt, das Gebäude wurde niedergerissen, und die Freudenmädchen wurden im Schilfsee ertränkt. Und nachdem dies geschehen war, führte Montezuma ein ernstes Gespräch mit Cortes.

Die Zeit sei um. Nach dem Lehnseid habe Cortes mit dem Christenheer in das Land jenseits des Meeres zurückkehren wollen. Das müsse er jetzt ausführen. Nicht daß die Anwesenheit der Christen in Tenuchtitlan ihm selbst etwa lästig wäre. Im Gegenteil. Er habe die Söhne der Sonne liebgewonnen und trenne sich ungern von ihnen. Doch weil er sie liebhabe, wünsche er ihren Tod nicht. Er würde sie aber, falls sie länger blieben, vor dem Untergang nicht bewahren können. Denn der Kriegsgott Huitzilopochtli verlange neuerdings die Ausrottung der Sonnensöhne.

Cortes erwiderte mißmutig:

»Euer Kriegsgott sagt, was Eure Priester sagen. Und den Mund Eurer Priester könnten Majestät wohl stopfen ... Doch sei dem, wie ihm wolle. Ich habe unseren Aufenthalt in Mexico stets als vorübergehend betrachtet und habe vor, in meine Heimat zurückzukehren. Das ist jedoch so leicht nicht auszuführen, wie Euer Majestät anzunehmen scheinen. Die elf großen Schiffe, die uns über das Meer brachten, sind ein Raub der Flammen geworden. Ich muß erst an der Küste elf neue große Schiffe bauen lassen, ehe ich – frühestens nach einem Jahr – an die Rückreise denken kann. Sofort werde ich meinen Schiffbaumeister nach Vera Cruz senden und ersuche Euer Majestät, mir aztekische Zimmerleute zur Verfügung zu stellen.«

Montezuma spürte den Hohn so deutlich, daß er fürchtete aufzubrausen, ein unbedachtes Wort zu sprechen. Mit aller Mühe zwang er sich, seinen lächelnden Gleichmut zu bewahren. Und er sagte zu, die Zimmerleute zur Verfügung zu stellen. Auch das war ein grimmer Hohn, da er wußte, was an der Meeresküste vorging. Und fast hätte er hell aufgelacht.

Martin Gutiérrez, der Schiffbaumeister, brach mit vielen hundert aztekischen Zimmerleuten und Arbeitern nach Vera Cruz auf – noch bevor Cortes von Sandoval einen Brief erhielt, der ihn aus dem Himmel seiner Ahnungslosigkeit riß.


Der Schiffbaumeister hatte bereits den Popocatepetl hinter sich, als er in einer engen Schlucht laufenden Lastträgern begegnete, welche wunderliche Lasten trugen. Über und über mit Stricken verschnürt, saßen auf Tragsesseln sechs Europäer, unfähig, ein Glied zu rühren, als wären sie Warenballen. Ein siebenter ungefesselter Kastilier wurde hinterdrein getragen, und in ihm erkannte Martin Gutiérrez näher kommend einen gewissen Ruy de Venegas, einen Untergebenen Sandovals.

So eng war die Schlucht, daß die Träger ihren Lauf unterbrechen und im Schritt am langen Zug der aztekischen Arbeiter sich vorbeidrängeln mußten. Die Zungen der lebenden Warenballen waren nicht gefesselt, und eine Schlammflut von Schimpfereien und Flüchen ergoß sich über den baß erstaunten Schiffbaumeister. Als er an Ruy de Venegas vorbeikam, hielt er ihn an, begrüßte sich mit ihm und fragte nach Ursache und Zweck des merkwürdigen Transportes.

»Wer sind die Leute?« fragte er.

»Die ersten Racheengel des Gobernadors von Kuba, Vorboten einer größeren Schar!«

»Wo kommen sie her?«

»Aus Sempoalla.«

»Was?! ...«

»Ja. Panfilo de Narvaez, der Neffe des Diego Velazquez, hat im Süden von Vera Cruz dreizehnhundertundfünfzig Mann aus achtzehn Karavellen ausgeschifft, ist ins Totonakenland gezogen, hat Freundschaft mit unserem dicken Kaziken geschlossen und residiert nun in Sempoalla. Dort hat er eine Gerichtssitzung abgehalten–seine eigenen Soldaten verlachten die Afferei –, und er hat Cortes zum Tode verurteilt!«

»Zum Teufel! Das weiß Cortes noch nicht!«

»Inzwischen wird er es durch einen Schnellboten Sandovals erfahren haben. Erst vor drei Tagen zog Narvaez in Sempoalla ein. Wir hörten's von einem totonakischen Kundschafter und auch, daß Narvaez Absichten auf die Hafenfestung habe. Unsere kleine Mannschaft beschloß, Cortes Treue zu halten. Wir ließen uns nicht blicken, als sechs Mann angerückt kamen.«

»Warum nicht mehr?«

»Don Panfilo meinte vermutlich, seine Aufforderung sei wie die Trompeten von Jericho und reiße Mauern nieder ohne Schwertstreich. Als Herolde seines Willens hatte er einen Geistlichen namens Guevara, ferner einen gewissen Amaya – einen Verwandten des Diego Velazquez –, einen Gerichtsschreiber Vergera und drei Zeugen abgesandt. Wir aber hatten beschlossen, diese Narren, die uns Verrat zumuteten, gehörig abblitzen zu lassen. Daher ließen wir uns nicht blicken, als sie herankamen, so daß sie bloß schaufelnde Indianer an den Festungswerken sahen. Sie schritten durchs Stadttor, schritten durch die Gassen und begegneten keiner Menschenseele, mußten wohl glauben, in einer verzauberten Stadt zu sein. Am Marktplatz gewahrten sie, daß die Kirchentür offen war: sie traten ein, knieten, beteten, und dann überlegten sie, welches wohl das Haus des Kommandanten sein möge, denn niemand war, den sie hätten fragen können. Weil es ihnen am größten schien, gingen sie geradeswegs in Sandovals Haus hinein. Dort, im Sitzungszimmer versammelt, hatten wir auf der Lauer gelegen, hatten durchs Erkerfenster die Großspurigen beobachtet. Herablassend rief uns der Geistliche ein ›Wohl ergehe es euch‹ zu, und schmunzelnd erwiderten wir den Gruß. Als er sich aber darüber ausließ, wieviel Geld Don Diego Velazquez in die Ausrüstung der verbrannten Schiffe gesteckt habe, und als er Cortes einen Dieb nannte, der das ihm anvertraute Gut schmählich veruntreut habe, wurde es uns doch zu bunt, und einige von uns hätten den Verleumder übel zugerichtet, hätte Sandoval sie nicht abgehalten. Sandoval verwies dem Clerigo die Lügenreden und sagte sich erhitzend: nur aus Rücksicht auf seinen geistlichen Rock wolle er von einer Bestrafung absehen. Aber auch Pater Guevara geriet in Wut, drohte uns den Galgen an, falls wir uns Narvaez nicht ergeben wollten, und befahl seinem Sekretarius, ein Schriftstück zu verlesen. ›Das verbiete ich!‹ rief Sandoval. ›Zeigt den Wisch meinetwegen in Mexico vor! Wer ihn hier verliest, erhält hundert Stockprügel!‹ Guevara wiederholte den Befehl, Sandoval wiederholte das Verbot. So ging das eine Weile, bis Sandoval alle sechs auf Tragsessel binden ließ und mir den Auftrag gab, sie nach Tenuchtitlan zu bringen und die Tlamamas an allen Rastorten zu wechseln, damit wir im Laufschritt, Tag und Nacht reisend, am vierten Tage bei Cortes sind.«

»Cortes versteht es, fliegenden Pfeilen auszuweichen«, sagte Martin Gutierrez. »Sogar fliegende Musketenkugeln vermag er aus der Bahn zu lenken, sie wohl gar ins Feuerrohr zurückzubannen ... Ich hab's erlebt ... Doch ob diesmal seine Waffensalbe stark genug sein wird ...?

»Wollt Ihr nicht umkehren, Señor?«

»Nein. Sandoval kann Leute brauchen.«

»Laßt Euch von Narvaez nicht abfangen!«

»Es gibt viele Wege nach Vera Cruz!«

Sie trennten sich. Und Martin Gutiérrez schwenkte nach Nordosten ab, um Sempoalla zu umgehen.


Montezuma blieb es nicht verborgen, daß ein aus der Hafenfestung von einem Schnellboten überbrachter Brief Cortes in große Bestürzung versetzt hatte. Doch als er bald darauf mit Cortes zusammenkam, war jede Spur der Bestürzung geschwunden. Sie spielten Patolli und lachten. Ihre Augen aber lösten derweilen Rätsel. Ihre Blicke suchten sich zu ergründen, einzudringen in die tiefsten Verliese ihrer Seelen. Weißt du's oder weißt du's nicht? forschten die Augen des Cortes. Weißt du's oder weißt du's nicht? forschten die Augen Montezumas.

Und eine schlaflose Nacht hatte darauf Montezuma. Er überlegte: Je später Cortes das Geheimnis erfährt, um so vernichtender muß der unerwartete Schlag ihn treffen. Allzuspät wiederum darf er es nicht erfahren, sonst würde er sich rächen für die Verheimlichung ....

Und als Cortes mit Offizieren und Soldaten am folgenden Morgen Montezumas Gemächer betrat, sich nach seinem Befinden zu erkundigen, brach Montezuma in ein helles, beinahe krankhaftes Lachen aus und war längere Zeit nicht imstande, es niederzukämpfen. Cortes besaß genug Humor, sich nicht gekränkt zu fühlen.

»Es freut mich, daß Euer Majestät so munter sind. Ich darf wohl mit Recht annehmen, daß Majestät einen besonderen Grund zu solcher Heiterkeit haben!«

»Freilich habe ich Ursache, mich zu freuen!« sagte Montezuma, plötzlich ernst werdend. Und er ließ sich vom Weiblichen Zwilling ein Hirschhautpergament reichen.

»O Grüner Stein«, sagte er vorwurfsvoll, das Pergament entfaltend. »Warum bist du nicht offen genug gegen mich! Warum hast du es mir verborgen gehalten! Eben habe ich es durch einen Boten erfahren: achtzehn große Wasserhäuser sind – nicht weit von deiner Meeresfestung – an der Küste erschienen, und viele eurer Brüder und Hirschungeheuer sind an Land gegangen. Du mußt das schon lange gewußt haben ...«

»Ich habe es nicht gewußt!« rief Cortes erregt.

Montezuma reichte ihm lächelnd die Bilderhandschrift hin, auf der die achtzehn Schiffe und ihre Bemannung gemalt waren.

»O großer Krieger, o weißer Gott!« sagte Montezuma mit unverhohlenem Hohne. »Ich hätte wohl Ursache, gekränkt zu sein. Doch mehr Ursache habe ich, froh zu sein. Wir werden nicht mehr ein Jahr lang Wasserhäuser bauen müssen an der Meeresküste. Du und alle Söhne der Sonne werdet nun bald auf den Wasserhäusern eurer Brüder ins Land des Sonnenaufgangs zurückkehren!«

Kastilische Soldaten eilten laut jubelnd zum Saal hinaus, ihren Kameraden die Glücksnachricht zu verkünden, daß der Kaiser Don Carlos ihnen ein Hilfsheer gesandt habe. Alle christlichen Soldaten, Lagerdirnen und Tlascalteken lärmten jauchzend, von einem Taumel gewirbelt. Und während draußen Freudenschüsse aus Musketen- und Feldschlangenrohren erschollen, brachte Cortes es über sich, den König anlächelnd, zu sagen:

»Dank sei dem Allmächtigen, der im rechten Augenblick hilft!« –

Wutschnaubend kam der Priester Guevara in Tenuchtitlan an. Luis Marin war ihm von Cortes entgegengeschickt worden, um ihn und seine fünf Leidensgefährten von den Tragsesseln loszubinden und Entschuldigungen im Namen des General-Kapitäns vorzubringen. Doch die Entschuldigungen hatten die Wut nur gesteigert. Und Cortes gegenübertretend, zeterte der Priester und schleuderte Bannflüche.

Geduldig ließ Cortes die Zornwellen über sich ergießen. Er wartete ab, bis die rotverquollenen Strafpredigeraugen abblaßten, abschwollen, wieder fähig wurden, die Umwelt zu schauen. Dann schlug er einen Rundgang durch die Stadt vor.

Der Anblick der Pracht Tenuchtitlans tat seine Wirkung. Verdutzt und ein wenig beklommen gab Guevara zu, daß es kein Kinderspiel gewesen sei, ein so mächtiges Reich der spanischen Krone anzugliedern.

»Und wenn alles Erreichte in Frage gestellt wird, Padre – meint Ihr, daß der Kaiser Don Panfilo dafür loben wird? Ihr seid doch ein kluger Mann – wie denkt Ihr darüber?« fragte Cortes bestrickend liebenswürdig.

Guevara gab keine Antwort – und das konnte als Antwort gedeutet werden. Die Liebenswürdigkeit des General-Kapitäns machte ihn befangen.

Und dann wurde er vor die angehäuften Goldschätze geführt.

»Noch ist dies Gold das Eigentum unseres Kaisers ...«, sagte Cortes.

»Gott verhüte ...!« rief Guevara erschreckt aus.

Sie hatten sich verstanden.

»Gott hat es in Eure Hand gelegt, Señor!« sagte Cortes. »Vergeßt auch nicht das Kreuz auf der großen Tempelpyramide ...«

Und er ließ an Guevara und seine Begleiter reiche Goldgeschenke verteilen. In weniger als vierundzwanzig Stunden waren aus Feinden Freunde geworden.

Guevara versprach, bevor er nach Sempoalla aufbrach, Narvaez' Heer günstig zu beeinflussen. Cortes gab ihm drei Briefe mit: einen an Narvaez, einen an Lucas Vazquez de Aillon, Auditor beim Hieronymitenorden auf Haiti, und einen an den Sekretär des Gobernadors von Kuba, Andres del Duero, der einst seine Bestallung zum General-Kapitän »mit bester Tinte« geschrieben hatte. Im Brief an Narvaez erinnerte Cortes ihn an ihre einstige Freundschaft, an ihre gemeinsam erlittenen Strapazen bei der Pazifizierung der Insel Kuba, er machte ihm freundschaftliche Vorwürfe, daß er keinen Brief gesandt, daß er von seiner Ankunft und seinen Absichten ihn nicht verständigt habe, daß er, den Titel General-Kapitän sich beilegend, in den dem Kaiser gewonnenen Provinzen schalte und walte, friedliche Völker zum Kampf aufstachele, und er beschwor ihn, das glücklich begonnene Werk der Bekehrung dieser Heidenvölker nicht zu zerstören, sondern vereint mit ihm das Werk zu fördern, auf daß sie beide es zu Gottes und des Kaisers Ruhm und Vorteil zu Ende führen könnten.

Pater Olmedo schloß sich Guevara an und nahm viele schwere Koffer mit nach Sempoalla.


Drei Tage später – nach schwerstem inneren Kampf, denn das gärende Tenuchtitlan in diesem Augenblick zu verlassen, war ein Wagestück ohnegleichen – zog Cortes mit nur siebzig Mann Narvaez entgegen. Olid, Avila, Lugo, Papia und Ordas – der vor kurzem von seinem ersten, mißglückten Versuch, den Jungbrunnen zu entdecken, plänereich und unbeirrbar zurückgekehrt war – begleiteten ihn. Den Rest des Heeres, hundertundfünfzig Soldaten, Beamte und Handwerker, ließ Cortes unter dem Oberbefehl Alvarados zur Bewachung Montezumas und der Goldschätze in Tenuchtitlan zurück.

Es wurden jetzt in mexikanischen Landen viele Briefe geschrieben. Sandoval hatte Guevara ungefähr hundert Briefe abgenommen, Drohbriefe, Schmähbriefe, Mahnbriefe, Bestechungsbriefe an die Anhänger des Cortes. Und von Velazquez de Leon, der – nachdem er in Cholula eine Kriegssteuer erhoben und in Tlascala den Fürsten Fichtenzweig dem Gericht übergeben hatte – in die Provinz Coatzacualco (das Land der Schlangenpyramide) am Südostmeer mit seinen hundertfünfzig Mann gezogen war, dort eine Kolonie zu gründen, erhielt Cortes – noch in Tenuchtitlan – einen Brief, dem ein Brief des Narvaez beigeschlossen war. Im Brief Don Panfilos wurde Velazquez de Leon an seine Verwandtschaft mit der Familie Velazquez gemahnt und aufgefordert, vom Rebellen und Piraten Cortes abzufallen, sich dem Heer des Gobernadors von Kuba anzuschließen. In seinem Brief an Cortes aber versicherte ihn Velazquez de Leon seiner Freundschaft und teilte mit, er verlasse das Land der Schlangenpyramide, um in Cholula, wenn Cortes nach Sempoalla ziehe, mit ihm zusammenzutreffen und ihm seine hundertfünfzig Mann zuzuführen.

Beim Lesen dieser Briefe war wohl ein Schatten von Mißtrauen durch Cortes' Seele gezogen und hatte sofort klarer Einsicht weichen müssen, wie ein Gespenst dem Tagesschein weicht. Auf wen war Verlaß, wenn nicht auf den Treuesten der Treuen. Und dennoch eine Spur, unsichtbar wie ein Duft, hatte der Schatten zurückgelassen – ein kaum bewußtes Angstgefühl. Leon hieß Velazquez. Er war einst an den Sanddünen ein erbitterter Gegner gewesen. Und seit am Südwassersee von Xochimilco La Aztecas wegen Marina Tränen vergossen hatte, war zwischen ihm und Cortes eine leise Verstimmung ...

Cortes ließ Marina in Tenuchtitlan zurück. Sie hatte beim Ringkampf mit Montezuma Schaden genommen und mußte das Bett hüten. Zum erstenmal verließ er sie, voll böser Ahnungen verließ er sie, die ihrer schweren Stunde entgegensah, während Trompeten auf dem Blachfeld schmetterten.

Von Montezuma Abschied nehmend, sagte er: nach Sempoalla ziehe er aus keinem anderen Grunde als nur, um seine Brüder zu begrüßen und zu hindern, daß sie mexikanisches Land verwüsteten. Auch wolle er sie bitten, ihn und sein Heer – sobald sie die Rückreise antreten sollten – mit auf ihre Schiffe zu nehmen. In wenigen Wochen werde er nach Tenuchtitlan zurückkehren und hoffe, daß Montezuma in der Zwischenzeit die Azteken zügeln und eine Kränkung der zurückbleibenden, Alvarado unterstellten Christen nicht dulden werde.

Montezuma versprach es.

Zweimal schon – vor bald einem Jahr – hatte Cortes während kurzer Abwesenheit sich von Alvarado vertreten lassen, und beide Male hatte er es bereut: der Tod des alten Suarez in der Tonne, langwierige Zwistigkeiten mit Avila waren die Folgen gewesen. Und dennoch hatte er ihn jetzt wieder zu seinem Stellvertreter ernannt, weil niemand besser mit Indianern umzugehen wußte; – den Tlascalteken sowohl wie den Azteken war er die Sonne – eine funkelnde, schöne, wenn auch sengende Sonne –, und so sehr stand er in Gunst bei Montezuma, daß er fordern und erwirken konnte, was er wollte.

Vor der Abreise hatte Cortes ihm oft und eindringlichst eingeschärft, Frieden mit den Azteken zu halten um jeden Preis. Und bei seinem letzten Gespräch mit ihm sagte er:

»Die Gefahr ist furchtbar. Kennte ich nicht die Fehler und Schwächen Don Panfilos, ich müßte verzweifeln. Auch hoffe ich auf die Klugheit Pater Olmedos und das Gold in seinen Koffern ... Fast noch größere Gefahr droht euch Zurückbleibenden. Geht der Gefahr geflissentlich aus dem Wege! Und sollten die Azteken sich dennoch erheben, so rettet mein Heer und den Goldschatz auf den Brigantinen! Daß wir die Brigantinen gebaut haben, ist mein bester Trost. Ohne die Brigantinen wäre ich nicht imstande, Narvaez entgegenzuziehen ...!«


In Geschwindmärschen wurde der Wassergau durcheilt, die erste Kordillerenkette überklommen. Als Cortes sich der heiligen Stadt näherte, pochte sein Herz und ließ sich nicht zur Ruhe zwingen. Alles war verloren, wenn Leon ihn im Stiche ließ. Und kein Bote hatte bisher die Ankunft des Hauptmanns gemeldet. Unerträglich wurde die Spannung.

Doch Cortes hatte seinem Freunde Unrecht getan. Am Stadttor Cholulas kam Leon ihm entgegengeritten. Sie umarmten sich, zerdrückten sich die Hände, und ihre Augen schwammen in feuchtem Glanz.

Und weiter zogen sie ostwärts. Schon hatten sie Tlascala und die Große Mauer hinter sich, als ihnen, in einer von Tlamamas getragenen Sänfte, Pater Olmedo begegnete. Er brachte gute Nachrichten. Narvaez stand bei seinen eigenen Leuten wenig in Ansehen, war unbeliebt, seine Großprahlereien wurden nicht ernst genommen. Guevara hatte den Leuten den Mund wässerig gemacht mit seiner Beschreibung der Herrlichkeiten Mexicos. Die Worte und Gaben Olmedos waren auf fruchtbaren Boden gefallen. Fruchtlos freilich war sein Versuch geblieben, Narvaez selbst für den Frieden zu gewinnen, obgleich Lucas Vazquez de Aillon, der Auditor des Hieronymitenordens, seinen Bitten und Ermahnungen beigetreten war. Der heißspornige Auditor hatte sich sogar hinreißen lassen, Narvaez den Tod und die Beschlagnahme seiner Güter anzudrohen, da er durch einen frevelhaften Krieg, nur um Diego Velazquez zu rächen, die Heidenbekehrung vernichten, Gott und den Kaiser schädigen wolle. Zu feige, Vazquez de Aillon zu strafen, hatte Narvaez ihn auf eines der achtzehn Schiffe bringen lassen und nach Kuba zurückgeschickt. Von Olmedos schon beschlossener Einkerkerung war Narvaez durch den Sekretär Andrés del Duero abgebracht worden. Doch wurde Olmedo aus Sempoalla hinausgewiesen.

Er überbrachte Cortes einen frechen Brief Don Panfilos. Cortes sandte eine höfliche Antwort zurück und setzte den Weg nach Osten fort.

Beim Weißen Mondgefilde stieß Sandoval mit sechzig Mann aus Vera Cruz zu ihm.

Zwei von diesen, Alfonso Palanco und Bernardo Mendez, hatten vor wenigen Tagen als indianische Fruchthändler verkleidet und bemalt – sie sprachen ausgezeichnet Mexikanisch – sich in Sempoalla eingeschlichen und, frei unter den Leuten des Narvaez umhergehend, gekundschaftet. Cortes erfuhr von ihnen alles, was ihm zu wissen nötig war.

Unter anderem hatten sie in Erfahrung gebracht, daß Narvaez vom Narren Madrid und dem alten Heredia gänzlich falsch unterrichtet worden war. Diese beiden Überläufer hatte Pizarro, Cortes' Neffe, in Tabasco zurückgelassen, und zufällig waren sie an die Meeresküste gekommen, als die Armada nahte. Sie hatten sich noch vor der Landung auf das Flaggschiff begeben, wo ihnen Narvaez gutes Essen und noch besseren Wein vorsetzen ließ. Und essend und trinkend hatten sie, sei es aus Dankbarkeit, sei es aus Großsprecherei, die Bewirtung und den Gastgeber in den Himmel gehoben und über die schmale Kost, die Hungerleiderei und Plackerei in Mexico Klage geführt: fast nur von Mais und Maiswürmern nährten sich die Soldaten des Cortes, Wein bekämen sie überhaupt nicht zu sehen, ein Hundeleben führten sie, Cortes gönne ihnen keine freie Stunde, strafe die geringsten Vergehen mit dem Tode und habe siebenhunderttausend Dukaten in die eigene Tasche wandern lassen – darum verabscheuten ihn seine Soldaten und würden Don Panfilo als Befreier begrüßen.

In Sempoalla bewohnte Narvaez den Haupttempel wie Cortes vor einem Jahre. Ohne Schwertstreich hatte der dicke Kazike die Stadt übergeben, nachdem der Narr Madrid, als Gesandter des Narvaez, ihm auseinandergesetzt hatte, daß Cortes gar kein weißer Gott, sondern ein Räuber sei. Eifriger als Narvaez betrieb seitdem der dicke Kazike den Krieg gegen Cortes, dessen Räubertum er von jeher durchschaut zu haben behauptete. Und er bedauerte, keine zweite dicke Prinzessin zu haben, die er Narvaez zur Ehefrau geben könnte. Die dicke Prinzessin aber war Mutter geworden und glaubte, ihrem Vater zum Trotz, an die Göttlichkeit ihres Sprößlings.

Viel Lustiges wußten die Kundschafter auch vom besten Freunde des Narvaez, dem Hauptmann Salvatierra, zu berichten. Diesen Eisenfresser und miles gloriosus nannte Cortes nie anders als Cortesillo, »das Corteslein«. Er verschwor sich, Cortes die Ohren abzuschneiden, sie zu braten und zu essen. Als die beiden Kundschafter Sempoalla verlassen wollten, sahen sie das Pferd Salvatierras unbewacht vor einem Hause und führten es fort. Auf einem anderen Pferde eilte Salvatierra den vermeintlichen Indianern nach und erwies sich, zur Schadenfreude seiner ihm von der Stadtmauer nachblickenden Kameraden, als erbärmlicher Feigling. Alfonso Palanco und Bernardo Mendez setzten sich zur Wehr, verjagten ihn und brachten das Pferd nach Vera Cruz.


Die letzten Höhenzüge wurden überwunden, das Irdische Paradies wurde erreicht. Cortes hielt eine Musterung seines Heeres ab. Er zählte zweihundertsechsundsechzig Mann und fünf Pferde.

Der Sekretär Andrés del Duero hatte – nicht ohne Mühe – von Narvaez die Erlaubnis erwirkt, Cortes besuchen zu dürfen. Noch vor kurzer Zeit hätte Cortes sich ungern daran mahnen lassen, daß er auf Kuba einst für seine Ernennung zum General-Kapitän dem Sekretär eine Beteiligung an den Erträgnissen des Unternehmens versprochen hatte. Doch jetzt war seine Freude aufrichtig, Andrés del Duero wiederzusehen, dessen eigennütziger Vorteil ihm Erfolg wünschen mußte. In stundenlangem Gespräch erörterten sie die Möglichkeiten einer friedlichen Lösung. Schließlich nahm der Sekretär den Hauptmann Velazquez de Leon – der erst sich weigerte und von Cortes überredet werden mußte – mit zu Narvaez.

Narvaez saß mit seinen Hauptleuten – Salvatierra, Gamarra, Juan Juste und anderen – beim Mittagsmahl, als Leon und Duero ankamen. Jovial lud Don Panfilo seinen Vetter zu Tisch: bei ihm gebe es noch Wein – Pedro Ximenes – und gepökeltes Fleisch. Daß Don Panfilo und seine Tischgenossen dem Wein zugesprochen hatten, war an ihren geröteten Gesichtern und ihrem derben Gelächter ersichtlich. Leon entschuldigte sich, seine Zeit sei kurz bemessen, nur sich mit seinem Verwandten zu begrüßen, sei er gekommen und nach einer Lösung zu suchen, die den Streitfall beilegen könnte.

»Kommt, eßt und trinkt, Don Juan, und sucht nicht den Stein der Weisen!« lachte Narvaez. »Den Streitfall werde ich auf dem Schlachtfeld beilegen – das wird die glücklichste Lösung sein!«

Die anderen lachten.

»Wenn es Euch glückt!« bemerkte Leon.

»Oho! wir haben die vierfache Übermacht!«

»Die hatte auch Goliath – und doch blieb David Sieger!«

»Er hält zum Cortesillo! zu diesem Nichts, zu diesem Weniger-als-Nichts!« feixte Salvatierra. »Für unsereins lohnt's ja gar nicht, den Fuß zu heben, solch ein Insekt, solch eine Milbe zu zertreten wie den Cortesillo – der kleine Finger genügt! Da schaut: so wischt man's weg! – und nicht einmal ein Fleck bleibt auf dem Tischtuch!«

»Seid vernünftig, Don Juan, bleibt bei uns! Ihr wißt nicht, daß Cortes verloren ist, aber ich weiß es!«

»Was wißt Ihr ...?«

»Warum soll ich es Euch nicht sagen?« lachte Narvaez. »Fünf Tage bevor Cortes von unserer Ankunft erfuhr, stand ich mit Montezuma schon in Verbindung!«

»Das kann nicht sein, Don Panfilo! Montezuma erfuhr von Euch später als wir! Und er machte Cortes Vorwürfe, daß er es verschwiegen.«

»Montezuma ist klüger, als Ihr glaubt! Wir sandten uns mehrmals Boten – dreimal sandte er mir unschätzbare Goldgeschenke. Wir sind Bundesgenossen. Seinetwegen darf ich auf Friedensvorschläge nicht eingehen.«

»Seinetwegen ...? Wie meint Ihr das?« fragte Leon.

»Weil ich ihn nicht im Stich lassen will! Wir schlossen einen Pakt gegen euch. Während ich mit Cortes kämpfe, wird er mit Alvarado kämpfen. Und das könnt Ihr Euch selbst sagen, was das heißt ...!«

Leon schwieg eine Weile niedergeschlagen, zerschmettert. Als aber Narvaez fortfuhr, ihn zu überreden, er solle vom Hochverräter Cortes ablassen, brauste Leon auf und verbat sich, daß in seiner Gegenwart von einem Ritter ohne Tadel wie Cortes solche Ausdrücke gebraucht würden. Das Lachen verstummte. Salvatierra und die anderen Trinkkumpane Don Panfilos hetzten: Leon verdiene für seine Freimütigkeit den Kerker. Andrés del Duero und ein alter Oberrichter beschwichtigten und versöhnten die Entzweiten. Schließlich schlug Narvaez vor, er wolle Leon seine Truppen zeigen. Und er hieß sein Heer sich in Reih und Glied aufstellen, hieß es vor Leon exerzieren. Dieser gewann so die gewünschte Einsicht in die Zahl und Beschaffenheit der gegnerischen Streitkräfte.

Als er Abschied nahm, rief einer seiner Vettern:

»Ihr seid ein schlechter Velazquez, Don Juan, wenn Ihr zu den Schnapphähnen zurückkehrt!«

Leon griff an den Degenknauf, sagte, seine Kameraden seien ehrliche Männer, kein schlechterer Velazquez sei er als andere Velazquez, und er bat sich von Narvaez die Erlaubnis aus, die Wahrheit seiner Worte mit der Klinge zu erweisen. Doch Narvaez erteilte die Erlaubnis nicht. Und Salvatierra gab Leon den Rat, sich schleunigst zu entfernen, da er sonst Specksalat aus ihm machen würde.

Mit dem ungesühnten Schimpf beladen, kam Velazquez de Leon zu Cortes und hatte einen Weinkrampf vor Wut.

»Dieser Hund Montezuma hat mich genasführt!« schrie Cortes, als er alles vernommen hatte.

»Vielleicht hat Narvaez gelogen!« meinte Leon.

»Nein, er lügt nie, – um so häufiger irrt er sich. Er irrt auch diesmal, weil er Montezumas Feigheit nicht kennt. Eben hatte ich einen Brief von Alvarado: dort ist alles in bester Ordnung. Erst wenn wir besiegt sind, wird Montezuma den Überfall wagen. Doch wir sind nicht besiegt – wir werden, wir müssen siegen, weil wir Verzweifelte sind! Und wenn ... Mag er! Es ist vorgesorgt – Alvarado hat die Brigantinen ...!«


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