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Den Kastiliern gelang es nicht, der Befreier des Königs habhaft zu werden.

Strenger wurde die Bewachung Montezumas seit dieser Nacht: der Fähnrich Rodrigo Alvarez Chico hatte hinfort mit sechzig Mann die Rückseite und die Seitenflügel des Tecpans zu bewachen, Andres de Monjaraz mit zwanzig Mann die Vorderseite.

Die Eidesabiegung verlief als eindrucksame Feier, wie sie von Cortes geplant worden war. Mit Ausnahme des Königs von Matlatzinco, der seinem Schwiegervater eine freche Absage geschickt hatte, waren die Fürsten Anahuacs und der hohe Adel Mexicos, gehorsam dem Ruf ihres Oberherrn, vollzählig erschienen. Tausende von Federkronen wehten und schimmerten buntfiedrig im Schlangensaal – jenem großen Audienzsaal, wo jüngst La Azteca mit Avila gefochten hatte. Und verschwindend neben den Quetzalbüschen, spiegelten wasserhaft kastilische Stahlhelme, dunkelgrau und nüchtern.

Mit leiser Stimme hielt Montezuma eine Rede an die Versammelten. Und ein ihm zur Seite stehender Höfling schrie die Königsworte hinaus in den Saal.

Montezuma setzte seinen Vasallen auseinander, wozu er sie berufen habe. Er sprach lange und eingehend von Quetzalcoatl, dem Urkönig, dessen Stellvertreter alle späteren Beherrscher Anahuacs bis zu ihm herab gewesen seien. Auch er habe die Goldkrone Mexicos nur als Vertreter des ostwärts hinweggezogenen Gottkönigs getragen. Und da jetzt bekannt geworden sei, daß der wahre Nachfolger Quetzalcoatls jenseits des Himmelswassers lebe, stehe er nicht an, jenes Erben Rechte anzuerkennen. Er sei gewillt, dem Herrn des Ostens Treue zu schwören, und er bitte seine Vasallen, ein gleiches zu tun.

Mit tränenerstickter Stimme hatte Montezuma geflüstert, hatte – unfähig, weiterzureden vor Ergriffenheit – sich mehrmals unterbrechen müssen. Als seine Rede beendet war, rollten ihm die Tränen über die Wangen.

Ganz still war es im Saal. Nur hier und da ein verschlucktes Räuspern. Männer weinten, Indianer weinten ...

Aber zwanzig im Vordergrund stehende Fürsten weinten nicht.

Cortes fürchtete einen Umschlag der gedrückten Stimmung, einen jähen Aufschrei mit unberechenbaren Folgen. Durch Marina ließ er verkünden: Er verpfände sein Ehrenwort, daß der König Don Carlos de Austria vom Lehnsrecht nie Gebrauch machen werde. Es handle sich ja nur um die Anerkennung einer von niemand angezweifelten Tatsache – die vielleicht aber nach Jahrhunderten in Vergessenheit geraten könnte. Darum müsse sie eidlich festgelegt werden – aus keinem anderen Grunde habe ihn sein Herr über das Weltmeer nach Anahuac gesandt. Sei erst die Eidesleistung erledigt, so sei auch seine Aufgabe in diesem Lande erledigt. Und befriedigt werde er dann Tenuchtitlan mit dem Christenheer verlassen und zu seinem Kaiser zurückkehren können, ihm die Kunde vom beschworenen Lehnseid zu überbringen.

Wundersam schmerzlindernd wirkten die heuchlerischen Worte. Wie Cortes wußten auch Montezuma und die Fürsten, daß die Christen aus freien Stücken die Wasserstadt nie verlassen würden. Und dennoch horchten sie auf, als hätte die Hoffnung mit Zauberstimme hinter einem Vorhang gelockt und getröstet.

Sie seien einverstanden, der Zornige Herr solle für sie alle schwören, riefen einige. Und die Mehrzahl der Versammelten äußerte keinen Widerspruch. Nur die zwanzig im Vordergrund stehenden Fürsten widersetzten sich, riefen: »Laßt erst die Gelbhaarigen abziehen, dann wollen wir schwören ...!«

Da öffnete sich die Tür, die in die ausgeplünderten Schatzkammern hinabführte. Klirrend schlürften Kettenringe über Steinstufen.

Geschleppt, gezerrt von kastilischen Soldknechten, kam – einer Riesenschlange ähnlich – eine lange, mit rotem Rost bedeckte Eisenkette in den Saal, an der, mit den Handgelenken angeschmiedet, fünf menschliche Wesen hingen, nackt, verwahrlost, schmutzstarrend, mit Eiterwunden bedeckt.

Ein Ächzen huschte durch die Totenstille, verstummte sofort. Keiner, den dieses Bild des Jammers nicht lähmte, nicht zur Bildsäule versteinerte. Goldgeschmückte Könige waren diese Ärmsten gewesen und glichen kaum noch Menschen, ausgezehrt durch Hunger, Wundfieber und Verzweiflung.

Cacamas wegen hatte Cortes sie heraufholen lassen. Menschen-Puma war tot, und für diesen einen Tag sollte der Edle Traurige noch einmal König von Tezcuco heißen, um mit dem Zornigen Herrn und dem gleichfalls angeschmiedeten König von Tlacopan das Imperium der drei Häupter – den Drei-Städte-Bund – zu vertreten.

Als Marina die Eidesformel sprach, welche im Namen des Drei-Städte-Bundes und der versammelten Fürsten und Adligen Montezuma nachzusprechen hatte, spie der Edle Traurige Montezuma an:

»Du Aasgeier Mexicos! Gib deinen eigenen Leichnam den fremden Schakalen zu fressen! Wirf ihnen nicht auch Mexico vor, das du selbst schon halb erwürgt, zerhackt und zerfetzt hast!«

Wie Wahnsinnige brüllten die fünf Männer an der Kette, hoben rasselnd die angeschmiedeten Fäuste. Doch sie konnten nicht hindern, daß der Zornige Herr den Lehnseid schwor.

Als es geschehen war, versuchten die zwanzig dicht vor Montezuma stehenden Fürsten Selbstmord zu begehen. Mit Knochendolchen brachten sie sich furchtbare Wunden bei. Palastdiener eilten herzu, entrissen ihnen die Waffen. Doch drei der Verletzten erlagen ihren Verwundungen.


Gegen Mitte Mai war der Bau der Brigantinen beendet. Geteert, gekalfatert und dann weiß bemalt, wurden die Schiffe vom Stapel gelassen, wurden mit Takelwerk und Segel versehen. Jede der Brigantinen hatte Raum für mehr als zweihundert Mann. Das Ereignis wurde von den christlichen Offizieren mit einem Festbankett gefeiert, und Lugo erklärte befriedigt: die Mausefalle Tenuchtitlan sei von jetzt ab keine Mausefalle mehr – und nicht einmal eine Lachsfalle, da man aus ihr entschwimmen könne! ...

Aber die Sicherung, welche die Fahrzeuge verliehen, mußte gesichert werden. Und da zu fürchten war, daß bei einer Volkserhebung die erste Tat der Azteken die Zerstörung der beiden Schiffe sein würde, ließ Cortes einen Kanal und einen kleinen Hafen eigens für die Brigantinen im Palastgarten anlegen und Tag und Nacht von vielen Posten bewachen.

Als Montezuma in Begleitung von Cortes und vieler, allzu vieler Musketiere und Hellebardiere seine erste Ausfahrt über den Schilfsee unternahm, wunderte er sich, daß die »Wasserhäuser« – die ja ihm zum Vergnügen erbaut sein sollten – je zwei Kanonen an Bord hatten. Marina beschwichtigte sein aufflackerndes Mißtrauen: die Monarchen Europas pflegten so Boot zu fahren, und keinen anderen Zweck hätten die Schiffsgeschütze, als durch Böllerschüsse dem Volk bekanntzugeben, daß der König das Deck bestiegen habe.

Wie im Ballspielhaus und beim Patolli-Spiel vergnügte sich nun Montezuma mit den Feldobristen auf den Brigantinen. Lustfahrt reihte sich an Lustfahrt. Laut donnerten die Böllerschüsse, und nicht minder unbändig scholl Montezumas Gelächter. Seine Krüppel und Narren, der greise Weibliche Zwilling und andere Würdenträger wurden seekrank, und Montezuma lachte. Seine Konkubinen zuckten zusammen beim Donner der Geschütze oder hielten sich die Ohren zu – Montezuma aber lachte. Fischerboote wurden totgefahren, und Montezuma lachte. Die königlichen Galeeren erhielten Befehl, mit den Brigantinen um die Wette zu fahren, – ungelenk, nur mit Ruderern bemannt, blieben sie weit zurück hinter den Seglern. Und Montezuma lachte.

Er stand am Bug, blickte den azurblauen, hochgewölbten Wasserfurchen nach, wie sie fortgleitend sich erweiterten. Graue Möwen umkreischten ihn. Und lachend dachte er: Ein Sprung jetzt – und verstummt ist mein schreiendes Herz! ... Doch dann dachte er weiter. Sie werden mir nachspringen, mich herausfischen, mich strenger bewachen als vordem ...

Meist nahm er den Spinner, zuweilen auch den alten Musikmeister Löffelreiher-Schlange und seinen Sängerchor mit auf die Lustfahrten. Ein großes Segeldach war über das Deck gespannt, die sengenden Sonnenstrahlen abzufangen. Inmitten einer zartgliedrigen Schar von kniend auf den Hacken sitzenden Schönen aus dem Hause der Vierhundert Frauen hockte er auf niedrigem Schemel, ließ sich vom Dichter neue Lieder oder vom Musikmeister alte, berühmte Gesänge vortragen.

Eines Tages sagte er zum Gesangmeister:

»Ich will das Lied ›Blumen sind die Großherrlichkeiten‹ hören!«

Es war dies ein viel bewundertes Gedicht, das von einem König Tezcucos, dem Vater des Herrn des Fastens, verfaßt worden war.

»O Herr, o König«, sagte Löffelreiher-Schlange beklommen, »gar traurig ist das Lied des Hungrigen Schakals ...«

»Mich kann nichts mehr traurig machen!« sagte Montezuma. »Auch ein Lied vermag es nicht! Darum singe!«

Und Löffelreiher-Schlange setzte sich vor die Holzpauke und begleitete den Gesang des Chores:

»Blumen sind die Großherrlichkeiten der Erde.
Flüchtige Dauer haben in den Blumenkönigreichen die Dynastien der Blumen.
Knospen, welche am Morgen stolz, kraftvoll und schön erwachen,
Weinen schon am Abend über ihrer Kronen wehvolle Vernichtung.
Die Erde ist ein Grab, dem nichts entgeht.
Und nichts ist so vollkommen, daß es nicht zusammenstürzt und schwindet.
Die Flüsse, Bäche, Quellen fließen fort,
Sie eilen Tlalocs weiten Reichen zu
Und kehren nie zu ihren heiteren Ursprungsstätten heim.
Der Erde Höhlen sind gefüllt mit staubigem Moder,
Mit Fäulnis-Fleisch einstmals, Gebein und Körper großer Herren,
Die auf Goldthronen sitzend über Völker richteten,
Heerscharen führten, Länder eroberten, Schätze errafften.
Sich selbst mit Macht, Glück, Stolz und Lob umschmeichelten –
Ihr Ruhm ist fortgezogen wie der Rauch,
Den die Brandglut des Rauchenden Berges ausstößt.
Oh! Oh! Wollt ich euch in die dunklen Eingeweide
Der Gräberkammern dieses Tempels führen,
Wollt ich euch fragen: welche dieser Knochen
Dem Könige »Smaragd-Glanz«, dem wunderbarsten der Tolteken-könige, gehörten?
Und welche Knochen dem hochweisen »Ich-schieße-den-Pfeil«, dem demütigen Götterdiener?
Wollt ich erforschen: wo die maßlose Schönheit
Der hehren Königin »Frau-der-grünen-Felder« blieb?
Wollt ich's erfragen – welche Antwort könntet ihr mir geben?
Die gleiche Antwort, die ich gebe: – ich weiß nicht, ich weiß nicht!
Die ersten und die letzten sind vermischt im Staub –
Ihr Los wird unseres sein und aller, die uns folgen werden ...«

Montezuma belohnte die Sänger und lachte nicht minder gellend als vordem.


Am folgenden Tage ließ sich Montezuma mit seinen aztekischen Hofjägern von den Brigantinen an das südöstliche Ufer bringen und veranstaltete in einem seiner bewaldeten Jagdgärten eine Pumajagd. Treiber hatten die Raubtiere von den Abhängen der Weißen Frau herab ins Hochtal und bis in die Forsten am See gescheucht, und sie trieben sie jetzt dem Könige zu. Bei solchen Jagden hatte niemand außer dem König das Recht, einen Puma zu erlegen. Und Cortes und Alvarado, die Montezuma begleiteten, waren übereingekommen, ihm dies Vorrecht zu lassen.

Sie standen neben Montezuma, als, aus dem Unterholz hervorbrechend, ein ausgewachsener Puma auf sie zutrottete. Montezuma erhob den Speer, zielte und lächelte, Dann aber warf er den Speer hoch über den Rücken des Pumas hinweg. Das Tier, das sich von allen Seiten umstellt sah, brüllte wild auf, tat einen Sprung auf den König zu. Im selben Augenblick deckte ein indianischer Jäger mit seinem Leibe den König. Pranken entfleischten seine Armknochen, Reißzähne durchbissen seine Kehle, Tierleib und Menschenleib wälzten sich ineinander verknäult am Boden.

Das Tier wurde niedergemacht. Und Cortes bestand darauf, daß die Jagd abgebrochen werde. Während der Rückfahrt teilte er Montezuma mit, daß er in Zukunft keine Raubtierjagden mehr gestatten könne, da das Leben des Königs ihm und den Azteken zu wertvoll sei.


Einige Tage später beklagte sich Montezuma, er werde vom Schweifenden Haupte verfolgt – nur der Aufenthalt auf den Dachterrassen des Tecpans sei imstande, ihm vor dem Schreckgespenst Schutz zu gewähren. Cortes hatte nichts weiter dawider einzuwenden, daß das Königszelt auf dem Dache aufgeschlagen wurde, nur die zwanzig Wachtposten murrten, daß sie sich droben dörren lassen mußten von der Junisonne Anahuacs.

Und wieder machte Montezuma den Versuch, seinen Gefängniswärtern hohnlachend zu entfliehen. Er ging mit Marina – die bereits hochschwanger war – scherzend auf und ab und näherte sich unauffällig dem Dachrand. Zehn Klafter hoch ragte der Tecpan. Ein Fall in die Tiefe war der gewisse Tod.

Montezuma hatte sich vorgenommen, nicht nach der Tiefe hinzuschielen. Er blickte Marina in die Augen.

»Wie großäugig sie mich anblickt!« dachte es in ihm. »Schön ist meine Feindin! Klug ist sie – doch ich bin klüger! ...«

Und er bat sie, ihm sein Sehwerkzeug zu reichen, das er auf einem Sessel liegengelassen hatte» – er wolle die Türme Tenuchtitlans betrachten, denn noch nie sei ihm die Stadt inmitten des Kolbenrohrs berückender erschienen als heute.

Das Sehwerkzeug war eine tellerähnliche kreisrunde Silberplatte mit einem winzigen Loch in der Mitte, durch welches man ins grelle Sonnenlicht blicken konnte, da die Strahlen abgeblendet waren.

Doch Marina wandte sich nicht ab, sie rief einem Posten zu, er solle das Sehwerkzeug bringen.

Da wußte Montezuma, daß sie ihn durchschaut hatte. Und obgleich immer noch Lachen seine Lippen kräuselte, stieg Groll und Haß in ihm auf gegen sie, seine Kerkerhüterin.

Jetzt sofort, bevor der Posten hinzukam, mußte es geschehen. Wollte sie es hindern – um so schlimmer für sie!

Er gab ihr einen Stoß, daß sie zur Seite taumelte, und er eilte an den Dachrand.

Doch sie war geschwinder, als er berechnet hatte. Schon hatte sie seinen Mantel gepackt, seinen Arm umklammert. Sie rang mit ihm, geschmeidig, als wäre sie ein Jüngling, der mit einem alten Manne ringt.

Dabei sausten blitzartig die Gedanken durch ihr Hirn. Das Kind in ihrem Leibe war gefährdet. Durfte sie das Kind des Cortes opfern, um den König zu retten? Durfte sie den König opfern, um das Kind zu retten?

Montezuma hörte laufende Schritte des Postens, laufende Schritte vieler Posten.

»Du Jaguarin, du sollst mit hinab!« schrie er und zerrte sie zur Tiefe hin.

Eiserne Soldatenfäuste rissen die beiden ineinander Verschlungenen und schon Abstürzenden vom Dachrand fort.


Rodrigo Rangel hielt an Cortes diese Ansprache:

»Euer Liebden Herrschaft in diesem gesegneten Fabellande ist ein Siebenmonatskind – aber das muß man ihr lassen: sie ist ein ausgewachsener, kräftiger, pausbackiger Säugling! Im November zogen wir ein, richteten uns häuslich ein – Olid und andere Hauptleute haben sich ja schon Häuser gekauft – und jetzt schreiben wir den achten Juni Anno Domini 1520, und noch ist keiner von uns totgeschlagen! Wie ist das möglich? Geht das mit rechten Dingen zu? Ich wage zu behaupten: Nein! Mit ganz unrechten Dingen geht das zu (wenn man in einem Fabelland, wo alles märchenartig verläuft, von unrechten Dingen reden kann!) ... Das Totgeschlagenwerden ist ja doch das Natürliche – Euer Liebden brauche ich das nicht weiter zu erläutern –, und das Am-Leben-Bleiben ist ganz wider die Natur des Menschen! Wir aber legen alles darauf an, totgeschlagen zu werden, und es will uns durchaus nicht gelingen. Unsere braven Soldaten pilgern allnächtlich ins große Freudenhaus von Tlatelolco und holen sich dort allerlei, nur nicht den Tod. La Medina tanzt öffentlich vor den schamhaften Mexikanern und wird nicht einmal verprügelt. Der Seemann Alvaro (der auf Kuba dreißig Kinder hatte) wandert unbewaffnet durch die Dörfer Anahuacs, um Spuren seiner Tätigkeit zu hinterlassen. Alonso de Ojeda hat mit einem christlichen Räuberhaufen die Getreidespeicher Montezumas ausgeplündert und trägt seinen hübschen Kopf noch immer auf den Schultern, weil Alvarado ein stiller Teilhaber des Unternehmens war. Und Euer Liebden haben in einem der beiden Heiligtümer auf der Schlangenberg-Pyramide ein Kreuz und ein Bild der heiligen Jungfrau aufgestellt, so daß jetzt das Te Deum laudamus und das Heil-dir-Vitzliputzli, zum Himmel schwebend, sich vermählen, ein höchst ungleiches Ehepaar. Ich bezweifle, daß die Azteken diesen Neuvermählten eine silberne, goldene und demantene Hochzeit wünschen. Und dennoch schlagen uns die Azteken nicht tot! Wie ist das zu verstehen? Wie ist das möglich? Ist es nicht widernatürlich? (muß ich nochmals fragen). Und – um auf die Kühe Andalusiens zurückzukommen – warum läßt ein Stier sich von einem Kinde führen? ... Ist die Macht ein Kind? Ist sie wohl gar ein Siebenmonatskind? Ignotus (ein sehr berühmter Mann!) hat gesagt: Die Macht ist eine kleine Nähnadel, – zwängt sich die erst durch ein Loch, so zieht sie den längsten Faden nach. Ich aber sage: Die Macht ist ein Kuckucksjunges! Es kommt nur darauf an, das Kuckucksei ins Finkennest zu schmuggeln (das haben Euer Liebden im November überaus geschickt gemacht!). Alles andere besorgen die dummen Finken selber: sie brüten den Vielfraß aus, zitternd und zagend füttern sie ihn, daß er wächst und wächst, und sie denken nicht daran, ihn, solange es noch Zeit wäre, zum Nest hinauszuwerfen – weil er einen sehr großen, gelben Schnabel hat und frecher ist als sie.« So sprach Rodrigo Rangel.


Mit der Errichtung der christlichen Kapelle auf dem großen Teocalli hatte Cortes den Mexikanern ins Weiße des Auges gegriffen. Ihm, dem Feinhörigen, wurde seitdem ein unterirdisches Rollen und Grollen wohl vernehmbar. Die Schwüle in Mexico war plötzlich atembeklemmend geworden.

Häufiger als bisher kam der hohe Adel in den alten Tecpan und hielt Beratungen mit dem gefangenen König ab. Orteguilla, der sonst immer zugegen gewesen war, wurde ausgeschlossen. Und Cortes, mochte er auch ungern auf die Auskünfte seines kleinen Spions verzichten, konnte es diesmal nicht durchsetzen, daß die Anwesenheit des Knaben bei den Gesprächen geduldet wurde. Er stieß auf einen so hartnäckigen Widerstand, daß er – unsicher geworden – die Sache auf sich beruhen ließ. Orteguilla aber weinte viel und sagte zu Rabenblume: er fühle, Böses sei im Gange, und gewiß werde er bald verspeist werden ...

Eines Tages erwirkte der Vorsteher des Hauses der Teppiche einem Boten – einem soeben von der östlichen Meeresküste nach Tenuchtitlan gelangten Steuereinnehmer – Zutritt zum Zornigen Herrn. Nach einem stundenlangen heimlichen Zwiegespräch mit diesem Boten war Montezuma verwandelt, als wäre er von einem Zauberstab berührt worden.

Achtzehn große Wasserhäuser, bemannt mit weißen Göttern, erzählte ihm der Steuereinnehmer, seien eine Sonne – eine Tagreise – südlich der christlichen Hafenfestung an der Meeresküste erschienen. Und er zeigte ein von seinem Menschenmaler bemaltes Hirschhautpergament vor. Als mexikanischer Beamter habe er es für seine Pflicht gehalten, nachzuforschen, wer die Ankömmlinge seien, und habe sich an das Wasserhaus des Führers heranrudern lassen. Dort auf dem Wasserhaus habe er zwei Gelbhaarige wiedererkannt, die er vor weniger als einem halben Jahr in Tenuchtitlan gesehen hatte. Der eine trage je einen Buckel auf dem Rücken und auf der Brust –

Der werde der Narr genannt, unterbrach ihn Montezuma.

Der andere, hasenschartig, kropfig, einbeinig, sei der häßlichste Mensch ...

Dem sei von den Totonaken–unterbrach Montezuma von neuem – der Name »Großer Zauberer von Tzimpantzinco« verliehen worden. Der Grüne Stein habe beide mit seinem Neffen in das an die Tabascoküste grenzende Zapotekenland geschickt, wo sie nach weißem und gelbem Götterdreck forschen sollten.

Der Steuereinnehmer setzte seinen Bericht fort. Der Bucklige und der Häßliche hätten sich ihm als Dolmetscher angeboten, und der Oberfeldherr, ein großer stämmiger Mann, habe ihn überaus freundlich empfangen und ihm durch die Dolmetscher sagen lassen: er sei ein Abgesandter des mächtigen Königs, der in der östlichen Welt herrsche, und er sei gekommen, Montezuma zu befreien und die Verbrecher in Ketten zu legen und zu züchtigen, welche ihn wider alles Recht gefangenhielten: keinerlei Befehl vom östlichen König habe der Grüne Stein, der lügnerischen Anmaßung dieses Rebellen und Seeräubers werde er nun bald ein Ende bereiten, denn er habe auf seinen achtzehn Schiffen dreizehnhundertfünfzig weiße Götter – fast dreimal soviel wie der Grüne Stein –, dazu achtzig Hirschungeheuer und zwölf große Donnerwaffen, sobald er sein Heer ausgeschifft habe, werde er nach Sempoalla ziehen, den Totonakenkönig zwingen, die Oberherrschaft Montezumas wieder anzuerkennen, und gemeinsam mit den Totonaken dem Grünen Stein eine Schlacht liefern – falls dieser so unsinnig sein sollte, die Schlacht anzunehmen.

Und der Steuereinnehmer überreichte Montezuma eine Halskette aus brillantierten Glasperlen. Sie war ihm vom Feldherrn gegeben worden mit der Bitte, sie eilends dem Könige Mexicos zu bringen und ihm vom weißen Gott auszurichten: nicht verzweifeln solle er – die Erlösung nahe!

Montezuma hieß den Steuereinnehmer sofort an die Meeresküste zurückkehren. Doch solle er Seitenpfade einschlagen, damit der Grüne Stein von dem Botengang nichts erfahre. Lastträger gab ihm Montezuma mit, die Goldgeschenke schleppten – von gleichem Wert wie die einst Cortes zugesandten Begrüßungsgeschenke. Und er gab ihm auch einen Brief mit, worin bildlich ausgedrückt war: Ich warte, ich hoffe, ich vertraue.


Mehrere Tage hütete Montezuma streng sein Geheimnis. Nur einem Manne, nur dem Mexikaner-Priesterchen, verriet er die ungeheuerliche Kunde. Gleich nach seinem Gespräch mit dem Steuereinnehmer hatte er den Hohenpriester zu sich beschieden und mit erstaunlicher, ihn selbst fremd anmutender Willenskraft darauf bestanden, daß nun endlich das Götter-Orakel sich vernehmen lasse.

Bedrückt und kleinlaut war der Hohepriester. Längst hatte er eingesehen, wie kurzsichtig seine Handlungsweise gewesen war. Weil ihm sein Wunsch, den Sternhimmel des Huitzilopochtli-Turmes mit Edelsteinen zu verkleiden, abgeschlagen worden war, hatte er den Groll des Himmels gegen den König verkündet und damit nicht wenig zur Entmannung des Aztekenreiches beigetragen. Mitgetroffen von der Strafe, die er auf den Zornigen Herrn herabgefleht hatte, seufzte Mexico, seufzte das aztekische Priestertum. Ein Gefangener war der König, aber auch die Götter Mexicos waren Gefangene. Und christliche Gesänge erschollen auf dem Schlangenberge.

Doch in den letzten Monaten hätte er kein günstiges Orakel vorbringen können, ohne dem Glauben an die Götter Abbruch zu tun. Erst jetzt – dank dem Geheimnis, das niemand in Tenuchtitlan bekannt war außer dem König und ihm – durfte er es wagen und den Umschwung verkünden.

Er drang darauf, Montezuma müsse in den Schlangenberg kommen und bei der Befragung des heiligen Nopalbaumes zugegen sein. Montezuma versprach, von Cortes die Genehmigung zu fordern und sich nicht abweisen zu lassen ...


Hundertfünfzig Kastilier begleiteten tags darauf den König und den königlichen Hofstaat in den Haupttempel Mexicos. Es war das erstemal, daß Montezuma das Gelände der großen Pyramide, daß er überhaupt ein Heiligtum seit seiner Gefangennahme betrat. Die Erlaubnis, den Schlangenberg zu besuchen, war ihm von Cortes zuerst abgeschlagen und schließlich nur unter der Bedingung gewährt worden, daß kein Menschenopfer falle. Als aber Olid, Lugo und Tapia mit dem König die Pyramidentreppen emporklommen, hörten sie Jammerschreie vom Menschenwürgeplatz herabschallen, und oben angelangt, sahen sie – wenn auch die Leichen fortgeschafft waren – die furchtbaren Spuren der Opferhandlung: karminrot troff der Adlerstein, und das Mexikaner-Priesterchen hatte noch nicht Zeit gefunden, sein weißes Schlächtergewand und seine weiße Haube abzulegen. Die Kastilier sahen es und taten, als sähen sie es nicht. Denn Cortes wünschte keinen Konflikt.

Im Sanktuar des Kriegsgottes räucherte Montezuma. Dann stieg er wieder in den Tempelhof hinab und begab sich mit dem Mexikaner-Priesterchen und dem Orakel-Künder in die – einen kleinen Felsen krönende – altersmorsche Kapelle des heiligen Nopalbaumes.

Den Feldobristen war der Eintritt verwehrt worden. Wartend standen sie vor dem Mittelpunkt-der-blauen-Erdscheibe, dem heiligsten der Heiligtümer, dessen weißgetünchtes Gemäuer den zeitzermürbten Orakelbaum umgab. Deutlich hörten sie das Wimmern eines einjährigen Kindes.

»Was schaffen die dort?« fragte Olid. »Die drei trugen kein Kind ...«

»Es muß vordem hineingebracht worden sein«, bemerkte Tapia.

»Montezuma wird doch nicht das Kind verspeisen?« fragte Lugo scherzend, wie er immer scherzte, auch wenn er empört war.

»Nein, er fastet noch«, versetzte Olid. »Marina sagte mir, daß ein Adler das Kind frißt, und das sei das Orakel.«

»Dieser Schuft von König«, stieß Lugo leise hervor, »hält seine Versprechen, wie ein Trunkener die Richtung hält! Der Besuch dieser prunkstarrenden Fleischbänke wurde ihm ja nur gestattet, nachdem er sein Wort gegeben, daß heute nicht gemetzgert wird!«

»Vorhin, als wir über den Tempelhof gingen«, sagte Olid, »schaute ich in eins der kleineren Höllenhäuser dieser Teufelspriester hinein. Da brutzelte es lustig auf dem Herde. Lauter volle Schüsseln dampften da – in der einen Schüssel ein gekochter Menschenfuß, in der anderen ein geschmorter Menschenkopf, in der dritten ein gebratener Menschenarm. Und einige schwarzgeschminkte Pfaffen kauerten ringsumher, knabberten und schmatzten ...«

»Und wenn sie derlei herunterschlingen, sagen sie: Ich esse und kaue meinen Gott: – nitlaqua noteouh!« ergänzte Tapia.

»Es soll genau wie Schweinefleisch schmecken – ein Schiffbrüchiger beschrieb es mir, der es wissen mußte ... Da! jetzt kreischt das Kind! ... Hört ihr's?« flüsterte Lugo.

»Was schert es uns! Don Hernando hat uns angewiesen, meine Herren, in dieser Hölle nichts zu hören und nichts zu sehen!« knurrte Tapia und spuckte wütend auf den Boden, als wollte er sich damit Luft machen.

»Don Hernando ist eines Fingernagelgeschwürs wegen daheim geblieben und hat es leichter als wir, blind zu sein! ... Es soll allerdings Vulkane geben, die zu brodeln anfangen, wenn man sie ansieht ...«

Mit den beiden Priestern trat jetzt Montezuma strahlend aus dem Heiligtum. Die Frage Olids, ob er mit der Botschaft seiner Götter zufrieden sei, bejahte er einsilbig. Den Wortlaut des Orakels verschwieg er den Feldobristen.

Der Wunderbare Huitzilopochtli hatte den Vernichtungskrieg gegen die Söhne der Sonne anbefohlen.


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