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Und denselben Tag noch saß Montezuma, umgeben von seinen Zauberern, Fadenknüpfern und Gespensterbeschwörern, im Zelt auf dem Dach. Da er Zacatzin, den Einzigen, den fähigsten aller Eulenmenschen, nicht herbeirufen konnte, suchte er bei den vielen, die sich in Schakale und fliegende Schlangen zu verwandeln verstanden, Rat und Trost. In seiner Verzweiflung wollte er einen letzten Versuch machen, das Verhängnis durch Zauberkünste aufzuhalten.

Während sie, in die lichten Tiefen von Kristallkugeln schauend, berieten, wie sie den weißen Göttern die Herzen essen könnten, erscholl vom Norden der Stadt, von Tlatelolco her ein Stimmengebrause, das näher kam und zu wildem Gerufe anschwoll. Sklaven wurden ausgeschickt, zu erkunden, was das bedeute. Schreckensbleich kehrten sie zurück. Ixcocauhqui, der Türkisherr, der alte gelbgesichtige Feuergott, schritt durch die Straßen und über die Kanalbrücken der Wasserstadt, in Tlatelolco war er gelandet, war in das Schloß der Schwester des Zornigen Herrn eingedrungen, hatte die von den Toten auferstandene Papan von ihren Wächtern und Krankenpflegerinnen befreit und näherte sich jetzt, die irr redende Prinzessin bei der Hand führend, dem Huei-Tecpan. Das Getöse aber war verursacht durch die Angstrufe der Volksmenge, die überall, wo der Gott vorbeischritt, sich ächzend und wimmernd zu Boden warf.

Und diese Meldungen waren kaum erstattet, da betraten auch schon der Gott und die Wahnsinnige den Huei-Tecpan und kamen auf die Dachterrasse hinauf. Und keiner der Großen des Reiches wagte ihnen den Weg zu vertreten. Eine weiße Perücke trug der Türkisherr, der Vater Tezcatlipocas, und vor dem Gesicht eine Türkisschlangenmaske. Erstarrt war Montezuma, und dennoch erhob er sich und wollte dem Gotte räuchern. Aber der Gott schlug ihm den Räucherlöffel, seinen Türkisschild schwingend, aus der Hand.

»Unglücklicher König!« rief der Türkisherr. »Glaubst du noch immer mit Zaubereien das Strafgericht des Himmels abwenden zu können? Weißt du immer noch nicht, daß es zu spät ist? Die Zahl deiner Untaten ist zu groß! Ich und alle Himmelsgötter, wir sind müde geworden, und wir verlassen dich und diese verlorene Stadt, die bald ein Haufe Asche sein wird. Da, blicke hin –: meine heilige Flamme leckt an den Steinen, mein roter Arara schlägt mit den Flügeln! Hörst du, wie das Feuer weint?«

Und Montezuma stürzte aus dem Zelt und sah vom Palastdach hinab auf das in Flammen stehende Mexico. Aus allen Pyramiden und Kapellen, aus allen Palästen und Häusern loderten die Feuerzungen zum Himmel empor.

Und während Montezuma den Brand anstarrte, verließ der alte gelbgesichtige Feuergott ungehindert das Dach und den Huei-Tecpan.

Bald erlosch wie ein karminenes Abendrot die Vision des flammenden Tenuchtitlan.

Da war Montezuma zumute, als schrecke er aus einem Wachtraum auf. Und er entsann sich, daß ihm die Stimme des Türkisherrn vertraut ans Ohr geklungen war, daß er einen Augenblick im Zweifel gewesen, ob er nicht die Stimme Zacatzins erkenne ... Doch er äußerte die Vermutung nicht, er hütete sie wie ein Geheimnis, während die Eulenmenschen entsetzt vom alten Feuergott sprachen.

Von jetzt ab war seine Seele zerbrochen wie ein morsches Rohr. Er ließ die von ihrem Gott erfüllte, um die Töchter Mexicos jammernde Papan frei umhergehen, hinderte sie nicht, im Huei-Tecpan zu bleiben. Er selbst aber verließ das Dach – denn seine Hoffnungslosigkeit fühlte kein Grauen mehr, dem Schweifenden Haupte in die hohlen Augen zu blicken.

Im Adlersaal versammelte er alle Großen seines Reiches um sich und hielt, mit Tränen kämpfend, diese Ansprache:

»O ihr meine Oheime und Brüder, ihr tapferen mexikanischen Herren! Entsinnt ihr euch, wie ich um drei Truthähne mit dem Herrn des Fastens Federball spielte? Ich verlor das Spiel und wollte es nicht glauben, wollte es nicht für wahr halten, daß ich mein Reich, meinen silbernen Thron und mein Leben verloren hatte. Nun trifft ein, was der König von Tezcuco, der sechshundert Zauberzeichen kannte, geweissagt hat, was die vom Tode Auferstandene vorausgesagt hat, was die versinkende Opferblutschale verkündet hat: ›Geht, sagt es dem großen Montezuma, es ist nicht mehr an der Zeit, Steine mit der Schnur zu messen! Götter und Adlerschalen verlassen Mexico! Wehe euch Armen!‹ – Ja, wehe uns Armen! Entfliehen können wir nicht wie unsere Götter – darum laßt uns mutig dem Verderben entgegensehen, laßt uns diesen großen Palast festlich zum Empfang des Verderbens schmücken! Bettler werden wir werden, die wir mächtige Herren waren – doch nicht kampflos wollen wir das Los der Knechtschaft auf uns nehmen!

Einen grausamen Tod werden wir sterben – ich und die meisten von euch –, doch kein ruhmloser Tod soll es sein! Die aber unter euch, die den Schrecknissen lebend entgehen werden, mögen dereinst bezeugen, daß ich mir von den Augen den Nebel gerieben habe und klar gesehen habe, was bevorstand. Um die Greise, Frauen und Kinder dieses armen Volkes weine ich – freundlos und schutzlos und heimatlos werden sie sein!«

Und der Zornige Herr ließ Vorbereitungen treffen für den Empfang der weißen Götter. Er ließ das große Speerhaus bis ans Dach mit Pfeilschäften, Lanzen, Schilden und Wurfbrettern anfüllen.


Das Christenheer zog in Iztapalapan ein und hatte nunmehr die Südspitze der salzigen Lagune und den Steindamm erreicht. Wie drei Tage zuvor bei Ayotzinco am Süßwassersee von Xochimilco der Edle Traurige und der Durch-Zauber-Verführende als Beauftragte Montezumas in pomphaftem Aufzuge mit Hunderten von Begleitern erschienen waren, die Enkel Quetzalcoatls in Mexico im Namen des Drei-Städte-Bundes willkommen zu heißen, so begrüßte sie jetzt nicht minder pomphaft Montezumas Bruder, der Überwältiger, König von Iztapalapan, am Tore seiner Stadt, beschenkte sie mit Sklavinnen, Federn und Gold und stellte ihnen seinen herrlichen Tecpan als Wohnung zur Verfügung.

In einem Traumzustand, beklemmt von Todesahnungen, beseligt, überwältigt von der silbernen Schönheit der von bläulichem Sonnendunst umschleierten Seenlandschaft und der zaubervollen Pracht all der zahllosen an und in die Lagune gebauten Ortschaften und Städte, war die kleine kühne Schar von vierhundertfünfzig Freibeutern Iztapalapan – ihrem letzten Nachtquartier vor dem Einzug in Tenuchtitlan – genaht. Und wie in ein Märchen versetzt, wandelten sie nun durch die mit poliertem Zedern- und Sandelholz getäfelten, mit Jaspis, schwarzem Achat und Goldblechstreifen umrahmten, mit Kolibrifedermosaik-Teppichen behängten Prunksäle und trauten ihren Augen nicht, als sie den ganz einzigartigen Garten des Fürsten von Iztapalapan betraten, wo Alleen vielhundertjähriger Zypressen schatteten, wo zierliche, mit Muschelscherben bestreute Wege – überdeckt hier und da von granitenen Portalen – sich schlängelten zwischen den an Balsamduft und Buntheit einander überbietenden Beeten mit Kienfackelblumen, Herzblumen, Feuerreiherblumen, Totenbeinblumen und unzähligen anderen auserlesenen Edelgewächsen, wo die Hecken immergrüne Myrtifloren waren, wo die bemoosten Stämme der weißen Terebinthen, Ilitlerlen, Purpurtannen, Eschen, Mimosenbäume und Pinien von gigantischen Lianen umwürgt waren, während aus dem von kreischenden Araras und goldgelben Rollschwanzaffen umtobten Gezweig eine strotzende Fülle parasitischer Blüten, phantastisch gesteigerter rosa Orchideen und Bromeliazeen herniederhing, wo einsam auf einem weiten Rasenplatz zwischen braunem Zittergras ein Drachenblutbaum sich erhob, bevölkert von langgeschweiften Silberfasanen, wo die Luft funkelte vom Geschwirr der Blumenvögel und Honigsauger und der handgroßen Falter, der feuergelben und der schwarzen Schmetterlinge, wo ein steinerner Aussichtsturm auf einem Hügel viele Kammern und Korridore hatte, und wo neben einem Hain von Dachpalmen ein künstlicher viereckiger Teich blinkte, dessen Grund aus prächtig gearbeiteten grünen und orange Onyxmarmorquadern mit Perlen und rotem Kristall verziert war. Und spiegelblank gemeißelt wie das Mauerwerk war die ins Wasser hinabführende Alabastertreppe, umspielt von Scharen kupfern blitzender Fischchen, zwischen den Seerosen aber lärmten und schwammen die seltensten Tauchervögel, Schilfvögel, Reiher und Ibisse.

Auch Cortes wandelte mit seinen zwei Frauen durch diesen Zaubergarten. Ohne Marina konnte er mit Perlmuschel nicht sprechen. Seit jener Nacht in Xochimilco war Marina die Vermittlerin, die unfreiwillige Kupplerin und Dienerin seiner Untreue. Rechtlos war sie, eine geschenkte Sklavin – und wenn seine Dankbarkeit ihr keine Rechte einräumte, hatte sie keine zu fordern. Er war ja der Gott, war der Sieger, dem Völker und Frauen unterlagen, dem alles zufiel, was seinen Augen begehrenswert erschien. Und nicht verwunderlich war es, daß die Königstochter Gnade vor seinen Augen gefunden – eher war es ein Wunder, daß er seiner Sklavin so lange die Treue gehalten hatte, der einst unter den Damen Haitis und Kubas von Abenteuer zu Abenteuer getaumelt war. Wenn einer, so gönnte Marina es der unglücklichen Witwe des Prinzen Grasstrick, daß sie des Geliebten Herz mit ihr teilte. Stolz und aufrecht trugen sie beide ihr Leid und ihre Schande, frei von Neid, da beider Los beneidenswert nicht war, bemitleideten sie sich und hatten bald gelernt, einander wertzuschätzen.

Ohne Schuld und ohne Reue, erfüllt und verzehrt von glückloser Liebe, verhehlte sich die Prinzessin nicht, daß sie das Schandmal einer Geächteten nicht nur im eigenen Gewissen trug. Von ihren Brüdern und ihrem Freunde, dem König von Tlacopan, wurde sie gemieden, übersehen, keiner Anrede gewürdigt. Wenig Trost war es, daß die kastilischen Kavaliere ihr, der Begünstigten, mit gunstheischender Ehrfurcht begegneten. Bei der Taufe war von ihrem Paten Don Juan Velazquez de Leon ihr der Name Doña Juana gewählt worden. Doch obgleich den Feldobristen ihre strenge Schönheit wie eine Verkörperung aller Herrlichkeiten des Seenlandes erschien, nannten auch sie sie, wie die gemeinen Soldaten sie nannten: La Azteca.

Ein wenig wegwerfend klang es und wurde doch ihr Ehrenname. Selbst Cortes nannte sie La Azteca.


Umhergeführt von einem »Aufseher der Blumen«, hatte Cortes erst einen Teil der Gartenanlagen besichtigt, als er mit Marina und La Azteca in den Palast gerufen wurde. Menschen-Puma war angelangt. Und einer der Begleiter des Knaben, ein königlicher Axtträger, verschwieg der Prinzessin die grausamen Worte Montezumas nicht: Der Knabe sei des Königs Lohn für ihre Hurerei, vom Grünen Stein werde sie geringeren Lohn empfangen.

Freudentränen und Verzweiflungstränen zugleich vergoß die Prinzessin. Und in Marinas bekümmerten Augen las Cortes die Aufforderung: Gib ihr sofort – und wäre es bloß, um Montezuma Lügen zu strafen – den versprochenen Lohn, die geforderte Krone für den Knaben! Doch mochte Cortes auch ein Phantast in seinen Zielen sein – nie, wenn er handelte, verließ er den Boden der Wirklichkeit. Unsinnig wäre es gewesen, hätte er am Vorabend seines Einzuges in Tenuchtitlan die Krone Tezcucos vergeben wollen, sich in einen Streit einmischen wollen, den zu schlichten ihm vorderhand die Macht fehlte.

Eben erst hatte der Edle Traurige in seiner Eigenschaft als König von Tezcuco und Mitregent des Drei-Städte-Bundes die weißen Götter willkommen geheißen und befand sich beim Heer in Iztapalapan. Mit Worten konnte man ihm die blaue Stirnbinde nicht vom Haupte nehmen. Aber auch die Schwarze Blume hatte seine Ansprüche auf Tezcuco nicht gänzlich aufgegeben – Verzicht geleistet hatte er zugunsten des jüngsten, nicht des ältesten Bruders. Jede Mißhelligkeit an indianischen Höfen betrachtete Cortes als fördersam für seine Absichten, – die Kluft zu erweitern, nicht sie zuzuschütten, war das Gebot der Klugheit. Die Schwarze Blume konnte als Anwärter auf den Thron der zweitmächtigsten Stadt im Drei-Städte-Bund den Christen von größerem Nutzen sein, als wenn ihm Tezcuco bereits zugefallen und seine Ehrbegierde gesättigt wäre. Ihn vor allem galt es hinzuhalten, und dazu boten der Mutterfluch und die Kirchenbuße des Paters Olmedo eine Handhabe: die Krönung Menschen-Pumas ließ sich vielleicht als eine vorläufige Verfügung – eine Zwischenherrschaft – hinstellen, und in Aussicht stellen ließ sich eine andere endgültige Regelung, für die freilich zur Bedingung gemacht werden müßte, daß die Schwarze Blume abbüße und um der Stadt Tezcuco willen diene, wie Jakob bei Laban um Rahels willen gedient hatte ...

Doch die Voraussetzung für diese Pläne war die Herrschaft des Kreuzes über Tenuchtitlan. Wohl hatte Cortes schon in Sempoalla, von Escalante sich verabschiedend, geäußert, er wolle Montezuma gefangennehmen ... Der verwegene Ausspruch erschien ihm nun selbst zuweilen wie ein Scherzwort. Sterne vom Himmel zu rauben, mochte nicht leichter ausführbar sein. Hier vor den Toren der »Königin aller Städte« war, wie seine Soldaten, auch er nicht frei von Beklemmungen beim Anblick eines Reichtums und einer Macht, so über alle Maßen ungeheuerer als die bisherigen, fast kindlichen Vorstellungen von der Herrschgewalt Montezumas.

Er bat Marina, der Aztekin zu sagen: Sein verpfändetes Wort werde er einlösen, wenn auch erst in Tenuchtitlan. Bis dahin müsse der kleine König zum König erzogen werden. Er werde ihm Erzieher geben, die ihm Spanisch zu reden, zu lesen und zu schreiben beibringen würden, sich gut auf dem Pferde zu halten und sich herablassend zu benehmen wie die Monarchen Europas.

Zu Hofmeistern des kleinen Königs ernannte Cortes Sanchez Farfan und dessen zwei Gemahlinnen. Der Weißhändige faßte seine Aufgabe dahin auf, als müßte er aus Don Jacobo Tecocoltzin, der Eule – so wurde Menschen-Puma jetzt genannt –, einen parfümierten, morbiden Höfling machen. Dona Elvira war angestellt zu dolmetschen, sie erzog nicht, sie verzog nur. Dona Maria de Estrada aber, beauftragt, Reitunterricht zu erteilen, begann ihre Erziehung mit einer Tracht Prügel, weil der kleine König sich weigerte, den Stand ihres Pferdes mit den Händen auszumisten.


Nach dem Abendessen wurde ein als Tonwarenhändler verkleideter Totonake Cortes vorgeführt. Der Mann hatte eben erst das Heer eingeholt, war erschöpft von den zurückgelegten Eilmärschen. Er überbrachte einen Brief Escalantes.

So niederschmetternd war der Inhalt des Briefes, daß Cortes außer Marina, Alvarado und Velazquez de Leon niemand davon Kenntnis gab.

Escalante hatte nach der Gefangennahme des Steuermannes Gonzalo de Umbria und der Mulattin Beatriz de Palacios vom Schwelenden Holz die Herausgabe der Gefangenen zu erwirken gesucht. Zuerst vergebens. Nachdem er aber hohes Lösegeld geboten hatte, erging an ihn und an die Honoratioren von Vera Cruz die Einladung: sie möchten sich in jenes Bergschloß des Blitzenden Schildes begeben – das Schwelende Holz sei bereit, dort mit ihnen über die Auslieferung zu verhandeln, und er sichere ihnen freies Geleit zu. Mit den wenigen Standespersonen der Hafenfestung – dem Gerichtsschreiber, dem Oberrichter, dem Schatzmeister, dem Büttel und drei Krüppeln, die sich für Hidalgos hielten – traf Escalante am Ort der Zusammenkunft ein. Als die Kastilier das Bergschloß betreten hatten, wurden sie vom Schwelenden Holz, dem Blitzenden Schild und einer großen Schar vornehmer Mexikaner freundlich empfangen und in einen Saal geführt, wo ein Mittagsmahl bereitstand. Sie wurden aufgefordert, sich an den Tisch zu setzen und am Mahl teilzunehmen, und es wurde ihnen bedeutet, der Statthalter wünsche erst nach genossenem Mahl mit den Verhandlungen zu beginnen. Escalante und seine Begleiter fügten sich und aßen, und entzückt waren sie von der Höflichkeit und heiteren Zuvorkommenheit ihrer Gastgeber, die sich nicht genug tun konnten, ihnen Speisen vorzulegen. Als das Mahl beendet war, ließ sich das Schwelende Holz eine Trommel geben, und schwermütig sang er, sich selbst auf der Trommel begleitend, einen Kriegsgesang. Dann eröffnete er den Kastiliern: der Steuermann und die Mulattin seien sauber gewaschen worden, nachdem man sie getötet hatte, – das soeben verzehrte Fleisch sei der gebratene Gonzalo de Umbria gewesen! ... Da sicheres Geleit zugesichert war, konnten die Christen unversehrt nach Vera Cruz zurückkehren. Seitdem hatte der offene Krieg begonnen: mit fünfzig kastilischen Soldaten und tausend Jaguaren des dicken Kaziken war Escalante im Begriff, gegen den übermächtigen Feind zu ziehen, als er den Brief schrieb, der hoffnungslos klang wie ein Abschiedsbrief.

In hilfloser Wut ballte Cortes die Fäuste. Wenn die Hafenfestung ihm entrissen wurde, so war sein Unternehmen gescheitert. Nur noch ein Wunder konnte Vera Cruz retten. Und an ihm war es, das Wunder zu bewirken. Der Gedanke, Montezuma gefangenzunehmen, drängte sich ihm wieder auf – wie sehr er ihn auch als wahnsinnig, als ungeheuerlich erst abwies. War die Gefangennahme so undenkbar? fragte er sich jetzt. Ein Vorwand, ein Rechtsmittel war ihm durch Escalantes Brief in die Hand gegeben. Denn das war mehr als wahrscheinlich, daß das Schwelende Holz die Scheußlichkeit des kannibalischen Festmahles nicht zu ersinnen, nicht auszuführen gewagt hätte, wäre von Montezuma nicht Weisung dazu ergangen. Und selbst wenn es sich nicht beweisen ließ, konnte geltend gemacht werden, daß der Herr für die Untat seines Dieners verantwortlich sei.

An diesem Abend ging Cortes mit Marina – ohne La Azteca – durch den Garten ans Seeufer. Die Sorge hatte ihn wieder zu Marina zurückgeführt. Nur mit ihr konnte er reden, nur mit ihr konnte er schweigen. Und seine Stummheit war eine Abbitte. Nur Marina ahnte, erahnte jede Regung seines Seelenlebens, sie allein ermaß, wie hoch der Einsatz war, um den er tolldreist spielte.

Auf den strahlenden Tag war ein regnerischer Abend gefolgt. Tropfen fielen mit scharfem Knattern und Prasseln auf die harten Palmenblätter, übertönten die blechernen Schreie der Kraniche und Ibisse. Bedeckt von weißlicher Wolkendecke stand der abnehmende Mond unweit des heiligen Hügels, des »Akazienberges«, auf dessen Spitze beim Jubelfest Unsere-Jahre-umgürten-sich in der herzberaubten Brust des Sklaven-des-Feuers die heilige Flamme errieben wurde. Nur den Himmel erhellte das verhüllte Mondlicht, kaum die Erde.

Doch die Lagunenufer waren fast taghell erleuchtet von roten Fanalen. Ungeschwächt durch den Tropenregen loderte die Flammenbrunst des Unserer-Großmutter-Holz genannten Leuchtturmes, glutete das Altarfeuer des Schlangenberges.

»Da schau, wie der Regenhimmel blinkt –: es ist der Widerschein des Goldes und Silbers von Mexico, der droben schimmert!« sagte Cortes zu Marina.

Sie wußte, was er meinte. Wie der Himmel unermeßlich und unerreichbar war das Gold Montezumas, und war allmächtig wie der Himmel ... In der glänzenden Glashaut ihrer schwarzen Augen spiegelte sich das Pharuslicht, spiegelten sich die düsteren Ahnungen des Geliebten.

Plötzlich faßte sie seinen Arm und zeigte auf den Schilfsee. Ein endloser Zug von Lichtern näherte sich. Meist zu zweien schwebten die Lichter. Wie eine Prozession war es von dunstgestaltigen, durchscheinenden Totenseelen, welche, Kerzen haltend, ihren Grüften entstiegen waren. Sie schwebten auf und ab, näherten sich feierlich, gemessen.

»Der Zug des Todes!« murmelte Cortes. »Gott zeigt mir die Zukunft meines Heeres! ...«

Und als er bald darauf erkannt hatte, daß es Leuchtkäfer waren, groß wie Heuschrecken – blieb er dennoch dabei: Gott habe ihm den Zug des Todes gezeigt. Marinas Tränen vermochten es ihm nicht auszureden.


Nach der regnerischen Nacht erglomm ein wundervolles Morgenrot am wolkenlosen Himmel und vergoldete die liegende, über Felskolossen schneeig aufgebahrte Leiche der Weißen Frau.

Gleich nach Tagesanbruch hatte sich das Christenheer am nördlichen Stadttor Iztapalapans gesammelt. So gering an Zahl, so winzig erschien plötzlich Cortes seine Streitmacht, daß er Alvarado in den Tecpan zurückschickte, nachzuforschen, ob nicht Kastilier zurückgeblieben seien. Doch Alvarado fand keine Nachzügler. Nun marschierte das kleine Heer auf dem zwei Meilen langen Steindamm dem südlichen Stadttor Tenuchtitlans zu. Der breite Dammweg, auf welchem acht Berittene nebeneinander Platz hatten, war von Neugierigen überfüllt, ein Voranschreiten wurde bald zur Unmöglichkeit. Schon tags zuvor war die Ankunft in Iztapalapan um Stunden verzögert worden durch das Zusammenströmen von Myriaden sich herandrängender Zuschauer auf der großen Heerstraße zwischen Xochimilco und dem Schilfsee. Und jetzt staute sich die Menge dermaßen, daß Diego de Ordas, eingezwängt von allen Seiten, weder vor- noch rückwärts konnte und schon den Degen aus der Scheide riß, seine Grauschimmelstute herauszuhauen ... Da eilte der Totonakenfürst Tehuch dem Heere vorauf, immerwährend den Mexikanern zurufend: die Söhne der Sonne töteten jeden, der sich ihnen in den Weg stelle. Er erreichte damit, daß sich zwei Menschenmauern auf beiden Seiten des Dammweges bildeten und eine Gasse frei ließen, so daß die Christen nun schnellen Schrittes vorankommen konnten.

Vom Steindamm aus sah das Heer auf dem weit sich ausbuchtenden, mit Zypressen und Zedernwäldern umbordeten südöstlichen Teil des Sees unzählige schwimmende Inseln und mit bemalten Männern, Frauen und Kindern gefüllte Kanoes, am nahen westlichen Seeufer aber – wovor nicht weniger dicht gedrängt sich Einbäume auf den blauen Wellen schaukelten – die Städte Mexicatzinco, Coyoacan und Huitzilopochco. Dunstzitternde, greifbar nahe und doch so ganz unwillkürlich an den Beschauern vorübergleitende Architekturbilder. Jede dieser Städte hatte mehrere tausend – teils an Land, teils auf Pfahlwerk in den See gebaute – Häuser und prachtvolle getürmte Tempel, übertüncht mit weißer Kalkerde, silbernen Zauberschlössern ähnlich im lichtglitzernden Morgenschein.

Von Coyoacan aus führte ein anderer Steindamm ebenfalls nach Tenuchtitlan und traf mit dem Damm von Iztapalapan – etwa eine halbe Meile vor dem Stadttor und unfern des letzten Dammdurchstichs, der Brücke Xoluco – an einem Acachinanco genannten, der Wasserstadt quer vorgelagerten und mit hohen Wehrtürmen versehenen Bollwerk zusammen. Durch je eins der zwei südlichen Festungstore eintretend, verschmolzen die beiden Dammwege innerhalb des Bollwerks und verließen es als einer durch das eine, Tenuchtitlan gegenüberliegende Tor.

Die langen, aus großgequadertem Granit zusammengefügten Steindämme waren an mehreren Stellen durchstochen. Zwanzig Fuß breit flutete das Wasser in diesen Durchstichen und war von zierlich gezimmerten Holzbrücken überwölbt. So viele blendende Bilder zogen an den Augen der Schreitenden vorbei, die immer noch wachsende Erregung war so aufwühlend, daß nur wenige von den Kastiliern im Rausch und Taumel ihres Seelenfiebers die Muße fanden, Betrachtungen darüber anzustellen, wie bequem sich's zwar nach Tenuchtitlan hineinschritt, wie schwierig aber ohne die leicht entfernbaren Holzbrücken der Rückweg sein würde.

»Nun sind wir bereits in der Mausefalle!« flüsterte Francisco de Lugo dem an seiner Seite reitenden Christobal de Olid ins Ohr, als sie den ersten Durchstich hinter sich hatten.

Ohne Verzug und ohne Zwischenfall wurden auch die anderen Holzbrücken überschritten. Die Vorhut hatte die Festung Acachinanco erreicht. Hier jedoch, am östlichen Tor des Bollwerks, trat eine Verzögerung von mehr als einer Stunde ein. Gehüllt in Kopalrauchwolken, umragt von wehenden Federwerkstandarten, umtost von dumpfen Teponaztli-Trommeln und schrillen klagenden Goldflöten, kam der Adel Mexicos, Handfahnen, Zeremonienstäbe und Fächer tragend, dem Grünen Stein entgegen, ihm das Herannahen des Weltherrn anzumelden. Der Sonnenglanz hüpfte und wirbelte im schillernden Geflirr und Gewirr und Geschwirr der goldgrünen Quetzalfederkronen, der schwarzgelben Trupialfederbüschel, der blutroten Chamolinfederquasten – von denen eine jede einen erlegten Feind bedeutete. Die Edelsteinriemen, die glitzernden Brustschmucke und Stirnbinden aus Edelmetall kreischten Lichtgesänge, umtobt, umheult von der Farbenorgie der Perlen, Amethyste, Bernsteine, Opale auf den grasgrün, ockergelb oder kobaltblau geschminkten Männerkörpern, deren einzige Bekleidung – von den blitzenden Juwelen abgesehen – eine schlohweiße oder grellrote Schambinde und ein mit Edelfedern verbrämter Mantel war. Viertausend Adlige waren es, die dort am Sohn der Sonne vorbeizogen, und jeder von ihnen räucherte und grüßte, indem er mit der Hand die Erde berührte und die Hand dann zu den Lippen führte, die Worte des Willkommens sprechend.

Da das Herannahen Montezumas angekündigt war, ritt jetzt Cortes an der Spitze seiner Feldobristen dem Heer voraus. Sein Page Juan de Salazar und sein Stallmeister Martin de Gamba schritten links, Marina, die ihrer Sänfte entstiegen war, schritt, als indianische Fürstin gekleidet, rechts vom rabenschwarzen Romo. Gleich nachdem Cortes das Bollwerk Acachinanco durchschritten hatte, gewahrte er, aus dem langgestreckten dunklen Festungstor ins flirrende bläuliche Lichtwirrwarr heraustretend, das demantenhafte Blitzen des königlichen Zuges. Doch noch eine ziemliche Strecke mußte er auf der Dammstraße zurücklegen, bevor sein Auge Einzelheiten unterscheiden konnte.

Am letzten Dammdurchstich, an der Xoluco benannten hölzernen Zugbrücke, trafen sie zusammen. Drei Adlige königlichen Geblütes schritten voraus, sich auf mannshohe Goldstäbe stützend. Dann folgten vier große Tragsessel, über und über prunkvoll verziert mit stilisierten Blumen und Rankenwerk aus reinem Golde, eingelassenen Perlen und Edelsteinen. Im vordersten Tragsessel saß Montezuma, in den drei anderen die Könige von Tezcuco und Tlacopan, der Edle Traurige und der Durch-Zauber-Verführende, und Montezumas Bruder, der Überwältiger, Fürst von Iztapalapan. Der Tragsessel Montezumas ruhte auf den Schultern von sechs »Adlerprinzen« – Adligen der Kriegerkaste –; und vier andere Adlerprinzen hielten die silbernen Masten eines den Weltherrn überdachenden Baldachins aus metallisch flammenden Tzinizcanfedern. Und diese zehn Träger des Sessels und des Baldachins gingen barfuß, obgleich sich unter ihnen die höchsten Staatsbeamten befanden: der Ordner der Heerscharen, der Vorsteher des Speerhauses, der Vorsteher des Schwarzen Hauses und der Weibliche Zwilling.

Eine zwei Klafter lange Fahne, ein Meisterwerk der königlichen Federmosaikarbeiter, flatterte neben dem goldenen Tragsessel Montezumas. Nur aus Federn des schwarzgelben Trupialvogels war sie gearbeitet. In ihrer Mitte blinkte auf schwarzem Hintergrund ein überlebensgroßer grellgelber Totenschädel.

Montezuma und die anderen Könige verließen ihre Tragsessel. Die höchsten Würdenträger bückten sich, herrliche Teppiche hinzubreiten, damit der Fuß des Herrn der Welt den Boden der Brücke nicht berühre, welcher von anderen Erdgeborenen zuvor betreten worden war. Montezuma schritt Cortes entgegen und wurde von den ihm zur Rechten und zur Linken barfuß gehenden Mitregenten des Drei-Städte-Bundes, den Königen von Tezcuco und Tlacopan, an den Ellenbogen gestützt. Die Volksmenge war anbetend niedergekniet, berührte mit den Stirnen den Boden des Steindammes. Niemand außer den Königen durfte es wagen, den Blick zum Herrn der Welt zu erheben. Zweihundert Prinzen, alle entschuht, doch in märchenhafter Kleiderpracht, folgten, je zwei und zwei, den Königen. Ihnen voran gingen sechs Axtträger mit kupfernen Prunkäxten.

Cortes warf seinem Stallmeister die Zügel Romos zu und schwang sich aus dem Sattel. Näher kommend, betrachtete er mit prüfender und kühl abwägender Neugier den Gang, die Gestalt und Kleidung des Mannes, dem zu begegnen, den gefangenzunehmen und zu knechten seit so vielen Monaten sein Ziel war. »Er gleicht aufs Haar jenem falschen Montezuma im verschneiten Berghospiz von Ithualco« – schoß es Cortes durch den Kopf –, »doch noch schlanker und geschmeidiger ist sein Körper als der jenes Tempel-Fegers und länger das vornehm geschnittene Gesicht, schwermütiger ...« Auch fiel es Cortes auf, daß die Gewandung des Königs zwar weniger reich als die des falschen Montezuma, dafür bei weitem phantastischer war. Montezuma hatte für die Begegnung mit dem weißen Gotte eine seiner ganz seltsamen Kriegstrachten gewählt. Er trug einen Panzer aus gelben Papageienfedern und – von den Hüften bis zu den Knien – ein glockiges Mädchenröckchen aus blauen Federn. Die Sandalen, Sandalenriemen und Wadenschienen waren von Gold. An der blauen Diadembinde strahlte als einzige Verzierung ein Türkisvogel, abwärts schwebend, mit dem Kopf nach unten, so daß der Schnabel die Mitte der Stirn berührte. Auf dem Rücken Montezumas aber war die aus Federn gebildete Ungestalt eines Tzitzimitl, eines Dämons, befestigt – des weiblichen Dämons Izpapalotl, Obsidian-Schmetterling, von welchem die Königsschwester Papan in der Unterwelt verfolgt worden war, ein scheußlicher Drache mit fletschendem, aufgerissenem Rachen und langem Echsenschweif war der Körper des riesenhaften Schmetterlings, und die Augen, Füße und Krallen waren aus Gold, an den Rändern der langen Schmetterlingsflügel aber blitzten scharfe Feuersteinmesser.

Das linke Handgelenk Montezumas verzierte eine Goldspange mit einer taubeneigroßen Kamee, in »Blutstein« – so wurde Chalzedon genannt – geschnitten, welche die thronende Gestalt des Herrschers von Mexico darstellte. In der rechten Hand hielt er einen mit Saphiren besetzten Beinknochen.

Cortes ging auf Montezuma zu, ihn in derselben zeremoniösen Weise zu begrüßen, wie es die Monarchen Europas zu tun pflegten: er wollte ihn umarmen, nachdem er sich tief vor ihm verbeugt hatte. Schon stand er dicht vor dem König. In diesem Augenblick aber, als er die Arme ausstreckte, sie ihm um die Schultern zu legen, stellte sich blitzschnell der Edle Traurige schützend und drohend vor den Zornigen Herrn und verhinderte die körperliche Berührung. Cortes biß sich auf die Unterlippe, daß sie blutete. Er und Montezuma lächelten sich höflich an, nur ihre Augen lächelten nicht. Ihre Augen haßten und fürchteten und maßen einander wie Tieraugen, die sich im Urwalddickicht begegnen. Montezuma war sich bewußt, daß Cortes einen unerhörten Schimpf erlitten hatte, obgleich nichts zu bereuen war – vor Schlimmerem hatte ihn der Edle Traurige bewahrt, indem er ihn vom todeswürdigen Vergehen abhielt: der König Mexicos war ein göttliches Wesen, wer ihn berührte, wäre ein Kind des Todes gewesen ... Montezuma beeilte sich, den peinlichen Eindruck zu verwischen. Er winkte einen seiner prinzlichen Begleiter heran, streifte sich von der rechten Hand den aus Affenleder gefertigten blauen Handschuh ab und entnahm einer milchigen Jadeitvase[?] langgestielte Orchideen. Mit einer Verbeugung, nachdem er die Hand zur Erde und dann zum Mund geführt hatte, reichte er Cortes die Blumen hin. Dieser nahm die Blumem mit einer stummen Verbeugung in Empfang und beschenkte den König mit einem Halsband aus venezianischen Glasperlen, welche echten Perlen und Diamanten täuschend nachgebildet waren. Als Gegengeschenk hängte ihm Montezuma zwei schwere Goldketten um den Hals: die Kettenglieder bestanden aus schön gearbeiteten goldenen Meerkrabben.

Nun begann die Zeremonie der Begrüßung durch die Prozession der zweihundert Prinzen. Als einige dreißig an Cortes, den Boden und den Mund mit der Hand berührend, vorbeidefiliert waren, machte Montezuma, um die weißen Götter nicht länger aufzuhalten, der Zeremonie ein Ende, indem er Cortes bei der Hand faßte und mit ihm der Stadt zuschritt. Am Stadttor verabschiedete er sich und beauftragte seinen Bruder, den Überwältiger, und den Edlen Traurigen, Cortes und sein Heer durch die in allen Straßen und auf allen Dachterrassen von Myriaden Neugieriger überfüllte, vor Erregung wie ein Bienenkorb rauschende Stadt nach dem leerstehenden alten Tecpan seines Vaters, des Königs Wassergesicht, zu führen. [leer] Im nördlichen Teile des Stadtviertels Moyotla, unweit des Steindammes nach Chapultepec und des großen Aquädukts gelegen, dehnte sich der alte Tecpan mit seinen Nebengebäuden und Gärten vom Schlangenberg-Tempel bis zur westlichen Lagune hin und bedeckte einen kaum geringeren Flächenraum als der von Montezuma an der Südspitze von Moyotla erbaute Huei-Tecpan. Strahlte dieser glanzvoller in purpurner Herrlichkeit, so war die düstere violette Pracht jenes alten Tecpans vom Geist einer versunkenen Epoche umweht, und aus den in Stein verewigten Schlächtereien und Greuelszenen an seinen Wänden starrte den Beschauer das Bild des furchtbaren Königs Wassergesicht an, dem nach der Einweihung eines neuen Adlersteines das im Übermaß genossene Menschenfleisch und getrunkene Menschenblut zum Verhängnis geworden war.

Vorderseite und Haupteingang des Tecpans befanden sich dem westlichen Tor der Schlangenmauer gegenüber, nur durch einen freien Platz getrennt von ihr.

Gleich nachdem das Heer angelangt war, traf Cortes Anordnungen, den Palast in eine unbezwingliche Burg zu verwandeln.

Es war Mittag geworden. Ein königliches Mahl für die Offiziere, ein überaus reichliches für die Mannschaft wurde aufgetragen, serviert von Montezumas Tafelmeister und einigen hundert Sklaven und Sklavinnen. Nach dem Mahl wurde geraucht und Siesta gehalten.

Gegen Abend stattete Montezuma Cortes seinen Besuch ab.

Cortes umgab sich mit seinem kleinen Hofstaat, empfing den König am großen Tor des Tecpans und geleitete ihn in den Audienzsaal. Auf einer Estrade prangten dort zwei mit Halbedelsteinen inkrustierte und mit Jaguarfellen bedeckte Thronsessel. Montezuma hieß seine Begleiter sich an eine der Längswände aufstellen. Der christliche Hofstaat stellte sich ihnen gegenüber an die andere Längswand.

Mit sinnender Trauer ruhten die Augen Montezumas, nachdem er sich mit Cortes niedergesetzt hatte, auf Marinas schönem Gesicht, während sie leicht und gewandt seine Worte übertrug.

Seit die Wächter des Meeres die erste Kunde von den Wasserhäusern überbracht und das Mädchen Malintzin mit der Blumengöttin verglichen hatten, war von allen ausgesandten Kundschaftern, Zauberern und auch von den Gesandten – dem Staubaufwirbler, dem Schwelenden Holz, dem Herabstoßenden Adler, dem Rauchenden Blut – immer wieder ihr Name genannt, ihr Liebreiz beschrieben, ihre Klugheit mit ehrfürchtiger Verwunderung erwähnt worden, als wäre sie ein unheimliches, zauberhaftes, verderbenbringendes Wesen, wie etwa die Mutter der Hexen oder die Bergblume auf den Schroffen des weißen Tlaloc.

Die Trauer um sein Land und um sein eigenes Los verdunkelte sich am Glanz des kühnen Eindringlings und seiner Gefährtin, die, ein Kind Mexicos, Mexico und ihn verriet, und zu der er sich trotzdem wundersam hingezogen fühlte.

»O meine Tochter, o Malintzin«, begann Montezuma, .sage dem Sohn der Sonne, was ich dir sage.«

Er richtete die ersten Worte an Marina, wie es vor ihm die meisten einheimischen Fürsten und Gesandten bei Verhandlungen mit Cortes getan hatten. Die Kastilier, der Sprache unkundig, hörten immer nur die Anrede »Malintzin« und hatten daraus den falschen Schluß gezogen, mit dem Namen Malintzin – welchen sie in Malinche verballhornten – werde von den Indianern Cortes bezeichnet.

Die Begrüßungsrede Montezumas bei diesem ersten Besuch ist später von einem Azteken aufgezeichnet worden. Sie lautete:

»Du bist in dies Land gekommen, das dein ist, in deine Stadt und deine Behausung Mexico. Gekommen bist du, dich auf deinen Thron zu setzen, auf deinen Königssitz, auf welchem ich selbst in deinem Namen während etlicher Tage gethront habe. Anderen hingeschwundenen Königen gehörte es vordem, den Königen Obsidian-Schlange, Himmelspfeil, Wassergesicht, Kreideweiß und Molch. Als der letzte übernahm ich das Amt, dein mexikanisches Volk zu beherrschen, die Bürde, für deines Landes Verwaltung und für deine Untertanen zu sorgen, habe ich getragen. Weder schauen noch wissen können meine verblichenen Vorgänger, was heute geschieht. Oh, hätte es den lebenspendenden Göttern doch gefallen, daß einer der toten Könige noch lebte und daß er erlebte, was unter meiner Herrschaft geschieht! Doch sie sind dahin, o Sohn der Sonne, und ich schlafe nicht, ich träume nicht, wahrlich, mit meinen eigenen Augen sehe ich dein Antlitz und deine Gestalt! Viele Tage sind es nun, daß ich alles dies erwartet habe, lange Zeit waren die Augen meines Herzens dorthin gerichtet, wo ihr – du und deine Begleiter – herkommt. Ihr seid aus Wolken und Nebel herausgetreten, aus einem jedermann verborgenen Ort. Wahr ist es, was die Könige, unsere Vorfahren, uns als Weissagung hinterlassen haben: du werdest wiederkehren, Herr zu sein über diese Königreiche, du werdest deinen Thron und Königssitz wieder einnehmen. Ich sehe jetzt, daß sie wahr gesprochen. Seid denn willkommen. Und erfreut euch in euren Palästen an meinem Gold und Silber, an meinen Juwelen und kostbaren Federn – denn euretwegen habe sich sie gesammelt und aufbewahrt!«

Zwei große Tränentropfen glitzten an Montezumas Wimpern, rollten über seine hohlen Wangen.

In seiner Antwort dankte Cortes für die so überschwengliche Freigebigkeit. Doch habe er nicht des Goldes und des Silbers wegen den mühseligen Weg nach Tenuchtitlan zurückgelegt. Sein hoher Gebieter, der große Herr des Sonnenaufgangs, Don Carlos de Austria, fühle ein tiefes Mitleid mit dem Herrscher Mexicos und seinen Völkern, weil sie, falschen Göttern dienend, ihre Seelen verderbt hätten und, ewigen Höllenstrafen verfallen, in umflammten Kesseln, in Pfuhlen voll Menschenkot, in glühenden Bleisärgen oder im Eise des untersten Höllenringes, von Höllengabeln und Zangen der Diener Beelzebubs zerfleischt, für ihren Irrglauben büßen müßten – es sei denn, daß ihnen das Heil gebracht würde und sie es nicht von sich wiesen. Vom erbarmungsvollen gnädigen Kaiser sei er und sein Heer entsandt worden, das Friedensreich der Grüngefiederten Schlange – die Herrschaft der über allen Menschen und Königen thronenden Moral – wieder aufzurichten. Und jetzt, da er Montezuma von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehe und sehe, welch ein milder, freigebiger Fürst er sei, zweifle er keineswegs daran, daß die Völker Mexicos den Dienern Satans entrissen werden, gerettet durch Montezuma, der damit sich selbst retten werde und, wenn er sich der göttlichen Gerechtigkeit unterordne, zu einem Fürsten der Gerechtigkeit in den Ländern des Westens werden könne, wie Don Carlos in den Ländern des Ostens ein solcher sei. Diese Völker hätten bisher in der Finsternis gelebt, und ihnen müsse geholfen werden. Auf seinem Zuge über die Schneeberge habe er von seinen Freunden, den Totonaken und Tlascalteken, und anderen Völkerschaften mancherlei Klagen gehört über die Blutgier der Götter, der Könige und der Völker des Drei-Städte-Bundes, er lege den Anschuldigungen kein großes Gewicht bei, da der Krieg die Seelen zu vergiften pflege, so daß fremdes Unrecht aufgebauscht und das eigene Unrecht gern übersehen werde, doch behalte er sich vor, bei anderer Gelegenheit auf jene Anklagen zurückzukommen, und versichert solle Montezuma sein, daß er als Schiedsrichter keinem anderen Leitstern folgen werde als dem der allheiligen Gerechtigkeit.

Montezuma antwortete hierauf nichts. Die Erwähnung der Tlascalteken hatte ihm die Tränen getrocknet. Daß mit den Kastiliern viertausend Rebellen nach Tenuchtitlan gekommen waren, empörte jedes mexikanische Herz. Mit heiterem Antlitz und überaus höflich erkundigte er sich nach dem Rang der Unterfeldherren. Cortes stellte ihm seine Feldobristen, seine Fähnriche und einige seiner besten Soldaten vor und auch die Anführer der Hilfstruppen: Tehuch, Piltecatl und die Schwarze Blume. Der Kriegsruhm des Totonaken und besonders des verwegenen Tlascalteken, der in Cholula dem Alten Raubtier die weiße Schminke überbracht hatte, war Montezuma bekannt, und – mochten sie auch Erbfeinde sein – er ehrte sie durch ein flüchtiges Neigen seines Kopfes. Daß aber der Erzrebell, der Überwinder des Feldherrn die Rose und Brandschatzer vieler mexikanischen Städte sich unter dem Schutze der Gastfreundschaft im alten Tecpan aufhielt, empfand Montezuma als einen unverwindbaren Schimpf. Seit jenem Abend, als in Gegenwart des Herrn des Fastens die Schwarze Blume seinem enthaarten Lieblingshund den Bauch aufgeschlitzt hatte, begegneten sie sich heute zum erstenmal. Und das Schicksal hatte es gewollt, daß die Schwarze Blume heute ein Zeuge der tiefsten Demütigung des Zornigen Herrn wurde. Finster wandte sich Montezuma ab und beachtete es nicht, daß der junge König sich eben anschickte, ihm die Hände und die Füße zu küssen.

Geschenke – Gold, Silber, Steingeschmeide, fünftausend baumwollene Mäntel – ließ der Zornige Herr hereintragen und an die Feldobristen verteilen. Der hellblonde blauäugige Alvarado fiel dem Zornigen Herrn auf und wurde durch die Frage ausgezeichnet, ob er Tonatiuh, der Sonnenheld, sei.

Nicht als Geschenk, sondern als ein Pfand seiner Freundschaft und ehrfurchtsvollen Ergebenheit, wie er sich ausdrückte, verlieh beim Abschied Cortes dem König den Knaben Orteguilla als Pagen. Es lag ihm daran, vom ersten Tag an einen Spion in der Umgebung Montezumas zu haben. Der Knabe war genau unterrichtet worden, wie er sich zu benehmen habe.

Nach Sonnenuntergang hielten die Kartaunen, Feldschlangen und Basilisken ihre dumpfen – wenn auch diesmal nur scherzhaft gemeinten – Begrüßungsansprachen an die Bewohner Mexicos und versetzten sie in Grauen und Schrecken.


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