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Mit den Sklavinnen der Herrin von Tula war auch Isabel de Ojeda über den See gekommen. Von den fünfundvierzig gefangenen Christen war nur noch sie am Leben. Als nach der Rückkehr der Gesandten nach Tlascala die Steinigung des Alten Wickelbärs bekanntgeworden war, hatte der Herabstoßende Adler den Hauptmann Francisco de Lugo, den Fähnrich Villareal, den Arkebusier Juan de Najera und den Portugiesen Alfonso Ferreira aufs grausamste schlachten lassen. Diese vier waren ihm von Ohrring-Schlange als Geschenk für Huitzilopochtli ausgehändigt worden. Zwar hatte der Alte Wickelbär im Gespräch mit Cortes auch Isabel de Ojeda erwähnt, doch beruhte das auf einem Irrtum. In Aussicht gestellt hatte Ohrring-Schlange die Auslieferung Isabels, falls dadurch die Befreiung der Königin Maisblüte erkauft werden könnte. Während er aber die vier Männer nach Mexico sandte, behielt er Isabel in Tezcuco, behielt sie auch, als durch die heimgekehrten Gesandten das Gerücht verbreitet wurde, Königin Maisblüte sei von den Gelbhaarigen ermordet worden. Der Forderung, Isabel müsse als Sühneopfer fallen, widersetzte er sich. Und gerührt von ihren Tränen, bezaubert von ihrer Schönheit, machte er – als Besitzer und Herr der Kriegssklavin – von seinem Recht Gebrauch, ihr den Tod zu erlassen. Den Abmahnungen der Herrin von Tula zum Trotz liebte er sie, nachdem sie seine Schlafbuhle hatte werden müssen, mit einer scheuen, ehrfurchtsvollen Hingabe, gleichsam ein höheres Wesen in ihr witternd – wegen oder trotz ihrer weißen Haut und wegen oder trotz ihrer zur Schau getragenen stolzen, herausfordernden Verachtung. Er bemühte sich, ihr bitteres Los zu lindern. Damit freilich erschwerte er ihre Lage, da seine hartherzige Mutter die weiße Göttin, die unter ihrer Aufsicht als Sklavin im königlichen Tecpan lebte, seine Liebe entgelten ließ.

Daß Isabel de Ojeda nicht tot sei, erfuhr Cortes, als das kastilische Heer wieder wie vor Jahresfrist bewundernd und angstbeklemmt von der Höhe des Kordillerenpasses nördlich der Weißen Frau auf das Hochtal Anahuac und die fünf Seen hinabblickte und überrascht wurde durch die unerwartete Ankunft der Schwarzen Blume. Erst wenige Tage zuvor war die Schwarze Blume nach Tezcuco vorausgeeilt, weil ihm die Nachricht zugekommen war, das Volk Tezcucos wolle sich gegen Ohrring-Schlange erheben. Er hatte gehofft, sich der Stadt ohne Schwertstreich bemächtigen zu können, – nun kam er wundenbedeckt als Flüchtling zurück und kniete, als er sich von Christen umgeben sah, zum Gebet nieder, seinem Schöpfer für die wunderbare Rettung dankend.


Von abenteuerlichen Erlebnissen erzählte er Cortes. Er war heimlich in Tezcuco eingedrungen und hatte sofort mit seinen Anhängern beratschlagt, wie sie durch einen Handstreich das Haus der Speere, die Tore und den königlichen Tecpan in die Gewalt bekommen könnten. Verkleidet, mit phantastischer Gesichtsbemalung wagte er sich ins Volksgewühl, schritt unerkannt bei lichtem Tage durch die Gassen. Da erblickte er eine weiße Sklavin – Isabel de Ojeda. Alle Vorsicht außer acht lassend, ging er ihr nach und flüsterte ihr auf spanisch zu: ihre Befreiung stehe nahe bevor. Obgleich er sie beschworen hatte, sich nichts anmerken zu lassen, vermochte sie ihre Freude nicht zu verbergen. Die Volksmenge wurde aufmerksam, bedrohte ihn. Er mußte flüchten, wurde eingeholt, überwältigt und gefesselt. Nachdem sein Bruder Ohrring-Schlange erfahren hatte, wer der Gefangene sei, ließ er ihn in das außerhalb Tezcucos gelegene Lustschloß Tezcotzinco schaffen – wohl weil er befürchtete, bei einer Opferung innerhalb der Stadt könne das Volk den Lieblingssohn des Herrn des Fastens zu retten versuchen. Auf einer senkrecht in den Schilfsee abstürzenden Felsenterrasse wurden der Schwarzen Blume die Fesseln abgenommen. Wie ein König wurde er begrüßt, mit Kräutertränken und Früchten bewirtet. Und ein hoher Hofbeamter überreichte ihm im Namen des Königs Ohrring-Schlange goldene Sandalen, Ohrgehänge und einen Kolibrifedermantel. Der Hofbeamte schnürte ihm die Sandalen an die Füße, schmückte ihn mit dem Ohrgehänge und legte ihm den Mantel um die Schultern; – am Halsausschnitt des Mantels aber befand sich ein hänfener Strick.

»O großer Krieger«, sagte der Hofbeamte, »diesen prachtvollen Mantel schenkt dir der König!«

Als aber vier Diener hinzusprangen, die Enden des Strickes zu erfassen, sagte die Schwarze Blume:

»Laßt mich noch einmal meinen See und meine Berge sehen, ehe ich mich ausruhe!«

Das durften sie ihm nicht abschlagen. Über die Brüstung gelehnt, blickte er auf den türkisvogelfarbenen See hinab. Dann ließ er sich blitzschnell hinabgleiten. An den Felsvorsprüngen wurde sein Körper geschrammt und zerfetzt, und doch – was niemand für möglich gehalten hätte – er erreichte lebend das Wasser. Untertauchend mußte er schwimmen, denn sofort hatte sich die Terrasse mit Kriegern gefüllt, und Hunderte von Pfeilen wurden ihm nachgesandt. Als er nach einer Weile, um Atem zu schöpfen, emportauchte, erblickte er Ohrring-Schlange unter den Bogenschützen. Seine kühne Flucht bewundernd, rief Ohrring-Schlange:

»Von solchem Stamm mußte solch ein Sproß kommen!«

Und Ohrring-Schlange verhinderte seine Verfolgung.


Den Smaragdfelsen und den Brunnen der Verjüngung suchte Ordas nicht mehr. Ordas hatte fortan ein neues Ziel: die Befreiung seines Mündels Isabel de Ojeda. Täglich und stündlich hielt er sich seine Schuld vor Augen: durch den unseligen Bärenkampf im Zedernwald von Teotihuacan war er abgehalten worden, ihr im Augenblick der höchsten Gefahr zur Seite zu stehen – sei es, um sie zu retten, sei es, um sie zu töten, damit ihr Schlimmeres erspart bleibe. Daß er selbst mit dem Leben davongekommen war, empfand er als eine Schmach, die er sich niemals verzeihen durfte. Mit seinem Leben hoffte er seine Schuld begleichen zu können.

Der Schwarzen Blume vage Kunde von Isabel wurde bald hernach auf eine erschütternde Weise bestätigt. Gegen Tezcuco vorrückend, lagerte das Christenheer in dem fünf Meilen südlich dieser Stadt gelegenen Orte Coltepec (»Wachtelberg«), und an der Wand eines Palastes dort wurde die mit Kohle geschriebene Inschrift entdeckt: »Gefangen weilte hier, auf dem Wege nach den Altären Mexicos, der unglückliche Francisco de Lugo.« Und von anderer Hand war kaum leserlich darunter gekritzelt: »Wir sollen gefressen werden. Glücklich ist Santisteban, der im Kampfe fiel, glücklich sogar Isabel, die des Kaziken Metze ward.«


Die Christen – fünfhundertvierzig Fußsoldaten, vierzig Reiter und fünfundzwanzigtausend Tlascalteken – waren bis vor die Tore Tezcucos gerückt. Vier vornehme Adlerfürsten des Königs Ohrring-Schlange fanden sich bei Cortes ein, überreichten ihm als Huldigungsgeschenk des Königs ein Edelsteinperlband sowie Schmucksachen aus gehämmertem Gold: der König, »der seine Stadt am Seeufer hat«, heiße den Grünen Stein und seine kühnen Krieger willkommen und freue sich, sie in seinem Tecpan zu beherbergen und reich zu bewirten.

Finster ließ Cortes durch Marina erwidern: Ehe er als Gast die Stadt betrete, verlange er die Rückgabe Isabels und die Auslieferung des Königs Ohrring-Schlange samt allen anderen Verbrechern, die an der Ermordung Lugos und seiner Gefährten teilgehabt.

Die Acolhuaken blickten einander bestürzt an, und in ihrer Angst logen sie, ohne selbst innezuwerden, daß ihre Lüge eine stolze anklägerische Wahrheit war. Es gäbe einige Leute in der Stadt – sagten sie –, die pflegten unter dem Baume zu weinen, an welchem der Hauptmann Avila den kleinen König Menschen-Puma hängen ließ, und einige weinten auch um den Edlen Traurigen, der in der Schatzkammer des Königs Wassergesicht erdrosselt wurde. Diese Anhänger Menschen-Pumas und Cacamas hätten sich an den gefangenen Christen gerächt. Dagegen seien die übrigen Bewohner Tezcucos wie auch König Ohrring-Schlange schuldlos.

Eine so offenbare Lüge zu widerlegen, bemühte sich Cortes nicht. Er lachte verächtlich und wiederholte streng seine Forderung: binnen einer Stunde müßten Isabel und Ohrring-Schlange ihm zugesandt werden – sonst werde in Tezcuco kein Stein auf dem andern bleiben.

Die vier Abgesandten kehrten in die Stadt zurück. Das Stadttor wurde hinter ihnen geschlossen, und auf der Stadtmauer zeigten sich Schildträger und Bogenschützen: Tezcuco richtete sich auf eine Belagerung ein.


Doch als am folgenden Morgen die christliche Artillerie die ersten zwei Steinkugeln in die Stadt geschleudert hatte, öffneten kampflos die Acolhuaken ihre Tore, und von neuem suchten Adlerfürsten Cortes auf – geführt von einem obersten Adler, einem Getreuen der Schwarzen Blume. Er bat um Schonung der Stadt und Einstellung der Feindseligkeiten, da König Ohrring-Schlange mit seiner Mutter, der Herrin von Tula, und seinem ganzen Anhang bei nächtlicher Weile nach Tenuchtitlan entflohen sei, – nur noch Freunde der Schwarzen Blume weilten innerhalb der Mauern. Freilich habe Ohrring-Schlange Isabel de Ojeda mit über den See genommen, so daß ihre Rückgabe nicht ausführbar sei.

Das Heer zog in Tezcuco ein. Die vier Stadtteile, in welchen streng voneinander abgeschieden Aztlaneken, Acolhuaken, Tepaneken und Huitznaken wohnten, überboten sich mit Freudenbezeigungen. Die Christen wateten durch Blumen. Jäh fand der Jubel ein Ende, da im Sanktuar des Tezcatlipoca-Tempels vierzig gegerbte weiße Menschenhäute entdeckt wurden und auch das Fell der Grauschimmelstute Diegos de Ordas: im Halbkreis um den Altar waren die Wände mit diesen furchtbaren Trophäen bespannt. Die Kastilier erkannten an Narben und Muttermalen einzelne ihrer Kameraden wieder. Blindwütige Rachsucht schäumte auf. Um die schöne Stadt vor Zerstörung zu bewahren, sah sich Cortes gezwungen, dem tobenden Zorn einige Sühneopfer in den Rachen zu werfen. Obgleich er Straflosigkeit zugesichert hatte, hielt er Gericht. Er fragte die versammelten Würdenträger: Wie das zu erklären sei, daß von seinen Kampfgenossen nur die Häute sich erhalten hätten? Wo denn ihre Schädel und Knochen seien? Denn er habe vor, ihnen ein christliches Begräbnis zuteil werden zu lassen.

Die Schädel – wurde ihm beklommen entgegnet – befänden sich im Haus der Köpfe. Aus den Arm- und Beinknochen aber seien schöne, mit Juwelen verzierte Flöten gefertigt worden.

»Hat Ohrring-Schlange sie gefertigt? Oder die Herrin von Tula?

Oder die Adler und Jaguare, die mit ihnen entflohen?« fragte Cortes spöttisch.

Er erhielt keine Antwort. Und weiter fragte er:

»Was wurde aus dem Fleisch meiner Glaubensgenossen?«

Die Gefragten blieben stumm. Da sagte Cortes:

»Ihr Fleisch wurde in Schüsseln gebraten und wurde, in Maiskuchen verbacken, von euch Kannibalen gefressen. Alle Einwohner dieser Stadt haben – ohne Ausnahme – das Leben verwirkt. Bloß meinem Freunde Schwarze Blume zuliebe will ich mich mit einer maßvollen Sühnung begnügen – wenn ihr fünfundvierzig der Schuldigen herschafft, sei es, daß diese bei der Opferung mitgeholfen, sei es, daß sie die Knochenflöten gefertigt, sei es, daß sie am kannibalischen Mahl teilgenommen.«

Begierig, für ihre Mitbürger zu sterben, meldeten sich so viele, daß ihrer mehr als die Hälfte abgewiesen werden mußte. Die Schuldigen – und das waren die besten Söhne Tezcucos – wurden vom Henker Osorio an die unheimlichen Yucca-Bäume gehängt, deren schwertförmige Blätter die Eingänge der Tempelhöfe beschatteten.


Die Schwarze Blume war nun unumschränkter Herr über Acolhuacan. Er war und blieb der ungekrönte König. Hätte er gewollt, er hätte das Krönungsfest feierlich begehen können, weder sein Bruder – der durch die nächtliche Flucht das Recht auf den Thron verscherzte – noch die Christen wären imstande gewesen, ihm es zu untersagen. Aber die Schwarze Blume war klug genug, einzusehen, daß die Zeit nicht dazu angetan war, Freudenfeste zu feiern. Seine Hauptstadt trauerte: an den Yucca-Bäumen wiegten sich die Gehenkten im Winde. Auch wollte er sich nach heidnischem Ritus nicht krönen lassen – an einer christlichen Krönungsfeier aber hätte sein noch ungetauftes Volk Anstoß genommen. Statt Großer Chichimecatl oder Chichimeca tecuhtli (Herr der Chichimeken) nannte er sich daher bloß Statthalter von Tezcuco und ließ sich von Cortes diesen Titel verleihen. Nachdem er in wenigen Tagen ein Heer von hunderttausend Acolhuaken aufgestellt hatte, fand er für seinen ruhelosen Betätigungsdrang kein Feld in Tezcuco: die Belagerung Mexicos – das war in einem Kriegsrat beschlossen worden – durfte nicht eher beginnen, als bis die noch im Bau befindlichen dreizehn Brigantinen gezimmert, aus Tlascala über die Kordilleren an den Schilfsee gebracht und vom Stapel gelassen waren. Voll lodernder Ungeduld erbat sich die Schwarze Blume von Cortes Urlaub, um nach Tlascala zu eilen, wo er durch seine Mithilfe den Bau der Schiffsteile zu beschleunigen hoffte.

Daß er um Urlaub nachsuchte und nicht eigenmächtig das Heer verließ, hatte seinen Grund darin, daß kurz vor dem Aufbruch nach Anahuac Cortes, gewitzigt durch die bösen Erfahrungen mit Olid und der nie abreißenden Aufsässigkeit – besonders mancher von Narvaez übernommener Soldaten – müde, ein drakonisches Edikt erlassen hatte. Verstöße gegen die Disziplin sollten in Zukunft ohne Rücksicht auf den Dienstgrad geahndet werden.

»Unser Krieg wäre ungerecht«, so begann jenes bedeutungsvolle und folgenreiche Dekret, »unser Krieg wäre ein verabscheuungswürdiger Raubzug, wenn es nicht unser einziges Ziel wäre, diese Völker vom Götzendienst abzubringen, in ihnen die Sehnsucht nach Erlösung zu wecken und sie dem christlichen Glauben zuzuführen.«

Würfelspiel, blasphemische Schwüre und Duelle verbot das Dekret als ehrenschänderisch für ein Kreuzfahrerheer. Mit dem Tode bedroht war die Vergewaltigung einheimischer Frauen. Mit dem Tode bedroht war die Aneignung und Verheimlichung erbeuteter Sklaven und Kostbarkeiten. Mit dem Tode bedroht war Fahnenflucht – und als solche galt jede eigenmächtige Entfernung vom Heer.


Mit Genugtuung nahm es Cortes auf, daß der mächtige Bundesgenosse sich Urlaub erbat, mochte er als Unterfeldherr auch dazu verpflichtet sein. Doch ihn nach Tlascala ziehen zu lassen, hielt Cortes für bedenklich. Er traute ihm nicht rückhaltlos, wollte ihn unter den Augen behalten. In Tlascala war der Schiffbau in guten Händen, am Eifer des Schiffbaumeisters Martin Gutierrez und seiner Zimmerleute zu zweifeln, lag ebensowenig Grund vor wie am politischen Takt und der Umsicht des Hauptmanns Andrés de Tapia, den Cortes zum Befehlshaber der kleinen zurückgelassenen Heeresmacht ernannt hatte, um ihn für seine schimpfliche Degradierung – sie hatte nur wenige Wochen gedauert – zu entschädigen. Dort war der Statthalter Tezcucos nicht vonnöten. So machte ihm denn Cortes einen Gegenvorschlag. Für den Stapellauf der Brigantinen mußte ein breiter Kanal am Schilfsee und für ihren späteren Schutz ein landeinwärts gelegener großer Hafen gegraben werden. Ob er gewillt sei, die Grabungen auszuführen und die erforderlichen Erdarbeiter zu stellen? – Geschmeichelt und überstolz sagte die Schwarze Blume zu und ging unverzüglich mit hemmungsloser Begeisterung (wie es seine Art war) an die Ausführung. Da jedoch bloße Begeisterung, Strebsucht und Beschäftigungsdrang nicht genügten, unterstellte ihm Cortes den weißhändigen Sanchez Farfan und den jüngst zum Hauptmann ernannten Alonso de Ojeda, Isabels Bruder, dessen Aufgabe es war, ihn unauffällig zu leiten, zu beraten, vor allem aber, ihn auf Schritt und Tritt zu beaufsichtigen.

Denn auf Indianer war nun einmal kein Verlaß, auch nicht auf diesen ungestümsten und mächtigsten aller Bundesgenossen. Blinde verderbliche Naturkräfte kann listreicher Menschengeist wohl bändigen, ableiten, ja auch in Bahnen leiten, in denen sie nutzbringend werden. Daß es in diesem Fall gelingen werde, ließ sich erhoffen, aber nicht voraussagen. Bleibt es doch allemal ein Wunder, wenn ein jung gezähmter Tiger nicht zubeißt, nachdem er ausgewachsen seiner Kraft sich bewußt wird. Darüber war Cortes sich vollkommen klar, daß einige hundert Kastilier Tenuchtitlan nicht einnehmen konnten, daß der bevorstehende Kampf ein Krieg der Schwarzen Blume gegen den Herabstoßenden Adler sein werde. Die anderen Verbündeten – die Tlascalteken, Cholulteken, Totonaken und Chalken – zählten kaum im Vergleich zur Militärmacht Acolhuacans: das Heer von hunderttausend Mann konnte die Schwarze Blume, wenn nötig, verdreifachen. Vor Jahresfrist hatten zwar fünfhundert Kastilier vermocht, sich in Tenuchtitlan einzunisten, dank dem Aberglauben Montezumas, welcher Götter zu Gast geladen hatte, – ein zur Wehr sich setzendes Mexico aber mit solch einem Häuflein anzugreifen, wäre ein eitles Unterfangen gewesen. Das Ziel des Bannerherrn mußte sein, die beiden Raubtiere aufeinanderzuhetzen und, nach dem Unterliegen des einen, auch den Sieger unschädlich zu machen ...


Vom König Hungriger Schakal, dem Vater des Herrn des Fastens, war der altertümliche, Tecpilpan – »Am Federbusch« – geheißene Tecpan erbaut worden, den jetzt die Kastilier bewohnten. Die Schwarze Blume schritt mit Cortes und Marina durch den abendgeröteten Schloßgarten und blieb sinnend vor einem hohen Steinbildnis stehen –: es stellte einen König, umlodert von einer flatternden Schmuckfederaureole dar, dem ein unterjochter Fürst in krummer, hündischer Haltung eine Blume hinreichte.

»Dieses Königs Liebe war verflucht!« murmelte die Schwarze Blume. Und Cortes fragte:

»Wer war dieser König?«

Da die Schwarze Blume schwieg, antwortete Marina:

»Der Hungrige Schakal, der strahlendste Herrscher, den Anahuac gesehen, ein großer Dichter und ein großer Feldherr ...«

»Ich wundere mich über Euer Nichtwundern!« rief die Schwarze Blume aus. »Ihr betrachtet den edelsten der Türkisgebürtigen ohne Staunen, ohne Bewunderung. Dieser wunderbare König hat lange im Hause der Schwarzen Schlange gelebt, ehe er zur Sonne vordrang. Er befreite die Welt vom schlimmsten Drachen ... Dann freilich verhalf er einem noch schlimmeren Drachen zur Macht!«

Fragend schaute Cortes Marina an.

»Er meint Mexico«, sagte sie. »Und mit dem ersten Drachen meint er das zerstörte Tepanekenreich.«

Wiedergutmachen wollte Cortes die unbeabsichtigte Kränkung – war ihm doch eben mangelnde Teilnahme vorgeworfen worden. Nun stellte er Fragen und ließ sich aus der Vorgeschichte Tezcucos den reizvollsten Abschnitt erzählen. Die ein Jahrhundert zurückliegenden, doch schon sagenhaft gewordenen Geschehnisse, fortlebend in der mündlichen Überlieferung der Priesterschulen, waren ausgeschmückt und von Generationen gewissermaßen umgedichtet worden zu einem Heldenlied vom Hungrigen Schakal.


Als Mexico fast noch ein Pfahldorf war und die Azteken alljährlich eine Ente und einen Frosch als Tribut dem Tepanekenkaiser Zürnender Aderlasser darbringen mußten (spottvoll bemitleidet vom Despoten als zu arm für besseren Tribut), gedieh und blühte das chichimekische Reich Acolhuacan am östlichen Schilfseeufer. War den jenseits der Lagune herrschenden Tepaneken der wachsende Reichtum Tezcucos ein Dorn im Auge, so hatte der Zürnende Aderlasser auch noch einen persönlichen Grund zu unauslöschlichem Haß –: mit seiner Tochter Prinzessin Obsidianblume hatte der König Acolhuacans – der wie der Pulque-Gott Ome tochtli, »Zwei Kaninchen«, hieß – den Beischlaf nicht vollzogen und hatte sie nach pomphafter Traufeierlichkeit in die Tepanekenhauptstadt Azcaputzalco als Mädchen zurückgeschickt, weil sie weniger schön war als seine Kebsweiber.

Nun erhielt eines Tages König Zwei Kaninchen eine Anzahl Baumwollballen vom Zürnenden Aderlasser, mit der Bitte, sie von seinen Untertanen zu Mänteln verweben zu lassen und ihm die Mäntel zu senden.

Das Volk Tezcucos murrte: Sind wir die Fronarbeiter der Tepaneken? Aber König Zwei Kaninchen beachtete den Schimpf nicht und schickte die Mäntel. Auch als ein zweites Mal Baumwollballen eintrafen, erfüllte er das Begehren des dreisten Nachbarn. Eine dritte Baumwollsendung langte an. Diesmal ließ er zurückmelden: er behalte die Baumwolle, um daraus Baumwollpanzer für seine Krieger weben zu lassen.

Der Krieg begann.

Der greise Tepanekenkönig ernannte seinen Sohn Schambinde zum Heerführer. König Zwei Kaninchen aber stellte sich selbst an die Spitze der Chichimeken. Und bald erlebte Anahuac mit Staunen die Wandlung eines verweichlichten Fürsten in einen siegreichen Feldherrn. Das zertrümmerte Tepanekenheer suchte schließlich Schutz hinter den Mauern von Azcaputzalco.

Nach vierjähriger Belagerung sah der Zürnende Aderlasser ein, daß seine Stadt verloren war, wenn List sie nicht rettete. Er schickte dem König von Tezcuco Gesandte und ließ ihm melden, er gebe sich in seine Hand und erkenne ihn an als den Herrn der Welt. Berauscht vom Klang des Ehrennamens »Herr der Welt«, ließ jener sich betören. Voll unbesonnener Ritterlichkeit verzichtete er auf Rache und erklärte: genug Blut sei geflossen, und er wolle die nicht strafen, die vom Himmel gestraft seien.

Er hob die Belagerung auf und kehrte nach Tezcuco zurück, als Sieger scheinbar, in Wahrheit als Unterlegener. Entrüstet über die verhängnisvolle Großmut, entfremdete sich ihm der Adel Acolhuacans. Bloß drei oder vier seiner Vasallen blieben ihm treu: – die anderen vermehrten die allzubald wiedererstarkende Macht der Tepaneken.

Zwei Kaninchen begriff bald, daß das Verhängnis für ihn selbst, seine Krone und sein Land unabwendbar war. Es von seinem zwölfjährigen Sohne, dem Hungrigen Schakal, abwenden zu können, war fortab seine einzige Hoffnung – außer ruhmvoll zu fallen. Lebte sein Kind, so lebte der Königsstamm fort, und ein Rächer und Wiederhersteller des Thrones von Tezcuco konnte dereinst erstehen.

Ohne Kriegsansage überfiel Prinz Schambinde Acolhuacan. Und diesmal war König Zwei Kaninchen außerstande, der Übermacht sieghaft entgegenzutreten. Im Stich gelassen von seinem Adel, in mehreren Schlachten besiegt, wurde er schließlich in seiner Hauptstadt umzingelt und belagert. Ein Verräter öffnete den Feinden ein Tor. Und während das kampfmüde Volk Tezcucos gemeinsam mit den Tepaneken die königlichen Paläste wie auch die des abtrünnigen Adels plünderte, entwich der König mit dem Hungrigen Schakal und drei ihm zur Seite gebliebenen Fürsten in eine Schlucht. Als er tags darauf Verfolger nahen sah, befahl er seinem Sohn, einen hohen Wildkirschenbaum zu ersteigen und sich im Laubwerk versteckt zu halten. Weinend nahm er Abschied von ihm, beschwor ihn, sich aufzusparen, damit das uralte Blut der Chichimekenkönige nicht versiege, und ihn Jaguar-Arm nennend, ermahnte er ihn, sich mit Bogen und Pfeil zu üben bis zum Tage der Vergeltung. Seine Begleiter aber schickte er in eine benachbarte Festung unter dem Vorwand, sie müßten von dort Beistand herbeiholen. Allein nahm er den Kampf mit den Tepaneken auf und fiel nach tapferer Gegenwehr.

Sein Kopf wurde abgeschlagen, seine Insignien geraubt, um dem Zürnenden Aderlasser vorgezeigt zu werden. Die nackte, wundenbedeckte, geköpfte Leiche blieb in der Schlucht, wo bald darauf geflüchtete Tolteken, Handwerker aus Tezcuco, sie fanden und (trotz der Schändung) erkannten. Aus Binsen und Zweigen fertigten sie einen Totenstuhl, setzten die mit einigen Federn notdürftig geschmückte und mit weißer Erde geweißte Leiche darauf, murmelten bis Sonnenuntergang Grablitaneien und entzündeten sodann das Leichenfeuer des Königs, wie es damals noch die alte Sitte der Tolteken heischte. Dem Knaben, der aus dem Baumgeäst herabgestiegen war, rieten sie, über den Gebirgswall nach Huexotzinco, Cholula oder Tlascala zu fliehen, da der Zürnende Aderlasser eine hohe Belohnung auf seinen Kopf gesetzt hatte.

Das große Reich Acolhuacan – das die eine Hälfte des Hochtals Anahuac von Teotihuacan und Otempan bis südlich Chaico umfaßt hatte – lag nun zertrümmert, der Willkür und Rachsucht preisgegeben, da. Der Zürnende Aderlasser gewährte den Besiegten eine Frist von zwei Jahren, sämtliche Wurfbretter, Speere, Pfeile und Obsidianschwerter abzuliefern, Handel und Wandel in ihrem verwüsteten Lande wiederherzustellen und der furchtbaren Hungersnot zu steuern. Vom dritten Jahre an waren sie verpflichtet, die in den früheren Kämpfen des Königs Zwei Kaninchen zerstörten Tempel, Paläste und Häuser der Tepaneken wieder aufzubauen. Alle, ob arm oder reich, ob hoch, ob niedrig, mußten entweder daheim Waren für die Feinde verfertigen oder in Feindesland mit Mörtel und Kelle den Frondienst tun. Ausgenommen waren bloß die geschicktesten Handarbeiter – Goldschmiede, Steinschneider, Federarbeiter –, die in Azcaputzalco angesiedelt wurden, auch Frauen und Mädchen wurden nach der Tepanekenresidenz verpflanzt, wenn sie schön zu spinnen und buntgemusterte Mäntel zu wirken verstanden.

Der Sieger begnügte sich mit dieser abgefeimten Folter und Blutaussaugung nicht. Täglich heckte er neue Grausamkeiten aus, von denen die seltsamste wohl diese war: Abgesandte des Zürnenden Aderlassers durchstreiften Acolhuacan, und in jeder Stadt und jedem Dorf ließen sie sich die kleinen Kinder – im Alter von zwei bis zu zehn Jahren – vorführen. Und sie richteten an die Kinder die Frage: ob sie den Zürnenden Aderlasser oder den Hungrigen Schakal zum König haben wollten. Diejenigen von den Kindern, die, ihren Eltern nachredend, den Hungrigen Schakal nannten, wurden an den Häusermauern zerschmettert. Mit dieser Kindervertilgung erreichte der greise Zwingherr indes nur, daß sein Name zum Abscheu wurde in Anahuac, daß aber der Name des entkommenen Königsknaben – von dem wenige bis dahin gehört hatten – nun allgemein bekannt ward und von allen heimlich geflüstert wurde, die unter der Tepanekenherrschaft ächzten. Das waren nicht nur die Besiegten.

Denn gleich nach dem Tode des Königs Zwei Kaninchen nahm der Zürnende Aderlasser eine Teilung der Welt vor und ernannte sich selbst zum Herrn der Welt. Er war hundertdreißig Jahre alt und dermaßen hinfällig, daß er in einem mit Moorschnepfendaunen angefüllten Weidenkorb liegend umhergetragen werden mußte: tags setzte man ihn der Sonnenbestrahlung aus, und nachts wurde er im Korb zwischen zwei lodernden und immerzu geschürten Scheiterbränden gebettet, damit sein erkaltendes Blut nicht vereise. Während rote Bäche über die Steintreppen seiner Tempel flössen und mit märchenhaften Reigen die Bewohner Azcaputzalcos den Sieg feierten, versammelte er alle Könige der blauen Erdscheibe um sich, teilte und verteilte die Welt.

An der Gebirgswand freilich endete seine Welt. Dahinter lag das regnerische Tlalocan, wo die Mutter der Hexen und die Bergblume Wolken schoben. Das Vierfürstentum Tlascala und die Königreiche Huexotzinco, Cholula, Tepeaca und Quauhquechollan hatten dem Zwingherrn den Treueid nicht geleistet, und sie wagten es, dem Hungrigen Schakal Schutz und Freistatt zu gewähren.

Zehn Jahre lang führte der junge König ein Flüchtlingsdasein diesseits und jenseits der Vulkankette. Obgleich vogelfrei, betrat er immer wieder den Boden des einstigen Acolhuacan und horchte auf den Herzschlag seines gemarterten Volkes. Während er selbst vom zwölfjährigen Knaben zum Jüngling heranwuchs, nahm er allmählich das Wachsen der Volkssehnsucht nach Befreiung und Rache wahr. Meist unerkannt, ließ er sich mit Hirten, Jägern oder Feldarbeitern in Gespräche ein. »Ob der Hungrige Schakal wohl noch lebt?« pflegte er dann zu fragen, und aus den Antworten ersah er, wer für, wer gegen ihn war, und erfuhr auch von manchem geplanten Anschlag der Tepaneken gegen ihn. So war er immer wieder gefeit und konnte verglimmende Hoffnungen seiner Anhänger zum Brand anschüren.

Einer seiner Anhänger, bei dem er übernachtete, verbarg ihn unter Nequen-Hanf, während die Krieger des Weltherrn das Haus durchsuchten. Aus gleichem Anlaß bedeckte ihn eine Bäuerin mit Salbeibündeln. Ein Adlerritter steckte ihn unter seine Trommler und Sänger, so daß die Verfolger ihn unter den Musizierenden nicht herausfinden konnten. Einmal hielt er sich hinter einem buschigen Balsambaum am Wege versteckt und hörte, wie die Verfolger einen jungen Landarbeiter vergeblich über ihn ausforschten, und er stellte, nachdem sie außer Sicht waren, an jenen die Frage: warum er ihn nicht verraten habe, obgleich sein Versteck ihm bekannt war? ob er das vom Weltherrn versprochene schöne adlige Mädchen sich nicht verdienen wolle? Zur Antwort lachte der junge Landarbeiter bloß ...

Lange genug hatte das Schicksal im Revier des Unglücks geweilt – jetzt wandte es sich und suchte die Wege des Glückes auf. In allen Teilen des einstigen Acolhuaken-Reiches sammelten sich heimlich Banden und vereinigten sich mit einem großen, von den Freistaaten Huexotzinco und Tlascala über die Kordilleren geschickten Heer, zu ihnen stieß ein nicht minder großes Hilfsheer aus Chalco. Als Feldherr dieser Truppenmacht besiegte der Hungrige Schakal die Tepaneken, vertrieb sie aus Tezcuco und gründete das neue Reich Acolhuacan.

Bald darauf wurde er von seinem Oheim Obsidian-Schlange um Beistand gebeten. Von Schambinde, dem Nachfolger des Zürnenden Aderlassers, waren, weil er seine Macht schwinden sah, Obsidian-Schlange fünfundzwanzig Mädchen geschenkt worden, der aber hatte sie zurückgewiesen mit den Worten: Ob Mexico die Ente und den Frosch noch zahlen müsse, würde nicht durch Mädchen, sondern durch Sägeschwerter entschieden. In einer schier endlosen Schlacht – sie dauerte hundertfünfzehn Tage – vernichtete der Hungrige Schakal gemeinsam mit Obsidian-Schlange die Tepaneken. Schambinde, welcher Schutz in einem Schwitzbad gesucht hatte, wurde auf den Marktplatz geschleppt, und dort – nicht auf einem Teocalli, da er der Vergöttlichung nicht würdig war – riß ihm der Hungrige Schakal das Herz aus der Brust. Von der herrlichen Stadt Azcaputzalco blieben nur Trümmer übrig.

Und es war der Hungrige Schakal, der den Drei-Städte-Bund schuf. Er setzte durch, daß an der Weltherrschaft auch die den Ruinen Azcaputzalcos benachbarte Stadt Tlacopan beteiligt ward (deren Stadtkönig ihn einst vor tepanekischen Meuchelmördern gewarnt hatte).

Seitdem lebte der Hungrige Schakal in Tezcuco, baute Tempel, Paläste mit zaubervollen Gärten, gründete Gelehrtenakademien und schrieb das erste Gesetzbuch Anahuacs. Seine sechzig Gedichte übertrafen alle vor ihm und nach ihm entstandenen an Tiefe, Klang und süßer Schwermut. Wenn der Drei-Städte-Bund Kriege führte, so stellte er seine Adler und Jaguare den Mexikanern zur Verfügung, ohne selbst in die Schlachten zu ziehen. An der Herrlichkeit des Lebens lag ihm hinfort mehr als an der Herrlichkeit des Todes: die blutdürstigen Götter mit Kriegsgefangenen zu sättigen, überließ er dem aufstrebenden, kampfgierigen Mexico, überließ ihm damit freilich auch die Ausrüstung, Ausbildung und Führung der Heerscharen des Drei-Städte-Bundes.

Auf dem Landsitz eines seiner Vasallen, des alten Fürsten von Tepechpan, war er einmal zu Gast und erblickte dort ein Mädchen von ungewöhnlicher Schönheit. Es war die Braut des alten Fürsten, seit ihrer Kindheit mit ihm verlobt, war sie in seinem Tecpan aufgezogen worden, die Hochzeit stand nahe bevor. Dem hohen Gast zu Ehren mußte sie beim Mahl Speisen und Getränke umherreichen. Und als der König ihr eine Kakaoschale abnahm, berührten sich ihre Hände, und des Mädchens offenes Haar streifte seine Wange. Voll Verwirrung ließ er die Schale fallen, so daß sie in Scherben brach. Mit wundem Herzen reiste er ab, besessen vom Bilde der jungen Braut.

Einige Zeit hernach erhielt der alte Fürst den Befehl, sich zu den Heerscharen zu begeben, welche damals an der Grenze Tlascalas fochten. Verwunderlich war der Befehl, es gab jüngere Adler in Acolhuacan, und man pflegte Weißhaarige nicht in den Kampf zu schicken, es sei denn, daß sie sich freiwillig meldeten. Zu mehreren seiner Freunde äußerte der Fürst bekümmert: sein Tod sei beschlossen, er werde wohl nicht zurückkehren. Und nicht unbegründet war seine Besorgnis. Mit zweien seiner Unterführer hatte der Hungrige Schakal heimlich Zwiesprache gehalten –: von ihnen ins wildeste Schlachtgewühl gelockt, fand der alte Fürst den Tod.

Schuldbewußt verbarg der König seine Liebe, ließ nur durch eine Vermittlerin das Mädchen wissen, daß sie zur Königin erwählt sei. Nach Ablauf eines Jahres veranstaltete er ein Fest in Tezcuco und lud auch die Geliebte ein. Während sie mit anderen Frauen die Blumen des Schloßgartens bewunderte, trat er, von Fürsten umringt, auf einen Altan des Palastes hinaus, und scheinbar erstaunt über den Liebreiz des Mädchens, fragte er, wer sie sei. Man klärte ihn auf. Er ließ das Mädchen rufen, redete mit ihr, als wäre er ihr noch niemals begegnet, und zeichnete sie während der Tänze aus. Bald darauf wurde sie Königin von Acolhuacan.

Die schlechte Tat richtete sich selbst. Weil Jahre vergingen, ohne daß der erhoffte Thronerbe zur Welt kam, verfiel die Königin in Schwermut. Der Hungrige Schakal aber, der aufgeklärteste Herrscher Anahuacs, der eine Stufenpyramide mit neun Terrassen »dem unbekannten Gott« erbauen ließ und sich mit dem Gedanken getragen hatte, den Blutdienst abzuschaffen, gab sich in die Hände der Priester, indem er ihnen sein Verbrechen beichtete. Und er erfüllte die Forderung der Priester, vierzig Tage lang zu fasten und die vernachlässigten Altäre mit mehr Schlachtopfern als bisher rot zu tünchen. Damit ward der Fluch des Himmels abgemildert – die Königin gebar einen Sohn, den Herrn des Fastens.

»Der Fluch des Himmels« – so schloß die Schwarze Blume seinen Bericht – »war abgemildert, nicht beseitigt und lastet seither auf unserem blauen Diadem. Verdüstert war das Herz des Herrn des Fastens, meines Vaters: im Alter ächzte es verwundet von den Übergriffen Montezumas, und er starb einen rätselhaften Tod nach dem Ballspiel um die drei Truthähne. Der Edle Traurige ward erwürgt. Menschen-Puma ward gehenkt. Ohrring-Schlange hat lange versteckt unter Leichen gelebt, um die Krone nicht tragen zu müssen, – man sagt, weil der Herr des Fastens ihn durch den Alten Wickelbär warnen ließ ... Auch ich will mich nicht beeilen, das blaue Copilli Tezcucos mir auf die Stirn zu setzen.«


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