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Olids Heer umzingelte den Roten Berg. Ehe es zu einer Kampfhandlung kam, trat eine Abordnung, weiße Papierfähnchen schwingend, aus dem Stadttor und teilte den Kastiliern mit: der Rollende Stein bäte um eine Zusammenkunft mit dem Feldherrn der weißen Götter – er sei bereit, den Streit friedlich beizulegen.

Obgleich Olid keinen Augenblick daran zweifelte, daß der Kampf sich nicht vermeiden ließ, da die Tötung des Einsiedlers Sühne forderte, ging er doch auf den Vorschlag ein, mit dem Rollenden Stein vor dem Stadttor zusammenzutreffen – vielleicht hoffte er einen Einblick in den Rückhalt des Feindes zu gewinnen.

Um sich mehr Ansehen zu verleihen, umgab er sich mit den bestgekleideten seiner Kastilier und befahl dem Neger, mit gezogenem Schwert dicht hinter ihm drein zu schreiten. Olid hatte, bevor er das Weiße Mondgefilde verließ, auf dem Markt ein rotes Stück Zeug erstanden und für Estevan Parillas phantastisch zurechtschneidern lassen. Dieser schritt nun hinter ihm in blutrotem, bis zu den Fußknöcheln herabwallendem Talar und blutrotem Turban auf dem Kopf, das blinkende Schwert senkrecht vor sich hin haltend. Und blutrot wie der Talar fleckte der Mund das Negergesicht, blinkend wie die Schwertklinge blitzten die Zähne und das Weiß in den Augenwinkeln.

Von zwei Sklaven unter den Armen gestützt und umringt von den Großen seines Landes, kam der hagere, hakennasige, ältliche Fürst den Christen entgegen. Ein hochmütiges Lächeln kräuselte seine dünnen Lippen. Doch ließ er es an Höflichkeit nicht fehlen. Mit dem Zeigefinger berührte er lässig den Erdboden und dann seine Stirn, entnahm einer von einem Haus-Erleuchter getragenen Tonvase langgestielte Schildkrötenblumen und reichte sie Olid als Begrüßungsgabe.

Während Olid den Arm vorstreckte, die Blumen entgegenzunehmen, drängte sich plötzlich aus der Umgebung des Rollenden Steines ein hünenhafter, muskelstarker Mexikaner vor. Er trug wie alle Adler-Edelleute ein Matacaxtli, eine Tasche für Feuersteinspitzen, am linken Arm. Daraus holte er blitzschnell ein Steinbeil hervor und schwang es gegen Olids Kopf. Aber noch bevor er traf, traf das niedersausende Schwert des Negers seine Hand und trennte sie am Handgelenk vom Arm. Gleich einer schweren Frucht fiel die Hand zu Boden, noch immer das Steinbeil umkrampfend. Und ein roter Springbrunn aus dem Armstumpf übergoß die Festkleider der Christen.

Ein unbeschreiblicher Wirrwarr folgte. Ohne Kampfbefehl begann der Kampf. Durch das offene Tor drangen die wütenden Kastilier und Tlascalteken in den Roten Berg, schonten Frauen, Kinder und Greise nicht. Die Hälfte der Bewohnerschaft wurde niedergemacht.

Olid gab Befehl, die Überlebenden mit dem Buchstaben G (was Guerra, Krieg, bedeuten sollte) auf der rechten Wange zu brandmarken und in Vera Cruz (was das wahre Kreuz bedeuten sollte!) als Sklaven zu verkaufen. Er hoffte vier Goldpesos für jedes Stück Mensch zu erhalten – denn als Piezos, »Stücke«, wurden Sklaven bezeichnet! –, und es waren fünftausend Stück. Da der Matrose und Henker Pero Osorio bei Cortes geblieben war, erhielt Estevan Parillas den Auftrag, die Henkerarbeit zu übernehmen. Er führte sie zur Zufriedenheit seines Herrn aus, brannte mit glühendem Eisen fünftausend Gs in menschliche Wangen.

Auch dem Rollenden Stein und zehn seiner Hofbeamten blieb dieser Schimpf nicht erspart, außerdem aber waren sie von Olid des Mordversuchs wegen verurteilt, durch das Schwert des Negers geköpft zu werden – womit Olid, der Gerechtigkeit zuliebe, auf das Verdienst von einundvierzig Dukaten verzichtete. Ein Schafott zu bauen oder einen Henkerblock herzurichten, war der Mühe nicht wert. Auf einer Wiese vor den Mauern der Stadt mußten der Rollende Stein und seine zehn Gefährten niederknien. Nicht einmal mitgeteilt war ihnen worden, wozu. Zweien der Knienden schnitt der Neger die Köpfe ab. Da begriffen der Rollende Stein und die anderen, daß sie sterben mußten. Mit unsäglich heiterem Gesichtsausdruck erhoben sie sich, warfen ihre Kleider ab, tanzten und sangen:

»Kunstvoll glättete ich mein Lied, wie der Zacuanvogel sein Gefieder.
Aus einer Goldtrompete steigt mein Lied empor,
Zum Himmel steigt es wie der schwellende Weihrauch der Blumen.
Gewiß nicht auf Erden ertönen diese Weisen.
Möge ihnen erlaubt sein, vor dir, Rauchender Spiegel, zu schweben.
In deinem himmlischen Tecpan bei dir und mit dir zu weilen ...«

Der Neger ging um die Tanzenden herum, und ein Kopf nach dem andern rollte ins Gras.


Olid war zufrieden mit seinem Neger. Auf dem Wege nach Sempoalla freundete er sich vollends mit ihm an. Was er noch nie getan hatte –: er sprach von Maisblüte. Vor Don Pedro Gallejo, meinte er, sei er seines Lebens nicht sicher, da Vendabal sterbend dem Freunde Rache aufgetragen hatte. Estevan Parillas durchschaute, daß Olid andere Gründe haben mochte, sich Gallejos zu entledigen.

»Wenn Ihr mir es befehlt, bringe ich Euch die Tochter Montezumas nach Sempoalla!« sagte er.

Daß dies keine Prahlerei war, daß dem Neger alles zuzutrauen war, wußte Olid. Nach längerem Überlegen erwiderte er:

»Noch nicht. Ich verstehe zu warten und habe noch nie umsonst gewartet!« ...

Unzufrieden mit dem Neger war bloß Sanchez Farfan, dessen Backen wieder blaß und eingefallen waren. Mehrmals warnte er, jedoch vergebens. Der Weißhändige hatte einst, als er noch Sklavenhändler auf Kuba war, böse Erfahrungen mit Estevan Parillas gemacht.

»Nicht nur seinen ersten Herrn hat er erdolcht«, sagte Farfan zu Olid. »Auch drei seiner späteren Herren starben auf geheimnisvolle Weise ... Hütet Euch vor ihm!«

Olid lachte ihn aus.

»Wenn ich mich mein Lebtag gehütet hätte wie andere Leute, wäre ich jetzt nicht Feldobrist! Satan braucht vor Beelzebub nicht auf der Hut zu sein!«


Schlimmer noch als im Weißen Mondgefilde hatte die Seuche in Sempoalla gehaust. Und die wenigen von den Pocken verschont gebliebenen Einwohner flohen entsetzt, als sich die Kunde verbreitete, im Gefolge der weißen Götter befinde sich jener schwarze Gott, dem Totonacapan die Entvölkerung verdankte. Auch der dicke Kazike mit seinem Hofstaat und Heer hatte die Stadt verlassen. Nur Juan Torres, der halbblinde Hüter Unserer Frau der blutroten Rosen, war auf der Spitze des Teocalli geblieben.

Empört über einen Empfang, der kein Empfang war, stieg Olid mit Maria de Estrada die Stufenpyramide empor und stellte Juan Torres wegen der Flucht seiner Christengemeinde zur Rede. Was ihn besonders erboste, war, daß kein Sklavenmarkt in Sempoalla abgehalten wurde, hatte er doch damit gerechnet, einen Teil seiner Menschenware hier absetzen zu können. Er fand den Greis vor dem Sanktuar auf der abgeschlagenen riesigen Steinhand des zerschmetterten Huitzilopochtli hingekauert und von Hunderten von Vögeln umgeben, die furchtlos, als wäre er ein Steinbild, auf seinen Armen, Schultern und auf seiner struppigen Haarmähne umherhüpften.

»Ihr seid mir ein fahrlässiger Hirte, Señor! Wie konntet Ihr Eure Herde davonrennen lassen!«

»Meine Herde sind diese Vögel hier, Don Cristobal! Menschen sind keine Herde – und wenn sie eine sind, so sollten sie keine sein!«

»Oho, Señor! Wollt Ihr die Bibel verbessern? Wollt Ihr leugnen, daß es Menschenhirten gibt? Ich selbst gedenke einer zu sein! Der dicke Kazike aber ist ein hasenfüßiger Fetthammel, wert, am Spieß geröstet zu werden!«

»Sagt das nicht, Don Cristobal! Der Kazike ist ein frommer christlicher Mann ...«

»Nein, Señor! Ein christlicher Heidenhund ist er! Drunten in der Stadt habe ich ein Dutzend Kreuze entdeckt, an deren Fußgestelle kleine Götzen gebunden waren! Diese getauften Halunken knien vor dem Kreuz und lecken heimlich ihren Götzen die Füße. Ihr aber füttert Vögel und seht gar nichts von hier oben aus!«

»Von hier aus sehe ich viel, Don Cristobal, obgleich ich fast erblindet bin. Von oben gesehen sieht die Welt anders aus, ganz anders ... Gewiß, die dicke Prinzessin Doña Catalina band Götzen an die Kreuze – das tat sie, weil die Kreuze die Pocken nicht vertreiben konnten. Nun betet das Volk zu Götzen, wenn es vor den Kreuzen kniet ... Aber kommt es denn darauf an? Dona Catalina war trotzdem eine fromme rechtschaffene Frau. Es kommt ja nur darauf an, daß man zu beten versteht, daß die Seele heraustritt und Gott sucht – einerlei wo sie ihn sucht, wenn sie ihn nur sucht! ... Mein Verstand ist nicht gewitzt wie der Eure, aber ich wohne höher. Ja, die Welt sieht aus der Vogelschau anders aus, ganz anders ... Wäre ich jung, ich würde es allen Christen predigen!«

»Und auf dem Scheiterhaufen enden!« bemerkte Maria de Estrada. »Obgleich Ihr vielleicht manchen finden würdet, der hoch wohnen möchte wie Ihr!«

Olid aber knurrte:

»Seid froh, alter Mann, daß man Euch für einen armen schwachsinnigen Narren hält und daß niemand außer uns beiden Euch hörte! Ihr scheint mir ganz zum Vogel geworden! Redet meinethalben, wie Euch der Schnabel gewachsen ist – dem Großinquisitor bin ich keinen Frondienst schuldig –, doch vernachlässigt Eure Pflicht nicht! Dazu wurdet Ihr als Kapellenwächter nicht eingesetzt, daß Ihr alles gutheißt, was dies Indianerpack uns zum Tort tut! Warum ist die Stadt leer?«

»Das müßt Ihr die Seuche fragen, Don Cristobal, warum sie so viele blühende Leben erwürgte. Vor Gottes Richterstuhl wird die Seuche einst Rechenschaft ablegen müssen. Denn auch der Indianer ist ein Mensch, ist kein Stück Vieh, Don Cristobal! Uns Menschen sendet Gott das Glück, aber auch die Seuche. Die nennen wir Gottes Geißel. Gott geißelt sich selbst mit seiner Geißel. Meine Einfalt sieht wohl, daß es so ist, kann aber nicht ergründen, warum. Gott wendet sich gegen Gott – Er geißelt sich und trägt die Dornenkrone – und Völker sterben. Aber wehe der Geißel, wenn sie nicht mehr gebraucht wird!«

Mit unstet flackernden Augen blickte Olid die Amazone an.

»Ist der alte Hanswurst wahnsinnig, Señora? Das klang ja, als spräche er von mir!« flüsterte er ihr ins Ohr. Im Grunde fühlte er sich geschmeichelt.

Maria de Estrada schüttelte den Kopf. Teilnahmsvoll fragte sie Juan Torrés:

»Starben denn sämtliche Sempoalteken? Auch Doña Catalina India? Auch das Kind Don Hernandos?«

»Ja, Señora«, sagte Juan Tonis. »Als das Kind erkrankte, schnitt sich Doña Catalina beide Ohren ab und weihte sie der heiligen Jungfrau, in der Hoffnung ihr Kind zu retten. Als das Kind dennoch starb, behauptete sie, ihr Sohn sei ein Himmelsgott geworden, und sie wollte durchaus in den Himmel, um dort an seiner Seite zu sitzen. Der Allmächtige erfüllte ihren Wunsch.«

»Und der dicke Kazike? Lebt er noch?«

»Freilich, er lebt. Aber er ist nicht mehr dick – er ist magerer als Ihr, Señora!«

»Warum verließ er die Stadt?« fragte Olid.

»Weil er die Seuche fürchtet!«

Olids Gesicht färbte sich krebsrot.

»Bin ich die Seuche?« schrie er. »Sehe ich wie die Seuche aus?«

Da erhob sich Juan Torres und stand Auge in Auge dem wütenden Feldobristen gegenüber.

»Ihr seid furchtbarer als die Seuche, Don Cristobal!« sagte er leise. »Ihr selbst wißt es noch nicht, und keiner weiß es außer mir. Ich aber sehe, welche Straße Ihr ziehen werdet! Wo Cortes rechts geht, werdet Ihr links gehen! Auch Cortes ist ein Engel des Herrn, doch er ist ein rechtschaffener frommer Mann und nennt sich einen Kreuzfahrer, ist vielleicht auch einer – was weiß ich, der Allweise wird es ja wohl wissen ... Ihr aber wollt Gold, Zerstörung und Knechtung, um wie ein Aasgeier von einer Volksleiche zu leben. Gott erschuf ja auch die Aasgeier – Gott kämpft immer gegen Gott –, also trifft Euch kein Verschulden, wenn Euer Meuchelschwert durch die Länder wandelt wie die Seuche. Unverletzlich ist Eure Schlechtigkeit und groß wie die heilige Krankheit. Ihr mögt mich töten, weil ich so spreche. Einst werdet Ihr meine Worte verstehen!«

Aus der Scheide gerissen hatte Olid sein Schwert und schwang es über dem Kopf des Greises. Doch er vermochte ihn nicht zu töten. Wie gelähmt war sein Arm – der Hieb erstarrte hoch in der Luft. Maria de Estrada packte den Hauptmann am Ellenbogen und zog ihn mit sich fort.

»Kommt, laßt uns hinabgehen, Don Cristobal! Versündigt Euch nicht!«

»Warum konnte ich nicht töten?« murmelte Olid bleich und verwirrt. »Es war, als wäre die Luft Kristall geworden! ...«

Und kopfschüttelnd stieg er mit der Amazone die Pyramidentreppe hinunter.


Die Hafenfestung Vera Cruz schloß ihre Tore, als Olids Heer heranrückte. Nach längerem Parlamentieren mit dem Richter Moreno Madrano mußte Olid sich dazu bequemen, seinen Neger außerhalb der Mauern zu lassen.

Die fünftausend Stück gebrandmarkter Sklaven aus dem Roten Berge wurden von Narvaez Olid abgekauft. Don Panfilo erwarb sie gewissermaßen auf Spekulation. Da der an der huaxtekischen Küste gangbare Preis von vierzig Mänteln für einen Sklaven nur einen mäßigen Ertrag gebracht hätte, ließ er sie in außerhalb der Stadt errichteten Hürden bewachen, um sie bei erster Gelegenheit – sobald Schiffe landen würden – nach Kuba zu schaffen und dort auf den Markt zu bringen. Die Bergwerke Kubas waren ja unersättlich. Er gedachte ein glänzendes Geschäft zu machen und auch die Silbergruben seiner Gattin Maria de Valenzuela mit aztekischer Ware zu versorgen. Pedro Caballero, der jetzt als Nachfolger Escalantes und Sandovals Stadtkommandant von Vera Cruz war, drangsalte die gefangenen Offiziere nicht. Frei umhergehen durften sie in der Hafenfestung, durften ihr Geld nach Belieben verschleudern und hätten ein beneidenswertes Dasein gehabt, wäre ihnen die Zeit in der eintönigen Umgebung nicht überlang geworden. Sie hielten zu viel auf sich, ein Lotterleben zu führen, wie es einst Alonso de Grado, Pedro d'Ircio und der auf Stelzfüßen gehende Steuermann Gonzalo de Umbria – das jus primae noctis für ihr gutes Recht erklärend – getan hatten. Sie knurrten über das »Moskito-Land« und bannten die Langeweile mit Weingelagen. Denn großmütig war Cortes gewesen (vielleicht auch zu beschäftigt mit wichtigeren Dingen) und hatte auf die Weinfässer Don Panfilos die Hand nicht gelegt.

Beim Verkauf der Sklaven waren sich Olid und Narvaez näher gekommen, instinktiv zueinander gezogen durch die gemeinsame Mißgunst gegen das unausrottbare Glück des Cortes. Narvaez und Salvatierra luden Olid und Aguilar in eine – der Moskitos wegen – hoch ins Geäst eines Ceiba-Baumes gezimmerte Bretterlaube zu einem Fäßchen Alicant ein. Das Ehepaar Farfan wurde ausgeschlossen, weil Sanchez Don Panfilo des linken Auges beraubt hatte.

»Er tat es aus Ungeschick, der Tölpel!« sagte Don Panfilo, als Olid und Aguilar mit Hilfe einer Leiter ins Baumgeäst gestiegen waren. »So ein Weißhändiger kann weder zielen noch treffen. Er wurde versehentlich mein Überwinder! Er wurde versehentlich ein Held – wie ein anderer auch, mit dem ich gleichfalls nicht pokulieren würde!«

»Nennt ihn doch beim Namen, den Cortesillo!« feixte Salvatierra. »Ist er denn ein Gottseibeiuns, daß Ihr noch immer zuallererst ausspucken müßt, ehe Ihr die sechs Buchstaben über die Lippen bringt?«

Salvatierra hatte sich seit der nächtlichen Niederlage in Sempoalla nicht abgewöhnt, Cortes als den Cortesillo, das Corteslein, zu bezeichnen. Er tat es, weil er als Speichellecker des Narvaez diesen damit zu trösten vermeinte. Heimlich bewunderte er neuerdings Cortes und brüstete sich beinahe niemals mehr damit, seine Ohren zum Frühstück verspeisen zu wollen.

Eine Herabsetzung seines General-Kapitäns ertrug Olid nicht, obgleich er selbst ihn allzugern herabsetzte. Daß Salvatierra vom Corteslein sprach, mochte noch hingehen, daß aber Narvaez Cortes einen versehentlichen Helden nannte, ging ihm wider den Strich.

»Ihr redet, wie ein versehentlich Besiegter redet, Don Panfilo! Macht doch dem Cortes sein Versehen nach! Ihr kennt ihn nicht, obgleich er ein Jahr lang auf Kuba Euer Untergebener war! Wir, die wir täglich zusammen sind mit ihm, wir kennen ihn auch nicht. Man lernt nie aus an ihm. Aber das weiß ich: – Cortes wird einstmals als Kaiser von Mexico enden!«

Narvaez hatte erst aufbrausen wollen, dann aber hatte er die Kränkung beiseite gelegt und die Ohren gespitzt. Valgame dios! was war ihm da eben zugeklungen? Olid hatte seinen eigenen Gedanken verraten, nicht die des Cortes. Doch das zu unterscheiden, war Narvaez nicht fähig. Immer voll Pathos und großspurig, ein redegewandter Wortemacher, hielt sich Narvaez auch für einen Menschenkenner. Wenig gescheit, war er doch pfiffig. Er nahm sich vor, das Wort Hochverrat zu vermeiden, weil er Olid aushorchen wollte, von dem er annahm, daß er als brutaler Haudegen, der er war, sich nicht durch Scharfsinn auszeichnete.

»Das war mir neu, daß Cortes Kaiser von Mexico werden will ...! Spricht er oft davon, Don Cristobal?«

Aguilar kam Olid zuvor und antwortete:

»Cortes denkt nicht an solchen Wahnsinn! Don Juan Velazquez sprach uns anderen davon – doch niemals Cortes! Ich lege meine Hand für ihn ins Feuer: er ist ein treuer Diener Seiner Majestät!«

»Das sind wir alle!« sagte Narvaez und lüpfte den hohen Toque-Hut. Sich erhitzend, fuhr er fort: »Aber Cortes ist ein ungetreuer Diener Seiner Eminenz des Leiters der indianischen Angelegenheiten! Und ich nenne ihn einen treulosen Diener seines Wohltäters Don Diego Velazquez!«

Mit einem Faustschlag spaltete Olid die Tischplatte. Mehrere Becher fielen klirrend um.

»Sein Wohltäter?« schrie er. »Nicht wahr, ein herrlicher Wohltäter, der ihm achtzehn Karavellen in den Rücken gesandt hat! ...«

»Und bitte, mich nicht zu vergessen!« lachte Salvatierra, der bereits stark angetrunken war. »Daß ich die Ohren Cortesillos nicht verspeisen konnte, war nicht Don Diegos Schuld! Fallt nicht aus dem Nest, Don Cristobal! Wir wiegen uns hier hundert Fuß hoch im Winde – und Ihr habt noch nicht fliegen gelernt!«

Sowohl Olid wie Narvaez waren emporgesprungen. Olid tastete nach seinem Degenknauf. Doch er zog den Degen nicht, da er sah, daß Narvaez waffenlos war. Aguilar flatterte wie ein verschreckter Rabe und war dem Weinen nahe. Salvatierra aber schüttelte sich vor Lachen. Es gelang ihm, die Zürnenden zu beschwichtigen und zu versöhnen, so daß sie alsbald mit neu gefüllten Bechern anstießen und sich umarmten. Es wurde beschlossen, im Gespräch heikle Dinge zu umgehen.

Don Panfilo fragte Aguilar nach seinen Lebensschicksalen aus. Er hatte den Frater gekannt, noch bevor dieser sich der unglücklichen Expedition Ojedas angeschlossen hatte, von welcher heimkehrend er – nach dem Schiffbruch der genuesischen Seeräuberkaravelle – mit Gonzalo Guerrero (dem Roten Jaguar) und zehn anderen Leidensgefährten an die Küste Yucatans gespült wurde, während Ojeda, Ordas und die nicht ertrunkenen Korsaren die Nordspitze Kubas schwimmend erreichten. Von Diego de Ordas, der in einem karaibischen Kanoe nach Jamaica ruderte, zu Hilfe gerufen, rettete Panfilo de Narvaez die in den Morästen Verschmachtenden, den Räuber Talavera und den in Ketten mitgeführten Ojeda. »Mi remo no rema. Mein Ruder rudert nicht mehr!« hatte ihm der Statthalter von Uraba auf freundliche Trostworte geantwortet. Von ihm erhielt er dann die irrtümliche Nachricht, daß Gonzalo Guerrero und der Frater Aguilar unter den Ertrunkenen seien.

Nachdem Aguilar von seinem Leben am Hofe des Maya-Kaziken und vom Verführungsversuch des kleinen Mädchens erzählt hatte – welches seiner Keuschheit wegen sterben mußte –, berichtete Olid von dem durch seinen Neger vereitelten Mordanschlag am Tor des Roten Berges und wie der Rollende Stein mit den aztekischen Fürsten tanzte und sang, während Estevan Parillas ihnen die Köpfe abschnitt.

»Wieviel waren es?« fragte Salvatierra.

»Sechzehn«, antwortete Olid.

»Das war zuviel!« lachte Salvatierra. »Don Panfilo hat auf Kuba immer dreizehn Indianer zu gleicher Zeit rund um einen Baumstamm an die Zweige hängen lassen – zum Andenken an Christus und seine zwölf Apostel!«

»Allerdings«, bestätigte Narvaez. »Ich heiligte sie durch ihre Zahl, da sie von Taufe nichts wissen wollten.«

»Meiner Treu, das ist nachahmenswert!« lachte Olid. »Ich will es mir merken, für künftige Fälle. Nach unserem Sieg bei Otompan habe ich Gefangene niederstechen lassen – man kann ja nicht alle hungrigen Mäuler stopfen ... Jetzt tut mir's leid! Ich hätte sie an Bäumen zu Dutzenden heiligen können! ...«

»Habt Ihr bei Otompan nicht die Königin von Mexico gefangen?« fragte Narvaez.

»Ich wollte, ich hätte sie gefangen! ...« entgegnete Olid, und sein Gesicht verdüsterte sich. Er fühlte, wie Don Panfilos Auge ihn durchdringend ansah, und ärgerte sich, daß er zum zweitenmal mehr gesagt hatte, als er hatte sagen wollen. Eine Weile saßen sich die beiden Feldobristen schweigend gegenüber. Mittelgroß und kurzhalsig war Narvaez, hatte einen roten Petrusbart und rotes Haar. Sein ausgelaufenes Auge war von einem schwarzen Läppchen verdeckt, seine von Farfans Hellebarde durchstochene Wange wies eine fleischige Narbe auf, aber auch die andere Wange leuchtete wie ein roter Apfel. Einen seltsamen Gegensatz bildete sein allzu gesundes struppiges Feuergesicht zu dem bartlosen, gefurchten, aschgrauen Gesicht Olids.

Da Olid erriet, daß; die Gedanken Don Panfilos auf der richtigen Spur waren, ihm aber daran lag, die Spur zu verwischen, bemühte er sich, den Unbefangenen zu spielen. Darum zog er es vor, nachdem er sich ja doch verraten hatte, aus seinen Absichten auf Maisblüte kein Hehl mehr zu machen, ihnen aber andere Gründe unterzuschieben.

»Mir wurde die Königin von Cortes weggeschnappt«, sagte Olid leichthin. »Und ich leugne nicht, daß mich's wurmt. Nicht weil sie schön ist, aber weil man für sie ein reiches Lösegeld einheimsen könnte.«

»Will Cortes sie verkaufen?« fragte Salvatierra.

»Er denkt nicht daran!« brummte Olid. »Er legt sich eine Sammlung von Montezumatöchtern an. Auch Marina soll ja eine sein.«

»Ja, wenn er Kaiser von Mexico werden will, wie Ihr vorhin meintet, so kann solch eine Sammlung sich nutzbar machen!« hetzte Narvaez. »Mich wundert's, daß ein Mann wie Ihr, Don Cristobal, sich die Königin entwischen ließ. Verstand ich Euch recht, so hattet Ihr sie schon und mußtet sie herausgeben. Warum laßt Ihr Euch so viel von Cortes gefallen? Ist er denn mehr als Ihr? Warum genügt es Euch, Diener zu sein, der Ihr doch Herr sein könntet so gut wie er?«

»Da habt Ihr recht, Don Panfilo! Cortes hat nur sein Glück vor uns anderen voraus! Wir Hauptleute leisten die Arbeit, und er hat den Ruhm davon! Sobald aber etwas mißlingt, sind nur wir Hauptleute schuld! In Cholula habe ich ihn gerettet – und glaubt Ihr, daß er es mir gedankt hat? Sein Glück bei Otompan war einfach lächerlich: er wußte nicht einmal, daß es der König von Mexico war, den er erschlug. Und was seinen vielgelobten Sieg über Euch, Don Panfilo, betrifft, so wissen wir beide doch Bescheid: den Oberbefehl über unser Heer hatte ich in jener Nacht.«

Schon entfallen war es Olid, daß er vorhin erst das Glück des Cortes in den Himmel gehoben hatte. Nun wurde plötzlich Narvaez zum Lobredner auf Cortes und schonte sich selbst dabei nicht.

»Nein, nein, Don Cristobal, so dürft Ihr über Cortes nicht reden. Auf ihn sollte jeder Kastilier stolz sein! Meine Dummheit war es, daß ich der Meldung meines Kämmerers Hurtado nicht glaubte, aber trotzdem mich zu besiegen, bringt nur ein Cortes fertig! Ich will Euch offen gestehen, daß er an mir einen aufrichtigen Bewunderer hat, wenn ich auch nie aufhören werde, sein Feind zu sein. Darum habe ich ihm auch elf meiner verwundeten Offiziere, als sie ausgeheilt waren, zugeschickt. Sie wollten sich in Tlascala unter seine Fahne stellen, und ich gewährte ihnen die Bitte. Geht, meine Freunde, sagte ich ihnen, er ist mein Gegner, wie Achilleus der Gegner des Agamemnon war, aber er ist edel wie Achilleus, ich hindere euch nicht, die Gefilde Mexicos und den Tod auf dem Felde der Ehre zu suchen!«

»Vergeßt nicht, Don Panfilo«, lachte Salvatierra, »daß Ihr sie auch gewarnt habt: in Mexico gäbe es Fleischerläden, wo nur Menschenfleisch verkauft wird!«

Erstaunt fragte Olid:

»Ihr habt elf Mann nach Tlascala gesandt? Wann war das?«

»Vor acht Wochen, kurz ehe Avila und Duero hier eintrafen«, sagte Narvaez. »Don Andrés de Tapias Schwiegervater Cuhextecatl, der sich damals in Vera Cruz aufhielt, übernahm es, sie statt über Sempoalla, wo die Pocken herrschten, den südwestlichen Weg über Tepeaca zu führen.«

»Dann sind Eure Offiziere ermordet«, erklärte Olid. »Denn in Tlascala sind sie nie angelangt, und daß die Bewohner Tepeacas, obgleich sie vor einem Jahr Seiner Majestät Treue schworen, jetzt zu Mexico halten, wurde uns in Tlascala bereits versichert. Das gelobe ich Euch: nicht ruhen will ich, bis ich der Sache auf den Grund gegangen bin. Ausgezogen bin ich, den Roten Berg zu züchtigen, und nicht heimkehren will ich, ohne Tepeaca gezüchtigt zu haben! ...«


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